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des Landes Oberösterreich
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VwSen-107423/2/BI/KM

Linz, 22.01.2001

VwSen-107423/2/BI/KM Linz, am 22. Jänner 2001

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung der Frau E S, vertreten durch Dr. E und Mag. P Rechtsanwälte OEG, vom 19. Dezember 2000 gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 4. Dezember 2000, III/S 32506/00 V1P, wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, zu Recht erkannt:

  1. Der Berufung wird insofern Folge gegeben, als das angefochtene Straferkenntnis im Schuldspruch bestätigt, jedoch im Strafausspruch behoben und der Rechtsmittelwerberin unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens eine Ermahnung erteilt wird.

II. Verfahrenskostenbeiträge waren nicht vorzuschreiben.

Rechtsgrundlage:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1 und 21 Abs.1 VStG, §§ 4 Abs.2 iVm 99 Abs.2 lit.a StVO 1960

zu II.: §§ 64 und 65 VStG

Entscheidungsgründe:

zu I.:

  1. Die Bundespolizeidirektion Linz hat mit dem oben genannten Straferkenntnis über die Beschuldigte wegen der Verwaltungsübertretung gemäß §§ 4 Abs.2 iVm 99 Abs.2 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe von 1.500 S (64 Stunden EFS) verhängt, weil sie am 7. August 2000 um 7.30 Uhr in L, von K kommend Richtung stadteinwärts unmittelbar vor der Kreuzung M - K - L den Kombi gelenkt habe und als Lenkerin dieses Kfz an einem Verkehrsunfall mit Personenschaden beteiligt gewesen sei und somit als Person, deren Verhalten am Unfallort mit diesem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, nicht sofort die nächste Sicherheitsdienststelle verständigt habe. Gleichzeitig wurde ihr ein Verfahrenskostenbeitrag von 150 S auferlegt.

2. Dagegen hat die Rechtsmittelwerberin (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG). Die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung erübrigte sich (§ 51e Abs.3 Z2 VStG).

3. Die Bw macht im Wesentlichen geltend, sie selbst, aber auch ihre Enkelinnen seien erheblich bei dem Verkehrsunfall verletzt worden. Betrachte man die Wertigkeit des § 4 Abs.2 StVO 1960, so werde man von einer selbst nicht unerheblich Verletzten nicht verlangen können, die Polizei zu verständigen, wenn die schuldtragende Lenkerin am Unfallort anwesend sei und nicht die Polizei verständige. Es könne nicht vom Verletzten verlangt werden, die Polizei zu verständigen, wenn ein Unverletzter an der Unfallstelle anwesend sei und die Verletzung einer anderen Person selbstverständlich bemerkt habe.

Dazu komme noch, dass sie sich selbst in begreiflicher Erregung befunden habe, was ihre Enkelinnen betraf. Die Anwendung des § 6 VStG werde hier entgegen der Ansicht der Erstinstanz gerechtfertigt. Sinn der Bestimmung des § 4 Abs.2 StVO sei es, die Polizeidienststelle über einen Verkehrsunfall mit Personenschaden zu informieren. Wer dies tue, sei völlig egal. Im gegenständlichen Fall hätte die Lenkerin, die den Verkehrsunfall verursacht habe, die Information der Polizei durchzuführen gehabt, zumal die selbst verletzte Person zu diesem Zeitpunkt mit ihren Schmerzen beschäftigt gewesen sei. Sie sei noch dazu Pensionistin, die zwei kleine Kinder im Auto gehabt habe, sodass sehr wohl ein begreiflicher Erregungszustand vorgelegen habe. Das alles spreche für die Anwendung des § 6 VStG. Der Tatvorwurf hätte der Lenkerin gemacht werden müssen, die den Unfall verursacht habe.

Die Bw wendet sich auch gegen den Strafausspruch und macht geltend, bei ihrem Einkommen und angesichts dessen, dass die Verletzung der minderjährigen Enkelin kaum Folgen nach sich gezogen habe, sei die Strafe von 1.500 S weit überhöht. Vielmehr sei § 21 Abs.1 VStG anzuwenden.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz.

Folgender Sachverhalt ist entscheidungswesentlich:

Der VUK-Erhebungsdienst erlangte Kenntnis vom gegenständlichen Verkehrsunfall durch die Verletzungsanzeige des AKH Linz betreffend die Bw.

Aus der Anzeige geht hervor, dass die Bw am 7. August 2000 um 7.30 Uhr als Lenkerin eines PKW, in dem sich zur Unfallzeit ihre beiden Enkelinnen, zwei Mädchen mit sieben und zehn Jahren, befanden, vor der Kreuzung Mstraße - Kstraße - Lgasse, Fahrtrichtung stadteinwärts, wegen Rotlichtes der VLSA anhalten musste. Davor hatte aus demselben Grund die Zeugin E ihren PKW angehalten. Die dahinter ankommende Zeugin S-W fuhr auf den PKW der Bw auf, der gegen den PKW E geschoben wurde. Bei dem Zusammenstoß entstand Sachschaden an den drei Fahrzeugen.

