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VwSen-109884/2/Br/Wü

Linz, 02.08.2004

VwSen-109884/2/Br/Wü Linz, am 2. August 2004

DVR. 0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn A K, G, K, vertreten durch Dr. K K, Dr. K L, Rechtsanwälte und Verteidiger in Strafsachen, L, H, gegen den Bescheid Bezirkshauptmannschaft Perg, vom 28. Juni 2004, AZ. VerkR96-2060-2003, mit dem das Straferkenntnis vom 1.7.2003 außer Kraft gesetzt wurde, zu Recht:

Die Berufung wird als unbegründet abgewiesen.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 10/2004 - AVG iVm § 24, § 30, § 51e Abs.3 Z4 VStG Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 117/2002 - VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Perg hat mit dem oben bezeichneten Bescheid, gestützt auf § 30 Abs.2 und 3 VStG, das Straferkenntnis der Bezirkshaupt-mannschaft Perg vom 01.07.2003, VerkR96-2060-2003 außer Kraft gesetzt und das Verfahren eingestellt.

1.1. Die Behörde erster Instanz führte unter Heranziehung des § 30 VStG in der Begründung Folgendes aus:

"(1) Liegen einem Beschuldigten von verschiedenen Behörden zu ahndende Verwaltungsübertretungen oder eine Verwaltungsübertretung und eine von einer anderen Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndende strafbare Handlung zur Last, so sind die strafbaren Handlungen unabhängig von einander zu verfolgen, und zwar in der Regel auch dann, wenn die strafbaren Handlungen durch ein und dieselbe Tat begangen worden sind.

(2) Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, und ist es zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über diese Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.

(3) Hat die Behörde vor dieser Entscheidung ein Straferkenntnis gefällt so darf es vorläufig nicht vollzogen werden. Ergibt sich später, daß das Verwaltungsstrafverfahren nicht hätte durchgeführt werden sollen, so hat die Behörde erster Instanz, wenn aber in der Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, dieser, da Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verfahren einzustellen.

Mit Schreiben des Gendarmeriepostens Perg vom 16.06.2003 wurden Sie wegen des Lenkens eines Kraftfahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand angezeigt. Es wurde daraufhin von der Bezirkshauptmannschaft Perg am 01.07.2003 ein Straferkenntnis erlassen. Da nunmehr beim Landesgericht Linz wegen §§ 88 (1) und (4) 2.F. (§ 81 Ziff.2) eine Strafsache anhängig ist, war nun von der Bezirkshauptmannschaft Perg im Sinne von § 30 Abs. 3 zu entscheiden und das Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verfahren einzustellen."

2. In seiner dagegen erhobenen Berufung führt der Berufungswerber durch seine ausgewiesenen Rechtsvertreter Folgendes aus:

"I. Sachverhalt:

Der Berufungswerber wurde aufgrund eines Verkehrsunfalles vom 14.6.2003 mittels Straferkenntnis vom 1. Juli 2003 rechtskräftig verwaltungsstrafrechtlich verurteilt. Der Berufungswerber hat diese Verurteilung akzeptiert und damit die strafrechtlichen Konsequenzen seines Verhaltens getragen.

In einem Brief vom 19. April 2004 wurde dem Berufungswerber von der Bezirkshauptmannschaft Perg mitgeteilt, dass bei der Bearbeitung des Verkehrsunfalls festgestellt werden konnte, dass das Lenken des Kraftfahrzeuges in einem alkoholisierten Zustand gerichtsanhängig ist. Aufgrund einer allfälligen Doppelbestrafung sollte das Straferkenntnis ausgesetzt und der bereits einbezahlte Strafbetrag rücküberwiesen werden. Der Berufungswerber hat allerdings bis zu diesem Zeitpunkt und auch danach die Ratenzahlung geleistet, er ist mit dieser Vorgangsweise nicht einverstanden.

