Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-105559/13/BI/FB

Linz, 27.05.1999

VwSen-105559/13/BI/FB Linz, am 27. Mai 1999

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch seine 4. Kammer (Vorsitz: Mag. Kisch, Berichterin: Mag. Bissenberger, Dr. Weiß) über die Berufung des Herrn H S, nunmehr M, S, vom 4. Juni 1998 (Datum des Poststempels) gegen Punkt 2. des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 22. Mai 1998, VerkR96-8564-1996, wegen Übertretung des Kraftfahrgesetzes 1967, auf Grund des Ergebnisses der am 19. Mai 1999 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird keine Folge gegeben und Punkt 2. des angefochtenen Straferkenntnisses vollinhaltlich bestätigt.

II. Der Rechtsmittelwerber hat zusätzlich zu den Verfahrenskosten der Erstinstanz den Betrag von 3.000 S, ds 20 % der verhängten Geldstrafe, als Kostenbeitrag zum Rechtsmittelverfahren zu leisten.

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51i und 19 VStG, §§ 64 Abs.1 iVm 134 Abs.1 KFG 1967 idFd 18. KFG-Novelle, BGBl.Nr. 162/1995

zu II.: § 64 Abs.1 und 2 VStG

Entscheidungsgründe:

zu I.:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Gmunden hat mit Punkt 2. des genannten Straferkenntnisses über den Beschuldigten wegen der Verwaltungsübertretung gemäß §§ 64 Abs.1 iVm 134 Abs.1 KFG 1967 eine Geldstrafe von 15.000 S (15 Tagen EFS) verhängt, weil er am 24. Juli 1996 gegen 5.35 Uhr den PKW auf der S B im Gemeindegebiet von G von Richtung S kommend in Richtung G gelenkt habe, obwohl er nicht im Besitz einer von der Behörde erteilten Lenkerberechtigung für die Gruppe B gewesen sei. Gleichzeitig wurde ihm ein anteiliger Verfahrenskostenbeitrag von 1.500 S auferlegt.

2. Dagegen hat der Rechtsmittelwerber fristgerecht Berufung erhoben, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da eine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch die nach der Geschäftsverteilung zuständige 4. Kammer zu entscheiden (§ 51c VStG).

Am 19. Mai 1999 wurde eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Behördenvertreters G G und der medizinischen Amtssachverständigen Dr. H durchgeführt. Der Rechtsmittelwerber ist ohne Angabe von Gründen trotz ausgewiesener Zustellung der Ladung durch Hinterlegung am 16. April 1999 nicht erschienen.

3. Der Rechtsmittelwerber führt in seiner Berufung aus, er sei sich keiner Schuld bewußt. Schon daraus, daß er im Krankenhaus mit Glukose versorgt worden sei, sei die Unterzuckerung ersichtlich. Eine solche verlaufe auch nicht immer gleich, sondern trete manchmal rasch ein, manchmal gehe es langsamer. Man sei auch noch zu Handlungen fähig, von denen man nachher nichts mehr wisse. Auch die Angabe seiner persönlichen Daten im Krankenhaus sei aus reinem Selbsterhaltungstrieb erfolgt und vom Unterbewußtsein gesteuert. Er ersuche dazu um Einholung von Fachmeinungen.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung, bei der der Behördenvertreter gehört und die Angaben des Rechtsmittelwerbers im erstinstanzlichen Verfahren berücksichtigt wurden. Der Zeuge Dr. M H, der damalige Notarzt, ist mittlerweile ins Ausland verzogen, sodaß auf sein Erscheinen aus ökonomischen Gründen verzichtet und seine Zeugenaussage vom 2. April 1997 vor der Erstinstanz verlesen wurde.

