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VwSen-108091/2/Br/Ni

Linz, 21.02.2002

VwSen-108091/2/Br/Ni Linz, am 21. Februar 2002

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn P, vertreten durch den Verein für Sachwalterschaft zHd. Herrn T, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft F, vom 22. Jänner 2002, Zl. VerkR96, zu Recht:

Der Berufung wird im Punkt I: keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid wird jedoch dahingehend abgeändert, dass der Antrag in diesem Punkt zurückzuweisen war.

Im Punkt II: wird der Berufung Folge gegeben und die Wiederaufnahme des mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft F vom 20. November 2000, Zl: VerkR96 rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens, bewilligt.

Das Verfahren befindet sich im Status vor der Erlassung des o.a. Straferkenntnisses.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 iVm § 69 Abs.1 Z2 u. § 70 Abs.1 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl.Nr.51, idF BGBl. I Nr. 137/2001 - AVG.

Entscheidungsgründe:

1. Von der Bezirkshauptmannschaft F wurden mit dem oben bezeichneten Bescheid, die für den Berufungswerber vom Verein der Sachwalterschaft als gesetzlichen Vertreter am 12.3.2001 gestellten Anträge auf I. "Wiedereinsetzung in den vorigen Stand" und II. "Wiederaufnahme des Verfahrens" verbunden mit der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung als unbegründet abgewiesen.

Der Abspruch über Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung unterblieb im angefochtenen Bescheid.

Begründend hält die Behörde erster Instanz den Antragsausführungen entgegen, dass für den Berufungswerber vom Bezirksgericht U erst mit 28. Februar 2001 ein Sachwalter bestellt worden sei und demnach zum Zeitpunkt der Zustellung des Straferkenntnisses von der Handlungsfähigkeit des Berufungswerbers auszugehen gewesen sei.

Zum Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens ging die Behörde erster Instanz vom Umstand aus, dass die nunmehr festgestellte psychische Erkrankung zum Zeitpunkt der Begehung der ihrem Straferkenntnis zu Grunde liegenden Verwaltungsübertretung noch nicht in einem die Zurechnungsfähigkeit beeinträch-tigendem Ausmaß bestanden habe.

Konkrete Ermittlungshandlungen der Bezirkshauptmannschaft F, die den entscheidungsbegründenden Annahmen zu Grunde gelegt worden sein sollten, finden sich im Verfahrensakt jedoch nicht.

2. Zur Aktenlage:

2.1. Dem gegenständlichen Verfahren liegt ein als in Rechtskraft erwachsen zu erachtendes Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft F vom 20. November 2000 zu Grunde. Der Antragsteller wurde darin wegen einer Verweigerung der Atemluftuntersuchung vom 18. August 1998 um 09.30 Uhr mit 16.000 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit mit einer Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von sechzehn Tagen bestraft.

Dieses Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber am 27. November 2000 bei offenkundig eigenhändiger Übernahme zugestellt.

Nach der in diesem Zusammenhang bei der Bezirkshauptmannschaft F am 21. August 1998 eingelangten Anzeige der Gendarmerie wurde dem Berufungs-werber ein mit 8. September 1998 datierter Ladungsbescheid mit der Aufforderung, am 21. September 1998 um 10.00 Uhr bei der Bezirkshauptmannschaft F zwecks Rechtfertigung zum Tatvorwurf zu erscheinen, zugestellt. Darin wurde u.a. auch auf die Säumnisfolgen hingewiesen.

Diese Ladung wurde dem Berufungswerber mit RSa-Sendung am 10. September 1998 bei eigenhändiger Übernahme zugestellt. Er erschien offenkundig zum genannten Termin nicht.

Bis zur Erlassung des Straferkenntnisses nach einem Zeitraum von über zwei Jahren lassen sich aus dem hier vorliegenden Verfahrensakt keinerlei Aktenbewegungen erkennen.

2.2. Mit Beschluss des BG U v. 28.2.2001, Zl. P 7/00i - 20 wurde für den Berufungswerber, Herr T, p.A. Verein für Sachwalterschaft, zum einstweiligen Sachwalter mit dem Aufgabenumfang, diesen "gegenüber den Behörden zu vertreten und Einkommensverwaltung" bestellt.

Demnach erfasst die Bestellung auch die hier verfahrensgegenständliche Vertretung.

Bereits mit Schreiben vom 9. März 2001 und somit offenkundig binnen zwei Wochen ab Kenntnis der hinsichtlich des Berufungswerbers hier obwaltenden verfahrens-spezifischen Umstände, trat der Sachwalter an die Bezirkshauptmannschaft F bezugnehmend auf ein Telefonat vom 26.2.2001 - also noch vor seiner Bestellung zum Sachwalter bzw. der Datierung des Gerichtsbeschlusses - heran, worin auf die seit Jahren bestehende psychische Erkrankung des Berufungswerbers und dessen schwerwiegende Beeinträchtigung seiner Rechts- und Handlungsfähigkeit mit Blick auf § 3 VStG hingewiesen wurde. Auf die hier verfahrensgegenständlichen, mit 12.3.2001 datierten, Anträge wurde bereits in diesem Schreiben hingewiesen.

