Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-103532/2/Bi/Fb

Linz, 06.03.1996

VwSen-103532/2/Bi/Fb Linz, am 6. März 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Bissenberger über die Berufung der Frau A S, N, E, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. H H, W, W, vom 8. Februar 1996 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 22. Jänner 1996, VerkR96-7598-1-1995, wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird keine Folge gegeben und das erstinstanzliche Straferkenntnis vollinhaltlich bestätigt.

II. Die Rechtsmittelwerberin hat zusätzlich zu den Verfahrenskosten der Erstinstanz den Betrag von 500 S, ds 20 % der verhängten Geldstrafe, als Kostenbeitrag zum Rechtsmittelverfahren zu leisten.

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1 und 19 VStG, §§ 20 Abs.2 iVm 99 Abs.3a StVO 1960.

zu II.: § 64 Abs.1 und 2 VStG.

Entscheidungsgründe:

zu I.:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck hat mit dem angefochtenen Straferkenntnis über die Beschuldigte wegen der Verwaltungsübertretung gemäß §§ 20 Abs.2 iVm 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe von 2.500 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 84 Stunden verhängt, weil sie am 25. Februar 1995 um 10.10 Uhr den PKW auf der A W in Richtung W gelenkt und im Gemeindegebiet von S bei km die auf Autobahnen zulässige Höchstgeschwindigkeit von 130 km/h um 43 km/h überschritten habe. Gleichzeitig wurde ihr ein Verfahrenskostenbeitrag von 250 S auferlegt.

2. Dagegen hat die Rechtsmittelwerberin fristgerecht Berufung erhoben, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung erübrigte sich, weil im bekämpften Bescheid eine 3.000 S nicht übersteigende Geldstrafe verhängt, eine mündliche Verhandlung aber nicht ausdrücklich verlangt wurde (§ 51e Abs.2 VStG).

3. Die Rechtsmittelwerberin macht im wesentlichen geltend, sie bestreite weder, das angeführte Fahrzeug zum damaligen Zeitpunkt gelenkt, noch die zulässige Höchstgeschwindigkeit um 43 km/h überschritten zu haben. Allerdings seien in ihrem Fall die Voraussetzungen des § 6 VStG gegeben, die zu einer Einstellung des anhängigen Strafverfahrens zu führen hätten.

Die Argumentation der Erstinstanz, es hätte durchaus genügt, am Pannenstreifen anzuhalten und die Warnblinkanlage einzuschalten, um dem Beifahrer die Möglichkeit zu geben, seinen dringenden menschlichen Bedürfnissen nachzukommen, widerspreche jeder menschlichen Würde. Die Annahme, daß der Zeuge im Zuge des Pannenstreifens einen Busch gefunden hätte, sei durch nichts manifestiert, daher könne auch ein Straferkenntnis nicht auf diese behördliche Annahme gestützt werden. Die These der Erstinstanz entbehre jeglicher Realität bei Erwachsenen, möge aber bei kleineren Kindern wohl richtig sein.

Betrachte man die Unfallstatistik, so müsse man feststellen, daß auch das Anhalten auf dem Pannenstreifen, insbesondere das jähe Abbremsen auf Autobahnen, um auf den Pannenstreifen abzubiegen, Unfallrisiko in sich berge. Wenn sie die Risken einschließlich Spurwechsel und den Zustand ihres Beifahrers überdenken müßte, sei für sie die Entscheidung, das Tempo zu erhöhen, die einzige Möglichkeit gewesen, sowohl die Gefahr für Leib und Leben abzuwenden, als auch der Notsituation ihres Beifahrers abzuhelfen. In diesem Augenblick habe für sie somit eine Notsituation vorgelegen, in der sie sofort eine Entscheidung treffen habe müssen, die sie darin gefunden habe, die Geschwindigkeit zu erhöhen, um möglichst schnell den nächsten Parkplatz zu erreichen.

