Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-106844/13/Br/Bk

Linz, 04.12.2000

VwSen -106844/13/Br/Bk Linz, am 4. Dezember 2000

DVR. 0690392

ERKENNTNIS

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn D, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach, vom 18. Jänner 2000, AZ. VerkR96-1946/1999/Win, wegen einer Übertretung der StVO 1960, nach der am 15. März 2000 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:

I. Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 26/2000 - AVG, iVm § 24, § 45 Abs.1 Z1, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 29/2000 - VStG;

II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:§ 66 Abs.1 VStG

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Rohrbach hat wider den Berufungswerber mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis eine Geldstrafe in der Höhe von 2.000 S und für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 72 Stunden verhängt, weil er

am 24. Juli 1999 um 23.25 Uhr den PKW, Kennzeichen , auf der B 127 von Rohrbach kommend in Richtung Linz gelenkt und bei km 28,250 unter Gefährdung und Behinderung einer entgegenkommenden PKW-Lenkerin einen anderen Pkw überholt habe.

1.1. Begründend stützte die Behörde erster Instanz ihre Entscheidung im Ergebnis auf die zeugenschaftlichen Angaben der dem Berufungswerber entgegenkommenden und zum Ausweichen gezwungenen Fahrzeuglenkerin R.

2. In der dagegen fristgerecht erhobenen Berufung führt der Berufungswerber nach der Präambel Folgendes aus:

"1. Das bekämpfte Straferkenntnis wird seinem gesamten Inhalt nach angefochten. Als Berufungsgründe werden Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften und unrichtige Beweiswürdigung bzw. Begründung des Straferkenntnisses geltend gemacht.

2. Die belangte Behörde hat die objektive Tatseite nicht ausreichend ermittelt.

Sie geht davon aus, daß der Beschuldigte am 24.7.1999 um 23.25 Uhr seinen PKW mit dem behördlichen Kennzeichen auf der Rohrbacher Bundesstraße (B127) von Neufelden kommend in Richtung Linz gelenkt hat und dabei bei Straßenkilometer 28.250 unter Gefährdung und Behinderung einer entgegenkommenden PKW-Lenkerin einen anderen PKW überholt hat.

Die objektive Tatseite ist von der Behörde nachzuweisen. Diese hat jedoch den maßgeblichen Sachverhalt nicht genügend ermittelt, um tatsächlich zu einem Schuldspruch gelangen zu können.

Die Behörde stützt sich ausschließlich auf die Angaben der Meldungslegerin, der Zeugin R. Diese gab zu Protokoll, sie habe ihren PKW mit etwa 80 - 100 km/h in Richtung Rohrbach gelenkt, wobei ihr nach der Stapfeneder Kreuzung in einer Linkskurve zwei PKW nebeneinander entgegengekommen seien. Sie habe daraufhin ihr Fahrzeug stark abgebremst und nach rechts gelenkt, wobei sie im Lichtkegel des Scheinwerfers das Kennzeichen des auf ihrer Seite entgegenkommenden Kraftfahrzeuges ablesen und notieren haben können. Dabei habe es sich um das Kennzeichen , jenes Fahrzeuges, das auf den Beschuldigten zugelassen ist, gehandelt.

Der Beschuldigte selbst hat nie bestritten, tatsächlich zu dieser Zeit an der beschriebenen Stelle unterwegs gewesen zu sein, gab jedoch an, daß das ihm vorgeworfene Überholmanöver keineswegs für andere Straßenbenützer gefährdend gewesen war bzw. hätte sein können.

3. Aus den Ermittlungsergebnissen der Behörde gehen die näheren Umstände um das gegenständliche Überholmanöver nicht in dem für eine Bestrafung erforderlichen Ausmaß hervor: Für eine abschließende Beurteilung des Sachverhaltes und der Strafbarkeit des Verhalten des Beschuldigten wären Ermittlungen zum Abstand der beteiligten Fahrzeuge voneinander während des Überholvorganges, zur Geschwindigkeit der der Zeugin G entgegenkommenden Fahrzeuge und zur Breite der Verkehrsfläche am gegenständlichen Ort unbedingt erforderlich gewesen. Eine Ermittlung und Feststellung dieser Sachverhaltselemente ist für § 16 Abs. 1 StVO, den die Behörde ohne Differenzierung auf lit. a, b oder c pauschal heranzieht, unbedingt notwendig. Hiezu wird folgendes ausgeführt:

