Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-108960/5/Fra/Ka

Linz, 05.08.2003

 

 

 VwSen-108960/5/Fra/Ka Linz, am 5. August 2003

DVR.0690392
 

 

 

E R K E N N T N I S
 
 
 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Fragner über die Berufung des Herrn HB, vertreten durch Herrn Rechtsanwalt Dr. AW, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 17.3.2003, VerkR96-1806-2002, betreffend Übertretung des § 18 Abs.1 StVO 1960, zu Recht erkannt:

 

 

Der Berufung wird stattgegeben. Das angefochtene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt; der Berufungswerber hat keine Verfahrenskostenbeiträge zu zahlen.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24 und 45 Abs.1 Z1 VStG; § 66 Abs.1 VStG.
 
 

Entscheidungsgründe:
 

1. Die Bezirkshauptmannschaft Freistadt hat mit dem in der Präambel angeführten Straferkenntnis über den Berufungswerber (Bw) wegen Übertretung des § 18 Abs.1 StVO 1960 gemäß § 99 Abs.3 lit.a leg.cit. eine Geldstrafe von 72 Euro (EFS 24 Stunden) verhängt, weil er am 10.4.2002 um 15.20 Uhr im Gemeindegebiet Linz, auf der A 7 Mühlkreisautobahn, Richtungsfahrbahn Nord, auf Höhe Strkm.15,7 den PKW, Kz: gelenkt und beim Fahren hinter dem nächst vor ihm fahrenden Fahrzeug keinen solchen Abstand eingehalten hat, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre, weil er bei einer Fahrgeschwindigkeit von 100 km/h nur einen Abstand von 19 m eingehalten hat, was einem Sekundenabstand von 0,68 sec. entspricht. Ferner wurde gemäß § 64 VStG ein Kostenbeitrag in Höhe von 10 % der verhängten Geldstrafe vorgeschrieben.

 

2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig durch den ausgewiesenen Vertreter eingebrachte Berufung. Die Bezirkshauptmannschaft Freistadt - als nunmehr belangte Behörde - sah sich zu einer Berufungsvorentscheidung nicht veranlasst und legte das Rechtsmittel samt bezughabendem Verwaltungsstrafakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vor, der, weil eine 2.000  Euro nicht übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied entscheidet (§ 51c erster Satz VStG).

 

