Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-108330/3/Br/Rd VwSen108336/3/Br/Rd VwSen108337/4/Br/Rd

Linz, 09.07.2002

VwSen-108330/3/Br/Rd VwSen-108336/3/Br/Rd VwSen-108337/4/Br/Rd

Linz, am 9. Juli 2002

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufungen des Herrn R, vertreten durch den V, gegen die Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land, vom 18. April 2002, Zlen. VerkR96-16277-1998, VerkR96-8583-1998 und VerkR96-8584-1998, zu Recht:

Der Berufung wird Folge gegeben, die angefochtenen Bescheide werden behoben;

es wird festgestellt, dass die mangels wirksamer Zustellung der zu den obigen Aktenzahlen erlassenen Straferkenntnisse nicht rechtswirksam erlassen wurden.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl.Nr.51, idF BGBl. I Nr. 65/2002 - AVG iVm § 24 u. § 51 Abs.3 Z4 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl.Nr.52, idF BGBl. I Nr. 65/2002 - VStG

Entscheidungsgründe:

1. Von der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land wurden mit den oben bezeichneten Bescheiden, die vom V als gesetzlichen Vertreter des Berufungswerbers, am 8.8.2000 unter anderen gestellten Anträge auf "Aufhebung der Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit" der unter diesen Verfahrenszahlen erlassenen Straferkenntnisse, als unbegründet abgewiesen.

Aus teleologischer Betrachtung interpretiert der Oö. Verwaltungssenat den Bescheidinhalt dahingehend, dass damit über sämtliche Antragspunkte negativ beschieden werden sollte. Dies insbesondere auch mit Blick auf den Inhalt des Schreibens vom 16. Oktober 2000, worin zum Ausdruck gelangte, dass den im genannten Antrag gestellten Begehren "nicht entsprochen werden könne."

1.1. Die im Ergebnis inhaltsgleichen Bescheide wurden auf § 3 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes, BGBl.Nr.53/1991 idgF gestützt. Begründet wurde die Entscheidung auf die mit der offenbar persönlichen Ausfolgung an den Berufungswerber nach § 22 Abs.2 ZustellG bewirkten rechtmäßigen Zustellung der Straferkenntnisse. Die Verweigerung der Unterschrift am Zustellnachweis stehe den Rechtsfolgewirkungen nicht entgegen.

Da trotz entsprechender Rechtsmittelbelehrung eine Berufung gegen die von der obigen Zustellung betroffenen Straferkenntnisse nicht erfolgt sei, seien diese in Rechtskraft erwachsen.

Die belangte Behörde räumt durchaus ein, dass Frau M für den antragstellenden Verein per Beschluss des BG Wels vom 16.12.1998 für den Berufungswerber gem. § 238 Abs.1 und 2 Außerstreitgesetz zur Besorgung dessen dringlichen Angelegenheiten der Einkommensverwaltung als Sachwalterin bestellt wurde. Diese Bestellung habe aber nicht Angelegenheiten des Verwaltungsstrafverfahrens erfasst.

2. In den gegen die eingangs genannten Bescheide fristgerecht durch die Sachwalterin als gesetzliche Vertreterin erhobenen Berufung(en) wird Folgendes ausgeführt:

"Mit Beschluß des Bezirksgerichtes Wels zu 25 P 130/00 f vom 01.08.2001 wurde ich gemäß § 273 Abs 3 Z 2 ABGB zur Sachwalterin für Herrn R zur Besorgung nachstehender Angelegenheiten bestellt:

Vertretung vor Ämtern, Behörden, Gerichten und Vermögensverwaltung;

In dieser Funktion erhebe ich gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land

vom 18.04.2002, zugestellt am 23.04.2002, innerhalb offener Frist

BERUFUNG

gegen die Abweisung meiner Anträge vom 8.8.2000 auf Aufhebung der Rechtskraft und Vollstreckbarkeit der zu Verkehrsrecht 96-16277-1998, Verkehrsrecht 96-8583-1998 und Verkehrsrecht 96-8584-1998 ergangenen Straferkenntnisse.

Begründet wird die bescheidmäßige Abweisung der Anträge vom 8.8.2000 damit, daß alle drei Straferkenntnisse Herrn R am 17.03.2000 zugestellt wurden, dieser die Unterschrift auf den drei Rückscheinen verweigerte, diese Tatsache jedoch vom Postzusteller vermerkt wurde und somit von einer rechtmäßigen Zustellung an den Empfänger ausgegangen werden kann. Auch sei in der entsprechenden Rechtsmittelbelehrung auf die Berufungsmöglichkeit hingewiesen worden, sodaß die Straferkenntnisse mit 01.04.2000 in Rechtskraft erwachsen seien.

