Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-109425/18/Bi/Be

Linz, 29.07.2004

 

 

 VwSen-109425/18/Bi/Be Linz, am 29. Juli 2004

DVR.0690392
 

 

 

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Karin Bissenberger über die Berufung des Herrn F P, vom 25. November 2003 gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Freistadt vom 11. November 2003, VerkR96-1504-2003-GG, wegen Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, aufgrund des Ergebnisses der am 28. Juni 2004 durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung (samt schriftlicher Ergänzung) zu Recht erkannt:
 

 

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren ohne Vorschreibung von Verfahrenskostenbeiträgen eingestellt.

 

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51i, 45 Abs.1 Z2 und 66 VStG

 

 

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wurde über den Beschuldigten wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß §§ 19 Abs.7 iVm 19 Abs.6 und 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe von 72 Euro (24 Stunden EFS) verhängt, weil er am 13. Februar 2003 um 7.18 Uhr im Gemeindegebiet E auf der B125 auf Höhe Strkm 10.570 (Bushaltestelle S) in FR Linz als Lenker des Omnibusses von der Postbus-Haltestelle S kommend den im fließenden Verkehr auf der B125 fahrenden Fahrzeuglenker durch Einordnen zum unvermittelten Abbremsen seines Fahrzeuges genötigt habe.

Gleichzeitig wurde ihm ein Verfahrenskostenbeitrag von 7,20 Euro auferlegt.

 

 

 

2. Dagegen hat der Berufungswerber (Bw) fristgerecht Berufung eingebracht, die seitens der Erstinstanz ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt wurde. Da keine 2.000 Euro übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, war durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden (§ 51c VStG).

Am 28. Juni 2004 wurde an Ort und Stelle eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung in Anwesenheit des Bw, seines Arbeitgebers und Vertreters H W, des Vertreters der Erstinstanz G G, des Meldungslegers RI R T (Ml) und des technischen Amtssachverständigen Ing. R H (SV) durchgeführt. Auf die mündliche Verkündung der Berufungsentscheidung wurde verzichtet.

3. Der Bw macht im Wesentlichen geltend, er befahre die Linie im Auftrag der Post und müsse bei der dortigen Haltestelle Fahrgäste aufnehmen. Dass an dieser unübersichtlichen Stelle eine Haltestelle konzessioniert worden sei, liege nicht an ihm. Da hier eine Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h erlaubt sei, sei es für ihn wirklich schwierig, aus der Haltestelle trotz Überzeugung durch den Rückspiegel und ordnungsmäßigem Blinken hinauszufahren, ohne dass der ankommende Verkehr fallweise zur Geschwindigkeitsreduzierung gezwungen sei. Weiters sei der Bus sowohl hinten wie auch vorne mit der Tafel "Schülertransporte" gekennzeichnet.

Da er keine andere Möglichkeit habe, unter den vorgegebenen Sichtverhältnissen die Haltestelle zu verlassen und trotz seiner ordnungsgemäßen Prüfung im Rückspiegel und durch Blinken keinen nachfolgenden Verkehr ausmachen könne, fühle er sich nicht schuldig. Er fahre seit drei Jahren täglich die Linie und es habe bis heute weder eine Beschwerde noch einen Unfall gegeben. Er beantrage einen Lokalaugenschein, da hier sicherlich der an ihn gerichtete Vorwurf eingestellt werde.

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung an der genannten Bushaltestelle, bei der beide Parteien gehört, der Ml zeugenschaftlich befragt und ein technischen SV-Gutachten zu den örtlichen Gegebenheiten der Haltestelle, insbesondere den Sichtverhältnissen beim Verlassen der Haltestelle und der Nachvollziehbarkeit der Aussagen aus technischer Sicht eingeholt wurde, das nachträglich durch den SV anhand von Fotos ergänzt wurde. Diesbezüglich wurde schriftlich Parteiengehör gewahrt.