3.1. Es gibt keine Angaben bzw. Beweisergebnisse dazu, in welchem - auch nur ungefähren - Abstand sich die Meldungslegerin vom angeblich überholenden Beschuldigten befunden hatte, als sie erstmals auf ihn aufmerksam geworden war. Die Zeugin G gab dazu nichts zu Protokoll, sie wurde von der Behörde diesbezüglich nicht einmal befragt. Demnach geht auch aus dem angefochtenen Bescheid nichts über einen solchen Abstand hervor, es ist lediglich davon die Rede, daß "in der Linkskurve nach der Stapfeneder Kreuzung ihr zwei PKW nebeneinander entgegengekommen" sind.

Zur objektiven Beurteilung dessen, ob ein Überholmanöver gefährdend im Sinne des § 16 Absatz 1 StVO war, ist jedoch eine Darstellung des Abstandes zwischen dem entgegenkommenden Lenker, der sich gefährdet fühlt, und dem überholenden Verkehrsteilnehmer von essentiellen Bedeutung. Dazu gibt es aber nicht die geringsten Anhaltspunkte, geschweige denn Feststellungen im angefochtenen Bescheid und auch nicht im gesamten erstinstanzlichen Verfahren.

3.2. Auch über die bei dem Überholmanöver vom Beschuldigten eingehaltene Geschwindigkeit bzw. über die Geschwindigkeit des überholten Fahrzeuges sagt die Meldungslegerin nichts aus bzw. wurde auch der Beschuldigte diesbezüglich in keiner Weise befragt, obwohl auch dieses Sachverhaltselement der von den Fahrzeugen eingehaltenen Geschwindigkeiten, gerade in Verbindung mit der ebenfalls nicht erhobenen Distanz zum überholenden Fahrzeug (vgl. 3.2.) für die Beurteilung der tatsächlichen Gefährlichkeit im Sinne des § 16 Absatz 1 StVO von erheblicher Relevanz für die Sachverhaltsfeststellungen sind. Für eine sorgfältige und erschöpfende Sachverhaltsermittlung bei der gegenständlichen Problematik des § 16 Abs. 1 StVO ist eine Tatsachenfeststellung zum Überholweg und zur Geschwindigkeitsdifferenz zwischen überholendem und überholten Fahrzeug unverzichtbar. Hiezu hat die Behörde ebenfalls keine Feststellungen gemacht oder Fragen gestellt.

3.3. Die Behörde hat ferner keine Feststellungen dahingehend getroffen, wie breit die Verkehrsfläche im gegenständlichen Bereich ist und hat damit weitere rechtserhebliche Merkmale des Vorfalles in keiner Weise umschrieben. Für die Beurteilung dessen, ob Gefährlichkeit im Sinne der von der Behörde angewendeten Norm bestanden hat, wäre jedoch eine Feststellung betreffend die Breite der Verkehrsfläche unumgänglich gewesen, zumal auch davon die Beurteilung abhängt, ob ein Überholmanöver als gefährlich im Sinne des § 16 Absatz 1 StVO qualifiziert werden kann oder nicht. Auch diesbezüglich finden sich im angefochtenen Erkenntnis keine Feststellungen oder Fragen an Zeugen oder Beschuldigten.

4. Statt also die objektive Tatseite erschöpfend durch vollständige Befragung der Zeugin und des Beschuldigten zu ermitteln, beschränkt sich die Behörde darauf, den nur rudimentär gemachten Angaben der Zeugin R zu folgen und daraus das Verschulden des Beschuldigten abzuleiten.

