Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-107153/5/Ki/Ka

Linz, 22.09.2000

VwSen-107153/5/Ki/Ka Linz, am 22. September 2000 DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Alfred Kisch über die Berufung des W, vom 4.8.2000 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 11.7.2000, VerkR96-4876-1998-OJ/KB, wegen Übertretungen der StVO 1960 zu Recht erkannt:

  1. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verfahren eingestellt.

II. Es entfällt die Verpflichtung zur Leistung jeglicher Verfahrens-kostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

zu  I: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 45 Abs.1 Z1 und 51 VStG

zu II: § 66 Abs.1 VStG

Entscheidungsgründe:

I.1. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat mit Straferkenntnis vom 11.7.2000, VerkR96-4876-1998-OJ/KB, den Berufungswerber (Bw) für schuldig befunden, er habe am 15.10.1998 um 07.47 Uhr den PKW, Audi, Kz.: , auf der Westautobahn von Linz kommend in Richtung Wien zwischen Str.km. 167,5 bis 168 von der Auffahrt A 7 kommend gelenkt und 1.) dabei den auf dem rechten Fahrstreifen vorrangberechtigten Lenker des Omnibusses, Kennzeichen (D), durch Wechseln vom Beschleunigungsstreifen nach links auf den rechten Fahrstreifen zum unvermittelten Bremsen des Fahrzeuges genötigt und 2.) das Fahrzeug jäh und für den Lenker des nachfolgenden Omnibusses überraschend abgebremst, obwohl es die Verkehrssicherheit nicht erforderte. Gemäß § 99 Abs.3 lit.a wurden über ihn Geldstrafen in Höhe von 1.) 1.00,00 Schilling (wohl gemeint 1.000 S) (Ersatzfreiheitsstrafe 24 Stunden) und 2.) 500 S (Ersatzfreiheitsstrafe 12 Stunden) verhängt.

Außerdem wurde er gemäß § 64 VStG zur Leistung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von insgesamt 150 S (jeweils 10 % der verhängten Geldstrafen) verpflichtet.

I.2. Der Rechtsmittelwerber erhob gegen dieses Straferkenntnis mit Schriftsatz vom 4. August 2000 Berufung mit dem Antrag, das gegenständliche Straferkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes zu beheben und das Strafverfahren einzustellen.

Zur Rechtzeitigkeit des Rechtsmittels wurde in der Berufung ausgeführt, dass das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung für den Einschreiter wohl am 14.7.2000 an der Abgabestelle in R, hinterlegt wurde. Die Hinterlegung sei nicht wirksam erfolgt, nachdem der Einschreiter bis einschließlich 28.7.2000 nicht an der Abgabestelle verweilte, sondern sich an dessen Zweitwohnung in El, aufhielt. Somit sei eine wirksame Zustellung per 29.7.2000 erfolgt, sodass der Einschreiter rechtzeitig gegen das Straferkenntnis das Rechtsmittel der Berufung einbringe.

I.3. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat die Berufung samt Verfahrensakt dem Oö. Verwaltungssenat zur Entscheidung vorgelegt und damit dessen Zuständigkeit ausgelöst. Dieser hatte, da weder primäre Freiheitsstrafen noch 10.000 S übersteigende Geldstrafen verhängt wurden, durch ein Einzelmitglied zu entscheiden.

I.4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt. Darüber hinaus wurde dem Einschreiter aufgetragen, seine Abwesenheit von der Abgabestelle zum Zeitpunkt der vorgenommenen Hinterlegung des Straferkenntnisses glaubhaft zu machen.

Der Bw legte daraufhin mit Schreiben vom 29.8.2000 eine Bestätigung seines Dienstgebers vor, wonach er in der Zeit vom 14.7.2000 bis 28.7.2000 jeweils ganztägig im Betrieb mit Sitz in Wien wegen der Abnahme eines Großprojektes beschäftigt war.

Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung wurde abgesehen, weil im angefochtenen Bescheid keine 3.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde und keine Partei die Durchführung einer Verhandlung beantragt hat (§ 51c Abs.2 Z3 VStG).

