Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-108821/2/Br/Pe

Linz, 12.02.2003

 

 

 VwSen-108821/2/Br/Pe Linz, am 12. Februar 2003

DVR.0690392
 

 

 

E R K E N N T N I S
 

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn TP, gegen die Punkte 1. u. 2. des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 7. Jänner 2003, VerkR96-24763-2002/U, zu Recht:

I. Der Berufung wird im Punkt 1. und 2. mit der Maßgabe Folge gegeben, dass unter Anwendung des § 21 VStG von der Verhängung einer Strafe abgesehen wird.
 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 117/2002 - AVG iVm § 21, § 24, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991 zuletzt geändert durch BGBl. I Nr. 117/2002 - VStG;

 

II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

 

Rechtsgrundlage:

§ 65 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land hat mit dem o.a. Straferkenntnis über den Berufungswerber wegen der Übertretung nach § 9 Abs.1 und § 38 Abs.5 iVm § 38 Abs.1 iVm § 99 Abs.3 lit.a StVO zwei Geldstrafen (29 und 21 Euro) und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 24 und 12 Stunden verhängt, weil er am 2.10.2002 um 17.45 Uhr in Linz, auf der A7, bei Strkm 10.000, im Bereich der Abfahrt Prinz-Eugen-Straße in Richtung Norden, als Lenker des Kfz mit dem Kennzeichen 1) die Sperrlinie überfahren habe und 2) er sein Fahrzeug bei Rotlicht nicht vor der Haltelinie angehalten habe.

 

1.1. Die Behörde erster Instanz begründete ihren Schuldspruch auf die Wahrnehmung einer Besatzung eines Dienstkraftwagens des LGK f. Oö, welche aus unmittelbarer Nähe diese Wahrnehmung machte. Der Berufungswerber habe die Übertretung selbst nicht bestritten. Auf den vom Berufungswerber bereits im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens vorgelegten Behandlungsschein und die damit zum Ausdruck gebrachte "Notsituation" wurde von der Behörde erster Instanz nicht näher eingegangen. Strafmildernd wurde die bisherige Unbescholtenheit des Berufungswerbers gewertet.

 

2. In der dagegen fristgerecht erhobenen Berufung weist der Berufungswerber abermals auf die, plötzlich bei seiner Frau einsetzenden Wehen und die daraus bedingte dringende Fahrt ins Krankenhaus, bestehende Notstandssituation hin. Auf Grund der bestehenden Eile und der Angst um seine Frau und das noch ungeborene Kind habe er sich an der Kolonne vorgedrängt und das Fahrzeug nicht an der Haltelinie angehalten. Er beantragt abschließend angesichts dieses Notfalls die Strafe nochmals zu überdenken.

 

3. Da hier keine 2.000 Euro übersteigenden Geldstrafen verhängt wurden, ist der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Eine Berufungsverhandlung war hier wegen fehlender Tatsachenbestreitung nicht erforderlich (§ 51e Abs.3 VStG).

 

3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in den erstbehördlichen Verfahrensakt. Daraus geht durch den Beischluss einer Bestätigung des AKH Linz hervor, dass bei der Ehegattin des Berufungswerbers vorzeitige Wehen einsetzten. Diese "Bescheinigung einer Behandlung bzw. Untersuchung" ist mit der Tageszeit 18.27 Uhr versehen.

 

4. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

 

4.1. Gänzlich unbestritten ist hier das Tatverhalten. Aus der ergibt sich aber kein Anhaltspunkt, dass mit diesem Verhalten etwa andere Verkehrsteilnehmer gefährdet oder behindert worden wären. Das Verhalten des Berufungswerbers muss objektiv besehen als "Vordrängen" bezeichnet werden, wie es bei Rückstaus vor Fahrstreifen zum Abbiegen immer wieder zu beobachten ist.