3. Der Bw bringt ua vor, den zu geringen Sicherheitsabstand verursacht zu haben. Diesen habe er jedoch nicht verschuldet. Der durch die Fotos dokumentierte Sicherheitsabstand sei durch diese nicht erwiesen. Auf dem Videoaufzeichnungsgerät VKS 3.0 seien nur kurzfristige Handlungsabläufe ersichtlich (siehe Fotos 1 und 2 - Zeitabstand ca. 2 bis 2,5 sec.) und es könne daher die Behörde auf dem Videoband den entsprechenden Abstand vor der Messung einen Fahrstreifenwechsel keinesfalls ohne Probleme feststellen. Vielmehr richtig sei, dass zwei unmittelbar vor ihm auf dem rechten Fahrstreifen befindliche Pkw-Lenker vorschriftswidrig unter Missachtung der Einhaltung des Sicherheitsabstandes vom rechten Fahrstreifen auf den linken Fahrstreifen gewechselt haben und sich der Lenker des zweiten Pkw somit unmittelbar vor ihm so knapp eingeordnet habe, dass er seinerseits gezwungen gewesen sei, sein Fahrzeug abzubremsen, um einen Auffahrunfall zu verhindern. Durch diesen vorschriftswidrigen Fahrstreifenwechsel sei der von ihm eingehaltene Sicherheitsabstand drastisch vermindert worden. Da das Videoaufzeichnungsgerät auch die Fahrgeschwindigkeiten der Fahrzeuge messen kann, müsste auf dem Videoband auch die Geschwindigkeitsreduzierung ersichtlich sein und könne auch von der Behörde nicht widerlegt werden, dass der unmittelbar vor ihm fahrende Pkw-Lenker ein starkes Bremsmanöver durchgeführt habe, um damit die Fahrgeschwindigkeit zu reduzieren, sodass er den von ihm ordnungsgemäß eingehaltenen Sicherheitsabstand ebenfalls drastisch reduzieren habe müssen. Die Behörde verweise darauf, dass auf den Fotos kein Fahrstreifenwechsel eines Fahrzeuges im Beobachtungszeitraum erkennbar ist. Wenn man sich jedoch das Foto 1 (15.20.43.12) ansieht, erkenne man eindeutig, dass das erste Fahrzeug auf den zweiten Fahrstreifen = Überholstreifen noch zur Leitlinie zum ersten Fahrstreifen hin eingeordnet ist. Das unmittelbar vor ihm fahrende Fahrzeug habe sich bereits in seinen Sicherheitsabstand "hineingezwickt" und befinde sich bereits unmittelbar vor ihm. Da ein Fahrstreifenwechsel bei einer Geschwindigkeit von 100 km/h und mehr nicht unter einer Zeit von 2 Sekunden vorgenommen werden könne und somit nicht eindeutig auf dem Videoband ersichtlich sein könne, überdies der Sicherheitsabstand zu dem vor ihm fahrenden Fahrzeug sich bereits wieder vergrößert hatte, da der vor ihm fahrende Pkw stärker beschleunigte als er und in Folge wieder verstärkt abbremste, habe der erforderliche Sicherheitsabstand in dieser kurzen Zeitspanne von ihm überhaupt nicht mehr hergestellt werden können, anderenfalls er seinerseits ein unnötiges stärkeres Bremsmanöver durchführen hätte müssen. Da er jedoch nach dem Bremsvorgang seine dadurch reduzierte Geschwindigkeit weiter beibehalten habe, andererseits der vor ihm fahrende Fahrzeuglenker jedoch wieder stärker beschleunigte, wäre der Sicherheitsabstand in ca. 2 bis 3 Sekunden wieder auf einen ordnungsgemäßen Sicherheitsabstand hergestellt worden.

 

Der Zeuge S, BPD Linz, legt in seiner Zeugenaussage dar, dass von keinem Fahrzeug auf der Beobachtungsstrecke ein Fahrstreifenwechsel durchgeführt worden ist. Der Zeuge habe jedoch, wenn er sich in seinem Fahrzeug befindet und die Messung in diesem vornehme, nur die Beobachtungsstrecke der Kameras im Blickfeld und sei dieses jedoch auf eine bestimmte Fahrstrecke ausgerichtet und somit relativ begrenzt. Über diese Beobachtungsstrecke hinausgehende Verkehrsvorgänge vorher habe der Zeuge jedoch nicht wahrnehmen können und könne somit vom Zeugen nicht dargelegt werden, dass der von ihm dargelegte Fahrstreifenwechsel nicht doch vorher stattgefunden habe. Der Zeuge mag somit sicherlich vermeinen, dass er einen Fahrstreifenwechsel nicht vorgenommen habe, doch diese Aussage könne sich nur auf den von ihm dienstlich beauftragten Bereich der Messung im Beobachtungsbereich beziehen. Dieser Beobachtungsbereich sei jedoch ein relativ geringer Fahrbahnteil und könne somit überhaupt nicht aussagekräftig hinsichtlich einer davor begonnenen und fortgeführten Handlung sein.

 

Bei dem von der Behörde verwendeten Messgerät "Videoaufzeichnungsgerät VKS 3.0" stelle sich auch die Frage, ob an diesem eine entsprechende gesetzliche Messeichung vorgenommen wurde bzw. vorhanden ist, insbesondere dessen, da es hinsichtlich der Verwendung dieser Geräte überhaupt noch keine Erfahrungswerte hinsichtlich deren Genauigkeit sowie genaue Richtlinien hinsichtlich Aufstellungsmöglichkeit, Lichteinfall, Blendwirkung, Abweichungen durch Blendeinwirkung von Tageslicht/Sonne und dgl. gebe.

 

4. Aufgrund des Vorbringens des Bw hat der Oö. Verwaltungssenat ein verkehrstechnisches Gutachten darüber eingeholt, ob die vom Bw vorgebrachte Version technisch möglich und bejahendenfalls nachvollziehbar ist. Der Sachverständige wurde auch ersucht, im Gutachten über die vom Bw relevierte Eichung des Messgerätes einzugehen.

