Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-221704/2/Gf/Km

Linz, 08.07.2000

VwSen-221704/2/Gf/Km Linz, am 8. Juli 2000

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Berufung des H W, vertreten durch RA Dr. W R, gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 25. Mai 2000, Zl. 101-4/10-330093922, wegen einer Übertretung der Lösungsmittelverordnung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird stattgegeben und das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben.

II. Der Berufungswerber hat weder einen Kostenbeitrag zum Strafverfahren vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag zum Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat zu leisten.

Rechtsgrundlage:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 64 Abs. 1 und 2 VStG; § 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 25. Mai 2000, Zl. 101-4/10-330093922, wurde über den Rechtsmittelwerber eine Geldstrafe in Höhe von 5.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe: 2 Tage) verhängt, weil er es als handelsrechtlicher Geschäftsführer einer GmbH zu vertreten habe, dass am 20. April 1999 in der Betriebsanlage dieser Gesellschaft verschiedene Lackprodukte in Verkehr gebracht worden seien, ohne gleichzeitig Vorsorge dafür getroffen zu haben, dass diese ausschließlich an gewerbliche Verwender abgegeben werden; dadurch habe er eine Übertretung der §§ 4 und 5 der Lösungsmittelverordnung, BGBl.Nr. 872/1995 (im Folgenden: LMVO), i.V.m. § 17 des Chemikaliengesetzes, BGBl.Nr. I 53/1997 (im Folgenden: ChemG) begangen, weshalb er gemäß § 71 Abs. 1 Z. 4 ChemG zu bestrafen gewesen sei.

1.2. Gegen dieses ihm am 15. Juni 2000 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 28. Juni 2000 - und damit rechtzeitig - mittels Telefax bei der belangten Behörde eingebrachte Berufung.

2.1. Im angefochtenen Straferkenntnis führt die belangte Behörde im Wesentlichen begründend aus, dass der dem Rechtsmittelwerber angelastete Sachverhalt im Rahmen einer durch Organe der Abteilung Umweltschutz des Amtes der Oö. Landesregierung durchgeführten Kontrolle festgestellt worden und sohin als erwiesen anzusehen sei.

Im Zuge der Strafbemessung sei die bisherige Unbescholtenheit des Beschwerdeführers als strafmildernd zu werten gewesen, während erschwerende Umstände nicht hervorgekommen seien; seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse seien mangels entsprechender Mitwirkung von Amts wegen zu schätzen gewesen.

2.2. Dagegen bringt der Berufungswerber zunächst vor, dass der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses nicht als hinreichend konkretisiert i.S.d. § 44a Z. 1 VStG angesehen werden könne, weil sich aus diesem nicht erkennen lasse, ob nun gegen den - in vier Tatbestände untergliederten - § 4 LMVO oder gegen § 5 LMVO, der wiederum zwei gesonderte Tatbestände enthalte, verstoßen worden sei. Im Übrigen seien die verfahrensgegenständlichen Produkte noch vor dem 1. Jänner 1996 erzeugt worden, weshalb nach einer entsprechenden Ausnahmebestimmung in § 5 Abs. 2 LMVO deren unbeschränkter Abverkauf ohnehin zulässig sei. Und schließlich seien diese auch nicht in einem Verkaufs-, sondern bloß in einem Schauraum gelagert gewesen und sohin gar nicht in Verkehr gebracht worden.

Aus allen diesen Gründen wird die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens beantragt.

3. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des Magistrates Linz zu Zl. 101-4/10-330093922; im Übrigen konnte gemäß § 51e Abs. 2 Z. 1 VStG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

4. In der Sache selbst hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

4.1. Gemäß § 71 Abs. 1 Z. 4 i.V.m. § 17 Abs. 2 ChemG und i.V.m. § 5 Abs. 1 LMVO begeht derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe von 5.000 S bis zu 200.000 S zu bestrafen, der Zubereitungen, in denen aromatische Kohlenwasserstoffe als Lösungsmittel mit einem die in § 4 LMVO festgelegten Grenzwerte übersteigenden Masseanteil enthalten sind, für andere als für gewerbliche Zwecke in Verkehr setzt; mit Ausnahme von Klebstoffen ist jedoch der Abverkauf solcher Zubereitungen auch für nichtgewerbliche Zwecke noch zulässig, "sofern gegenüber den Überwachungsorganen belegt werden kann", dass sie vor dem 1. Jänner 1996 hergestellt oder eingeführt worden sind.