Auch mit Blick auf diese Angabe lassen sich bis zum zehn Monate später erlassenen - hier angefochtenen - Bescheid aus dem Akt abermals keinerlei Ermittlungsschritte entnehmen.

3. In der gegen den eingangs genannten Bescheid fristgerecht erhobenen Berufung wird die Untätigkeit der Behörde gerügt. Ferner wird in diesem Zusammenhang auf vermeintlich einschlägige Bestimmungen des AVG verwiesen. Ebenfalls wird eine unrichtige rechtliche und eine inhaltliche Beurteilung des gesundheitlichen Zustandes des Berufungswerbers bemängelt.

Zur Untermauerung des Antrags- bzw. des Berufungsvorbringens wurde der Berufung ein psychiatrisches Gutachten des Dr. D, gerichtlich beeideter Sachverständiger, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, beigeschlossen.

Dieses lautet in der zusammenfassenden Beurteilung:

"Wie bereits im psychiatrischen Gutachten vom 24.1.2001 beschrieben, besteht bei dem Betroffenen ein jahrelanger, vermehrter Alkoholkonsum und Medikamentenabusus, der nicht nur zu einem sozialen Abstieg, sondern auch zu einer Alkoholerkrankung mit Ausbildung eines organischen Psychosyndroms führte.

Dieses organische Psychosyndrom geht vor allem mit Wesensveränderungen einher, die vorwiegend dafür verantwortlich sind, dass der Betroffene sehr gleichgültig seiner Person und Wohnsituation gegenüber steht und sich um Alltagsangelegenheiten nicht oder nicht ausreichend kümmert.

Es wurde im Gutachten auch darauf hingewiesen, dass der Betroffene dadurch keine ausreichenden Steuerungsmöglichkeiten besitzt, um diesen Zustand aktiv zu verändern.

Hinzu kommt, dass er von seiner Familie weitgehend isoliert lebt, sich seit Jahren von den Familienmitgliedern zurückzieht und es noch zu Lebzeiten der Eltern, insbesondere mit der Mutter, häufig zu Streitigkeiten und auch tätlichen Auseinandersetzungen kam. Quasi als Familienersatz fungierte seit Jahren der Hausarzt, der emotionale Defizite zumindest teilweise dadurch kompensieren konnte.

Zum Zeitpunkt der damaligen Gutachtenerstellung (Jänner 2001) war der Betroffene sicherlich zur Frage der Erbfolge nicht einsichts- und urteilsfähig bzw. realisierte er diese Thematik nicht in ausreichendem Umfang. Vor allem konnte er nicht ausreichend einschätzen ob das erfolgte Angebot des Erbgutes auch dem Ausmaß des Pflichtteiles entsprach.

Zur konkreten Frage, ob dieser Zustand auch bereits zum Übergabezeitpunkt, etwa 1993, vorlag, liegen keine ausreichenden objektiven Daten vor, die diese Frage eindeutig beantworten lassen.

Allerdings gibt es über den Gesundheitszustand des Betroffenen Aussagen des Hausarztes, der diesen sicherlich über Jahrzehnte sehr gut kennt und über Jahre einen nahezu täglichen Kontakt zu ihm pflegte. Der Hausarzt äußerte glaubhaft bei einer telefonischen Befragung, dass der derzeitige Zustand des Betroffenen chronifiziert ist und bereits im selben Ausmaß vor über 10 Jahren vorlag.

Dies wird teilweise auch insofern bestätigt, als bei einem Aufenthalt im Krankenhaus, im Jahre 1998, bereits ähnliche Probleme und Symptome vorlagen, wie bei der Gutachtenerstellung.

Nachdem das Krankheitsbild derzeit eine chronifizierte Form aufweist und davon auszugehen ist, dass ein derartiges psychopathologisches Bild nicht kurzfristig, sondern sich über Jahre und Jahrzehnte entwickelt und obendrein die Aussagen des Hausarztes durchaus schlüssig sind, muss mit höherer Wahrscheinlichkeit angenommen werden, dass ein ähnliches psychopathologisches Bild auch bereits im Jahre 1993 vorlag.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit ist jedenfalls anzunehmen dass zu diesem Zeitpunkt bereits eine Alkohol und Medikamentenabhängigkeit bestand. Erste diesbezügliche, aktenkundigen Aufzeichnungen wurden bereits 1988 (KH) beschrieben.

In diesem Fall wäre der Untersuchte bereits damals zum fraglichen Zeitpunkt 1993 mit komplexeren Denkvorgängen und Sachverhalten, wie sie ein derartiger Übergabevertrag darstellt, überfordert gewesen. Er wäre sicherlich von seiner Alkohol- und Medikamentensucht geleitet gewesen und wäre Alltagsangelegenheiten sehr passiv und desinteressiert gegenüber gestanden und somit insbes. zur Frage des Übergabevertrages nicht einsichts.- und urteilfähig gewesen."

4. § 69 Abs.1 VStG (Wiederaufnahme des Verfahrens) lautet:

Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und

1. der Bescheid durch Fälschung einer Urkunde, falsches Zeugnis oder eine andere gerichtlich strafbare Handlung herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist oder

2. neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder.......

