Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-107586/6/Fra/Bk

Linz, 16.05.2001

VwSen-107586/6/Fra/Bk Linz, am 16. Mai 2001 DVR.0690392   E R K E N N T N I S      

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Fragner über die Berufung des Herrn Dr. med. RB, vertreten durch Herrn RA Dr. TR, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 6. Februar 2001, AZ. VerkR96-8412-2000-Hu, wegen Übertretung des § 20 Abs.2 StVO 1960, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 14. Mai 2001, zu Recht erkannt:     I. Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen. Das angefochtene Straferkenntnis wird bestätigt.   II. Der Berufungswerber hat zum Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat 20 % der verhängten Geldstrafe, das sind 800 S (entspricht  58,14 Euro) zu zahlen.     Rechtsgrundlagen: zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 16, 19 und 24 VStG. zu II.: § 64 Abs.1 und 2 VStG.     Entscheidungsgründe:   I.1. Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über den Berufungswerber (Bw) wegen Übertretung des § 20 Abs.2 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 4.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe vier Tage) verhängt, weil er am 9.7.2000 um 21.28 Uhr im Ortsgebiet von Linz, Leonfeldnerstraße 73, in Fahrtrichtung stadteinwärts, den Pkw, Kz. , mit einer Geschwindigkeit von 96 km/h gelenkt und dadurch die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 46 km/h überschritten hat. Ferner wurde gemäß § 64 VStG ein Kostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafe vorgeschrieben.   I.2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig durch den ausgewiesenen Vertreter bei der Strafbehörde eingebrachte Berufung. Der Bw bestreitet die ihm vorgeworfene Verwaltungsübertretung. Er behauptet, dass aufgrund der Tatsache, dass es sich bei dem Kennzeichen um ein Wechselkennzeichen handelt, die belangte Behörde hätte überprüfen müssen, wer tatsächlich mit dem auf dem Radarfoto abgebildeten Fahrzeug gefahren ist. Seine Lenkerauskunft habe sich lediglich auf das Lenken eines Fahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen beschränkt. Er habe niemals zugestanden, dass er das auf dem Radarfoto der BPD Linz abgelichtete Fahrzeug zu dem in der Lenkeranfrage angeführten Zeitpunkt und Ort gelenkt habe. Er habe, um die Einstellung des Verfahrens zu beschleunigen, in der Lenkerauskunft angeführt, dass er am 9.7.2000 zu einem geburtshilflichen Notfall in das Diakonissen Krankenhaus Linz gerufen wurde und aufgrund der Dringlichkeit der Situation schnellstmöglich im Krankenhaus anwesend habe sein müssen. Er habe zum Beweis seiner Ausführungen eine Bestätigung des Diakonissen Krankenhauses Linz vom 13.9.2000 mit folgendem Inhalt vorgelegt: "Auf Ihre Anfrage kann ich Ihnen bestätigen, daß Sie am 9.7.2000 gegen 21.15 Uhr zu einem geburtshilflichen Notfall ins Diakonissen-Krankenhaus Linz gerufen wurden." Er habe, sofern ihm die vorgeworfene Verwaltungsübertretung auch tatsächlich anzulasten wäre, in Ausübung rechtfertigenden Notstandes gehandelt. Der Bw stellt abschließend den Antrag auf Stattgebung der Berufung und auf ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses.   I.3. Weil im angefochtenen Straferkenntnis eine 10.000 S nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, entscheidet der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied (§ 51c erster Satz VStG).   I.4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:   Aufgrund der Anzeige der BPD Linz vom 23.7.2000 wurde der Pkw mit dem polizeilichen Kennzeichen am 9.7.2000 um 21.28 Uhr in Linz Leonfeldnerstraße 73, Fahrtrichtung stadteinwärts gelenkt. Die Anzeige wurde deshalb erstattet, weil mit einem Radargerät, Type: Multanova Radar 6 F-102, eine Geschwindigkeit von 96 km/h gemessen wurde, obwohl an der angeführten Örtlichkeit nur 50 km/h erlaubt sind. Die Bedienungsanleitung wurde beachtet und die Verkehrsfehlergrenze berücksichtigt. Zulassungsbesitzer dieses Pkw ist der Bw. Die Lenkeranfrage der belangten Behörde vom 22.8.2000 beantwortete er dahingehend, dass