Selbst wenn man die Rechtsrüge negiere, sei die verhängte Strafe weder tat- noch schuldangemessen. Die Unbescholtenheit sei zwar strafmildernd gewertet worden, nicht aber, daß zum einen die Geschwindigkeitsüberschreitung keine wie immer gearteten nachteiligen Folgen nach sich gezogen habe, und daß außerdem die Milderungsgründe des § 34 Abs.1 Z2, 3, 8, 11, 12, 13 und 17 StGB vorgelegen hätten. Unter Berücksichtigung der Strafbemessungsgrundlagen hätte die Erstinstanz gemäß § 21 VStG von der Strafe absehen und eine Ermahnung aussprechen oder eine geringfügige Strafe verhängen können.

Sie beantrage daher, das Straferkenntnis zu beheben und das Verfahren einzustellen, in eventu die verhängte Strafe dahingehend abzuändern, daß lediglich eine Ermahnung oder eine geringfügige Geldstrafe verhängt werde.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz.

Daraus geht hervor, daß der PKW am 25. Februar 1995 um 10.10 Uhr auf der W bei km im Gemeindegebiet von S in Fahrtrichtung W mittels Radargerät Multanova 6 F mit einer Geschwindigkeit von 182 km/h gemessen wurde. Nach Abzug der Toleranzwerte laut Verwendungsbestimmungen wurde der Anzeige ein Geschwindigkeitswert von 173 km/h zugrundegelegt.

Der Zulassungsbesitzer des PKW, A E B, gegen den ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung eingeleitet wurde, gab im Zuge der Lenkerauskunft die Rechtsmittelwerberin als damalige Lenkerin des PKW an.

Im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens hat sich diese dahingehend verantwortet, Herr A B sei als Beifahrer neben ihr gesessen und habe sie offenbar knapp vor der Radarmessung gebeten, möglichst rasch auf den nächsten Parkplatz zu fahren, da er unter argem Brechreiz und Darmkoliken leide. Sie habe daraufhin verständlicherweise die Geschwindigkeit des Fahrzeuges erhöht und den nächsten Parkplatz aufgesucht, wo Herr B sofort im Gebüsch verschwunden sei, um zu erbrechen und den Darm zu entleeren. Für sie habe sich dies als Notsituation dargestellt, die sie nur glaubte, dadurch bewältigen zu können, daß sie die zulässige Höchstgeschwindigkeit überschreite, um Herrn B zu helfen. Der Beifahrer wurde als Zeuge geltend gemacht.

Die Erstinstanz hat in der Begründung des Straferkenntnisses das Vorliegen einer Notstandssituation verneint und dazu ausgeführt, es sei zwar nachvollziehbar, daß die Rechtsmittelwerberin bemüht war, dem Ersuchen ihres Beifahrers nachzukommen, jedoch hätte dafür durchaus genügt, am Pannenstreifen anzuhalten und die Warnblinkanlage einzuschalten.

Der Zeuge hätte dann die Möglichkeit gehabt, seinen dringenden menschlichen Bedürfnissen nachzukommen, zumal ein Unterschied zum angefahrenen Parkplatz nicht erblickt werden könne, weil sich der Beifahrer laut den Angaben der Rechtsmittelwerberin dort ohnehin sofort "in die Büsche verzogen" habe. Einen Busch hätte der Zeuge sicherlich auch beim Anhalten am Pannenstreifen gefunden. Außerdem müßten derartige Bedürfnisse im Fall einer tatsächlichen schweren Übelkeit nach aller täglichen Erfahrung sofort erledigt werden und duldeten keinen - auch nicht einen relativ kurzen - Aufschub. Falls ein derartiger Zustand einen Aufschub erlaube, so mit Sicherheit auch einen solchen, bei dem die zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht überschritten werde.

Der unabhängige Verwaltungssenat hält die im übrigen in der Berufung auch nicht neuerlich beantragte Zeugeneinvernahme des Beifahrers der Rechtsmittelwerberin deshalb für entbehrlich, weil die Darstellung der Rechtsmittelwerberin über den Zustand des Zeugen B zum einen denkmöglich, zum anderen durch nichts zu widerlegen ist.