Das Beweisverfahren hat ergeben, dass der Bw, der bei der Fa. W Reisen GesmbH, als Busfahrer beschäftigt ist und die Linie mit dem 11 m langen Autobus FR- von Götschka nach Linz im Auftrag der Post täglich befährt, am 13. Februar 2003 gegen 7.15 Uhr bei der Haltestelle S gehalten hat, um dort wartende Fahrgäste, insbesondere Schüler, aufzunehmen.



Die do Haltestelle liegt an der B bei km Fahrtrichtung Linz. Dort beschreibt die B aus Richtung G kommend eine langgezogene, unmittelbar vor dem Haltestellenbereich rechts durch eine Wiesenböschung mit vereinzeltem Baumbewuchs begrenzte unübersichtliche Rechtskurve, an deren Ende die Haltestellenbucht gelegen ist. Am Beginn der Kurve aus der damaligen Fahrtrichtung sowohl des Bw als auch des Ml gesehen mündet links die aus Schweinbach kommende Straße in die bevorrangte B ein, wobei dort am Morgen zahlreiche Fahrzeuge auf die Möglichkeit zum Einbiegen in die B in Richtung Linz warten. Im gesamten Kurvenbereich besteht eine durch Verkehrszeichen gemäß § 52a Z10a StVO 1960 kundgemachte Geschwindigkeitsbeschränkung auf 70 km/h.

Der Bw hielt den Bus im Haltestellenbereich so an, dass er mit der vorderen, auf Höhe des Fahrersitzes befindlichen Tür direkt vor dem Wartehäuschen zum Stehen kam; dies zum einen, um die dort wartenden Personen nur bei dieser Tür einsteigen zu lassen, um gleich deren Fahrausweise zu kontrollieren, und zum anderen, um den Weg der von der links der B gelegenen Siedlung, die mittels Unterführung einen direkten Zugang zur Haltestelle hat, kommenden Personen möglichst kurz zu halten.

Nach übereinstimmenden Aussagen war das morgendliche Verkehrsaufkommen in Richtung Linz so wie an einem Wochentag üblich, dh aus Richtung S warteten mehrere Fahrzeuge, in Richtung Linz herrschte mäßiger Berufsverkehr ohne Stau und ohne Kolonne.

Der Ml war Lenker eines Gendarmeriefahrzeuges, das von Gallneukirchen kommend in Richtung Linz fuhr. An die konkret eingehaltene Geschwindigkeit konnte sich der Ml nicht mehr erinnern, gab aber an, es seien sicher weniger als 70 km/h gewesen, weil sein Kollege und er im Rahmen der Verkehrsüberwachung unterwegs waren.

Nach der Schilderung des Ml, dem die mit dieser Bushaltestelle verbundene schwierige Situation wohl bewusst ist, hat dieser, als er aus der Kurve kam, den Bus in der Haltestelle rechts stehen gesehen; Kinder haben sich zu dieser Zeit nicht mehr auf der Fahrbahn befunden. Der Bus hatte weder die Warnblinkanlage noch den Blinker eingeschaltet, blinkte aber beim Wegfahren aus der Haltestelle. Nach eigenen Angaben blieb ihm nur mehr übrig, eine starke Bremsung bzw Vollbremsung einzuleiten, als er erkannte, dass der Bus losfuhr. Hätte er das nicht getan, wäre er mit dem linksseitigen hinteren Teil des Busses zusammengestoßen. Den verbleibenden Abstand zwischen Gendarmeriefahrzeug und Bus konnte er nicht eingrenzen. Er sei aber nicht ausgewichen, sondern auf seinem Fahrstreifen hinter dem Bus geblieben. Dieser sei fast ohne Beschleunigung aus der Haltestelle und dann in Richtung Linz weitergefahren. Eine Anhaltung des Busses ist nicht erfolgt.