Nach § 71 Abs. 1 Z. 4 i.V.m. § 17 Abs. 2 ChemG und i.V.m. § 5 Abs. 2 LMVO ist weiters u.a. derjenige zu bestrafen, der hinsichtlich solcher Zubereitungen, die nach den vorangeführten Kriterien nur noch für gewerbliche Zwecke in Verkehr gesetzt werden dürfen, entweder nicht dafür sorgt, dass sie ausschließlich an gewerbliche Verwender abgegeben werden, oder diese auf allgemein zugänglichen Verkaufsflächen in Selbstbedienung abgibt.

In Bezug auf Bautenschutzmittel ist in § 4 Z. 1 LMVO für aromatische Kohlenwasserstoffe als Lösungsmittel ein höchstzulässiger Masseanteil von 20%, in Bezug auf sonstige (d.h. nicht unter § 1 Abs. 1 Z. 1 [Fahrzeuglacke], Z. 3, Z. 4 [Kontaktkleber], Z. 6 [Antifouling- oder Unterwasseranstriche] oder Z. 8 LMVO fallende) Zubereitungen in § 4 Z. 4 LMVO ein solcher von 5% festgelegt.

4.2. Bei verständiger Würdigung des Spruches, insbesondere im Kontext mit der Begründung, geht im gegenständlichen Fall nach Auffassung des Oö. Verwaltungssenates mit hinreichender Deutlichkeit i.S.d. § 44a Z. 1 VStG hervor, dass dem Rechtsmittelwerber eine Übertretung des § 71 Abs. 1 Z. 4 ChemG i.V.m. § 5 Abs. 2 erste Alternative LMVO - und zwar hinsichtlich eines Produktes i.V.m. § 4 Z. 1 LMVO und hinsichtlich der übrigen drei Produkte i.V.m. § 4 Z. 4 LMVO - angelastet wird.

4.3. Nun blieb zwar hier - auch vom Beschwerdeführer - unbestritten, dass die von Sachverständigen durchgeführte Kontrolle der beanstandeten Produkte ergeben hat, dass bei diesen der in § 4 Z. 1 LMVO bzw. in § 4 Z. 4 LMVO festgelegte Grenzwert jeweils überschritten wurde; nach dem gemäß § 24 VStG i.V.m. § 39 Abs. 2 AVG auch für das Verwaltungsstrafverfahren maßgeblichen Amtswegigkeitsprinzip enthob dies allein jedoch die belangte Behörde nicht ihrer Verpflichtung, eigenständige Ermittlungen darüber anzustellen, ob darüber hinaus auch die übrigen Tatbestands-elemente des § 5 Abs. 2 erste Alternative LMVO erfüllt waren.

4.3.1. Indem die Straftatbestände des § 5 Abs. 2 LMVO - wie schon aus dem insoweit expliziten Verweis deutlich wird - auf jenem des § 5 Abs. 1 LMVO aufbauen, wäre daher auf dieser Ebene als Voraussetzung der Strafbarkeit offenkundig zu klären gewesen, dass die verfahrensgegenständlichen Zubereitungen nicht vor dem 1. Jänner 1996 hergestellt oder eingeführt worden sind.

4.3.2. Diesbezüglich findet sich in dem von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt jedoch keinerlei Hinweis auf einen insoweit zweckentsprechenden Ermittlungsschritt.

Dies muss schon deshalb verwundern, weil der Beschwerdeführer einen in diese Richtung zielenden Einwand schon in seiner ersten Stellungnahme vom 13. Oktober 1999 erhoben und auch schlüssig damit begründet hat, dass sämtliche beanstandeten Produkte mit der Chargennummer "5" beginnen, also bereits im Jahr 1995 hergestellt worden seien.