Folgender Sachverhalt ist entscheidungswesentlich:

Der Rechtsmittelwerber ist Frühpensionist und besitzt auf Grund seiner Diabetes-Erkrankung - unbestritten - keine Lenkerberechtigung. In der Nacht von 23. auf den 24. Juli 1996 arbeitete er in der A in P, wobei seine Gattin, auf die der PKW zugelassen ist, das Fahrzeug, zu dem er die Schlüssel hatte, auf dem Parkplatz stehen ließ, um ihm nach Beendigung der Arbeit die Heimfahrt zu ermöglichen.

Laut eigenen Aussagen trat der Rechtsmittelwerber nach Arbeitsende um ca 5.00 Uhr die Heimfahrt an. An das Wegfahren vom Lokal konnte er sich noch erinnern. Alkohol habe er wegen der Diabetes keinen getrunken.

Unbestritten ist, daß der Rechtsmittelwerber nach einer Wegstrecke von etwa 10 bis 12 km in B, Gemeinde G, von der B abkam und mit dem PKW in das Bachbett des "W" stürzte, wobei er sich schwer verletzte.

Nach der Zeugenaussage des Notarztes Dr. H hat dieser die Erstversorgung vorgenommen, wobei ihn der Rechtsmittelwerber von sich aus darauf aufmerksam machte, daß er insulinpflichtiger Diabetiker sei. Der routinemäßige Zuckertest habe eine erhebliche Unterzuckerung ergeben und die Antworten auf seine Fragen seien zunächst eher desorientiert ausgefallen.

Dr. H gab an, er könne nicht sagen, ob dem Rechtsmittelwerber das Besteigen des KFZ bewußt gewesen sei, jedoch vermochte er weitere Faktoren die dessen Zustand beeinträchtigt haben konnten, nicht auszuschließen.

Unbestritten ist auch, daß der Rechtsmittelwerber seit seinem 10. Lebensjahr Diabetiker ist. Laut Krankengeschichte des Krankenhauses G, wo um 7.10 Uhr des 24. Juli 1996 die Behandlung begann, wobei der Rechtsmittelwerber bereits voll ansprechbar und örtlich und zeitlich voll orientiert war - er erlitt beim Unfall Brüche der 5. bis 8. Rippe, Rißquetschwunden im Stirnbereich sowie eine Gehirnerschütterung und schlug sich zwei Schneidezähne aus - hat er seit Beginn seiner Krankheit etwa 40 bis 50 Hypoglykämien erlitten, die letzte eineinhalb Jahre zuvor. Der insulinpflichtige Diabetes mellitus war sehr gut eingestellt und wurde diese Einstellung nach der Überprüfung im Krankenhaus auch bei der Entlassung beibehalten, wobei empfohlen wurde, Hypoglykämien eher mit oraler Kohlehydratzufuhr zu korrigieren.

Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat die Amtsärztin Dr. H gutachtlich ausgeführt, es könne auf Grund fehlender objektiver Befunde nicht ausgeschlossen werden, daß die Einwände des Rechtsmittelwerbers, möglicherweise sei er schon bei der Inbetriebnahme des KFZ durch die Unterzuckerung nicht mehr zurechnungsfähig gewesen, zutreffen. Es sei möglich, daß durch besondere Umstände, zB Streß, fehlende Nahrungsaufnahme, Alkohol, Schlafentzug usw, die Stoffwechsellage entgleisen und eine Hypoglykämie rasch und unvorhersehbar eintreten könne. Im gegenständlichen Fall konnte die Amtsärztin im nachhinein nicht mehr beurteilen, ob bei der Inbetriebnahme des KFZ tatsächlich bereits eine Unterzuckerung vorgelegen sei. Auch Dr. H, der noch an der Unfallstelle den Rechtsmittelwerber untersucht habe, habe laut seiner Aussage eine schwere Bewußtseinsstörung nicht ausgeschlossen. Die Amtsärztin hat zwar betont, daß ein durch Unterzuckerung verursachter Verkehrsunfall im gegenständlichen Fall nicht ausgeschlossen werden könne, weil der genaue Zeitpunkt des Eintretens der Hypoglykämie nachträglich nicht mehr festgestellt werden könne, hielt aber aus medizinischer Sicht eine so schwere psychische Beeinträchtigung des Rechtsmittelwerbers zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme des KFZ für unwahrscheinlich, daß zielgerichtetes Handeln bzw die Willensfunktionen und die Steuerungsfähigkeit zur Gänze aufgehoben gewesen wären. Schon die einzelnen Schritte bei der Inbetriebnahme eines KFZ erfordern ein weitgehend intaktes Bewußtsein, um komplexe Handlungsabläufe und logische Denkvorgänge zu bewältigen. Eine solche Inbetriebnahme stelle hohe Anforderungen an Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Konzentrationsfähigkeit und sei eine solche nur bei intakten Bewußtseinsfunktionen und Persönlichkeitsstruktur möglich. Außerdem sei der Rechtsmittelwerber im Anschluß daran etwa 10 bis 15 km in einer Zeit von 20 bis 25 Minuten gefahren.