Der Ml hat dezidiert bestätigt, er habe, als er aus der Kurve gekommen sei, den Bus ohne Blinken stehen gesehen und dann, als er bemerkt habe, dass dieser wegfahren werde, sofort zu bremsen begonnen.



Nach Aussage des Bw ist ihm das Gendarmeriefahrzeug erst aufgefallen, als er es annähernd auf Höhe des Lenkersitzes neben sich wahrgenommen hat. Vor dem Verlassen der Haltestelle habe er links geblinkt, in den Rückspiegel gesehen, wobei die Sicht durch die unübersichtliche Kurve in Richtung auf den aus G ankommenden Verkehr sehr eingeschränkt sei, und sei dann ganz langsam weggefahren. Allerdings gab er zu bedenken, dass der eingeschaltete Blinker beim Geraderichten des Busses automatisch zurückspringe und abschalte. Der Bw bestätigte, er habe kein Bremsgeräusch gehört, aber im Moment des Wegfahrens sei auf einmal das Gendarmeriefahrzeug da gewesen und es sei relativ knapp gewesen. Das sei aber nicht nur im gegenständlichen Fall so, sondern sei ein geradezu "üblicher" Vorgang. Ihm werde oft von Lenkern bei dieser Situation der Mittelfinger gezeigt und er werde angehupt und beschimpft, weil hier einfach die Sichtverhältnisse so schlecht seien, dass er keine andere Möglichkeit habe. Da es sich aber um eine genehmigte Haltestelle handle, müsse diese anfahren.

Der Bw vertrat zunächst die Meinung, das Gendarmeriefahrzeug sei dem Bus ausgewichen und habe sich dabei schon auf der Gegenfahrbahn befunden, was vom Ml bestritten wurde und auch logischerweise nicht der Fall gewesen sein kann, weil es sich dann beim Weiterfahren vor dem Bus befunden haben müsste. Es stellte sich dann heraus, dass sich der Bw daran nicht mehr konkret erinnern konnte.

Der SV hat die Örtlichkeit vermessen und festgestellt, dass die Breite der Bushaltestelle im Bereich des Wartehauschens 2,80 m beträgt. In Bezug auf die Sichtverhältnisse in der Halteposition des Busses (vordere Tür auf Höhe des Wartehäuschens) hat er eine Sicht nach hinten über den linken Außenspiegel von letztlich maximal 30 m vom Lenkerplatz des Busses aus festgestellt. Unterstellt man dem ankommenden Gendarmeriefahrzeug eine Geschwindigkeit von ca 50 km/h und eine Reaktionszeit von ca einer Sekunde, ergibt sich ein Anhalteweg von knapp unter 30 m, nämlich 27,5 m. Unterstellt man, dass der Bus langsam aus der Bushaltestelle beschleunigt, kann man in diesem Zeitraum (Reaktionszeit des Gendarmeriefahrzeuges) einen Weggewinn von 1 bis 2 m unterstellen. Wurde das Gendarmeriefahrzeug durch die starke Bremsung abgebremst, bestand zwischen dem Heck des Busses und dem Gendarmeriefahrzeug ein Tiefenabstand von 5 bis 6 m. In Bezug auf diese Konstellation hat der SV eine starke Bremsung bzw Notbremsung des Gendarmeriefahrzeuges für nachvollziehbar erachtet. Unter der Voraussetzung des angegebenen Standortes des Busses hat der SV festgestellt, dass vom ankommenden Gendarmeriefahrzeug der Bus früher zu sehen war als der Buslenker über den linken Außenspiegel das Gendarmeriefahrzeug wahrnehmen hätte müssen.

Festgestellt wurde weiters, dass in den Bus in G üblicherweise so viele Kinder einsteigen, dass ein Teil von ihnen bis A im rückwärtigen Teil des Busses stehen muss. Dadurch ist das Sichtfeld über den Innenspiegel eingeschränkt.