er selber das Fahrzeug gelenkt hat. In dieser Auskunft findet sich weiters folgender Zusatz: "Bezugnehmend auf die Fahrererhebung möchte ich folgendes mitteilen: Am 9.7.2000 wurde ich zu einem geburtshilflichen Notfall in das Diakonissen Krankenhaus Linz gerufen! Aufgrund der Dringlichkeit der Situation musste ich schnellstmöglich im Krankenhaus anwesend sein. In diesem Moment habe ich nicht auf eine Geschwindigkeitsbeschränkung geachtet, und ich ersuche Sie, von einer Anzeige abzusehen." Weiters wurde der belangten Behörde eine Bestätigung des Diakonissen Krankenhauses vom 13.9.2000 vorgelegt, welche folgenden Wortlaut hat: "Sehr geehrter Herr Dr. B! Auf Ihre Anfrage kann ich Ihnen bestätigen, dass Sie am 9.7.2000 gegen 21.15 Uhr zu einem geburtshilflichen Notfall ins Diakonissen-Krankenhaus Linz gerufen wurden." Unterschrieben ist diese Bestätigung von Herrn FV, Dipl. KHBW, Verwaltungsleiter. In der Stellungnahme des Bw vom 25.10.2000, abgegeben durch den ausgewiesenen Vertreter, wurde die Beischaffung des Radarfotos beantragt. Weiters beruft sich der Bw auf Notstand.   Der Oö. Verwaltungssenat geht im Hinblick auf die Lenkerauskunft davon aus, dass der Bw an der angeführten Örtlichkeit und zum angeführten Zeitpunkt das in Rede stehende Kfz selbst gelenkt hat. Wenn der Bw versucht, in seinem Rechtsmittel die Lenkereigenschaft zu bestreiten, so muss dieser Versuch als untauglich bezeichnet werden. Die Lenkeranfrage der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 22.8.2000 lautet ua: "Gemäß § 103 Abs.2 KFG 1967 werden Sie als Zulassungsbesitzer aufgefordert, der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land binnen zwei Wochen ab Zustellung dieses Schreibens bekanntzugeben, wer das Kraftfahrzeug, Kennzeichen am 9.7.2000 um 21.28 Uhr in Linz, Leonfeldnerstraße 73, Fahrtrichtung stadteinwärts gelenkt hat." Der Bw hat sich in seiner Auskunft unzweifelhaft selbst als Lenker bezeichnet und hat hiefür auch eine Begründung angegeben. In der Berufungsverhandlung wurde die Lenkereigenschaft sowie die Begehung der Verwaltungsübertretung in objektiver Hinsicht außer Streit gestellt. Weiters liegt ein Radarfoto vor, aus dem das Kennzeichen des in Rede stehenden Kfz eindeutig abzulesen ist. Die Lenkereigenschaft ist somit erwiesen.   Der Oö. Verwaltungssenat geht weiters von einer ordnungsgemäßen und korrekten Radarmessung aus. Einerseits wird auf die oa Anzeige verwiesen, andererseits hat der Meldungsleger in seiner Stellungnahme vom 17.11.2000 ausgeführt, dass die Verwendungsbestimmungen bei der Radarmessung selbst beachtet wurden und die Verkehrsfehlergrenze entsprechend in Abzug gebracht wurde. Die gemessene Geschwindigkeit von 101 km/h abzüglich der 5 km/h Verkehrsfehlergrenze ergibt die zur Anzeige gebrachte Geschwindigkeit von 96 km/h. Einwendungen entgegen die Messung als solche bringt der Bw nicht vor. Er räumt die Verwaltungsübertretung in objektiver Hinsicht ein.   Zur vorgebrachten Notstandssituation wird rechtlich ausgeführt:   Bei der gegenständlichen Verwaltungsübertretung handelt es sich um ein Ungehorsamsdelikt iSd § 5 Abs.1 2. Satz VStG. Danach ist Fahrlässigkeit bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder Nichtbefolgen eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand eine Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Die Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens ist dem Bw mit seinem Vorbringen jedoch nicht gelungen. Er hat zwar eine Bestätigung des Diakonissen-Krankenhauses vorgelegt, aus der zu entnehmen ist, dass er zu einem geburtshilflichen Notfall in das Diakonissen-Krankenhauses Linz vor dem Übertretungszeitpunkt gerufen wurde. Der Bw hat jedoch zu keinem Zeitpunkt - weder im erstinstanzlichen noch im Berufungsverfahren - diesen geburtshilflichen Notfall näher konkretisiert. Er hat weder eine Krankengeschichte vorgelegt, noch Name und Adresse der Patientin, zu der er gerufen wurde, bekannt gegeben. Dass ihm dies nicht möglich oder zumutbar gewesen wäre, hatte der Bw nie vorgebracht. Es muss daher von einer Schutzbehauptung ausgegangen werden.   