Abgesehen davon, daß die Zeugin G zu wesentlichen Sachverhaltselementen, wie dargelegt, nicht befragt wurde, hätte die Behörde alleine aufgrund des Umstandes, daß sie bei Dunkelheit, im Lichtkegel des Scheinwerfers, das Kennzeichen des Beschuldigtenfahrzeuges tatsächlich erfassen und auch behalten konnte, darauf schließen müssen, daß die konkrete Situation keinesfalls die für eine Bestrafung notwendige Gefährdung bzw. Gefährdungsmöglichkeit entfalten konnte. Zumindest aber hätte die Behörde aufgrund dessen erhöhte Sorgfalt und Genauigkeit bei der Befragung der Beteiligten an den Tag legen müssen und die dadurch erhellenden Zweifel durch genaues Befragen zu den oben in Punkt 3. angeführten Sachverhaltselementen ausräumen müssen. Schon diese Tatsache, daß es der Zeugin tatsächlich möglich war, das Kennzeichen zu registrieren und zu behalten, läßt den Schluß zu, daß eben objektiv keine gefährliche Situation im Sinne des § 16 Absatz 1 StVO bestanden hat, weil das Überholmanöver offenbar in einem ausreichenden Abstand zu der entgegenkommenden Zeugin R stattgefunden hat. Das Erfassen und Behalten des Kennzeichens eines überholenden Fahrzeuges ist in einer Notsituation, insbesondere bei einer Gefährdung gemäß § 16 Absatz 1 StVO höchst unwahrscheinlich. Der Umstand, daß die Meldungslegerin dazu dennoch in der Lage war, kann nur den Schluß zulassen, daß eine gefährliche Situation objektiv keineswegs bestanden hat bzw. daß insbesondere der Abstand zwischen überholendem und entgegenkommenden Fahrzeug so groß war, daß eine Gefährdung nicht vorlag.

5. Statt also diese für die richtige Beurteilung rechtserheblichen Merkmale zu eruieren, hat die belangte Behörde nur unvollständig die Sachverhaltsfeststellungen erhoben und es stattdessen vorgezogen, bloße Erfahrungstatsache (vgl. Seite 3, 4. Absatz des Straferkenntnisses) heranzuziehen.

Dabei behauptet die Behörde tatsächlich wörtlich, es sei "eine Erfahrungstatsache, daß Personen dann eine Anzeige bei der Behörde erstatten, wenn sie durch das Verhalten eines anderen Verkehrsteilnehmers in erheblichem Maße gefährdet oder behindert werden", weil "eine Anzeige mit Mühe und auch Zeitaufwand verbunden" sei. Dieser Schluß ist unzulässig und in keiner Weise nachvollziehbar. Folgte man dieser Ansicht, so müßte praktisch jede Anzeige automatisch zu einer Verurteilung führen und könnten sich die Behörden generell auf den Standpunkt zurückziehen, daß schon aufgrund einer Anzeige wohl eine Gefährdung in dem Maß vorgelegen sei, die für eine Bestrafung ausreiche, weil eben eine Anzeige für den Meldungsleger zeitaufwendig und mühsam sei. Mit dieser Argumentation, die die Behörde bei der Bestrafung eines Beschuldigten tatsächlich heranzieht, übersieht sie ihre wesentliche Pflicht, aufgrund der Anzeige erst einmal die rechtserheblichen Tatsachen und Merkmale des angezeigten Vorfalles vollständig zu erheben, im konkreten Fall also zu prüfen, ob hier lediglich ein subjektives Empfinden einer Verkehrsteilnehmerin besteht oder eine objektivierbare Verletzung des § 16 Absatz 1 StVO.

Die belangte Behörde verkennt ihre Funktion zur Ermittlung des wahren Sachverhaltes vollkommen, wenn sie tatsächlich davon ausgeht, sie könne einer Person, die eine Anzeige erstattet, ohne weiteres folgen, weil alleine in dem Umstand der Anzeigenerstattung, die mit Mühe und Zeitaufwand verbunden sei, schon mehr oder weniger bewiesen sei, daß tatsächlich eine Verwaltungsübertretung stattgefunden habe. Die Zeugin mußte auch nicht, wie die Behörde vermeint, den geschilderten Sachverhalt erfunden haben (Seite 3 Mitte des Straferkenntnisses). Es ist vielmehr behördlicherseits zu ermitteln, ob es sich bei dem der Anzeige zugrundeliegenden Verhalten um objektiv strafbares Verhalten oder um rein subjektives, allenfalls unbegründetes, Empfinden der Meldungslegerin gehandelt hat. Dabei wäre eben auf die oben in 3.genannten, von der Behörde aber in keiner Weise berücksichtigten Sachverhaltselemente einzugehen gewesen.