Mit einem Schreiben vom 11. Mai 2004 teilte die Bezirkshauptmannschaft Perg dem Berufungswerber mit, dass das Straferkenntnis gemäß § 30 Abs 3 des VStG 1991 vorläufig nicht weiter vollzogen wird. Es wird dabei auch festgestellt, dass das Strafverfahren erst nach einer allfälligen Gerichtsentscheidung ausgesetzt werden kann. Auch damit war der Berufungswerber nicht einverstanden, was auch faktisch und rechtlich kundgetan wurde.

Am 28. Juni 2004 erging nunmehr der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Perg, wonach das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 1. 7. 2003, VerkR96-2060-2003, außer Kraft gesetzt und das Verfahren eingestellt wird.

II. Gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Perg vom 28. Juni 2004, VerkR96-2060-2003, zugestellt am 30. Juni 2004, erhebt der Berufungswerber durch seinen bevollmächtigten Vertreter innerhalb offener Frist

B E R U F U N G

an den UVS von Oberösterreich.

III. Begründung:

Das gegenständliche Straferkenntnis vom 1. 7. 2003 entfaltet eine "Sperrwirkung" für eine strafgerichtliche Entscheidung. Dies aus folgenden Gründen:

1. "Rechtskräftige" Entscheidung:

Für die Wirkung des "ne bis in idem" ist die rechtskräftige Verurteilung wegen einer strafbaren Handlung Voraussetzung.

Unter einer rechtskräftigen Entscheidung wird vom EGMR eine endgültige Entscheidung verstanden (vgl EGMR Gradinger, Serie A-328-C, RZ 53; EGMR Franz Fischer, 29. 5. 2001, 37.950/1997, RZ 22). Der Explanatory Report beschreibt als ausschlaggebendes Kriterium für die rechtskräftige Verurteilung oder den rechtskräftigen Freispruch das Vorliegen einer mit res judicata-Wirkung ausgestatteten Entscheidung. Eine Entscheidung ist dann endgültig, wenn keine ordentlichen Rechtsmittel mehr vorhanden sind, alle Rechtsmittel ergriffen wurden oder Rechtsmittelfristen ergebnislos verstrichen sind. Das Vorliegen einer res judicata ist ausschließlich nach innerstaatlichem Recht zu beurteilen und an der innerstaatlich definierten formellen Rechtskraft anzuknüpfen.

Aufgrund dieser Ausführungen ist das Straferkenntnis vom 1. 7. 2003 nach innerstaatlichem Recht in Rechtskraft erwachsen.

2. Das im Artikel 4 7. ZPMRK normierte Doppelbestrafungsverbot setzt voraus, dass eine rechtskräftige Verurteilung oder ein rechtskräftiger Freispruch wegen einer "strafbaren Handlung" vorliegt. Da sich dieser Begriff nach hA mit dem Begriff der strafrechtlichen Anklage in Artikel 6 und 7 MRK deckt, werden von Artikel 4 7. ZPMRK daher insbesondere auch Verwaltungsstrafverfahren nach dem VStG erfasst (Kucsko-Stadlmayer, "ne bis in idem" im österreichischen Verwaltungsstrafrecht, FS Dittrich (2000), 813). Demnach entfaltet eine verwaltungsbehördliche Entscheidung nach dem VStG eine "Sperrwirkung" für spätere Strafverfahren nach der StPO, wenn es sich um die selbe "strafbare Handlung" handelt. So hat der EGMR entschieden, dass man auf Grundlage einer Handlung nicht zwei Mal vor Gericht gestellt und verurteilt werden kann, da sich die Verwaltungsstraftat des Lenkens unter Alkoholeinfluss nach den §§ 5 Abs 1 iVm 99 Abs 1 lit a StVO und die fahrlässige Tötung unter den besonderen Umständen nach § 81 Z 2 StGB, wie sie von den Gerichten ausgelegt werden, hinsichtlich ihrer wesentlichen Bestandteile nicht unterscheiden (case of Franz Fischer v. Austria, 29/05/2001, 37950/97).