Weiters wurde angeführt, daß für Herrn R zwar eine Sachwalterbestellung gemäß § 238 Abs.1 und 2 AußStrG mit Beschluß des Bezirksgerichtes Wels vom 16.12.1998 anhängig war, jedoch aufgrund der lediglich zu besorgenden dringenden Angelegenheit der "Einkommensverwaltung" keine Vertretungsbefugnis für die anhängigen Verwaltungsstrafverfahren zukommt.

Zur Begründung meiner Berufung führe ich aus:

Am 24.7.2000 wurde die Sachwalterin erstmals durch eine Verständigung der Pensionsversicherungsanstalt der Arbeiter davon in Kenntnis gesetzt, daß beim Bezirksgericht Wels zu 12 E 3211/00 ein Exekutionsverfahren gegen Herrn R anhängig war. Aus der Exekutionsbewilligung ging als betreibende Partei das Land , vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land hervor.

Bis zu diesem Zeitpunkt hatte weder das Bezirksgericht Wels als Pflegschaftsgericht noch die einstweilige Sachwalterin von den anhängigen Verwaltungsstrafverfahren Kenntnis. Wären dem Pflegschaftsgericht die anhängigen Verfahren bereits zu einem früheren Zeitpunkt bekannt gewesen, hätte der Beschluß vom 16.12.1998 neben der Einkommensverwaltung auch die dringend zu besorgende Angelegenheit der Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gericht beinhaltet.

Da es sich bei der Bestellung eines Sachwalters zur Besorgung dringender Angelegenheiten nach § 238 Abs 2 AußStrG nur um eine Provisoralmaßnahme handelt, die aber bereits mit einer Beschränkung der Geschäftsfähigkeit im Ausmaß des zu besorgenden Angelegenheitenkreises verbunden ist, ist nach ständiger Rechtssprechung der Aufgabenkreis des einstweiligen Sachwalters so eng wie möglich zu fassen. Dies bedeutet, daß eine Bestellung nach § 238 Abs 2 AußStrG nur in jenen Fällen zulässig ist, in denen dem Gericht hinreichend konkrete Anhaltspunkte, die auf einen drohenden Nachteil des Betroffenen schließen lassen, bekannt sind, was aufgrund fehlender Kenntnis des Gerichtes von den anhängigen Verfahren zum Zeitpunkt der Beschlußfassung im Dezember 1998 nicht der Fall war.

Ab Kenntnis der einstweiligen Sachwalterin von den anhängigen Verwaltungsstrafverfahren wurde von dieser umgehend die Ausdehnung der einstweiligen Sachwalterschaft auf die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gericht beantragt und mit Beschluß des Bezirksgerichtes Wels vom 8.11.2000 die Agenden der einstweiligen Sachwalterin auf die dringend zu erledigenden Angelegenheiten der Vertretung vor Ämtern, Behörden, Gerichten und privaten Vertragspartnern erweitert.

Wenn die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vermeint, die Zustellung der Strafbescheide an Herrn R sei rechtswirksam erfolgt, ist dem entgegenzuhalten, daß dieser noch am Tag der Zustellung der Erkenntnisse in die Psychiatrische Klinik Wels eingewiesen und dort bis 3.4.2000 zwangsweise untergebracht wurde. Über diesen Umstand wurde die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land am 2.11.2000 informiert und zum Beweis der Unterbringung die Pflegegebührenabrechnung übermittelt. Alleine aus diesem Umstand hätte die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land auf die fehlende Geschäfts- bzw. Prozeßfähigkeit im Zeitpunkt der Zustellung schließen müssen.

Im Rahmen des Unterbringungsverfahrens hat das Bezirksgericht Wels am 20.3.2000 bei Univ. Prof. Dr. D, gerichtlich beeideter Sachverständiger aus dem Fachgebiet der Neurologie und Psychiatrie ein Sachverständigengutachten in Auftrag gegeben, aus welchem hervorgeht, daß Herr R an einer paranoiden Schizophrenie erkrankt ist und aufgrund seiner psychischen Krankheit keine Angelegenheiten für sich selbst besorgen kann. Zum Eintritt der Geschäftsunfähigkeit hält der Sachverständige fest, daß Herr R bereits seit 1997 nicht mehr geschäftsfähig ist. Ein Auszug dieses Gutachtens wurde der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land ebenfalls am 2.11.2000 übermittelt.