6. Statt all diese für ein in rechtlicher Hinsicht unbedenkliches Verfahren wesentlichen Punkte zu berücksichtigen, beruft sich die Behörde auf ihre freie

Beweiswürdigung und mißt schlicht den unvollständigen Aussagen der Zeugin G 'mehr Wahrheitsgehalt' zu als dem Beschuldigten. Im Rahmen der Beweiswürdigung nimmt die Behörde schließlich sogar auf andere, gar nicht näher bezeichnete Strafvormerkungen betreffend den Beschuldigten Bezug, indem sie auf "fallweise aggressive Fahrweise" des Beschuldigten hinweist, welches Verhalten aus anderen Strafvormerkungen geschlossen wird (Seite 3 unten des Straferkenntnisses), wobei auch aus diesem Grund die angelastete Verwaltungsübertretung als erwiesen angenommen wird (ebenda).

Auch diese Argumentation ist unzulässig und zudem ein eklatanter Verstoß gegen den Grundsatz, daß bei der Sachverhaltsermittlung und bei der Beweiswürdigung selbstverständlich nur jene Tatsachen bzw. Beweismittel heranzuziehen sind, die mit dem konkreten Vorfall in Zusammenhang stehen. Die Bezugnahme auf andere Strafvormerkungen und die Ableitung daraus, der Beschuldigte lege fallweise eine aggressives Fahrverhalten an den Tag, ist für die Beurteilung des konkreten Sachverhaltes unzulässig und unqualifiziert. Die Behörde übersieht offenbar, daß sie andere Strafvormerkungen lediglich bei der Strafbemessung heranzuziehen hat, keinesfalls aber bei der Beweiswürdigung im Zusammenhang mit einem konkreten Vorfall, der mit diesen Strafvormerkungen überhaupt nicht in Verbindung steht.

Es wird daher der

ANTRAG

gestellt, die Berufungsbehörde möge

1 . eine mündliche Verhandlung durchführen,

2. das angefochtene Straferkenntnis beheben und das Verwaltungsstrafver-

fahren einstellen,

in eventu

  1. das angefochtene Straferkenntnis beheben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Straferkenntnisses an

dieBehörde I. Instanz zurückverweisen."

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach, AZ. VerkR96-1946/1999/Win. Ferner wurde Beweis erhoben durch Beischaffung eines Luftbildes vom bezughabenden Verlauf der B 127, sowie die Vernehmung der Frau R als Zeugin und des Berufungswerbers als Beschuldigten, anlässlich der im Rahmen eines Ortsaugenscheines am 15. März 2000 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung. Im Rahmen der Berufungsverhandlung wurden die entsprechenden Gefahrensichtweiten und der Punkt der Gefahrenerkennung durch die Zeugin G festgestellt bzw. mittels Laserentfernungsmessgerät ausgemessen.

Die auf ihre Plausibilität inhaltliche Nachvollziehbarkeit der zeugenschaftlichen Angaben wurde mittels Unfallrekonstruktionsprogramm, Analyzer Pro 4.0, getätigt.

4. Der nunmehrigen Entscheidung des Oö. Verwaltungssenates liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

4.1. Auf Grund des Ergebnisses des h. Beweisverfahrens und dessen Würdigung, gelangte der Oö. Verwaltungssenat vorläufig zur Auffassung, dass im Verhalten des Berufungswerbers ein in die Zuständigkeit der Gerichte strafbares Verhalten iSd § 89 iVm § 81 Z1 StGB zu erblicken ist.

Es wurde folglich eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft Linz, mit dem Ergebnis und der Würdigung des h. Ermittlungsverfahrens unter Anschluss wesentlich erscheinender Aktenbestandteile, nachfolgenden Inhaltes übermittelt:

"Der mit einem Ortsaugenschein verbundenen öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung des Oö. Verwaltungssenates lag im Ergebnis der Vorwurf einer Verwaltungsübertretung nach § 99 Abs.1 lit.a StVO zu Grunde. Demnach habe Herr D am 24. Juli 1999 gegen 23.25 Uhr, als Lenker des Pkw mit dem Kennzeichen , in Fahrtrichtung Linz, vor dem Scheitelpunkt einer unübersichtlichen Kurve einen in gleicher Richtung fahrenden Pkw überholt, wobei es zu einem Beinahezusammenstoß mit dem in Richtung Rohrbach fahrenden und von der Zeugin R, Floristin, geb. , ledig, wh. NNr. gelenkten PKW gekommen sei. Die hier anhängige Berufung wurde gegen ein Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach, worin wider den o.a. Verdächtigen eine Geldstrafe von 2.000 S verhängt wurde, eingebracht.