I.5. Nach Durchführung des Ermittlungsverfahrens werden nachstehende entscheidungsrelevante Fakten festgestellt:

Dem gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren liegt eine Anzeige des Omnibuslenkers D zugrunde, welcher diese beim Landesgendarmeriekommando für Niederösterreich, Verkehrsabteilung, Außenstelle Amstetten, erstattet hat. Sowohl der Anzeiger als auch eine weitere Zeugin, Frau H, wurden dort niederschriftlich einvernommen.

Der Bw hat zunächst die ihm zur Last gelegten Vorwürfe bestritten und es hat in der weiteren Folge die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung im Rechtshilfewege die zeugenschaftliche Einvernahme der vorhin genannten Personen veranlasst.

Herr Dittrich führte bei seiner Einvernahme durch die Polizeiinspektion Laufen am 1.3.1999 aus, dass zum Tatzeitpunkt vor seinem Bus keine LKW´s gefahren seien. Das nächste Fahrzeug, ein LKW sei mindestens 500 m vor ihm gefahren. Der Lenker des PKW Audi, amtliches Kz.: hätte ein gefahrloses Einscheren auf die Westautobahn ohne weiteres ermöglichen können, wenn er seinen PKW ordentlich beschleunigt hätte. Der Fahrer dieses PKW sei jedoch mit einer gleichbleibenden Geschwindigkeit von ca. 80 km/h rechts neben seinem Omnibus auf dem Beschleunigungsstreifen gefahren. Erst am Ende des Beschleunigungsstreifens sei dieser Fahrer ca. eine PKW-Länge vor ihm in die Autobahn eingefahren. Er hätte zuvor schon seine Geschwindigkeit verringert, da er sich schon dachte, dass der Lenker dieses PKW vor ihm einfahren wollte. Dies sei auch auf seiner Tachografenscheibe, welche in Kopie bereits bei den Akten sei, ersichtlich.

Da er den Sicherheitsabstand zu knapp befunden hätte, habe er den Autolenker kurz angeblinkt. Daraufhin habe der Audifahrer seinen PKW grundlos scharf abgebremst. Er habe seinen Omnibus deshalb beinahe bis zum Stillstand abbremsen müssen.

Dies habe ihn veranlasst, dass er den Audifahrer mit seiner Hupe anhupte. Der Audifahrer habe dann durch das Fenster seiner Fahrertür ihm den sogenannten Stinkefinger gezeigt. Als er ein zweites Mal hupte, habe er seinen Stinkefinger wiederholt. Anschließend habe der Audifahrer beschleunigt und sei schnell davongezogen.

Frau H hat bei ihrer Einvernahme am 15.3.1999 vor der Polizeiinspektion Traunstein ausgesagt, dass ihr Sitzplatz in dem besagten Bus ganz vorne rechts in der 1. Reihe gewesen sei. Sie seien zur Tatzeit mit dem Bus auf dem rechten Fahrstreifen gefahren. An einer Autobahnauffahrt sei auf dem Beschleunigungsstreifen rechts an ihnen ein dunkler PKW vorbeigefahren. Er sei zügig an ihrem Bus vorbeigefahren und habe sich dann vor ihnen auf dem rechten Fahrstreifen einordnen wollen. Der Bus sei zu dieser Zeit ihrer Meinung nach mit konstanter Geschwindigkeit gefahren, zumindest habe sie kein Verzögern oder Beschleunigen wahrgenommen.

Der dunkle PKW, der sich vor ihnen einordnete, sei bei diesem Einordnen sehr dicht vor ihrem Bus eingefahren. Sie habe sich in diesem Augenblick gedacht, dass der PKW-Lenker sehr knapp eingeschert sei. Andere Mitfahrer hätten geäußert, der Meinung gewesen zu sein, dass es zu einem Verkehrsunfall kommen würde.