 



Der SV hat weiters ausgeführt, dass bei einer Geschwindigkeit des ankommenden Gendarmeriefahrzeuges von ca 50 km/h, 1 Sekunde Reaktionszeit für beide, einem Anhalteweg des Ml von rechnerisch 27,5 m und bei einer Sicht des Buslenkers von 30 m nach hinten aufgrund der Lage der Haltestelle am Ende der Kurve das ankommende Gendarmeriefahrzeug eine starke Bremsung auch dann einleiten musste, wenn sich der Buslenker auf die Fahrbahn "hinausgetastet" hat. Unter Berücksichtigung der Reaktionszeit sowohl des Bw als auch des Ml in einer Größenordnung von 1 Sekunde wäre keine andere Verhaltensweise des Ml zu erwarten gewesen als eine starke Bremsung bzw Notbremsung, wobei dabei - in der Natur nachvollziehbar - unterstellt wird, dass der Bw beim ersten Spiegelblick das ankommende Fahrzeug im linken Außenspiegel noch nicht wahrnehmen hätte können.

Da während der Verhandlung Postbusse, die allerdings mit ca 15 m länger sind als der vom Bw gelenkte ca 11 m lange Bus, die Haltestelle anfuhren, war es möglich, die Sichtverhältnisse nach hinten auf der linken Seite in der Natur nachzuvollziehen. Beim Verlassen der Haltestelle durch einen Postbus während der Verhandlung kam es in Bezug auf einen aus Richtung G ankommenden bevorrangten Pkw zu einer ähnlichen Situation wie im gegenständlichen Fall dargelegt.

Der SV hat, da nach Beendigung der Verhandlung ein weiterer Postbus die Haltestelle anfuhr - dessen Lenker im Übrigen sofort seinem auf schlechten Erfahrungen gegründeten Wunsch auf Verlegung der ungünstig gelegenen Haltestelle Ausdruck verlieh - die Sicht vom Lenkerplatz aus nach hinten nachvollzogen und das Gutachten am Beispiel des 3-achsigen Postbusses ergänzt:

Demnach steht fest, dass durch den Fahreraußenspiegel des Busses ein Fahrbahnbereich von maximal 30 m einzusehen ist, während die Sicht auf den in der Busbucht stehenden Bus für den von hinten ankommenden Verkehr ca 50 m beträgt.

Legt man die im Kurven- bzw Haltestellenbereich durch Verkehrszeichen gemäß § 52a Z10a StVO 1960 erlaubte Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h zugrunde, beträgt der Anhalteweg für einen Pkw mit 70 km/h bei einer Notbremsung (ca 7 m/s², Reaktionszeit ca 1 s) ca 46 m.

Wenn der Buslenker den Blinker zum Ausfahren aus der Busbucht setzt, kann es sein, dass ein ankommender Pkw zum Bus nur mehr einen Tiefenabstand von 30 m hat. In Bezug auf das Heck des Busses ergibt sich ein reduzierter Anhalteweg von ca 20 m, da die Länge des Busses ca 10 bis 12 m beträgt.

Ohne Reaktionszeit würde der Bremsweg von 30 m bzw 20 m bei einer Vollbremsung ( ~ 7 m/s²) einer Ausgangsgeschwindigkeit von ca 70 km/h bzw 60 km/h entsprechen. Da in diesem Weg aber der erforderliche Reaktionsweg nicht berücksichtigt ist, müsste die gefahrene Geschwindigkeit unter der erlaubten Höchstgeschwindigkeit (70 km/h) liegen. Im Bereich der Bushaltestelle ergeben sich



durch das Ausfahren der Busse immer wieder prekäre Situationen für den Bus bzw den ankommenden Verkehr.