Die Sachverständige hat nicht ausgeschlossen, daß eine solche Unterzuckerung schlagartig und unvorhersehbar auftreten könne, sodaß eine Verursachung eines Verkehrsunfalls im Zustand eines hypoglykämischen Schocks nachvollzogen werden könne. Bei gut eingestellter Diabetes sei es möglich, Stoffwechselentgleisungen rechtzeitig zu erkennen und entsprechend zu beherrschen. Beim Rechtsmittelwerber, der bereits etwa 40 bis 50 Hypoglykämien, davon die letzte vor eineinhalb Jahren, erlitten habe, sei eine Fahrtauglichkeit sehr unwahrscheinlich.

In rechtlicher Hinsicht hat der unabhängige Verwaltungssenat folgendes erwogen:

Gemäß § 64 Abs.1 KFG 1967 in der zum Tatzeitpunkt geltenden Fassung ist das Lenken eines Kraftfahrzeuges auf Straßen mit öffentlichem Verkehr nur auf Grund einer von der Behörde erteilten Lenkerberechtigung für die Gruppe zulässig, in die das Kraftfahrzeug fällt.

Im gegenständlichen Fall steht außer Zweifel, daß der Rechtsmittelwerber einen PKW auf der B, einer Straße mit öffentlichem Verkehr gelenkt hat und daß er - eben wegen seiner Zuckerkrankheit - nicht im Besitz einer Lenkerberechtigung der Gruppe B war und ist.

Zur behaupteten Unzurechnungsfähigkeit ist auf die Ausführungen der medizinischen Amtssachverständigen zu verweisen, die nach Auffassung des unabhängigen Verwaltungssenates als schlüssig und nachvollziehbar dahingehend anzusehen sind, daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß der Rechtsmittelwerber möglicherweise durch die mit seiner Tätigkeit in der A verbundene Belastung im Verlauf des Lenkens seines PKW einen für ihn nicht vorhersehbaren Zustand der Hypoglykämie erlitt, der so rasch fortschritt, daß ihm eine Verhinderung des Verkehrsunfalls nicht mehr möglich war. Für den Zeitpunkt des Verkehrsunfalls ist somit die behauptete Bewußtlosigkeit im Sinne einer Unzurechnungsfähigkeit anzunehmen.