Nach der ständigen Judikatur des VwGH hat als Merkmal des Notstandes eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben, für die Freiheit oder das Vermögen zu gelten. Unter Notstand iSd § 6 VStG kann nur ein Fall der Kollision von Pflichten und Rechten verstanden werden, in dem jemand sich oder einen anderen aus schwerer unmittelbarer Gefahr einzig und allein dadurch retten kann, dass er eine im Allgemeinen strafbare Handlung begeht; es muss sich um eine unmittelbar drohende Gefahr für das Leben, die Freiheit oder das Vermögen handeln. Ein derartiger entschuldigender Notstand liegt gegenständlich schon deshalb nicht vor, weil der Bw nie behauptet hat, dass der geburtshilfliche Notfall das Leben der Patientin unmittelbar bedrohte.   Der Bw beruft sich auch nicht auf einen entschuldigenden, sondern auf einen rechtfertigenden Notstand (Pflichtenkollision), wenn er vorbringt, dass er nicht rechtswidrig gehandelt hat und mangels Vorliegen der Rechtswidrigkeit die Frage des Verschuldens nicht mehr zu prüfen wäre. Rechtfertigender Notstand liegt jedoch nicht schon dann vor, wenn ein im Rechtssinn höherwertiges Gut vorliegt; vielmehr muss hinzutreten, dass die Rettungshandlung das einzige Mittel zur Abwendung des Nachteiles ist (VwGH 6.10.1993, 93/17/0266). Während also beim Notstand das Alternativverhalten rechtmäßig, aber wegen der Notstandssituation nicht zumutbar ist, ist im Falle einer Pflichtenkollision das Alternativverhalten ebenfalls rechtswidrig. Eine solche Pflichtenkollision ist kein Spezifikum des Verwaltungsstrafrechtes: Überall in der Rechtsordnung treten derartige Kollisionen auf. Sie werden stets danach gelöst, dass die höherwertige Verpflichtung vorgeht, wenn die Wertigkeiten gleich oder unbestimmbar sind, der Normadressat sich für eine der Verpflichtungen frei entscheiden kann. Die Übertretung der anderen Rechtspflicht wird hier keineswegs durch Notstand entschuldigt, sondern durch die Befolgung einer anderen, widerstreitenden Rechtspflicht gerechtfertigt, womit vermieden wird, dass der Rechtsunterworfene in einer Situation, in der verschiedene Rechtsnormen gegenteiliges Verhalten erfordern, iS eines Verschuldensunabhängigen, extremen Erfolgsstrafrechtes in jedem Fall bestraft wird, unabhängig davon, wie er sich verhält.   Eine solche Situation liegt jedoch gegenständlich nicht vor, weil mit der begangenen Geschwindigkeitsüberschreitung überhaupt nicht gesagt ist, dass der Bw der behaupteten Rechtspflicht des geburtshilflichen Notfalles nachkommen hätte können. In diesem Zusammenhang sind nämlich die Unwägbarkeiten des Straßenverkehrs zu berücksichtigen. Es muss die Möglichkeit der Verwicklung in einen Verkehrsunfall, eines Verkehrsstaues etc. bedacht werden. Darüber hinaus ist zu bedenken, dass sich die Patientin im Krankenhaus aufhielt. Es kann daher grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass dort eine unmittelbare ärztliche Hilfeleistungsmöglichkeit bestand. Weiters ist noch der Umstand der möglichen Beförderung eines Arztes in das Krankenhaus durch einen bevorzugten Straßenbenützer (Rettungsfahrzeug) zu berücksichtigen.   Aus dem Gesagten ergibt sich, dass gegenständlich weder ein rechtfertigender (übergesetzlicher) noch ein schuldbefreiender Notstand vorliegt.   Der Bw hat daher die ihm zur Last gelegte Verwaltungsübertretung zu verantworten.   Strafbemessung:   Die belangte Behörde hat die Strafe nach den gesetzlichen Strafzumessungskriterien iSd Gesetzes bemessen. Ein Ermessensfehler oder willkürliche Ermessensübung bei der Strafbemessung kann nicht konstatiert werden. Im Hinblick darauf, dass die Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit beinahe 100 % betrug und der gesetzliche Strafrahmen zu 40 % ausgeschöpft wurde, kann eine ohnehin nicht beantragte Herabsetzung der Strafe auch aus spezialpräventiven Gründen nicht vertreten werden.   zu II. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.   Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.   Hinweis: Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500,00 Schilling (entspricht  181,68 Euro) zu entrichten.     Dr. F r a g n e r