Für den Buslenker wird die Sicht nach hinten durch den Innenspiegel nicht verbessert, weil er die Fahrbahn hinter dem Bus nicht einsehen kann - der Bw hat bestätigt, er sehe durch den Innenspiegel nur den oberen Bereich der Fahnenstangen der nach der Kreuzung der B125 mit der aus Schweinbach kommenden Straße gegenüber der Bushaltestelle befindlichen Tankstelle. Da sich im Bus hinten noch eine Sitzreihe befindet und das rückwärtige Fenster erst darüber beginnt, besteht keine Sicht auf von hinten ankommende Pkw.

Der SV hat weiters dokumentiert, dass der Blick durch den rechten Außenspiegel aufgrund der Örtlichkeit der ggst Busbucht, nämlich der unübersichtlichen Kurve, ebenfalls keine Verbesserung der Sichtverhältnisse für den Buslenker ergibt. Er kann wohl den in Verlängerung der Haltestelle befindlichen Gehsteig, insbesondere in Bezug auf hinten einsteigende Fahrgäste einsehen, jedoch nur einen kleinen Teil der Fahrbahn.

Insgesamt gelangt der SV zum Ergebnis, dass der Buslenker an der ggst Haltestelle praktisch nur über den linken Außenspiegel die Fahrbahn nach hinten einsehen kann und sich dabei ein Sichtbereich von der Höhe des Lenkersitzes von ca 30 m ergibt.

Die ergänzenden SV-Ausführungen, die durch entsprechende Fotos dokumentiert sind, wurden dem Bw und der Erstinstanz mit der Einladung zur Abgabe einer abschließenden Äußerung zur Kenntnis gebracht. Seitens der Erstinstanz ist eine Stellungnahme dazu nicht erfolgt - der Vertreter der Erstinstanz hat in der Verhandlung trotz der ausdrücklich festgestellten Sichtverhältnisse darauf beharrt, wenn der Ml den Bus gesehen habe, hätte auch der Bw das Gendarmeriefahrzeug "irgendwann im Zuge seines Ausfahrmanövers aus der Haltestelle" wahrnehmen und bremsen müssen.

Der Bw hat sich mit Schriftsatz vom 20. Juli 2004 insofern geäußert, dass beim Bus die beiden für den Schülertransport vorgeschriebenen Leuchten blinken, sobald die vordere Tür geöffnet wird bis zu deren Schließen; das müsste der Ml gesehen haben. Er könne im Innenspiegel unmöglich aus dem hinteren Fenster den nachkommenden Verkehr sehen, da das Fenster erst in einer Höhe von 2,20 m beginne und nur 0,80 m hoch sei. Davon habe er sich nochmals überzeugt. Die Haltestelle sei von der Landesregierung/Abt.Verkehr an einer so unübersichtlichen Stelle genehmigt worden und er habe dort Schüler aus- und einsteigen zu lassen, wobei es trotz größter Vorsicht vorkommen könne, dass ein Fahrzeug abbremsen müsse - bei höchstens 50 km/h wäre seiner Ansicht nach eine "Vollbremsung" nicht erforderlich gewesen, noch dazu wenn der Ml die dortige Situation kenne, wie er selbst gesagt habe. Man könne nichts "Unmögliches" genehmigen und dann den Betroffenen zur Verantwortung ziehen.

 

 

In rechtlicher Hinsicht hat der Unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

Gemäß § 99 Abs.3 StVO 1960 begeht ua eine Verwaltungsübertretung und ist zu bestrafen, wer ua als Lenker eines Fahrzeuges gegen die Vorschriften dieses
Bundesgesetzes oder der auf Grund dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen verstößt und das Verhalten nicht nach den Abs.1, 1a, 1b, 2, 2a, 2b oder 4 zu bestrafen ist.

Gemäß § 19 Abs.7 StVO 1960 darf der Wartepflichtige durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Vorrangberechtigten weder zu unvermitteltem Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen.

Gemäß § 19 Abs.6 StVO 1960 haben Fahrzeuge im fließenden Verkehr den Vorrang gegenüber Fahrzeugen, die von Nebenfahrbahnen, von Fußgängerzonen, von Wohnstraßen, von Haus- oder Grundstücksausfahrten, von Garagen, von Parkplätzen, von Tankstellen, von Feldwegen oder dgl kommen.