Im gegenständlichen Fall unterscheiden sich die wesentlichen Bestandteile der Verwaltungsübertretung des Lenkens eines Fahrzeugs im betrunkenem Zustand nicht von denen, die die besonders gefährlichen Verhältnisse nach § 81 Z 2 StGB ausmachen, nämlich das Lenken eines Fahrzeugs mit einem Blutalkoholgehalt von 0,8 g/l oder mehr.

Aufgrund der in Artikel 4 7. ZPMRK normierten Sperrwirkung schließt eine - wenn auch rechtswidrige - verwaltungsbehördliche Bestrafung ein späteres gerichtliches Strafverfahren aus, soweit ein "wesentlicher Gesichtspunkt" des gerichtlichen Straftatbestandes bereits im Verwaltungsstrafverfahren abgehandelt wurde, selbst wenn damit der Unrechtsgehalt des Deliktes nicht zur Gänze erschöpft wurde. Demnach ist bei Verwirklichung mehrerer zueinander in bloßer Scheinkonkurrenz stehender Delikte nur eine strafbare Handlung gegeben und daher insgesamt nur ein einziges Strafverfahren zulässig. Es bewirkt daher der erste rechtskräftige Abspruch über eines dieser Delikte Sperrwirkung für die Verfolgung der anderen Delikte - und zwar gleichgültig, ob über das verdrängende oder über das verdrängte Delikt entschieden wurde und ob es sich um eine Verurteilung oder um einen Freispruch handelt.

Da, wie oben schon ausgeführt, im gegenständlichen Fall nur eine strafbare Handlung vorliegt, ist mit dem ersten Abspruch darüber der Verfolgungsanspruch erschöpft. Darüber hinaus begründet Artikel 4 7. ZPMRK ein Verbot der neuerlichen Strafverfolgung auch dann, wenn der Unrechts- und Schuldgehalt der strafbaren Handlung durch die erste Entscheidung noch nicht zur Gänze ausgeschöpft ist, es darf nicht zu einem "Nachschlag" nach der ersten Entscheidung kommen. (vgl Thienel/Hauenschild, verfassungsrechtliches "ne bis in idem" und seine Auswirkung auf das Verhältnis von Justiz im Verwaltungsstrafverfahren, JBl 2004, 82).

Der EGMR hat diesbezüglich im Fall Franz Fischer v. Austria ausgesprochen, dass, weil über den Unwert des alkoholisierten Lenkens eines Kfz schon von der Verwaltungsbehörde entschieden wurde, eine neuerliche Strafverfolgung wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Tötung durch dieses Verhalten ausgeschlossen ist. Ist der Unwertgehalt des Täterverhaltens bereits einmal - wenn auch nur zum Teil - abgeurteilt, ist der Verfolgungsanspruch des Staates erschöpft.

Auch der VfGH hat ausgesprochen, dass das Lenken eines Fahrzeuges in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand die wesentlichen Gesichtspunkte sowohl des § 99 Abs 1 lit.a StVO, als auch des § 81 Z 2 StGB verwirklicht und daher eine verfassungswidrige Doppelbestrafung bei sowohl verwaltungsbehördlicher, als auch strafgerichtlicher Verfolgung vorliegen würde. Diesbezüglich führt der VfGH aus, dass "die verfassungsrechtliche Grenze, die Art 4 Abs 1 des 7. ZPMRK einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung zieht, nur darin liegen kann, dass eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Delikts in jeder Beziehung mitumfasst. Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, die auf Straftatbeständen fußen, die einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion jedenfalls bei eintätigem Zusammentreffen ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein- und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird" (VfSlg 14.696/1996).

Darüber hinaus hat der VfGH auch festgestellt, dass Art 4 7. ZPEMRK nicht nur das Verbot einer neuerlichen Bestrafung enthalte, sondern "ein Verbot", eine Person "wegen einer abgeurteilten Tat neuerlich vor Gericht zu stellen" (VfSlg 16.245/2001). Dies mit der Einschränkung, wenn der "wesentliche Gesichtspunkt" bereits Gegenstand der früheren Entscheidung war.