Als der dunkle PKW vor ihnen eingeschert sei, habe der Busfahrer den vorausfahrenden PKW mit dem Signalhorn angehupt, um ihn auf das knappe Einfahren aufmerksam zu machen. Daraufhin habe der vorausfahrende PKW seine Geschwindigkeit verzögert, indem er eine kräftige Bremsung einlegte, jedoch nicht so kräftig, dass die Reifen blockierten oder quietschten. Aufgrund dieser starken Verzögerung habe der Busfahrer ebenfalls kräftig bremsen müssen und es habe bei dieser Bremsung einen richtigen Ruck gegeben. Die Geschwindigkeit habe sich im Verlauf dieser Bremsung fast bis auf 0 verringert. Die gesamte Bremssituation sei jedoch nicht so knapp gewesen, dass es zu einem Verkehrsunfall gekommen wäre. Der Abstand zwischen Bus und PKW sei schon noch etwas größer gewesen. Wie viele Meter das waren, könne sie jedoch nicht sagen.

I.6. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes hat wie folgt erwogen:

I.6.1. Was die Rechtzeitigkeit der Berufung anbelangt, so hat der Beschuldigte eine Bestätigung seines Arbeitgebers vorgelegt, wonach er zum Zeitpunkt der Hinterlegung des Straferkenntnisses bzw bis zum 28.7.2000 jeweils ganztägig im Betrieb mit Sitz in Wien wegen der Abnahme eines Großprojektes beschäftigt war. Damit konnte er glaubhaft machen, dass er zum Zeitpunkt der Hinterlegung des Straferkenntnisses von der Abgabestelle abwesend war und sohin nicht rechtzeitig vom Zustellvorgang Kenntnis erlangen konnte. Die Berufung ist daher rechtzeitig.

1.6.2. Gemäß § 9 Abs.7 StVO 1960 darf, wer keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige) durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen.

Eine Vorrangverletzung liegt demnach vor, wenn der Wartepflichtige den Vorrangberechtigten durch sein Fahrmanöver entweder zum unvermittelten Bremsen oder zum Ablenken seines Fahrzeuges zwingt, wobei jedoch dann eine Vorrangverletzung nicht vorliegt, wenn der Vorrangberechtigte nur eine geringfügige Ermäßigung seiner Geschwindigkeit vornehmen muss.

Unbestritten bleibt, dass der Beschuldigte vor dem Omnibus vom Beschleunigungsstreifen kommend auf den rechten Fahrstreifen der A 1 eingefahren ist. Aus den Aussagen der Zeugen geht aber in keiner Weise hervor, dass der Omnibuslenker durch das Einfahren des Beschuldigten auf den rechten Fahrstreifen schlechthin zu einem unvermittelten Bremsen oder gar zum Ablenken des Fahrzeuges genötigt worden wäre. Der Anzeiger, hat bei seiner Einvernahme ausgeführt, dass der Bw am Ende der Beschleunigungsspur ca. eine PKW-Länge vor dem Omnibus nach links auf seine Fahrspur gewechselt hätte. Zuvor sei er mit einer gleichbleibenden Geschwindigkeit von ca. 80 km/h rechts neben seinem Omnibus auf dem Beschleunigungsstreifen gefahren. Er selbst habe zuvor schon seine Geschwindigkeit verringert, da er sich schon dachte, dass der Lenker des PKW vor ihm einfahren wollte, dies sei aus der vorgelegten Tachografenscheibe ersichtlich.

Tatsächlich ergibt sich aus der vorliegenden Tachografenscheibe, dass zunächst die Geschwindigkeit des Omnibusses - eher geringfügig - verringert wurde.

Nachdem er ihn angeblinkt habe, habe der Beschuldigte seinen PKW grundlos scharf abgebremst und er habe seinen Omnibus deshalb beinahe bis zum Stillstand abbremsen müssen.

Die Zeugin H hat bei ihrer Einvernahme ausgesagt, dass, als der dunkle PKW vor ihr eingeschert war, der Busfahrer den vorausfahrenden PKW mit dem Signalhorn angehupt habe. Daraufhin hätte der vorausfahrende PKW seine Geschwindigkeit dahingehend verzögert, dass er eine kräftige Bremsung einlegte.