Der vorbeiflutende Verkehr genießt gegenüber den am Straßenrand abgestellten Fahrzeugen den Vorrang. Bei der Beurteilung der Frage, ob den im Fließverkehr befindlichen Verkehrsteilnehmern der Vorrang nach Abs.6 zukommt, kommt es nicht entscheidend darauf an, ob das Fahrzeug, das in den Fließverkehr eingeordnet wird, gehalten, geparkt oder nur angehalten hatte; maßgebend ist nur, ob für die Teilnehmer des fließenden Verkehrs wahrnehmbar ist, dass der Stillstand des Fahrzeuges weder durch die Verkehrslage noch durch sonstige wichtige Umstände erzwungen war (vgl OGH 23.6.1976, 8 Ob 95/76).

Dass zwischen einem eine Bundesstraße befahrenden Kfz-Lenker und dem Lenker eines Omnibusses, der die Absicht hat, aus der parallel zur Bundesstraße verlaufenden Haltestellenbucht herauszufahren und sich in den Verkehr auf der Bundesstraße einzuordnen, die Fließverkehrsregel anzuwenden ist, steht außer Zweifel.

Grundsätzlich hat der Bw das ihm zur Last gelegte Fahrverhalten, nämlich das Verlassen der Haltestellenbucht mit dem von ihm gelenkten Omnibus in der Weise, dass der im fließenden Verkehr auf dem rechten Fahrstreifen der B125 in Richtung Linz fahrende Ml zum unvermittelten, dh plötzlichen und unvorhergesehenen, Abbremsen des von ihm gelenkten Gendarmeriefahrzeuges genötigt wurde, um einen Zusammenstoß mit dem hinteren seitlichen Teil des Busses zu vermeiden, nicht bestritten. Der Bw hat selbst bestätigt, es sei "knapp gegangen".

Die Bestimmung des § 26a Abs.2 StVO, wonach Omnibussen des Kraftfahrlinienverkehrs im Ortsgebiet das ungehinderte Abfahren von gekennzeichneten Haltestellen zu ermöglichen ist, sobald der Lenker mit dem Fahrtrichtungsanzeiger eine solche Absicht anzeigt, ist nicht anzuwenden.

Ebenso wenig anzuwenden ist die Bestimmung des § 17 Abs.2a StVO, wonach das Vorbeifahren an einem Fahrzeug, an dem hinten eine gelbrote Tafel mit der

bildlichen Darstellung von Kindern angebracht ist, und bei dem die Alarmblinkanlage und gelbrote Warnleuchten eingeschaltet sind, verboten ist. Das Beweisverfahren hat ergeben, dass die Warnblinkanlage des Busses nicht eingeschaltet war.

Nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens ist davon auszugehen, dass der Bw als Lenker des im Linienverkehr die Haltestelle Schweinbach anfahrenden Busses zunächst die wartenden Schüler bei dessen vorderen Tür einsteigen ließ, dann die vordere Tür schloss, den linken Blinker betätigte - zur Rechtzeitigkeit der Betätigung des Fahrtrichtungsanzeigers war kein Beweisverfahren durchzuführen, weil sich der Tatvorwurf darauf nicht bezog - und nach einem Blick in den linken Außenspiegel, bei dem ihm das aus Richtung G ankommende Gendarmeriefahrzeug bei den dort örtlich bedingten Sichtverhältnissen nicht auffiel, mit geringer Beschleunigung die Ausfahrt aus der Haltestellenbucht in Fahrtrichtung Linz begann.