Was die Prozeßfähigkeit im Verwaltungsstrafverfahren betrifft, ist darauf hinzuweisen, daß es nicht darauf ankommt, ob der Beschuldigte nach § 3 Abs 1 VStG zurechnungsfähig ist, sondern einzig und allein entscheidend ist, ob der Beschuldigte im Zeitpunkt der Zustellung bzw. Verständigung des Straferkenntnisses in der Lage ist, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich um ihn ereignenden prozessualen Vorgänge, insbesondere die Rechtsmittelbelehrung, zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten (§ 9 AVG iVm § 24 VStG, vergl. VwGH 29.3.1989, 89/02/0014).

Aufgrund des dokumentierten Psychiatrieaufenthaltes und des vorliegenden Sachverständigengutachtens ergibt sich, daß Herr R während des gesamten Verwaltungsstrafverfahrens aufgrund der seit 1997 manifestierten psychischen Erkrankung ab diesem Zeitpunkt weder prozeß- noch zurechnungsfähig ist und daher die am 13.7.2000 erfolgten Zustellungen nichtig sind.

Beweis: Akt 25 P 130/00 f des BG Wels, Krankengeschichte der Psychiatrischen Klinik Wels betreffend den Zeitraum vom 17.03. bis 03.04.2000 Sachverständigengutachten von Prof. D vom 20.03.2000 sowie vom 16.01.2001

Aus angeführten Gründen erhebe ich als Sachwalterin für Herrn R

BERUFUNG

an den Landeshauptmann von Oberösterreich und stelle die

ANTRÄGE:

Der Landeshauptmann von Oberösterreich möge den angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 18.04.2002 aufheben.

Er möge weiters die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land anweisen, die zu Verkehrsrecht 9616277-1998, zu Verkehrsrecht 96-8583-1998 sowie zu Verkehrsrecht 96-8584-1998 anhängigen Verwaltungsstrafverfahren einzustellen; in eventu, die Bezirkshauptmannschaft Linz Land anweisen, die zitierten Straferkenntnisse mangels rechtswirksamer Zustellung an Herrn R diese neuerlich an die Sachwalterin als gesetzlicher Vertreter zuzustellen.

Wels, 7.5.2002

R

M"

3. Die Verfahrensakte wurden von der Behörde erster Instanz dem Amt der Landesregierung, Abteilung Verkehr, zur Berufungsentscheidung vorgelegt und von dort, da sich der Instanzenzug nach den für das Titelverfahren geltenden Vorschriften richtet, zuständigkeitshalber an den Oö. Verwaltungssenat weitergeleitet.

Da hier in den Ausgangs(Titel-)verfahren jeweils keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafen verhängt wurden, hat der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen. Da sich ferner die Berufung gegen einen verfahrensrechtlichen Bescheid richtet, war mangels gesonderten Antrages der Parteien eine Berufungsverhandlung nicht durchzuführen (§ 51 Abs.3 Z4 VStG).

3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in die erstbehördlichen Verfahrensakte. Ebenfalls wurden die in der Berufung zitierten psychiatrischen Gutachten beigeschafft und der Behörde erster Instanz hierzu nach elektronischer Übermittlung des Textes der Gutachten am 24. Juni 2002 Gelegenheit zur Stellungnahme eröffnet. Trotz telefonischer Rücksprache und nachfolgender Urgenz mit Note vom 2. Juli 2002 langte eine Stellungnahme seitens der Behörde nicht ein.

3.2. Zur Aktenlage:

3.2.1. Den h. Berufungsverfahren liegen Straferkenntnisse der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land zu Grunde, deren Rechtskraft strittig und im Rahmen dieses Verfahrens es darüber abzusprechen gilt.

Eingangs ist dabei festzustellen, dass die bis zur Erlassung der Straferkenntnisse geführten Verfahrensschritte ohne einer aktiven Mitwirkung des Berufungswerbers geführt wurden. Zustellungen waren an den Berufungswerber nur sehr schwer möglich. Aus einer handschriftlichen Anmerkung vom 9. August 1999 geht etwa hervor, dass sich der Berufungswerber laut Mitteilung des Primars Dr. W nicht in der Psychiatrischen Klinik in Wels aufhielt. Am 29.11.1999 wurde dem Berufungswerber etwa eine Aufforderung zur Rechtfertigung zugestellt bzw. von ihm per RSa-Sendung übernommen.