Die drei Lenkerinnen erklärten beim VUK-Erhebungsdienst, es sei an der Unfallstelle ein europäischer Unfallbericht ausgefüllt worden; die Verständigung der Rettung oder der Polizei sei nicht erwogen worden.

Die Zeugin E bestätigte beim VUK am 29.8.2000, L S habe über Schmerzen geklagt und die Bw habe ihr gegenüber angegeben, sie werde mit dem Kindern ins AKH fahren, zumal L bereits eine Beule gehabt habe.

Die Zeugin S-W gab am 4.9.2000 an, die Bw habe zu ihr gesagt, sie werde mit den Kindern ins AKH fahren, da diese geweint hätten. Von einer Verletzung der Kinder habe sie erst durch die Polizei erfahren.

Die Bw bestätigte am 21.8.2000, ihre Enkelin L-M habe bereits nach dem Unfall über Schmerzen geklagt und trotzdem sei weder Rettung noch Polizei verständigt worden. Außerdem sei sie selbst verletzt gewesen, habe aber erst wegen der bei ihr auftretenden Schmerzen am Mittag des Unfalltages das AKH aufgesucht, wo Prellungen des rechten Beines (und eine Thrombose) und des Rückens festgestellt worden seien. Sie sei nicht arbeitsunfähig, aber am Tag der Einvernahme vor dem VUK-Erhebungsdienst noch gesundheitlich beeinträchtigt. An der Unfallstelle dürfte von der Verletzung der Bw noch nicht die Rede gewesen sein.

L-M, die siebenjährige Enkelin, verspürte nach eigenen Aussagen bereits an der Unfallstelle Kopfschmerzen und wurde im AKH zwei Tage stationär behandelt.

S, die zehnjährige Enkelin, hatte nach eigenen Aussagen erst im AKH Kopfschmerzen und wurde dort zwei Tage lang beobachtet.

Laut den Verletzungsanzeigen des AKH Linz vom 8.8.2000 erlitt die Bw Prellungen der Lendenwirbelsäule, des rechten Knies und des rechten Sprunggelenks (Verletzung leicht, laut Anzeige Gesundheitsbeeinträchtigung von unbestimmter Dauer, keine Arbeitsunfähigkeit wegen Pension), S S leichte Kopfschmerzen (Verletzung leicht, laut Anzeige Gesundheitsbeeinträchtigung zwei Tage) und L-M S eine Prellmarke am Hinterkopf und leichte Kopf- und Nackenschmerzen (Verletzung leicht, laut Anzeige Gesundheitsbeeinträchtigung sieben Tage).

Aus dem Verfahrensakt lässt sich ersehen, dass die Zeugin E wegen Übertretung gemäß §§ 4 Abs.2 iVm 99 Abs.2 lit.a StVO 1960 rechtskräftig bestraft wurde.

Die Zeugin S-W wurde wegen Verdachtes gemäß § 88 StGB angezeigt. Mit Schreiben der Staatsanwaltschaft Linz vom 11. September 2000, 41 BAZ 710/00s, wurde gemäß Art. IV Verkehrsrecht-Anpassungsgesetz 1971 mitgeteilt, dass von deren Verfolgung wegen Vergehens der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs.1 StGB gemäß § 90f Abs.1 StPO unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr vorläufig zurückgetreten wurde. Ein Verwaltungsstrafverfahren wegen § 18 Abs.1 StVO 1960 wurde von der Erstinstanz gemäß § 99 Abs.6 lit.c StVO 1960 eingestellt, eine Verfolgungshandlung wegen § 4 Abs.2 StVO wurde offenbar innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist nicht gesetzt.

In rechtlicher Hinsicht hat der unabhängigen Verwaltungssenat erwogen:

Gemäß § 4 Abs.2 StVO 1960 haben die im Abs.1 genannten Personen - das sind alle Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, - wenn bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt wurden, die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes besteht nur bezüglich der eigenen Verletzung keine Meldepflicht. Der Umstand, dass der Meldepflichtige selbst beim Unfall verletzt wurde, befreit ihn nicht von der Meldepflicht bezüglich weiterer Verletzter (vgl Erk v 10. Oktober 1990, 90/03/0147, ua).

Grundsätzlich ist auch die Bw als Person, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang stand, anzusehen, wobei der Begriff "ursächlich" nichts mit "Verschulden" zu tun hat, sondern lediglich im Sinne des Kausalitätszusammenhangs zu sehen ist: Denkt man sich das Verhalten der Bw, nämlich das Anhalten des von ihr gelenkten PKW vor der genannten VLSA weg, wäre es nicht zum Verkehrsunfall gekommen. Sie war daher als "ursächlich beteiligte Person" im Sinne des § 4 Abs.2 StVO verpflichtet, sofort Meldung an die nächste Polizeidienststelle von der Verletzung ihrer Enkelin L-M beim Verkehrsunfall zu erstatten. Dies auch deshalb, weil ihr (ebenso wie der Zeugin E) schon deren Klagen über Kopfschmerzen und das Vorhandensein einer Beule am Hinterkopf an der Unfallstelle bekannt war. Die Meldepflicht besteht unabhängig vom Grad der Verletzung, auch schon bei "nicht nennenswerten Verletzungen" (vgl VwGH v 22.März 1991, 90/18/0266, ua) und ist auch durch Boten möglich.

