Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-103199/5/Fra/Ka

Linz, 08.01.1996

VwSen-103199/5/Fra/Ka Linz, am 8. Jänner 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Fragner über die Berufung der H D, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 12.7.1995, VerkR96-4330-1995+1, betreffend Übertretung des § 20 Abs.2 StVO 1960, zu Recht erkannt:

I. Die Berufung wird in der Schuldfrage als unbegründet abgewiesen. Hinsichtlich der Strafe wird der Berufung jedoch insofern Folge gegeben, als die Geldstrafe auf 2.500 S herabgesetzt wird. Für den Fall der Uneinbringlichkeit dieser wird eine Ersatzfreiheitsstrafe von 72 Stunden festgesetzt.

II. Für die Berufungswerberin entfällt die Verpflichtung zur Leistung eines Beitrages zu den Kosten des Berufungsverfahrens. Hinsichtlich des Verfahrens erster Intanz ermäßigt sich der Kostenbeitrag auf 10 % der neu bemessenen Strafe, ds 250 S.

Rechtsgrundlage:

Zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 16, 19, 24 und 51 VStG.

Zu II.: § 64 und § 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über die Berufungswerberin wegen Übertretung des § 20 Abs.2 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 3.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe: 96 Stunden) verhängt, weil sie am 15.12.1994 um 10.12 Uhr den Pkw mit dem Kennzeichen auf der Westautobahn A1 in Fahrtrichtung Wien gelenkt hat, wobei sie im Gemeindegebiet von Seewalchen am Attersee bei km.237,9 die für Autobahnen erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um 48 km/h überschritten hat. Ferner wurde gemäß § 64 VStG ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Strafe vorgeschrieben.

I.2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig durch den ausgewiesenen Vertreter bei der Erstbehörde eingebrachte Berufung. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck - als nunmehr belangte Behörde - sah sich zu einer Berufungsvorentscheidung nicht veranlaßt und legte das Rechtsmittel samt Akt dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil eine 10.000 S nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied entscheidet (§ 51c VStG).

I.3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

Die Berufungswerberin (Bw) bringt vor, daß ihr die Erstbehörde zu Unrecht keinen entschuldigenden Notstand im Sinne des § 6 VStG zugebilligt habe. Es sei ihr nämlich - im Gegensatz zur Rechtsauffassung der belangten Behörde keinesfalls zumutbar gewesen, ihre große Notdurft auf einen Pannenstreifen - sozusagen in aller Öffentlichkeit - zu verrichten. Außerdem sei das Verweilen auf einem Pannenstreifen bekanntermaßen lebensgefährlich und ihr somit nicht zumutbar. Die kurzfristige Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit (um so rasch wie möglich zum nächsten Parkplatz zu gelangen, um dort eine Toilette aufzusuchen) sei für sie jedenfalls die einzige Möglichkeit gewesen, diese Notstandsituation zumutbarerweise zu bereinigen. Die Ansicht der belangten Behörde, sie hätte auch die Möglichkeit gehabt, bis zum nächsten Parkplatz mit der vorgeschriebenen Fahrgeschwindigkeit zu gelangen, sei im Falle eines "akuten Empfindens von Stuhldrang" wohl eine unzumutbare Forderung. Die von ihr kurzzeitige Überschreitung der Geschwindigkeit (178 km/h) sei jedenfalls nicht so hoch gewesen, daß mit dieser Fahrgeschwindigkeit zwangsläufig eine Gefahr verbunden gewesen wäre.

Hiezu stellt der O.ö. Verwaltungssenat fest:

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kann unter Notstand im Sinne des § 6 VStG nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, daß er eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht. Es muß sich um eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben, die Freiheit oder das Vermögen handeln (VwGH 19.12.1973, 319/73). Zum Wesen des Notstandes gehört auch, daß die Gefahr zumutbarerweise nicht in anderer Art, als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben ist (VwGH 8.9.1969, 1708/68 und viele andere).

Den Ausführungen der Erstbehörde dahingehend daß, wenn bei einem "akutem Empfinden von Stuhldrang" es nicht mehr möglich ist, den nächsten Parkplatz zu erreichen, es erforderlich erscheint, in einem derartigen Fall den PKW sofort (am Pannenstreifen) anzuhalten, wird beigepflichtet.

In einem solchen Fall ist das Anhalten auf einem Pannenstreifen der Autobahn zulässig. Die Erstbehörde hat keinesfalls - wie die Berufungswerberin meint - die Rechtsauffassung vertreten, daß es ihr zumutbar gewesen wäre, ihre große Notdurft auf dem Pannenstreifen - sozusagen in aller Öffentlichkeit - zu verrichten. Sie hat lediglich zum Ausdruck gebracht, daß in einem solchen Zustand das Anhalten auf dem Pannenstreifen geboten und zulässig erscheint. Es bedarf wohl keiner zusätzlichen Erörterung, daß diesfalls davon ausgegangen wird, die Bw hätte ihre große Notdurft abseits des Pannenstreifens verrichtet. Daß ihr dies aufgrund der örtlichen Gegebenheiten nicht möglich gewesen wäre, behauptet sie selbst nicht. Es kann daher der Argumentation der Bw, daß die kurzfristige Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit jedenfalls für sie die einzige Möglichkeit gewesen sei, um die "Notstandssituation" zumutbarerweise zu bereinigen, nicht beigetreten werden.

Die Berufung erwies sich daher in der Schuldfrage als unbegründet.

Zur Strafe wird ausgeführt:

Wenn schon das Vorbringen der Bw nicht als strafbefreiend gewertet werden kann, kommt dem vorgebrachten Umstand jedoch ein schuldmindernder Aspekt zu. Die Einkommenslosigkeit, die Sorgepflichten der Bw sowie die Tatsache, daß durch die Geschwindigkeitsüberschreitung keine nachteiligen Folgen bekannt wurden, veranlaßten den O.ö. Verwaltungssenat zu einer Reduzierung der Strafe auf das nunmehrige Ausmaß. Eine weitere Herabsetzung erschien jedoch vom Aspekt des Unrechtsgehaltes der Übertretung (Geschwindigkeitsüberschreitungen stellen eine der häufigsten Ursachen von Verkehrsunfällen dar und sind somit geeignet, die durch die Strafdrohung geschützten Interessen der Verkehrssicherheit erheblich nachteilig zu beeinträchtigen) sowie aufgrund des Umstandes, daß die Bw bereits eine einschlägige Vormerkung aufweist, welche als erschwerend zu werten ist, nicht vertretbar. Aus diesen Gründen ergibt sich auch, daß das Rechtsinstitut des § 21 VStG nicht angewendet werden konnte.

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

II. Die Kostenentscheidung stützt sich auf die im Spruch angeführten gesetzlichen Bestimmungen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. F r a g n e r

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