Wie bereits ausgeführt, wurde der "wesentliche Gesichtspunkt" im gegenständlichen Fall bereits im Verwaltungsstrafverfahren abgeurteilt, und kann daher der Berufungswerber nicht neuerlich vor Gericht gestellt werden.

3. Keine Möglichkeit der Beseitigung des Straferkenntnisses vom 1. 7. 2003:

Grundsätzlich hätte der Bezirkshauptmann von Perg die Möglichkeit gehabt, die Verfolgung auszusetzen, bis eine rechtskräftige Entscheidung des zur Beurteilung des vorrangigen Tatbestandes zuständigen Gerichtes ergangen ist. Da dies allerdings nicht geschehen ist und ein Strafbescheid erlassen wurde, ist dieser zwar rechtswidrig, aber dennoch gültig. Dies ergibt sich aufgrund des Fehlerkalküls gemäß § 30 Abs 3 VStG. Im angefochtenen Bescheid vom 28. Juni 2004 versucht nunmehr die Verwaltungsbehörde, den (rechtswidrig erlassenen) Bescheid gemäß § 30 Abs 3 VStG aufzuheben. Dies ist jedoch nicht möglich, da diese Bestimmung für den Fall gilt, dass "die Behörde vor dieser Entscheidung" - das heißt: vor der in § 30 Abs 2 VStG genannten rechtskräftigen Entscheidung der anderen Stelle - ein Straferkenntnis gefällt hat; nur in diesem Fall darf das Straferkenntnis nicht vollzogen werden. "Ergibt sich später", dass das Verwaltungsstrafverfahren gar nicht hätte durchgeführt werden dürfen, ist das Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen. Damit wird folgende Vorgangsweise angeordnet: Hat die Behörde trotz Unklarheiten über das Bestehen einer Scheinkonkurrenz ein Straferkenntnis erlassen, ohne gemäß § 30 Abs 2 VStG die rechtskräftige Entscheidung der anderen Stelle abzuwarten, darf sie ihr Straferkenntnis zunächst nicht vollstrecken; das Straferkenntnis ist aber auch nicht sofort aufzuheben, sondern bleibt zunächst einmal unberührt. Erst wenn sich später ergibt, dass das Strafverfahren tatsächlich nicht hätte durchgeführt werden dürfen, ist das Straferkenntnis aufzuheben; aus dem Zusammenhang mit § 30 Abs 2 VStG und dem ersten Satz des § 30 Abs 3 VStG wird deutlich, dass die Aufhebung des Straferkenntnisses erst nach Vorliegen der rechtskräftigen Entscheidung der anderen Stelle (des Gerichtes) zulässig ist. Die Formulierung "ergibt sich später" kann jedenfalls nicht so verstanden werden, dass schon bei Zweifeln über das Vorliegen einer Scheinkonkurrenz - etwa, weil ein gerichtliches Verfahren gerade anhängig ist - das Straferkenntnis aufgehoben werden dürfte; dies folgt eindeutig daraus, dass bei solchen nachträglichen Zweifeln der erste Satz des § 30 Abs 3 VStG zur Anwendung kommt, wonach zunächst nur die Vollstreckung unzulässig ist. Demnach kann die Zulässigkeit der Aufhebung des Straferkenntnisses nur aus dem Urteil eines Strafgerichtes oder dem Bescheid einer anderen Verwaltungsbehörde folgen. § 30 Abs 3 VStG setzt somit eine rechtskräftige Entscheidung des Gerichtes voraus, mit dem dieses die gerichtliche Strafbarkeit bejaht hat; solange eine solche Entscheidung nicht vorliegt, darf der Strafbescheid nach § 30 Abs 3 VStG nicht aufgehoben werden. Hat das Gericht sein Verfahren - wegen des im verwaltungsbehördlichen Bescheid liegenden Prozesshindernisses - ausgesetzt, ohne zu entscheiden, bietet § 30 Abs 3 VStG keine Grundlage für die Aufhebung des Strafbescheides. (Thienel/Hauenschild, verfassungsrechtliches "ne bis in idem" und seine Auswirkung auf das Verhältnis von Justiz- und Verwaltungsstrafverfahren, JBl 2004, 164). Der gegenständliche Bescheid ist daher rechtswidrig ergangen und aufzuheben.