Die vom Oö. Verwaltungssenat festgestellte Sachverhaltssituation und Beweislage stellt sich aus dessen Sicht wie folgt dar:

Ab Strkm 28,370 verläuft die B 127 in Fahrtrichtung Rohrbach in einer Linkskurve mit einem Kurvenradius von etwa 308 m. In diesem Bereich weist der Straßenzug ein leichtes Gefälle und zwei durch eine Leitlinie gekennzeichnete Fahrstreifen mit einer Gesamtbreite von 6,6 m auf. Beidseitig ist die B 127 mit einer Randlinie versehen, welcher noch ein 50 cm bis ein Meter breites unbefestigtes Bankett angeschlossen ist. Ab Strkm 28,250 läuft dieser Straßenzug durch ein Waldgebiet, wobei durch den Kurvenbogen und die topografischen Gegebenheiten bedingt, bei Strkm 28,400 (beidseitige Bewaldung bis auf wenige Meter an die Fahrbahn heran - s. beiliegendes Luftbild), die Gefahrensichtweite lediglich im Bereich von 150 m anzunehmen ist.

Diese Feststellungen wurden anlässlich der Berufungsverhandlung vor Ort durch Ausmessung mittels eines dem Verhandlungsleiter zur Verfügung stehenden Laserentfernungsmessgerätes vorgenommen.

Der Überholvorgang wurde von der ihren PKW mit etwa 80 bis 90 km/h in Richtung Rohrbach lenkenden Zeugin Gruber wahrgenommen, als sie sich etwa in Höhe Strkm 28,400 befand. Dabei gelangten die ihr entgegenkommenden Fahrzeuge aus dem Kurvenscheitel heraus in ihren Sichtbereich. Es muss angesichts der Darstellungen davon ausgegangen werden, dass sich in dieser Phase der ein mehrspuriges Kraftfahrzeug überholende Berufungswerber bereits auf etwa 100 m dem Fahrzeug der Zeugin angenähert hatte. Geht man von der Annahme aus, dass die Zeugin zum Zeitpunkt der Gefahrenerkennung mit etwa 90 km/h unterwegs war und der Berufungswerber den Überholvorgang mit ca. 100 km/h ausführte, befanden sich die Fahrzeuge beim Eintritt in den Sichtbereich zeitlich noch knappe 4 Sekunden voneinander entfernt.

Wenn die Zeugin im Rahmen ihrer Aussage vor dem Oö. Verwaltungssenat vor Ort darlegte, dass der Gegenverkehr etwa bei Strkm 28,450 mit ihrem Fahrzeug höhengleich war und vom überholenden Fahrzeug in dieser Phase das Einordnen nach rechts eingeleitet wurde, so lässt sich ihre Darstellung einerseits rechnerisch aber auch mit der beschriebenen Gefährlichkeit der Situation in Übereinstimmung bringen. Auch ergibt sich schlüssig, dass die Zeugin zum Zeitpunkt der Höhengleichheit aller drei Fahrzeuge (Überholter, Überholer und Gegenverkehr) mit ihrem Fahrzeug noch nicht zum Stillstand gekommen sein konnte. Wird eine optimale Reaktionszeit bis zum Bremsentschluss der Zeugin mit 0,5 Sekunden und eine sehr starke Bremsung mit 7 m/sek² angenommen, verringerte sie ihre Fahrgeschwindigkeit nach 54,67 m auf 30 km/h, wofür eine Zeitspanne von 2,28 Sekunden angenommen werden kann. Der mit angenommenen 100 km/h überholende Pkw legte den Weg von (den verbleibenden) 45,33 m ungebremst in 1,67 sek. zurück (Berechnung mit Analyzer Pro 4).