 

Das vom KFZ-technischen Amtssachverständigen Herrn Ing. Hagen erstattete Gutachten vom 23.7.2003, AZ. VT-010191/14-2003-Hag, lautet wie folgt:

 

"Gutachten: Das im gegenständlichen Fall verwendete Geschwindigkeits- und Abstandsmeßsystem VKS 3.0 wird bundesweit in Österreich und z.B. auch in Deutschland und Holland verwendet und ist dort bei Gerichtsverfahren als Beweismittel zugelassen. Das verwendete Meßsystem ist eichfähig. Das im gegenständlichen Fall verwendete Meßsystem gilt lt. beiliegenden Eichschein seit dem 18. Juli 2002 entsprechend den österreichischen Bestimmungen als geeicht. Die beeinspruchte Messung wurde am 10.4. 2002 vorgenommen. Ob das verwendete Meßsystem für die Eichung "justiert" werden mußte oder das Meßsystem ohne "Nachjustierung" geeicht werden konnte, ist nicht bekannt. Die Auswertung bzw. die Abstandsmessung erfolgt auf Grund einer Videoaufzeichnung. Die auf Grund der vorliegenden Videofotos einsehbare Streckenlänge beträgt ca. 260 m. Die gegenständliche Videoaufzeichnung wurde lt. mündl. Auskunft der Bundespolizeidirektion Linz, Abt. TVÜG, Rev. Insp S, nicht archiviert und steht daher nicht mehr zur Verfügung.

 

Seit Mai bzw. Juni 2002 werden die Videobänder der angezeigten Fälle auf Grund eines Erlasses des BMI für drei Jahre archiviert, so das bei Einsprüchen die entsprechende Videosequenz für Auswertungen zur Verfügung steht.

 

Da der die Messung durchführende Beamte entsprechend geschult ist und mit dem computerunterstützten und dem von der verwendeten Software zusätzlich überwachten Meßsystem vertraut ist, liegt kein erkennbarer Grund für eine unsachgemäße Auswertung der Videoaufnahmen vor.

Ein Fehlauswertung wird von der Software erkannt und sofort wieder gelöscht. Ein Ausdruck, wie im vorliegenden Fall kann nur dann gemacht werden, wenn die Software keinen Auswertefehler erkennt. Die vorgeworfene Geschwindigkeit sowie der vorgeworfene Sicherheitsabstand sind zu Gunsten des Beschuldigten vom Auswerteprogramm gerundet. Bei Vorliegen der Videoaufzeichnung wäre eine genauere Handauswertung möglich. Daraus ergibt sich mit Sicherheit ein kleinerer Sicherheitsabstand und eine höhere Fahrgeschwindigkeit, als die automatisierte Auswertung ergab.

 

Auf Grund der vorliegenden Fotos, die in einem Zeitabstand von ca. 2 Sekunden aufgenommen wurden, kann festgestellt werden, das auf der in Fahrtrichtung gelegenen rechten Fahrspur zwei PKW´s relativ knapp hintereinander fahren. Da ein Ausdruck der Messung erfolgen konnte, müssen die erforderlichen Messbedingungen eingehalten worden sein. D.h. der Abstand zwischen zwei Abstandsmessungen in Bezug auf das auffahrende Fahrzeug betrug mind. 80 m und der Geschwindigkeitsunterschied zwischen den beiden hintereinader fahrenden PKW war während der beiden Messungen nicht größer als 5 %. Bei 100 Km/h war der gemessene Geschwindigkeitsunterschied daher max. 5 Km/h. Wenn man den Beobachtungszeitraum von ca. 2 s zugrundelegt, ergibt sich im Sinn des auffahrenden PKW´s eine max. Fahrzeugverzögerung von ca. 0,7 m/s2. Ca. 0,7 m/s2 stellen bei erhöhter Aufmerksamkeit eine untere Grenze der fühlbaren (vestibulären ) Wahrnehmbarkeit einer Verzögerung dar.