Auf Grund des zumindest im Zuge der Berufung gegen den hier verfahrensgegenständlichen Bescheid vorgelegten psychiatrischen Gutachtens scheinen der Berufungsbehörde die gesetzlichen Voraussetzungen für die Wiederaufnahme gegeben. Darin gelangt auf umfassender Befunderhebung zum Ausdruck, dass der Berufungswerber offenbar schon seit Jahren schwerwiegend an der Wahrnehmung der ihn betreffenden Vorgänge gehindert ist (vgl. HAUER/LEUKAUF, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 5. Aufl., S 657, Rz 34a).

Inwieweit dieser Zustand auch die Schuldfähigkeit ausschloss, ist im Rahmen dieses Verfahrens nicht zu prüfen. Es wäre aber von der Behörde erster Instanz im Ausgangsverfahren zu beurteilen. Das Institut der Wiederaufnahme ist gemäß dem klaren Gesetzeszweck ein Korrektiv gegen aus inhaltlichen Gründen unrichtigen rechtskräftigen Bescheide (VwGH 20.10.1995, 94/19/1353).

In dem die Wiederaufnahme bewilligenden oder verfügenden Bescheid ist, sofern nicht schon auf Grund der vorliegenden Akten ein neuer Bescheid erlassen werden kann, auszusprechen, inwieweit und in welcher Instanz das Verfahren wieder aufzunehmen ist (§ 70 Abs.1 AVG).

Rechtlich stellt dieser durch ein Gutachten glaubhafte Umstand einen sogenannten Erneuerungstatbestand dar, welcher die Richtigkeit des von der Behörde erster Instanz offenbar angenommenen Sachverhalts in einem wesentlichen Punkt - nämlich die Dispositions- oder auch Deliktsfähigkeit - als zweifelhaft erscheinen lässt und der offenbar zum Zeitpunkt des wiederaufzunehmenden Verfahrens bereits bestanden hat.

Vor allem die Tatsache der nachfolgenden Sachwalterbestellung und dessen Beischaffung des hier entscheidungswesentlichen Gutachtens lässt den zwingenden Schluss auf ein der Partei hier nicht treffendes Verschulden hinsichtlich der verborgen gebliebenen Tatsache der psychischen Erkrankung des Antragstellers zu.

4.1. Auf die Frage der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand und der Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung war - ungeachtet einer anders gelagerten Zielrichtung dieses Rechtsinstitutes - wegen der fehlenden Beschwer für den Berufungswerber durch die Bewilligung der Wiederaufnahme nicht mehr einzugehen. Wegen der Entbehrlichkeit einer kumulativen Antragsstellung war dieser Antrag nicht inhaltlich zu bescheiden und demnach nicht ab- sondern zurückzuweisen. Ebenfalls konnte wegen der ex tunc Wirkung des bewilligten Wiederaufnahmeantrages ein gesonderter Ausspruch über die aufschiebende Wirkung unterbleiben.

4.2. Die Behörde erster Instanz hätte sich, unter der Annahme einer noch bestehenden Verfolgbarkeit des Tatvorwurfes, in inhaltlicher Würdigung des vom Vertreter des Berufungswerbers vorgelegten psychiatrischen Gutachtens, mit der Frage der Deliktsfähigkeit zum Zeitpunkt der Begehung der Verwaltungsübertretung - der Alkotestverweigerung - inhaltlich auseinander zu setzen und darüber unter Bezugnahme auf die zu ergänzende Beweissituation zu entscheiden.

Dem Berufungswerber ist durchaus zu folgen, wenn er eine unterbliebene inhaltliche Auseinandersetzung mit seinem Sachvorbringen rügt. In diesem Zusammenhang hätte sich die Behörde erster Instanz auch mit der Frage der Prozessfähigkeit, im Falle von Zweifel am Vorbringen des Berufungswerbers allenfalls durch die zusätzliche Beischaffung von Gutachten auseinander zu setzen gehabt.

Unerfindlich ist daher, wie hier die Behörde erster Instanz zur Auffassung gelangen konnte, es einerseits als gesichert ansehen zu können, dass die durch Fakten belegte Krankheit nicht schon zum Zeitpunkt der Alkotestverweigerung die Unzurechnungsfähigkeit bedingt haben könnte und andererseits erst vom Zeitpunkt der Bestellung des Sachwalters, die fehlende Handlungsfähigkeit zugestanden werden sollte (dazu inbs. VwGH 26.1.2001, 2000/02/0258-6). Mit dieser Betrachtung würde ein rechtlicher Formalakt - nämlich die weitgehende Zufälligkeit eines Zeitpunktes der Bestellung eines Sachwalters - über das empirische Faktum eines bestimmten Geisteszustandes einer physischen Person, mit der billigenden Inkaufnahme der sich allenfalls dadurch für diese Person ergebenden nachteiligen Rechts- und Sanktionsfolgen, gestellt.

Der Berufung war daher mit Blick auf die Wiederaufnahmefrage Folge zu geben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro (entspricht 2.476,85 S) zu entrichten.

Dr. B l e i e r

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