Der Bw macht als Hauptargument für die beantragte Aufhebung des Straferkenntnisses geltend, er habe im Rahmen des Linienverkehrs die Haltestelle anzufahren gehabt, um die dort wartenden Schüler aufzunehmen, habe sich aber beim Ausfahren aus der Haltestelle nicht anders verhalten können, als er es getan habe, weil die aus Richtung G verlaufende Rechtskurve, an deren Ende die Bushaltestelle liege, derart unübersichtlich sei, dass ihm ein rechtzeitiges Erkennen eines im fließenden Verkehr aus der Kurve ankommenden Fahrzeuges und damit eine rechtzeitige Reaktion, nämlich ein Unterlassen oder Abbrechen des Vorgangs des Einordnens in den fließenden Verkehr, nicht möglich sei.

Gemäß § 5 Abs.1 VStG genügt, wenn - wie im gegenständlichen Fall - eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nichts anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiters anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Die Voraussetzungen des § 5 Abs.1 VStG lagen im gegenständlichen Fall insofern vor, als nach den Berechnungen des SV nachvollziehbar eine Vorrangverletzung durch das Ausfahren aus der Haltestelle und Einordnen des Busses auf den rechten Fahrstreifen der B125 durch den Bw insofern tatsächlich stattfand, als der Lenker des in die gleiche Fahrtrichtung an der Haltestellenbucht vorbeifahrenden Gendarmeriefahrzeuges durch das Einordnen des Busses auf seinen Fahrstreifen zum unvermittelten Abbremsen des von ihm gelenkten Fahrzeuges genötigt wurde. Ein Schaden ist nicht Tatbestandsmerkmal des § 19 StVO und auch nicht eingetreten, da ein Zusammenstoß durch die vom Ml eingeleitete Vollbremsung vermieden werden konnte.

Der Bw hat mangelndes Verschulden aufgrund der ungenügenden Sicht auf den von hinten ankommenden Verkehr insofern geltend gemacht, als er sogar bei Einhaltung eines zumutbaren Alternativverhaltens keine Möglichkeit gehabt habe, diese
Vorrangverletzung zu verhindern. Er hat geltend gemacht, beim Verlassen der Haltestelle schon aufgrund der Masse des Omnibusses nur mit geringer Beschleunigung ganz langsam in die B eingefahren zu sein in dem Bewusstsein, dass dem Fließverkehr in diesem Bereich eine Höchstgeschwindigkeit von immerhin 70 km/h erlaubt ist, auch wenn dort üblicherweise etwas langsamer gefahren wird. Beim Blick in den linken Außenspiegel habe er beim langsamen Hinausfahren das ankommende Gendarmeriefahrzeug noch nicht sehen können.

Der SV hat dieses Argument beim Ortsaugenschein und Prüfung der Sichtverhältnisse vom Lenkerplatz eines Autobusses aus nachvollzogen und die Glaubwürdigkeit der Verantwortung des Bw einwandfrei bestätigt. Demnach konnte der Bw bei einer Sicht entlang des Busses nach hinten von nur ca 30 m das vom Ml gelenkte Kfz erst später sehen als der Ml das Wegfahren des Busses, da der Ml aus der Kurve kommend eine Sichtweite von ca 50 m zur Verfügung hatte.

Eine Vorrangverletzung kann nur dann vorliegen, wenn der Wartepflichtige im Zeitpunkt des Einbiegens tatsächlich in der Lage war, zu erkennen, dass er gegenüber dem anderen Fahrzeug wartepflichtig ist. Eine Vorrangverletzung ist dann nicht gegeben, wenn das die bevorrangte Fahrbahn benützende Fahrzeug noch nicht wahrnehmbar ist (vgl OLG Wien 9.3.1976, 15 Bs 57/76).

Sind beim Einfahren aus einer Verkehrsfläche im Sinne des § 19 Abs.6 StVO in eine Bundesstraße die Sichtverhältnisse so schlecht, das auch ein Vortasten unmöglich ist, dann ist ein Einweiser beizuziehen (vgl OGH 21.6.1997, 8 Ob 111/79).