In rechtlicher Hinsicht ist auszuführen, daß die Rechtsmittelwerberin grundsätzlich weder die Lenkereigenschaft noch die Erfüllung des Tatbestandes der ihr vorgeworfenen Verwaltungsübertretung bestritten hat. Sie hat jedoch das Vorliegen einer Notstandssituation behauptet, die im Einklang mit den Bestimmungen des § 6 VStG im Hinblick auf rechtliche Relevanz zu überprüfen war.

Gemäß § 6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.

Nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes kann unter Notstand iSd § 6 VStG nur ein Fall der Kollision von Rechten und Pflichten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, daß einer eine im allgemeinen strafbare Handlung begeht. Als Merkmal des Notstandes hat eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben, die Freiheit oder das Vermögen zu gelten (vgl VwGH vom 27. Mai 1987, 87/03/0112).

Zum Wesen des Notstandes gehört auch, daß die Gefahr zumutbarerweise nicht in anderer Art als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben ist (vgl ua VwGH vom 15. April 1983, 82/04/0169).

Nimmt der Täter irrtümlich eine Notstandssituation an, so ist er entschuldigt, sofern der Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen eines Notstandes nicht auf Fahrlässigkeit beruht, also ihm vorwerfbar ist, wobei im Fall einer Fahrlässigkeit die Zumutbarkeit rechtmäßigen Verhaltens schon im Rahmen der Fahrlässigkeit, jedenfalls im Fall unbewußter, zu prüfen ist (vgl VwGH vom 27. Juni 1984, 83/03/0321).

Auf der Grundlage des Berufungsvorbringens ist im gegenständlichen Fall davon auszugehen, daß die den PKW lenkende Rechtsmittelwerberin im Zuge ihrer Fahrt auf der W von ihrem Beifahrer, der "unter argem Brechreiz und Darmkoliken" litt, ersucht wurde, möglichst schnell zum nächsten Parkplatz zu fahren. Sie hat, um dorthin zu gelangen, die Geschwindigkeit des PKW sofort erhöht, weil sie darin die einzige Möglichkeit gesehen habe, dem Beifahrer die Möglichkeit zu geben, sich Erleichterung zu verschaffen. Aus dem Radarfoto geht hervor, daß die Geschwindigkeitsmessung zu einem Zeitpunkt stattgefunden hat, als die Rechtsmittelwerberin mit einer Geschwindigkeit von 173 km/h - nach Abzug der von den gemessenen 182 km/h abgezogenen Toleranzwerte - auf der Überholspur der W auf dem bergab führenden Teil des "S" fuhr.

Geht man davon aus, daß sich der Zeuge B tatsächlich in einem solchen körperlichen Zustand befand, daß ihm eine Fortsetzung der Fahrt unter keinen Umständen möglich war, was bei argem Brechreiz und akutem Durchfall durchaus vorstellbar ist, so vermag dies im gegenständlichen Fall die Geschwindigkeitsüberschreitung der Rechtsmittelwerberin in keinem Fall zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen.

Bei einem derart akuten Zustand, der im übrigen keine Gefahr für die Gesundheit darstellt, da sich nach der allgemeinen Lebenserfahrung der menschliche Körper in einer solchen Situation von selbst hilft, hätte für die Rechtsmittelwerberin nur die Möglichkeit bestanden, möglichst rasch ihr Fahrzeug am Pannenstreifen zum Stillstand zu bringen, um dem Beifahrer ein möglichst rasches Aussteigen zu ermöglichen.

Aus dem Radarfoto geht hervor, daß der von der Rechtsmittelwerberin gelenkte PKW zweitürig war, dh auf der Beifahrerseite nur eine Tür zur Verfügung stand, hinter die der Zeuge zum Schutz vor den Blicken der sich von hinten nähernden Fahrzeuglenker "flüchten" hätte können; abgesehen davon befinden sich neben der Autobahn Leitplanken, die denselben Zweck erfüllen hätten können.

In objektiver Hinsicht ist dem Argument der Rechtsmittelwerberin nichts entgegenzusetzen, daß eine solche Vorgangsweise jeder menschlichen Würde widerspricht. Tatsache ist aber, daß gewisse biologische Vorgänge von einem Menschen nicht beeinflußt werden können und diesem in einem solchen Fall nur die Möglichkeit bleibt, möglichst schnell einen möglichst geeigneten Ort dafür zu finden.