Nach der Ausfolgung der Straferkenntnisse am 17. März 2000 und der in der Folge seitens der Behörde erster Instanz eingeleiteten und auf diesem Weg der Sachwalterin bekannt gewordenen gerichtlichen Vollstreckungsmaßnahmen, stellte am 8. August 2000 der V - Frau M - für den Berufungswerber die Anträge

auf Zustellung des Straferkenntnisses an den Sachwalter,

die Aufhebung deren Rechtskraft und Vollstreckbarkeit und

die Aufschiebung der zu diesem Zeitpunkt offenbar beim Bezirksgericht bereits bewilligten Gehaltsexekution.

Als Beweis zur Begründung dieser Anträge wurde auf den Akt 1 P 172/99a des BG Wels verwiesen und ein einzuholendes Gutachten aus dem Fachgebiet der Psychiatrie beantragt.

Ob der Berufungswerber unmittelbar den Inhalt der Sendung zur Kenntnis nahm (öffnete) oder wann nachfolgend dem Sachwalter die Straferkenntnisse zur Kenntnis gelangten, lässt sich aus der Aktenlage nicht nachvollziehen. Eine förmliche Zustellung an die Sachwalterin lässt sich auch nach deren Antrag vom 8. August 2000 weder aus der Aktenlage noch einem sonstigen Vorbringen ableiten. Da die Sachwalterin im Falle einer Zustellung der Straferkenntnisse dagegen wohl Berufung erhoben hätte, kann eine Zustellung an die Sachwalterin wohl als höchst unwahrscheinlich gelten.

Am 16. Oktober 2000 folgte in Antwort auf den Antrag der Sachwalterin ein Schreiben der Behörde erster Instanz, worin ausgeführt wird, dass die Zustellung der Straferkenntnisse an den gesetzlichen Vertreter (gemeint den genannten Verein), die Aufhebung der Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit und die Einleitung des ordentlichen Verfahrens (gemeint wohl betreffend die eventuell mit Straferkenntnis abgeschlossenen Verfahren) und die Aufschiebung der vom Bezirksgericht Wels bewilligten Gehaltsexekution, seitens der genannten Behörde nicht möglich wäre.

Begründet wurde dies mit dem Umstand der am 17. März 2000 erfolgten "Zustellung" und der nachfolgend unterbliebenen Berufung gegen diese Straferkenntnisse. Die Behörde erster Instanz verwies auch noch auf das Faktum einer bloßen Sachwalterbestellung für die Einkommensverwaltung, welche keinesfalls diese Art von Erledigungen eingeschlossen habe.

Eine Handlungsunfähigkeit des Berufungswerbers wurde seitens der Behörde erster Instanz im Ergebnis mit dem Hinweis, dass eine völlige Unfähigkeit, die Bedeutung rechtsgeschäftlicher Handlungen zu erkennen, nicht vorgelegen habe, nicht erblickt. Feststellungen dazu wurden diesbezüglich aber keine getroffen.

Dieses Schreiben wurde der Sachwalterin M im Wege des V am 25. Oktober 2000 zugestellt.

Offenbar wurde diese, die Anträge vom 8.8.2000 negativ beurteilende Mitteilung, weder vom Berufungswerber und auch nicht von der belangten Behörde und letztlich auch nicht vom Rekursgericht als eine in Rechtskraft erwachsene Sacherledigung betrachtet. Dies ergibt sich einerseits daraus, weil dagegen kein Rechtsmittel ergriffen wurde und andererseits ansonsten die hier angefochtene Sachentscheidung wegen bereits entschiedener Rechtssache unzulässig gewesen wäre. Der behördliche Wille einer rechtskraftfähigen Sacherledigung kann daher im Lichte der nunmehrigen auch formal als Bescheid bezeichneten Erledigung, dem Schreiben vom 16. Oktober 2000, nicht zugedacht werden.

Im Verlaufe der Jahre 2000 und 2001 wurden gegen den Berufungswerber Gehaltsexekutionsverfahren betrieben, wobei diese vorerst über Antrag bis zur rechtskräftigen Rekursentscheidung mit Beschluss des Bezirksgerichtes Wels aufgeschoben wurden.