Für die Dauer des Lenkens des PKW durch den Rechtsmittelwerber vor dem Verkehrsunfall ist deshalb nicht von einer solchen auszugehen, weil er immerhin in der Lage war, gemäß seinem ursprünglichen Vorhaben - er hat mit seiner Gattin den Ablauf des Abends so organisiert, daß ihm der PKW nach Beendigung seiner Arbeit um 5.00 Uhr auf dem Parkplatz zur Verfügung stand und er die Schlüssel hatte - die Fahrt Richtung G anzutreten und immerhin 10 bis 12 km unfallfrei zurückzulegen, wobei es sich bei dieser Straße um eine solche handelt, deren Befahren nur mit erhöhter Aufmerksamkeit, Anpassung an örtliche Gegebenheiten und entsprechende Reaktionsfähigkeit zu bewerkstelligen ist. Bezugnehmend auf die gutachtlichen Ausführungen in der Verhandlung konnte der unabhängige Verwaltungssenat in diesem Verhalten keine Anzeichen einer Unzurechnungsfähigkeit feststellen, zumal auch der Zeuge Dr. H lediglich das Vorliegen einer erheblichen Unterzuckerung an der Unfallstelle, nicht aber für die Fahrt bis dorthin zu bestätigen in der Lage war. Die Be-rufungsausführungen stehen auch nicht im Gegensatz zu den gutachtlichen Feststellungen, wobei auch nur pauschal die "Einholung von Fachmeinungen" angeregt, aber kein entsprechend substantiiertes Vorbringen erstattet wurde.

Es war daher als erwiesen anzunehmen, daß der Rechtsmittelwerber im Hinblick auf das ihm zur Last gelegte Verhalten - die örtliche Konkretisierung des Tatvorwurfs bezieht sich nicht auf den Unfallort in der Ortschaft B, sondern lediglich auf die Fahrt dorthin auf der B innerhalb der Gemeinde G - nicht durch Unzurechnungsfähigkeit infolge der später eingetretenen Hypoglykämie entschuldigt ist, sondern den ihm zur Last gelegten Tatbestand erfüllt und sein Verhalten als Verwaltungsübertretung zu verantworten hat.

Zur Strafbemessung ist auszuführen:

Der Strafrahmen des § 134 Abs.1 KFG 1967 reicht bis zu 30.000 S Geldstrafe bzw bis zu 6 Wochen Ersatzfreiheitsstrafe, wobei der Gesetzgeber die Möglichkeit eingeräumt hat, bei mehrmaliger gleichartiger Bestrafung eine (primäre) Freiheitsstrafe bzw Geld- und Freiheitsstrafen nebeneinander zu verhängen.

Davon wurde bislang noch nicht Gebrauch gemacht, obwohl der Rechtsmittelwerber mittlerweile 7 (!) einschlägige Vormerkungen aus den letzten fünf Jahren aufweist und offensichtlich immer noch nicht einsieht, daß er im Straßenverkehr eine für andere Verkehrsteilnehmer unzumutbare Gefahrenquelle darstellt. Daß im gegenständlichen Fall nur er selbst zu Schaden gekommen ist, schließt für weitere Fahrten Personen- und Sachschäden nicht aus.

Allein auf Grund der als wesentlich straferschwerend zu wertenden Vormerkungen war eine Herabsetzung der von der Erstinstanz verhängten Strafe nicht gerechtfertigt, wobei auch die Hoffnung besteht, daß der Rechtsmittelwerber dadurch zur Einsicht zu bewegen ist.

Die Strafe entspricht den Kriterien des § 19 VStG, wobei auf Grund des großen Unrechts- und Schuldgehalts - an der vorsätzlichen Begehung der Übertretung besteht seitens des unabhängigen Verwaltungssenates kein Zweifel - die finanziellen Verhältnisse des Rechtsmittelwerbers (ca 10.000 S Pension, Sorgepflichten für die Gattin und ein Kind, Schulden) in den Hintergrund zu treten hatten. Es steht ihm frei, bei der Erstinstanz um die Bezahlung der Geldstrafe in Raten anzusuchen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

zu II.:

Der Ausspruch über den Verfahrenskostenersatz ist gesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S zu entrichten.

Beschlagwortung: Beweisverfahren ergab keine Hinweise auf Unzurechnungsfähigkeit auf der Fahrt vor dem durch unvorhersehbare Unterzuckerung verursachten Verkehrsunfall -> Bestätigung auch hinsichtlich Strafe, weil 7 einschlägige Vormerkungen vorhanden.

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