Das Argument der Erstinstanz, dem Zeugen wären auch auf dem Pannenstreifen Sträucher zur Verfügung gestanden, ist in diesem Zusammenhang nicht von der Hand zu weisen. Wenn die Rechtsmittelwerberin anführt, der Zeuge hätte sich auf dem nächstgelegenen Parkplatz sofort "in die Büsche geschlagen", so ist dem hinzuzufügen, daß auch hier nach der allgemeinen Lebenserfahrung keinerlei Sichtschutz bestanden haben kann, weil Sträucher Ende Februar keine Blätter tragen. Von der Rechtsmittelwerberin wurde weder behauptet, daß der Zeuge eine dort befindliche Toilette aufgesucht, noch sonstigen Sichtschutz gesucht hätte. Abgesehen davon ist zweifelhaft, ob es dem Zeugen in einem derart akuten Zustand überhaupt möglich gewesen wäre, weitere Strecken zu Fuß zurückzulegen.

Das Argument der Rechtsmittelwerberin, es sei unfallgefährdend, auf der Autobahn "jäh abzubremsen, um auf den Pannenstreifen abzubiegen", ist für den unabhängigen Verwaltungssenat schlicht unverständlich. Zum einen ist vorauszusetzen, daß ein PKW-Lenker nicht "jäh" abbremst und "abbiegt", sondern ist vielmehr davon auszugehen, daß dieser unter entsprechender Signalgebung (Blinker bzw Warnblinkanlage) den PKW nach rechts auf den Pannenstreifen lenkt und dort erst die Geschwindigkeit zum Stillstand vermindert. Daß bei einer solchen Fahrsituation auf nachfolgende Fahrzeuge Bedacht zu nehmen ist, braucht wohl nicht erst betont zu werden.

Würde man der Auffassung der Rechtsmittelwerberin folgen, wäre allein schon der Vorgang des Abstellens des PKW auf dem Pannenstreifen derart unfallgefährdend, daß nicht nur dessen Benützung, sondern sogar dessen Daseinszweck grundsätzlich in Frage zu stellen wäre. Dem ist aber entgegenzuhalten, daß der Pannenstreifen ohnedies nur für absolute Notfälle gedacht ist, wobei bei Vorliegen eines akuten Brech-Durchfalls tatsächlich von einem Notfall auszugehen ist.

Verfolgt man hingegen die der Rechtsmittelwerberin vorgeworfene und von ihr gar nicht bestrittene Verhaltensweise dergestalt, daß sie, eben um ihrem Beifahrer möglichst schnell Erleichterung zu verschaffen, unter starker Beschleunigung ihres Fahrzeuges offenbar unter Vornahme eines Fahrstreifenwechsels auf die Überholspur andere Fahrzeuge überholt hat, um möglichst schnell den nächstgelegenen Parkplatz zu erreichen, so kann dies nur bedeuten, daß die Lage, in der sich der Beifahrer befand, nicht so akut gewesen sein kann, weil er sonst die Zeit, die die Rechtsmittelwerberin für ihre Fahrt auf der Überholspur und das zweimalige Umspuren zur Parkplatzausfahrt gebraucht haben muß, nicht durchgehalten hätte.

Bedenkt man weiters, daß sich auf der W im angeführten Abschnitt in Fahrtrichtung W kurz nach der Ausfahrt S bei km ein als Pannenplatz gekennzeichneter Parkplatz befindet Brech-Durchfall-Anfälle kommen in der Regel nicht gänzlich unvorhersehbar, sodaß ein vorsorgliches Aufsuchen des Parkplatzes möglich und angebracht gewesen wäre - und sich bei km der nächste Pannenplatz befindet - hier hätte bei der auf der Überholspur eingehaltenen Geschwindigkeit eher die Gefahr des Übersehens bestanden -, so hätte es tatsächlich nicht nur eine einzige Möglichkeit der Reaktion der Rechtsmittelwerberin auf das Ersuchen ihres Beifahreres gegeben.