Vom Landesgericht Wels, GZ: 22 R 428/01-z, wurde am 28.11.2001 als Rekursentscheidung der Beschluss gefasst, dass die Exekutionsbewilligung ersatzlos behoben wird.

Das Rekursgericht ging dabei auf das Vorbringen der Sachwalterin ein, wonach eine Beteiligung am ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren mangels Geschäftsfähigkeit des Berufungswerbers nicht möglich gewesen sei. Aus diesem Grunde habe auch eine rechtswirksame Zustellung der Straferkenntnisse an den Berufungswerber nicht erfolgen können. Schließlich stellte das Rekursgericht auch fest, dass die betreibende Partei als Titelbehörde - hier die belangte Behörde - "gemäß § 7 Abs.4 EO zur Entscheidung über den Antrag auf Aufhebung der Bestätigung der Vollstreckbarkeit berufen sei, wobei bei nichtgerichtlichen Exekutionstiteln die Entscheidung mittels Bescheid der zuständigen Behörde zu ergehen habe."

In diesem Verfahren sei aber eine rechtskräftige Entscheidung der betreibenden Partei über den Aufhebungsantrag des Verpflichteten nicht nachgewiesen und auch nicht behauptet worden (das Schreiben der Behörde erster Instanz vom 16. Oktober 2000 an die Sachwalterin wurde, wie oben bereits bemerkt, offenbar auch vom Rekursgericht nicht als eine der Rechtskraft zugängliche Willenserklärung der Behörde gewertet).

Im Lichte dieser Entscheidung erließ die Behörde erster Instanz den hier angefochtenen Bescheid, worin sie in abweisender (Teil-)Absprache über den Antrag des Berufungswerbers vom 8.8.2000 von einer rechtskräftigen Sacherledigung durch eine rechtswirksam erfolgte Zustellung der Straferkenntnisse ausging.

3.3. Die von der Sachwalterin über h. Betreiben vorgelegten neurologischen und psychiatrischen Gutachten über den Berufungswerber:

3.3.1. Zwei von Prim. Univ. Prof. Dr. D, Facharzt f. Neurologie und Psychiatrie und allgemein beeideter und gerichtlich zertifizierter Sachverständiger, erstattete Gutachten (vom 3. April 2000 und 16. Jänner 2001) - i.w.S. zur Frage der Geschäftsfähigkeit - kommen nach ausführlicher Befunderhebung zum Ergebnis, dass der Berufungswerber an einer "paranoiden Schizophrenie" leide und er daher "jedenfalls nicht in der Lage sei, irgendwelche Angelegenheiten für sich selbst zu besorgen". Bereits im ursprünglichen Antrag auf Bestellung eines Sachwalters nimmt der psych. Gutachter auf ein Schreiben der Psychiatrischen Klinik Wels an das BG-Wels vom 14.9.1998 Bezug, wonach eine Sachwalterschaft für alle Bereiche notwendig sei (Gutachten vom 3. April 2000).

Diese Aussage wird mit dem zweitgenannten Gutachten dahingehend präzisiert, dass diese Symptomatik (paranoide Schizophrenie) schon viele Jahre vorher bestand. Folgt man dieser Annahme, so der Sachverständige abschließend, sei der Berufungswerber bereits im Mai 1997 nicht in der Lage gewesen, Verträge abzuschließen.

3.4. Diese Tatsachen ergeben keine sachlichen Zweifel an der berechtigten Annahme, dass die Ausfolgungen der Straferkenntnisse an den Berufungswerber am 17. März 2000 mangels Erkennbarkeit der Tragweite einer solchen Zustellung keine Rechtswirkungen entfalten konnten. Damit geht die ohne inhaltliche Untermauerung verbleibende Feststellung der Behörde erster Instanz, dass die zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Sachwalterschaft für den Berufungswerber sich (noch) nicht auch auf Vertretungen in behördlichen Sachen bezog, ins Leere.

4. Rechtlich hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

4.1. Die Vollstreckungsbehörden haben in jeder Lage des Vollstreckungsverfahrens das Fehlen der Prozessfähigkeit von Amts wegen wahrzunehmen. War daher eine in einer Vollstreckungsverfügung als Verpflichteter genannte Person im Zeitpunkt der Zustellung dieser Verfügung nicht in der Lage, Bedeutung und Tragweite dieses prozessualen Vorganges zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten (Hinweis E 16.4.1984, 83/10/0254, 0255, VwSlg 11410 A/1984) und demnach zum Zeitpunkt dieser Zustellung handlungsunfähig, war diese Zustellung nicht wirksam, unabhängig davon, ob bereits ein (einstweiliger) Sachwalter bestellt worden ist (VwGH 19.9.2000, 2000/05/0012 mit Hinweis B 9.5.1965, 379/64, VwSlg 6659 A/1965).