Hier geschah dies aber offenbar nicht in einer rücksichtslosen Motivation gegenüber anderen Verkehrsteilnehmern, sondern vielmehr in wohl berechtigter Sorge um das gesundheitliche Wohl seiner Ehefrau und seines damals noch nicht geborenen Kindes. Die Darstellung des Berufungswerbers ist glaubwürdig und sein daraus erfließendes Verhalten, nämlich möglichst rasch ins Krankenhaus zu gelangen, unter Betrachtung mit humanistischen Maßstäben daher nur unschwer begreiflich.

Nach § 5 Abs.1 VStG genügt für die Strafbarkeit eines Ungehorsamsdeliktes als Verschuldensgrad wohl bereits fahrlässiges Verhalten. Eine Tat ist nicht strafbar, wenn durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.

Wenn daher - wie hier - zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der objektive Tatbestand der Verwaltungsübertretung feststeht, so hat der Täter gemäß § 5 Abs. 1 zweiter Satz VStG glaubhaft zu machen, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Ein solches zur Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens geeignetes Vorbringen kann hier im Umstand des plötzlichen Einsetzens von Wehen erblickt werden (vgl. VwGH 17.2.1992, 91/19/0328 und bei Hauer-Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, Seite 736 ff angeführte Rechtsprechung).

Der Verwaltungsgerichtshof hat dazu etwa im Erkenntnis vom 6.10.1993, 93/17/0266 ausgesprochen, dass jedenfalls die auch von der strafrechtlichen Lehre herausgearbeiteten Voraussetzungen für den (entschuldigenden) Notstand dann vorlägen, wenn:

"I. Notstandssituation: Leben und Gesundheit zweier Menschen nämlich Mutter und Kind sind gefährdet.

II. Entschuldigender Notstandshandlung: das verletzte Rechtsgut (hier das Vorbeifahren an einer Kolonne unter Missachtung der Sperrlinie und Haltelinie) ist wohl geringerwertig, als das durch den Berufungswerber durch den Eigentransport seiner Frau zum Krankenhaus in Kauf genommene geringfügige Missachtung einer Verkehrsvorschrift zu schützen versuchte Rechtsgut (Gesundheit für Ehefrau/Mutter und Kind)."

Wie der Verwaltungsgerichtshof schon wiederholt ausgesprochen hat, gehört es zum Wesen des Notstandes und demgemäß in abgeschwächter Form auch im Fall einer notstandsähnlichen Situation, dass die Gefahr in zumutbarer Weise nicht in anderer Art als durch die Begehung der objektiv strafbaren Handlung zu beheben ist (vgl. VwGH vom 5. März 1985, Zl. 84/04/0191). Das hier vorliegende Fehlverhalten kann hier wohl nicht gänzlich entschuldigt werden, weil sich der Berufungswerber auf eine Fahrt einließ, hinsichtlich welcher er aus der ex-ante Sicht mit einer möglichen Pflichtenkollision rechnen hätte müssen. Die Fahrt im Rahmen eines regulären Krankentransportes hätte in einsatzmäßiger Fahrt von der Einhaltung solcher Vorschriften befreit. Dennoch hat hier die Verwaltungsübertretung aus dem sich für den Berufungswerber ergebenden Blickwinkel einer notstandsähnlichen Situation beurteilt zu werden. Diese lässt es hier gerechtfertigt erscheinen, dass angesichts fehlender nachteiliger Tatfolgen und eines tatsächlich nur minderen Verschuldensgrades vom Rechtsinstitut des § 21 VStG Gebrauch zu machen ist.

Dieses Rechtsinstitut wurde vom Gesetzgeber geschaffen um in atypischen Fällen - und als solchen Fall muss man eine Krankenhausfahrt eines Ehepaares wegen plötzlich einsetzender Geburtswehen bei der Frau wohl betrachten - im Rahmen des Legalitätsprinzips der Einzelfallgerechtigkeit Rechnung tragen zu können (vgl. etwa VfGH 15 März 2000, G 211/98-9, sowie G 108/99 mit Hinweis auf VfSlg 14973/1997).

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
 

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.
 

 

Dr. B l e i e r
 

 
Beschlagwortung:
Geburtswehen, Vordrängen an Kreuzung

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