Der SV hat errechnet, dass der Bus beim vom Bw geschilderten Beschleunigen aus dem Stillstand, wobei er beim vorherigen Blick in den Außenspiegel das ankommende Gandarmeriefahrzeug noch nicht sehen konnte, in der Reaktionszeit des Ml bei geschätzten 50 km/h einen Weggewinn von 1 bis maximal 2 m erreicht. Daraus ergibt sich ein Anhalteweg für das Gendarmeriefahrzeug von ca 27,5 m und bis zu dessen Stillstand ein Abstand zwischen diesem und dem Heck des Busses von ca 5 bis 6 m bei einer Sicht des Bw nach links hinten von annähernd 30 m (allerdings geradeaus, nicht in die Kurve), sodass der Ml auch reagieren, dh eine Vollbremsung einleiten musste, wenn der Bw sich auf die Fahrbahn "hinausgetastet" hat.

Ein Blick in den rechten Außenspiegel oder in den Innenspiegel im Hinblick auf ein mögliches und rechtzeitiges Erkennen eines bevorrangten Fahrzeuges im fließenden Verkehr hinter dem Bus hätte nach den schlüssigen und durch Fotos dokumentierten Ausführungen des SV dem Bw eine frühere Sicht auf das Gendarmeriefahrzeug nicht ermöglicht, zumal sich der untere Rand des 0,80 m hohen Heckfensters in einer

Höhe von 2,20 m über der Fahrbahn befindet, sodass eine Sicht auf hinter dem Bus befindliche Pkw gänzlich ausgeschlossen ist, auch wenn keine Fahrgäste stehend befördert werden.

Die Sicht nach hinten über den rechten Außenspiegel ist wegen der die Sicht verdeckenden Böschung in der Kurven-Innenseite so gering, dass ein ankommendes Fahrzeug nur ganz kurz erkannt werden könnte. Unter Zugrundelegung einer Geschwindigkeit dieses Fahrzeuges von 50 bis 70 km/h ist eine Reaktion darauf ausgeschlossen.

Eine Möglichkeit, ohne Gefährdung des bevorrangten fließenden Verkehr aus der Bushaltestelle zu fahren, wäre die Heranziehung eines geeigneten (vgl OGH 11.10.1965, 11 Os 177/65) Einweisers, der aber die Verantwortlichkeit des eingewiesenen Lenkers im Hinblick auf § 19 StVO nicht berührt (vgl VwGH 16.5.1963, 1430/62).

Bei einem im Linienverkehr am Morgen hauptsächlich Schüler befördernden Buslenker ist es nachvollziehbar schwierig, einen geeigneten Einweiser zu finden.

Steht einem Fahrzeuglenker ein geeigneter Einweiser nicht zur Verfügung, dann hat er ein Fahrmanöver, welches die Beiziehung eines solchen unbedingt erfordert, überhaupt zu unterlassen (vgl OGH 9.11.1967, 11 Os 131/67).

Der Bw hat - für den Unabhängigen Verwaltungssenat durchaus nachvollziehbar - erklärt, er würde, könnte er selbst entscheiden, die in Rede stehende Bushaltestelle aufgrund ihrer äußerst ungünstigen örtlichen Lage gar nicht anfahren, sei aber im Rahmen des Linienverkehrs dazu gezwungen.

Aus der Sicht des Unabhängigen Verwaltungssenates ist auf dieser Grundlage davon auszugehen, dass dem Bw die Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens im Sinne des § 5 Abs.1 VStG gelungen ist, sodass gemäß § 45 Abs.1 Z2 VStG vorzugehen war, weil Umstände vorliegen, die die Strafbarkeit ausschließen.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden, wobei Verfahrenskostenbeiträge naturgemäß nicht anfallen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

Mag. Bissenberger
Beschlagwortung:
Glaubhaftmachung mangelnden Verschuldens an Vorrangverletzung
beim Ausfahren eines Busses aus der Haltestelle wegen örtlicher
Gegebenheiten gelungen - Einstellung

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