Ebenfalls ist der Berufungswerber mit seinem Hinweis einer fehlenden Prozessfähigkeit im Recht. Dazu führte der Verwaltungsgerichtshof aus, dass "hinsichtlich der Prozessfähigkeit im Verwaltungsstrafverfahren es nicht darauf ankommt, ob der Beschuldigte iSd § 3 Abs.1 VStG zurechnungsfähig ist oder nicht; im Hinblick auf § 24 VStG iVm § 9 AVG ist entscheidend, ob der Verurteilte im Zeitpunkt der Verkündung des Straferkenntnisses in der Lage ist, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich in ihm ereignenden prozessualen Vorgänge, insb der Verkündung samt Rechtsmittelbelehrung, zu erkennen, zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten (VwGH 29.3.1989, 89/02/0014 mit Hinweis auf VwGH 16.4.1984, 83/10/0254, 0255, VwSlg 11410 A/1984).

Die Annahme dieser rechtserheblichen Tatsache, welche insbesondere auch für die Zustellung von Strafbescheiden zu gelten hat, findet hier seine Stütze in den o.a. Gutachten. Damit ist der Berufungswerber mit seiner Berufung inhaltlich im Recht.

4.2. Dabei kann auf sich bewenden, dass in den Anträgen vom 8. August 2000, in wohl etwas widersprüchlicher Weise, neben der Zustellung der Straferkenntnisse an den gesetzlichen Vertreter, auch die Aufhebung deren Rechtskraft iVm der Aufschiebung der damals schon im gerichtlichen Wege betriebenen Vollstreckung begehrt wurde. Offenbar wären diese weiteren Anträge als Eventualanträge zu verstehen, weil mit dem Hauptantrag - das Begehren der Zustellung - bereits implizit eine Rechtskraft der vom Zustellbegehren umfassten Bescheide und auch deren Vollstreckung ausschließt.

Der Berufungswerber ist im Umfang dieser Feststellung nicht dadurch beschwert, wenn über seine weitergehenden Antragspunkte nicht vollumfänglich abgesprochen wurde.

Dennoch war den Berufungen inhaltliche Berechtigung zuzuerkennen, weil in den angefochtenen Bescheiden sowohl von einer Rechtskraft als auch von einer Vollstreckbarkeit ausgegangen wurde.

Rechtlich nicht überzeugen kann ferner der Umstand, dass die Sachwalterin zum Zeitpunkt der Ausfolgung der Straferkenntnisse an den Berufungswerber formal vom Gericht noch nicht für die Wahrnehmung auch behördlicher Belange bestellt war. Da es Ziel der Rechtsordnung ist, inhaltliche Schutzfunktionen zu entfalten, muss hier auf den damaligen Befund des Berufungswerbers Bezug genommen werden. Die einschlägigen Rechtsvorschriften sind daran zu subsumieren.

Rechtlich würde dieser durch ein Gutachten glaubhafte Umstand auch einen sogenannten Erneuerungstatbestand darstellen, welcher - im Falle der Annahme einer rechtswirksamen Zustellung - nicht zuletzt auch einen Wiederaufnahme- oder im Falle der Fristversäumnis einen Wiedereinsetzungsgrund indizieren würde.

4.3. Die Behörde erster Instanz wird folglich nach einer allenfalls formal noch vorzunehmenden Zustellung der Straferkenntnisse an die Vertreterin des Berufungswerbers - nach einer von ihr vorzunehmender Beurteilung einer noch bestehenden Verfolgbarkeit des Tatvorwurfes - in inhaltlicher Würdigung der von der Vertreterin des Berufungswerbers vorgelegten psychiatrischen Gutachten, mit der Frage der Diskretions- bzw. Deliktsfähigkeit zum Zeitpunkt der Begehung der Verwaltungsübertretung inhaltlich auseinander zu setzen und darüber unter Bezugnahme auf die von ihr neu zu beurteilenden Beweissituation zu befinden haben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

Dr. B l e i e r

Beschlagwortung:

Zustellung, Geschäftsfähigkeit, Sachwalter

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