Aus diesen beiden Zeugenaussagen und auch aus der im Akt aufliegenden Tachografenscheibe ist zu schließen, dass der Omnibuslenker zunächst sein Fahrzeug nicht unmittelbar abbremsen musste, um eine Kollision zu vermeiden. Er hat seine Geschwindigkeit lediglich geringfügig geändert. Erst nachdem der Omnibuslenker auf das Fahrmanöver des Beschuldigten durch Betätigen der Lichthupe reagiert hat, könnte letzterer durch sein Bremsmanöver den Omnibuslenker dann zu einem stärkeren Abbremsen genötigt haben. Dieses - vorgeworfene - Verhalten stellt aber nach Auffassung der erkennenden Berufungsbehörde keine Verletzung des § 19 Abs.7 StVO 1960 mehr dar, zumal das Einordnen auf den rechten Fahrstreifen bereits abgeschlossen war.

Zusammenfassend wird in diesem Punkt festgestellt, dass unter Zugrundelegung der vorliegenden Zeugenaussagen nicht als erwiesen angesehen werden kann, dass der Beschuldigte den Omnibuslenker durch sein Einordnen auf den rechten Fahrstreifen der Westautobahn tatsächlich zu unvermitteltem Bremsen oder zum Ablenken seines Fahrzeuges genötigt hat.

1.6.3. Gemäß § 21 Abs.1 StVO 1960 darf der Lenker das Fahrzeug nicht jäh und für den Lenker eines nachfolgenden Fahrzeuges überraschend abbremsen, wenn andere Straßenbenützer dadurch gefährdet oder behindert werden, es sei denn, dass es die Verkehrssicherheit erfordert.

Laut Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH) muss eine Anlastung des § 21 Abs.1 drei Elemente aufweisen, nämlich 1.) jähes und überraschendes Abbremsen, 2.) Gefährdung oder Behinderung und 3.) dass dieses Manöver aus Gründen der Verkehrssicherheit nicht möglich war (VwGH 83/02/016550 vom 23.3.1984 u.a.). Demnach bildet auch der Umstand, dass der Betreffende durch sein Bremsmanöver andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert hat, ein wesentliches Tatbestandsmerkmal.

Ungeachtet der Tatsache, dass dieses Tatbestandsmerkmal dem Beschuldigten von der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung im Rahmen einer tauglichen Verfolgungshandlung nicht ausdrücklich vorgeworfen wurde, kann dieser Umstand unter Zugrundelegung der vorliegenden Verfahrensunterlagen nicht mit hinreichender Bestimmtheit als erwiesen angesehen werden. Bei der Beurteilung der Frage ist ein objektiver Maßstab anzulegen, dh, dass nicht jede subjektive Überreaktion eines Betroffenen schlechthin zu einer Bestrafung führen kann.

Wohl ist aus der im Verfahrensakt aufliegenden Tachografenscheibe zu ersehen, dass der Omnibuslenker die Geschwindigkeit seines Fahrzeuges beträchtlich verringern musste. Andererseits führte jedoch die Zeugin H aus, dass der Busfahrer zwar kräftig bremsen musste und es bei dieser Bremsung einen richtigen Ruck gegeben habe, die ganze Bremssituation sei jedoch nicht so knapp gewesen, dass es zu einem Verkehrsunfall gekommen wäre. Der Abstand zwischen Bus und PKW sei schon noch etwas größer gewesen.

Legt man die Aussage der genannten Zeugin dem verfahrensgegenständlichen Geschehen zugrunde, so kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Bremsmanöver des Omnibusfahrers eine bloße subjektive Überreaktion auf das Verhalten des Beschuldigten gewesen ist. Jedenfalls nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" kann die dem Bw zur Last gelegte Tat nicht als erwiesen angesehen werden, weshalb auch in diesem Punkt der Berufung Folge zu geben war.

I.6.4. Zusammenfassend wird festgestellt, dass nach den vorliegenden Verfahrensunterlagen, insbesondere nach Beurteilung der dargelegten zeugenschaftlichen Einvernahmen und Einsichtnahme in die im Akt aufliegende Tachografenscheibe, die dem Bw zur Last gelegten Verwaltungsübertretungen nicht als erwiesen angesehen werden können, weshalb der Berufung Folge zu geben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen war.

II. Der Kostenausspruch stützt sich auf die im Spruch angeführte gesetzliche Bestimmung.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500,00 Schilling (entspricht  181,68 Euro) zu entrichten.

Mag. K i s c h

Beschlagwortung:

§ 21 (1) StVO 1960 - Gefährdung oder Behinderung - wesentliches Tatbestandsmerkmal