Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-240125/2/Gf/Km

Linz, 09.05.1995

VwSen-240125/2/Gf/Km Linz, am 9. Mai 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Grof über die Berufung des A.

S., ................, ................, vertreten durch RA Dr. J. K., ............., ............., gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt ..... vom 17.

Jänner 1995, Zl. 101-4/9, wegen Übertretung des Bazillenausscheidergesetzes zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird insoweit stattgegeben, als das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben wird; der Antrag auf Einstellung des Strafverfahrens wird hingegen abgewiesen.

II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Oö. Verwaltungssenat zu leisten.

Rechtsgrundlage:

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG; § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG; § 66 Abs. 1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt .....

vom 17. Jänner 1995, Zl. 101-4/9, wurde über den Rechtsmittelwerber eine Geldstrafe von jeweils 1.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe: jeweils 1 Tag) verhängt, weil er es als Obmann eines Vereines zu vertreten habe, daß in dessen Geschäftslokal zwei Angestellte beschäftigt worden seien, ohne daß sich diese einer Untersuchung gemäß § 4 des Bazillenausscheidergesetzes unterzogen hätten.

1.2. Gegen dieses dem Rechtsmittelwerber am 31. Jänner 1995 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 3. Februar 1995 - und damit rechtzeitig - zur Post gegebene und bei der belangten Behörde eingebrachte Berufung.

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des Magistrates der Stadt ..... zu Zl. 101/4/9. Bereits im Zuge dieser Akteneinsicht hat sich ergeben, daß das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist (und somit auch gemäß § 51e Abs. 1 VStG von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden konnte), und zwar aus folgendem Grund:

2.1. Gemäß § 44a Z. 1 VStG hat der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses - nur dieser erwächst in Rechtskraft die als erwiesen angenommene Tat zu enthalten. Hiezu zählt nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes jedenfalls auch die Angabe der Tatzeit.

2.2. An einer derartigen spruchmäßigen Festlegung der Tatzeit fehlt es jedoch im vorliegenden Fall.

Der Oö. Verwaltungssenat hat in ständiger Rechtsprechung (vgl. statt vieler z.B. VwSen-260022 v. 6.7.1992 und zuletzt VwSen-102629 v. 10. März 1995) bereits mehrfach betont, daß es ihm schon von Verfassungs wegen verwehrt ist, substantielle Rechtswidrigkeiten des erstbehördlichen Straferkenntnisses aus eigenem zu substituieren und so die Rolle des unparteiischen Richters zu verlassen und stattdessen (auch) in die Position des Anklägers zu schlüpfen. Denn Art. 6 Abs. 1 MRK garantiert bei strafrechtlichen Anklagen ein "faires Verfahren", das den Anklageprozeß (vgl. Art. 90 Abs.

2 B-VG) und damit eine strikte Trennung der richterlichen von der anklagenden Funktion voraussetzt. Diese Rechtsansicht des Oö. Verwaltungssenates ist so zu verstehen, daß das Beweisverfahren bzw. die eigentliche Erhebung der Anklage - wozu der Vorwurf des Tatzeitpunktes bzw. Tatzeitraumes zählt - nicht erst im Berufungsverfahren begonnen werden kann; denn ein vom unabhängigen Verwaltungssenat gemäß § 51g Abs. 1 VStG durchgeführtes Beweisverfahren kann von vornherein nur ergänzender bzw.

korrigierender Art sein.

§ 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG in diesem Lichte verfassungskonform interpretiert kann daher nur bedeuten, daß der unabhängige Verwaltungssenat in Fällen, wo einerseits das erstbehördliche Ermittlungsverfahren mit gravierenden Mängeln behaftet war, andererseits aber berechtigte Anhaltspunkte für die Täterschaft des Beschuldigten bestehen, zwar nicht zu einer Zurückverweisung des Verfahrens gemäß § 66 Abs. 2 AVG (die eine Fortführungspflicht für die Erstbehörde begründet), wohl aber zu einer Aufhebung des Bescheides (die für die Erstbehörde lediglich eine Fortführungsmöglichkeit bedeutet und wofür im übrigen auch schon die Textierung des § 51e Abs. 1 VStG zu sprechen scheint) berechtigt ist ohne daß damit gleichzeitig auch die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens verbunden wird.

Dadurch ergibt sich auch kein Widerspruch zur Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, die - wie etwa im Erkenntnis v. 4.9.1992, 92/18/0353, deutlich wird - ja davon auszugehen scheint, daß mit der Aufhebung eines Straferkenntnisses lediglich dann zugleich auch die Einstellung des Strafverfahrens untrennbar verbunden ist, wenn sich im Spruch des Erkenntnisses des unabhängigen Verwaltungssenates hinsichtlich der Frage der Verfahrenseinstellung keine gesonderte Aussage findet, während demgegenüber - abgesehen von der expliziten Aufnahme des Ausschlusses der Verfahrenseinstellung in den Spruch des Berufungsbescheides - eben durchaus Fallkonstellationen denkbar sind (und wozu infolge der gebotenen verfassungskonformen Interpretation auch die verfahrensgegenständliche zählt), in denen die Aufhebung des Straferkenntnisses durch den unabhängigen Verwaltungssenat nicht auch zugleich die notwendige Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens zur Folge hat (vgl. z.B. VwGH v. 8.10.1992, 92/18/0391,0392).

2.3. Da im vorliegenden Fall (wenngleich lediglich) Indizien für eine Tätereigenschaft des Beschuldigten vorliegen, andererseits aber der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses nicht den Anforderungen des § 44a Z. 1 VStG entspricht, war sohin der gegenständlichen Berufung aus den genannten Gründen gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG insoweit stattzugeben, als das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben war. Der Antrag auf Einstellung des Strafverfahrens war demgegenüber abzuweisen; denn es ist - wie dargetan - Sache der belangten Behörde, zu beurteilen, ob das Strafverfahren gegen den Rechtsmittelwerber fortzuführen ist oder nicht.

3. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Berufungswerber gemäß § 65 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Oö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. G r o f