4. Verbot der reformatio in peius im VStG:

Darüber hinaus würde die Aufhebung des Strafbescheides vom 1. 7. 2003 eine Verschlechterung für den Bestraften darstellen. Durch die Beseitigung des Strafbescheides würde nämlich auch dessen Sperrwirkung für das gerichtliche Verfahren eliminiert und damit der Weg zu einer - schwerer wiegenden - gerichtlichen Verurteilung eröffnet. Aufgrund des in § 51 Abs 6 VStG normierten Verbotes der reformatio in peius kann der Strafbescheid vom 1. 7. 2003 nicht außer Kraft gesetzt werden, da dies ja eine Verschlechterung des Berufungswerbers darstellen würde. Das Verbot der reformatio in peius bezieht sich nach der Jud auch auf die Entscheidung nach Aufhebung eines Straferkenntnisses. (Walter - Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht7, 933)

Da das Verbot der reformatio in peius für Berufungen des Bestraften gilt, muss es nach dem Größenschluss jedenfalls auch für Bescheide gelten, welche bereits in formelle Rechtskraft erwachsen sind. Aus dem allgemeinen Grundsatz des Verschlimmerungsverbotes ergibt sich auch die Unzulässigkeit einer "Verfahrensübergreifenden" schlechterstellung des Beschuldigten, inbesondere, wenn dieser bereits eine rechtskräftige staatliche Sanktion akzeptiert und erfüllt hat und sich ausdrücklich gegen die Veränderung seiner Rechtsposition ausspricht - wie im gegenständlichen Fall.

Aus all diesen Gründen ist eine Außerkraftsetzung des Strafbescheides vom 1. 7. 2003 nicht möglich.

IV. Antrag:

Der Beschuldigte stellt daher den Antrag, der Berufung Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid aufzuheben.

Linz, am 6. Juli 2004 A K"

3. Da keine 2.000 Euro übersteigenden Geldstrafen verhängt wurden, hat der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen. Da hier ein verfahrensrechtlicher Bescheid vorliegt sieht der Oö. Verwaltungssenat von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung ab (§ 51e Abs.3 Z4 VStG).

3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Perg. Daraus ergibt sich der für die Entscheidung wesentliche Sachverhalt.

4. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

4.1. Der Berufungswerber lenkte lt. Anzeige des GP Perg am 14.6.2003 um 23.55 Uhr auf der L 572, wobei er bei Strkm 5.964 gegen einen Felsen stieß. Sein Beifahrer wurde dabei schwer verletzt. Der nachfolgende Atemlufttest ergab eine Atemluftalkoholkonzentration von 0,41 mg/l.

Im Zuge einer Strafverhandlungsschrift vor der Bezirkshauptmannschaft Perg am 1.7.2003 wurde aus diesem Grund über den Berufungswerber wg. Übertretung nach § 99 Abs.1 lit.b iVm 5 Abs.1 StVO eine Geldstrafe von 800 Euro verhängt.

Im Zuge des wg. dieses Unfalles gegen den Berufungswerber eingeleiteten gerichtlichen Strafverfahrens vor dem LG Linz, am 2.6.2006, AZ: 28 Hv 135/03 t, wurde unter Hinweis auf Jbl 2004, 70 f und JBl 2004, s 153 ff (Problematik: "ne bis in idem] dieses Verfahren im Ergebnis bis zur Außerkraftsetzung des Straferkenntnisses vom 1.7.2004 gemäß § 412 StPO abgebrochen.