Auch wenn die Bw verständlicherweise größtes Interesse hatte, ihren Enkelinnen neben der Feststellung etwaiger Verletzungen möglichst rasch Erste Hilfe zuteil werden zu lassen und sie zu diesem Zweck selbst ins AKH Linz brachte, hätte sie nach erfolgter Hilfeleistung (notfalls telefonisch) Meldung an die zuständige Polizeidienststelle erstatten müssen. Diese hätte den Zweck gehabt, im Rahmen einer Unfallaufnahme Daten der Unfallbeteiligten und die für die eventuelle Geltendmachung von Schadenersatzansprüchen durch die Verletzten erforderlichen Erhebungen durchzuführen und entsprechende Beweise zu sichern, um eventuelle spätere Ansprüche der Verletzten gegen die schuldtragende Lenkerin entsprechend abzusichern. Auch wenn seitens das AKH routinemäßig Meldung erstattet worden ist, ist dies nicht der Bw zuzurechnen, weil sich diese nicht des AKH als Boten bedient hat, dh die Meldung nicht in ihrem Auftrag erfolgte. Zwei sieben bzw zehn Jahre alte Kinder allein mit der Rettung ins AKH zu schicken, wie die Erstinstanz laut Begründung des Straferkenntnisses vorgeschlagen hat, wäre hingegen jedenfalls unzumutbar.

Aus all diesen Überlegungen gelangt der unabhängige Verwaltungssenat zu der Ansicht, dass die Bw den ihr zur Last gelegten Tatbestand erfüllt hat, wobei es ihr auch nicht gelungen ist, im Sinne des § 5 Abs.1 VStG glaubhaft zu machen, dass sie an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Allein die nachvollziehbare Erregung wegen der Beeinträchtigung der beiden ihr anvertrauten Enkelinnen schließt das Verschulden nicht gänzlich aus, weil vom Teilnehmer am Straßenverkehr und Inhaber einer Lenkberechtigung ein so großes Maß an Willensstärke und Überlegung erwartet werden muss, dass er den ihm durch die StVO 1960 auferlegten Verpflichtungen nachkommt.

Zum Strafausspruch der Erstinstanz - das Vorliegen der Voraussetzungen für eine Anwendung des § 21 Abs.1 VStG wurde laut Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses nicht geprüft - ist zu sagen:

Gemäß § 21 Abs.1 VStG kann die Behörde ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Sie kann den Beschuldigten jedoch gleichzeitig unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid ermahnen, sofern dies erforderlich ist, um den Beschuldigten von weiteren strafbaren Handlungen gleicher Art abzuhalten.

Die Nichtmeldung des Verkehrsunfalls durch die Bw zog im gegenständlichen Fall insofern keine (nachteiligen) Folgen nach sich, als durch die Meldung des Verkehrsunfalls durch das AKH Linz - allerdings in bezug auf die bei der Bw später festgestellten Verletzungen - dazu führte, dass die noch erhebbaren Unfalldaten festgehalten wurden, sodass eventuelle Ansprüche der Verletzten gegen die am Unfall schuldtragende Lenkerin auf dieser Grundlage durchsetzbar sind. Die Kopfschmerzen der beiden Kinder bzw die Prellmarke bei L-M S hatten offenbar keine weiteren Folgen.

Zum Verschulden der Bw ist zu sagen, dass aus der Sicht des unabhängigen Verwaltungssenates verständlich ist, dass die Bw um ihre Enkelinnen besorgt war und ihnen rasche Hilfe angedeihen lassen wollte. Noch dazu waren ihr beide Kinder von den Eltern anvertraut, sodass auch nachvollziehbar ist, dass sie nach dem Verkehrsunfall, an dem sie keinerlei Verschulden traf, aufgeregt und besorgt war, nämlich in einem solchen Maß, dass sie sich sogar bezüglich ihrer eigenen Verletzungen erst später in ärztliche Behandlung begab, als sie größere Schmerzen bekam. Auch ist zu bedenken, dass beide Kinder im AKH bleiben mussten, wenn auch nur zur Beobachtung, was nachvollziehbar neue Aufregungen für die Bw durch die damit verbundenen Begleitumstände bedeutete.

Insgesamt gesehen kann auf dieser Grundlage das Vorliegen eines geringfügigen Verschuldens bejaht werden, sodass ein Absehen von der Strafe - auch unter Bedachtnahme auf die bisherige verwaltungsstrafrechtliche Unbescholtenheit der Bw - gerechtfertigt erscheint. Da aber nach der allgemeinen Lebenserfahrung nicht auszuschließen ist, dass die Bw durch die weitere Teilnahme am Straßenverkehr erneut in eine ähnliche Situation kommen könnte, war aus spezialpräventiven Überlegungen eine Ermahnung auszusprechen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

zu II.:

Der Entfall des Verfahrenskostenersatzes ergibt sich rechnerisch und ist gesetzlich begründet.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten.

Mag. Bissenberger

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