Die Schilderung der Wahrnehmungen durch die Zeugin lassen sich mit den Weg-Zeit-Abläufen somit sehr exakt in Einklang bringen. Es ist dabei durchaus nachvollziehbar, wenn die Zeugin weiter schlussfolgerte, dass nur durch ihre Notbremsung und zusätzlich einem Auslenken ihres Fahrzeuges auf das Bankett, von ihr ein Frontalzusammenstoß verhindert wurde. Diese Schlussfolgerung kann auch mit Blick auf die Straßenbreite von nur 6,6 m gezogen werden, wobei angesichts zweier nebeneinanderfahrender Fahrzeuge und den dabei einzukalkulierenden Seitenabständen, der Richtung Rohrbach führende Fahrstreifen vom überholenden Fahrzeug weitgehend blockiert bzw. über die Mitte hinweg befahren wurde.

Die Zeugin machte anlässlich der Berufungsverhandlung zusätzlich einen sehr sachlichen und glaubwürdigen Eindruck. Sie schilderte ihre Wahrnehmung völlig emotionslos aber sehr fundiert, wobei keinesfalls der Eindruck entstehen konnte, dass auch nur eine einzige Antwort auf bloßen Schlussfolgerungen beruht hätte.

Während der Vorbeifahrt konnte sie sich das Kennzeichen des überholenden (entgegenkommenden) Pkws merken. Dies belegt aus der Sicht des erkennenden Verwaltungssenates in Verbindung mit den auch vor der Erstbehörde gemachten inhaltsgleichen Angaben bei der Vorfallsschilderung auch eine gute Gedächtnisleistung der Zeugin. Dabei ist es durchaus auch nachvollziehbar, dass sie sich ob der Gefährlichkeit dieses Überholvorganges zur Anzeigeerstattung am Morgen des folgenden Tages entschloss. Subjektiv fühlte sich die Zeugin in dieser Situation glaubhaft erheblich gefährdet, wobei dieses Überholmanöver aus h. Sicht objektiv auch so zu beurteilen ist, weil im Falle des Unterbleibens der Notbremsung in Verbindung mit dem Ausweichen knapp über den rechten Fahrbahnrand eine Kollision wohl unausbleiblich gewesen wäre.

Somit scheint aus der Sicht des Oö. Verwaltungssenates erwiesen (gemeint: vorläufig erwiesen), dass sich hier der Berufungswerber just an einer Stelle mit einer bloßen Überholsichtweite im Bereich von etwa 150 m zum Überholen entschloss und damit konkret eine akute und schwerwiegende Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer in Kauf nahm, wobei es letztlich nur der wohl optimalen Reaktion unter Setzung gleich zweier Abwehrhandlungen (Bremsen und Auslenken) der entgegenkommenden Zeugin zu danken ist, dass ein wohl folgenschwerer Unfall verhindert wurde.

Zur Illustration sei darauf hingewiesen, dass unter der Annahme eines Überholvorganges eines mit 80 km/h fahrenden Fahrzeuges aus einer konstanten Fahrgeschwindigkeit von 100 km/h heraus und unter Einhaltung eines jeweiligen Sicherheitsabstandes beim Aus- u. Einscheren von (nur) 30 m eine Wegstrecke von ca. 326 m zurückgelegt wird, wobei in dieser Phase ein präsumtiver Gegenverkehr eben diese Wegstrecke zurücklegt.

Der hier vorliegende Sachverhalt wird daher vorläufig als den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllend beurteilt, sodass sich der Oö. Verwaltungssenat gemäß § 38 AVG verpflichtet sieht, das h. Verfahren bis zur Klärung dieser Vorfrage auszusetzen.

Nach § 99 Abs.6 lit.c StVO liegt eine Verwaltungsübertretung nicht vor, wenn eine Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht.

Eine Gefährdung der körperlichen Sicherheit, die nach § 89 StGB für ihren ersten Deliktsfall auf die in § 81 Z1 StGB genannten "besonders gefährlichen Verhältnisse" abstellt, scheint nach h. Auffassung vorzuliegen, weil - wie oben dargelegt - im Sinne der herrschenden Lehre und Rechtsprechung mit dem gegenständlichen Überholvorgang des Angezeigten eine besonders qualifizierte Gefahrenlage mit extrem hoher, ja fast unausweichlicher Unfallwahrscheinlichkeit herbeigeführt worden war, die letztlich nur durch ein aus h. Sicht überdurchschnittliches und objektiv kaum zu erwartendes Abwehrverhalten abgewendet werden konnte (vgl. Kodek, Gemeingefahr im österr. Strafrecht, ÖJZ 1981, 483)."