4.3.3. Wie sich aus den Überprüfungsprotokollen der Umweltabteilung des Amtes der Oö. Landesregierung vom 20. April 1999, Zl. U-LE-500571, weiters ergibt, haben die Kontrollorgane lediglich festgestellt, dass kein Nachweis darüber, dass eine Abgabe nur an gewerbliche Betriebe erfolgte, erbracht werden konnte (vgl. jeweils den Punkt "SONSTIGES"); dem Umstand, dass die Produkte bereits vor dem Inkrafttreten der LMVO hergestellt wurden, ist hingegen im Zuge der Inspektion offenkundig keine Beachtung geschenkt worden.

Dies kann aber letztlich nicht damit abgetan werden, dass es Sache des Berufungswerbers gewesen wäre, bereits unmittelbar bei der Durchführung der Inspektion einen diesbezüglichen - und zudem entsprechend belegten - Einwand zu erheben; denn die auf die amtliche Überwachung bezüglichen Bestimmungen des ChemG, auf die sich auch der zweite Satz des § 5 Abs. 1 LMVO stützt, lassen einen derartigen Schluss nicht zu (vgl. insbesondere z.B. § 22 Abs. 3 ChemG, der eine Vierzehntagesfrist zur Bekanntgabe von Daten an die Überwachungsbehörde vorsieht, sowie § 58 Abs. 5 ChemG, der letztere unter den Voraussetzungen des § 21 VStG von vornherein zu einem Absehen von der Anzeigeerstattung ermächtigt, und § 62 ChemG, der generell davon ausgeht, dass die Überwachungsorgane entsprechende Auskunftsbegehren stellen).

4.3.4. Zu all dem kommt, dass der Rechtsmittelwerber von Anfang an beantragt hat, (auch) zu dieser Frage bestimmte Zeugen des Herstellers ein zu vernehmen, was jedoch während des erstbehördlichen Strafverfahrens nicht geschehen ist.

4.4. Würde der Oö. Verwaltungssenat diese Ermittlungsschritte nun nachholen und dabei zu dem Ergebnis kommen, dass tatbestandsmäßiges Verhalten i.S.d. Tatvorwurfes vorliegt, so hätte er sich damit aus eigenem konstitutiv die Anklage geschaffen, über die er zugleich als ein unabhängiges und - insbesondere auch nach dem äußeren Anschein (vgl. J. Frowein - W. Peukert, EMRK-Kommentar, 2. Aufl., Kehl 1996, RN 124 ff. zu Art. 6) - unparteiisches Gericht gemäß Art. 6 Abs. 1 MRK zu entscheiden hat (s. in diesem Sinne die E zur RV, 132 BlgNR, 17. GP, 4); um diesen Widerspruch zu vermeiden, hat daher der Oö. Verwaltungssenat in ständiger Judikatur (vgl. z.B. schon VwSen-102629 vom 10. März 1995 = ZUV 1995, H. 1, 25) ausgesprochen, dass es ihm schon von Verfassungs wegen nicht zukommt, substanzielle Versäumnisse des erstbehördlichen Ermittlungsverfahrens zu substituieren: Ist die Tatbestandsmäßigkeit des angelasteten Verhaltens durch entsprechende Ermittlungsergebnisse nicht hinreichend belegt, ist das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben; dies umso mehr, als die belangte Behörde im Wege einer Berufungsvorentscheidung gemäß § 24 VStG i.V.m. § 64a AVG - weil diese nunmehr auch zu Lasten des Rechtsmittelwerbers ergehen kann - ohnedies die Befugnis hat, derartige Versäumnisse selbst zu korrigieren.

4.5. Indem die belangte Behörde hier trotz entsprechender expliziter Hinweise im Beschwerdeschriftsatz aber auch diese Möglichkeit ungenutzt ließ, war der gegenständlichen Berufung sohin gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben und das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben.

5. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Berufungswerber gemäß § 64 Abs. 1 und 2 VStG bzw. § 65 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Oö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten.

Dr. G r o f