Die Rechtsmittelwerberin hat aber durch die von ihr eingehaltene Geschwindigkeit, die über 40 km/h (!) über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit lag, ein ungleich höheres Unfallrisiko auf sich genommen, als durch das bloße Ausrollenlassen des PKW auf dem Pannenstreifen jemals entstehen hätte können.

Das Vorliegen einer Notstandssituation ist daher im gegenständlichen Fall schon deshalb zu verneinen, weil im Hinblick auf den Zeugen B weder eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben oder für die Gesundheit bestand, während die Geschwindigkeitsüberschreitung der Rechtsmittelwerberin und der zum Zweck des Erreichens des Autobahnparkplatzes notwendige zweimalige Fahrstreifenwechsel mit einem Unfallrisiko verbunden war, das eine mögliche Gefährdung der Rechtsgüter Leben, Gesundheit und Vermögen sowohl der Rechtsmittelwerberin und ihres Beifahrers als auch anderer Verkehrsteilnehmer nach sich ziehen hätte können. Ein sofortiges Anhalten auf dem Pannenstreifen hätte hingegen ein vernachlässigbar geringes Unfallrisiko bedeutet, zumal die Rechtsmittelwerberin im Fahrzeug verbleiben hätte können und dem Zeugen auf der Beifahrerseite keinerlei Gefahr gedroht hätte. Ein für möglich gehaltenes Unfallrisiko stellt aber ebenfalls keine unmittelbar drohende Gefahr dar, zu deren einzig geeigneter Abwehr die Geschwindigkeitsüberschreitung erforderlich gewesen wäre.

Die in diesem Zusammenhang vom rechtsfreundlichen Vertreter dargebotene Schilderung der Kindheitserlebnisse seiner Töchter ist letztlich nicht auf den gegenständlichen Fall zu übertragen, weil die Möglichkeit der Beherrschung der körperlichen Vorgänge weniger mit dem Alter der betreffenden Person als mit der jeweiligen Intensität des Brech-Durchfalls zu tun hat.

Wenn sich die Rechtsmittelwerberin darauf beruft, ihr sei die von ihr gewählte Vorgangsweise in diesem Augenblick als die günstigste erschienen, so ist dem entgegenzuhalten, daß von einem mit den rechtlichen Werten verbundenen und mit der Gabe des logischen Denkens ausgestatteten Menschen, der noch dazu im Besitz einer Lenkerberechtigung mit vorangegangener entsprechender Ausbildung ist, erwartet werden muß, die Wichtigkeit verschiedener Rechtsgüter beurteilen zu können, um letztlich die mit der geringeren Gefahr verbundene Vorgangsweise wählen zu können.

Wenn der Zeuge B, so wie von der Rechtsmittelwerberin behauptet, diese ersucht hat, auf den nächsten Parkplatz zu fahren, läßt dies einerseits den Schluß zu, daß die Situation nicht so akut war, daß eine derartige Geschwindigkeitsüberschreitung in Kauf zu nehmen gewesen wäre, und zum anderen vermag auch der Wunsch, ihrem Beifahrer zu helfen, deren - im gegenständlichen Fall wohl als vorsätzlich anzusehenden - Entschluß in keiner Weise zu rechtfertigen oder gar zu entschuldigen.

Auf dieser Grundlage gelangt der unabhängige Verwaltungssenat zu der Auffassung, daß die Rechtsmittelwerberin den ihr zur Last gelegten Tatbestand erfüllt und ihr Verhalten als Verwaltungsübertretung zu verantworten hat.

Die Voraussetzungen des § 21 Abs.1 VStG für ein Absehen von der Strafe und die Erteilung einer Ermahnung waren im gegenständlichen Fall schon deshalb nicht erfüllt, weil von einem geringfügigen Verschulden - wie bereits oben ausgeführt - nicht ausgegangen werden kann.

Zur Strafbemessung ist auszuführen, daß der unabhängige Verwaltungssenat in den Überlegungen zur Strafbemessung der Erstinstanz keinerlei Rechtswidrigkeit zu erkennen vermag.