 

Der am Video dargestellte Beobachtungszeitraum betrug ca. 8 s bis 10 s. Das ergibt sich aus der einsehbaren Strecke und einer unterstellten Durchschnittsgeschwindigkeit von ca. 100 Km/h. Da der für den auswertenden Beamten vorgelegene Beobachtungszeitraum bei ca. 8s- 10 s gelegen sein muß, kann ein unzulässiges Verkürzen des Sicherheitsabstandes z.B. durch ein plötzlich herausfahrendes Fahrzeug nicht ausgeschlossen werden, aber es kann davon ausgegangen werden, dass ein dadurch benachteiligtes Fahrzeug nicht gemessen wird, da der Beamte die Möglichkeit hat sich die Videoaufzeichnung mit dem Verstoß beliebig oft anzusehen und die Auswertung erst durchzuführen, nachdem eventuelle Unklarheiten ( z.B. plötzliches Herausfahren oder Abbremsen des Vordermannes ) sicher geklärt worden sind.

 

Die Ausführungen des Rechtsanwaltes, dass auf dem Foto 1 erkennbar ist, dass das erste Fahrzeug noch zur Leitlinie hin eingeordnet ist, um daraus den Schluß eines Fahrstreifenwechsels zu ziehen, können nicht nachvollzogen werden. Fahrpurabweichnugen bis zu 0,6 m sind für einen "Normalfahrer" auf Grund diverser wissenschaftlicher Erkenntnisse bestätigt (Veröffentlichung in der Fachzeitschrift: Verkehrsunfall Ausgabe ) Ob sich das unmittelbar vor dem Beschuldigten befindliche Fahrzeug "herausgedrängt" hat kann ohne Videoaufzeichnung nicht sicher festgestellt werden. Unterstellt man zwischen dem herausdrängenden PKW ( ca. 130 Km/h ) und dem auffahrenden PKW (ca. 100 Km/h) einen Geschwindigkeitsunterschied von 30 Km/h, so benötigt der Herausfahrende ca. 16m Relativweg um auf die Überholspur zu wechseln. Der herausfahrende PKW benötigt, wenn er vor dem Herausfahren etwa auf gleicher Höhe mit dem PKW des Beschuldigten war, einen Gesamtweg von ca. 75 m. Wenn das Herausfahren im Beobachtungsbereich ( ca. 260 m) der Videokamera lag, hätte der Polizeibeamte das am Bildschirm sehen können. Wenn das Herausfahren vor dem Erfassungsbereich der Kammera passierte, dann fuhr der Beschuldigte eine nicht in ihrer Gesamtheit bestimmbaren Zeit hinter dem "Herausgefahren" nach, ohne den Sicherheitsabstand wieder entsprechend zu vergrößern.

 

Zusammenfassend ist daher festzuhalten, daß das Meßsystem zum Zeitpunkt der Messung noch nicht geeicht gewesen ist und auf Grund der fehlenden Videoaufzeichnung das tatsächliche Fahrverhalten der Beteiligten aus technischer Sicht mit den vorhandenen Unterlagen nicht genauer als dargestellt analysiert werden kann."

 

Laut ausnahmsweiser Zulassung zur Eichung, GZ. 3192/2002 vom 4.6.2002 des Bundesamtes für Eich- und Vermessungswesen, handelt es sich beim gegenständlichen Gerät der Bauart VKS 3.0 um ein Geschwindigkeitsmessgerät. Dieses Gerät war - wie sich aus dem oa Gutachten ergibt, zur Tatzeit noch nicht geeicht. Sohin kann ungeachtet der begründeten Ausführungen des Amtssachverständigen, der im oa Gutachten die Argumente des Bw im Wesentlichen fachlich widerlegt hat, nicht mit der für ein Verwaltungsstrafverfahren erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass der Bw tatbildlich gehandelt hätte. Da das Messgerät zur Tatzeit noch nicht geeicht war, kommt ihm keine ausreichende Beweiskraft zu.

 

Aus den genannten Gründen war spruchgemäß zu entscheiden.

 
5. Die Kostenentscheidung ist gesetzlich begründet.
 

Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.
 

Dr. F r a g n e r

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