4.1.1. Das Bezirksgericht Neufelden gelangte über Strafantrag des öffentlichen Anklägers wegen § 89 (§81 Z1) StGB nach Durchführung einer Hauptverhandlung am 13.11.2000 von 13.10 Uhr bis 13.50 Uhr zu einem auf § 259 Z3 StPO gestützten Freispruch mangels Schuldbeweis.

Aus dem vom Gericht übermittelten "Protokollsvermerk und gekürzten Urteilsausfertigung", sowie dem im Rahmen der Hauptverhandlung eingeholten Sachverständigengutachten kann die vom Gericht vorgenommene Beweiswürdigung wohl nicht nachvollzogen werden. Zu bemerken ist, dass offenbar auch der Sachverständige aus dem Inhalt der Ablaufschilderung der Zeugin G dem Verhalten des Berufungswerbers eine "große Gefährdung" ableitete, wobei auf die dazu im substanziellen Gegensatz stehende Verantwortung des Berufungswerbers hingewiesen wurde. Das Gericht folgte offenbar der Darstellung der Zeugin nicht, sondern dürfte zur Auffassung gelangt sein, dass die der Anklage zugrunde liegende Tat nicht erwiesen sei (§ 259 Z3 StPO).

An diese inhaltliche Beurteilung erachtet sich der Oö. Verwaltungssenat gebunden.

5. Rechtlich hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Das Verfahren war im Lichte der Beurteilung des Beweisergebnisses als gerichtlich strafbarer Tatbestand gemäß § 30 Abs.2 VStG vorerst auszusetzen und die gerichtliche Entscheidung abzuwarten.

Obwohl der als gerichtlich strafbares Verhalten gewürdigte und per Strafantrag der Anklagebehörde zum Gegenstand eines Gerichtsverfahrens erhobene Sachverhalt zu einem Freispruch führte, ist es hier für das fortzusetzende Verfahren ohne Belang, dass der Täter vom Gericht nicht bestraft wurde (vgl. VwSlg. 2079A/1951 und 3640A/1955). Ausschlaggebend ist allein, ob eine Handlung (Unterlassung) den "äußeren" Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllte. Auch wenn die gerichtliche Bestrafung mangels Zurechnungsfähigkeit, Vorsatz, Fahrlässigkeit oder etwa auch nur wegen Arbeitsüberlastung der Gerichte entfallen wäre, läge gleichwohl keine Verwaltungsübertretung vor. Schon ein Vorgehen der Anklagebehörde nach § 42 StGB macht den so beurteilten Tatbestand als einen in die Zuständigkeit der Gerichte fallend qualifizierbar.

Die Verwaltungsbehörden haben die Frage, ob eine Tat den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllt, im Grundsatz eigenständig als Vorfrage im Sinne von § 38 AVG zu beurteilen; dabei sind die besonderen Regelungen des § 30 Abs. 2 und 3 VStG zu beachten. Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlungen bildet und ist zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über die Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist. Diese Entscheidung liegt hier in Form eines Freispruches vor.

5.2. Die Behörde war also bislang schon an ein "verurteilendes Erkenntnis des Strafgerichtes, nicht aber durch dessen Einstellungsbeschluss gebunden" (VwSlg. 2079A/1951); im Fall der Einstellung - das Gleiche hatte auch für den Freispruch zu gelten - "hat die Verwaltungsstrafbehörde die Frage, ob die von ihr dem Beschuldigten zur Last gelegte Tat einen gerichtlich zu ahndenden Tatbestand bildet, selbst zu beurteilen" (VwSlg. 10276A/1980).

Diese Prüfung hat hier der Oö. Verwaltungssenat mit dem o.a. Ergebnis vorgenommen, welchem offenbar auch die Anklagebehörde beitrat.