Zutreffend wurde die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit der Rechtsmittelwerberin als Milderungsgrund gewertet, was den im § 34 Z2 angeführten Milderungsgrund des bisherigen ordentlichen Lebenswandels, zu dem die Tat in auffallendem Widerspruch steht, indiziert.

Die weiteren von der Rechtsmittelwerberin ins Treffen geführten Milderungsgründe des Strafgesetzbuches vermag der unabhängige Verwaltungssenat nicht zu erkennen, zumal diese zum Zeitpunkt des Vorfalls das 24. Lebensjahr vollendet hatte und der nachvollziehbare subjektive Wunsch, dem Beifahrer geeignete Hilfe anzubieten, im Hinblick auf die mögliche Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer noch nicht als objektiv achtenswerter Beweggrund anzusehen ist. Ebensowenig ist von einer allgemein begreiflichen heftigen Gemütsbewegung auszugehen, weil darunter ein psychischer Ausnahmezustand im Sinne eines tiefgreifenden Affektes zu verstehen ist, der im gegenständlichen Fall in dieser Intensität auszuschließen ist.

Der unabhängige Verwaltungssenat vermag auch keine Umstände zu erblicken, die einem Schuldausschließungs- oder Rechtfertigungsgrund nahekommen könnten und, da es sich bei der vorgeworfenen Verwaltungsübertretung um ein Ungehorsamsdelikt handelt, bei dem der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht zum Tatbestand gehört, kann auch der Nichteintritt eines Schadens nicht als mildernd angesehen werden. Die Geschwindigkeitsüberschreitung wurde auch vom Ausmaß her durch ein geeichtes und einwandfrei funktionierendes Gerät festgestellt, sodaß der unabhängige Verwaltungssenat im Zugeben der vorgeworfenen Geschwindigkeitsüberschreitung durch die Rechtsmittelwerberin keinen Milderungsgrund zu erblicken vermag.

Der Rechtsmittelwerberin ist allerdings im Hinblick auf den von ihr geltend gemachten Milderungsgrund des § 34 Z12 StGB, der dann als gegeben anzusehen ist, wenn der Täter die Tat in einem die Schuld nicht ausschließenden Rechtsirrtum begangen hat, insbesondere, wenn er wegen vorsätzlicher Begehung bestraft wird, nicht entgegenzutreten.

Eine Herabsetzung der ohnehin für eine Geschwindigkeitsüberschreitung dieses Ausmaßes (43 km/h !) eher niedrig festgesetzen Strafe ist jedoch auch unter diesem Gesichtspunkt nicht zu rechtfertigen, zumal die von der Erstinstanz verhängte - und gegenüber der Strafverfügung offenbar angesichts der Finanzlage der Rechtsmittelwerberin bereits großzügig herabgesetzte - Strafe unter Bedachtnahme auf die Bestimmungen des § 19 VStG sowohl dem Unrechts- und Schuldgehalt der Übertretung entspricht, als auch den finanziellen Verhältnissen der Rechtsmittelwerberin (das Nettomonatseinkommen wurde mit ca 10.000 S angegeben, Vermögen oder Sorgepflichten bestehen nicht) angemessen ist.

Die verhängte Strafe beträgt gerade ein Viertel des gesetzlichen Strafrahmens (§ 99 Abs.3 StVO 1960 sieht Geldstrafen bis 10.000 S bzw Ersatzfreiheitsstrafen bis zu zwei Wochen vor) und ist im Hinblick auf ihren general- und vor allem spezialpräventiven Zweck geeignet, die Rechtsmittelwerberin in Hinkunft zur genauesten Beachtung der Geschwindigkeitsbestimmungen, deren Mißachtung sehr oft die Ursache für schwerste Verkehrsunfälle ist, zu veranlassen.

Es steht ihr in Anbetracht ihrer finanziellen Situation frei, mit der Erstinstanz eine Ratenvereinbarung zu treffen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

zu II.:

Der Ausspruch über den Verfahrenskostenersatz ist gesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Mag. Bissenberger

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