5.2.1. Im Lichte des oben Gesagten steht nunmehr das Verbot der Doppel-(verfolgung)bestrafung einer zusätzlichen verwaltungsstrafrechtlichen Ahndung entgegen. Diese Beurteilung gründet vor allem in der jüngeren Judikatur des EGMR und der EKMR - zur Vermeidung einer doppelten Bestrafung und (auch) Ahndung (ne bis in idem). Es bleibt somit durch die gerichtliche Befassung mit dieser Sache für die (zusätzliche) Ahndung durch die Verwaltungsbehörde kein Raum mehr! Mit Blick auf die im sogenannten Gradinger-Urteil hervorleuchtenden Rechtsauffassung ist "eine Tat" (die Tat) iSd Subsidiaritätsvorschrift mit "dem gesamten Verhaltensumfeld" {[dem die Tat bildenden Verhalten] gleichzusetzen (EGMR 23.10.1995, 33/1994/480/562)}. Zusätzlich verdeutlicht wird diese Problematik in einer jüngeren Entscheidung der europäischen Kommission für Menschenrechte vom 9. April 1997, 22541/93 (Fall Marte/Achberger gegen Österreich). In diesem Verfahren wurde nach einem ordnungsstörenden und anstandsverletzenden Verhalten der Beschwerdeführer die Gendarmerie gerufen. Im Verlaufe des Einschreitens dieser Organe, naturgemäß zeitlich wohl um etliches später gelegen, kam es zusätzlich zu einer Körperverletzung an einem Gendarmeriebeamten und zu einem Widerstand gegen die Staatsgewalt. Wegen Letzterem erfolgte eine gerichtliche Verurteilung. Obwohl das ordnungsstörende Verhalten bereits vor jenem des zur gerichtlichen Verurteilung führenden lag, qualifizierte die EKMR unter Hinweis auf das sog. Gradinger-Urteil als ein "tateinheitliches [überlappendes]" Geschehen [based on the same conduct] und qualifizierte eine Bestrafung auch wegen der Verwaltungsdelikte als Verstoß gegen Art. 6 Abs.1 MRK und als Verletzung des Art 4 des 7. Zusatzprotokolls zur MRK durch Österreich. Nach dieser im Verfassungsrang stehenden Rechtsnorm darf niemand wegen einer strafbaren Handlung, wegen der er bereits nach dem Gesetz und dem Strafverfahrensrecht eines Staates rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren desselben Staates erneut vor Gericht gestellt oder bestraft werden. Die verfassungsrechtliche Grenze, die Art. 4 Abs.1 des 7. ZP EMRK einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung zieht, kann daher auch aus der Sicht des VfGH nur darin erblickt werden, dass eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfasst. Auch der Verwaltungsgerichtshof geht davon aus, dass eine weitere Bestrafung (nur) dann nicht möglich ist, wenn die wertabwägende Auslegung der formal erfüllten zwei Tatbestände zeigt, dass durch die Unterstellung der Tat(en) unter den einen der deliktische Gesamtunwert des zu beurteilenden Sachverhaltes bereits für sich alleine abgegolten ist. Es ist daher notwendig, dass durch die Bestrafung wegen des einen Delikts tatsächlich der gesamte Unrechtsgehalt des Täterverhaltens erfasst wird. VfSlg 15128, mit bekräftigenden Hinweis auf die Seiten 23 und 24 des VfGH-Erkenntnisses vom 5. Dezember 1996, Zl. G9/96-12 u.a.). Davon ist bei einem gefährlichen Überholvorgang, der zu einem gerichtlichen Strafverfahren führte, auszugehen.

In diesem Sinn ist das hier den Gegenstand des Verwaltungsstrafverfahrens bildende Verhalten als Einheit mit dem bereits vom Gericht im Unwertgehalt erschöpfend beurteilten (Tat-)Verhalten zu sehen, sodass im Lichte der Judikatur des EGMR - auch wenn der Oö. Verwaltungssenat die Würdigung des Beweises der Belastungszeugin anders getroffen hätte - von einer abermaligen strafrechtlichen Verfolgung dieses Verhaltens Abstand zu nehmen ist.

Aus diesem Grunde war der verwaltungsstrafrechtliche Schuldspruch zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG einzustellen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten.

Dr. B l e i e r

Beschlagwortung:

Doppelbestrafung, Aussetzung, gerichtliche Strafbarkeit

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