Der Oö. Verwaltungssenat hegt keinen Zweifel daran, dass hier die Bezirkshauptmannschaft Perg mit Blick auf § 99 Abs.6 lit.c StVO 1960 bereits auf Grund der Anzeige und der daraus hervorgehenden schweren Verletzungsfolge des Mitfahrers keine Bestrafung nach der StVO hätte durchführen dürfen, zumal sich die gerichtliche Zuständigkeit als offenkundig dargetan hat.

5. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Um Wiederholungen zu vermeiden, kann auf den von der Behörde erster Instanz zutreffend zitierten § 30 VStG verwiesen werden. Demnach hatte hier die Behörde erster Instanz das rechtswidrig erlassene Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verfahren einzustellen.

Schon mit Blick auf diese klare Rechtslage kann dem Berufungswerber in seiner Rechtsansicht hier nicht gefolgt werden. Entsprechend dem Art. 4 des 7. ZPMRK, ist kein Recht ableitbar, zwecks Vermeidung einer gerichtlichen Strafe verwaltungsstrafrechtlich bestraft zu werden. Nichts anderes begehrt der Berufungswerber mit seinen Ausführungen zum Verschlechterungsverbot. Damit würde der Berufungswerber für sich einen Rechtsanspruch auf rechtswidriges Verhalten einer Verwaltungsbehörde einfordern wollen. Die amtswegige Aufhebung - Außerkraftsetzung - eines verwaltungsbehördlichen Strafbescheides bildet nicht den Gegenstand einer Beschwerde und ist demnach nicht bekämpfbar (VfGH 27.11.2003, B 666/03). Es kann dahingestellt bleiben, ob die Behörde erster Instanz diesen Bescheid in der hier angefochtenen Form durch Anwendung des § 52a VStG außer Kraft zu setzen gehabt hätte (JBl, Juli 2004, S 441).

5.1.1. Nach gefestigter Rechtsprechung und Lehre gilt bei Annahme von Idealkonkurrenz für den strafgerichtlichen Bereich - zur Vermeidung zwei- oder mehrfacher Ahndung strafbaren Verhaltens - die Interferenzregelung, wonach - unter der Voraussetzung, dass (aus wertender Sicht) durch eine oder mehrere Handlungen zwei oder mehrere Tatbestände erfüllt wurden und durch Subsumtion unter einen Tatbestand der gesamte Unrechtsgehalt des Täterverhaltens erfasst wird - eine Bestrafung ausschließlich wegen des vorrangigen - regelmäßig schon durch den in der Strafdrohung zum Ausdruck kommenden höheren gesellschaftlichen Störwert determinierten - Deliktes stattzufinden hat .

Dieser Grundsatz ist (schon) als Konsequenz der Regelung des Art 4 des 7. ZP EMRK auch im Verhältnis idealkonkurrierender strafbarer Handlungen, deren Ahndung zum Teil den Gerichten, zum Teil hingegen den Verwaltungsbehörden übertragen ist, anzuwenden (12 Os 51/01).

Daraus folgt für die offenbar hier aktuelle Konkurrenzproblematik zwischen den Tatbeständen nach § 88 Abs.1 u. 4 2. Fall (§ 81 Z 2) StGB einerseits und § 5 Abs.1 StVO iVm § 99 Abs.1 bzw. Abs.1b StVO andererseits unzweifelhaft die Prävalenz der strafgerichtlichen Bestimmung, zumal nur diese alternativ zur Geldstrafe auch die Verhängung einer Freiheitsstrafe vorsieht. Daher hat jeder Denkansatz in Richtung gänzlicher oder auch nur teilweiser Verdrängung der gerichtlich strafbaren Handlung durch das verwaltungsstrafrechtliche Delikt (und zwar nach dem Gesagten unabhängig davon, ob für den verwaltungsstrafrechtlichen Bereich Subsidiaritätsklauseln bestehen oder nicht), vorweg außer Betracht zu bleiben (vgl 12 Os 51/01).

Somit musste hier die mit dem Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Perg vom 1. Juli 2003 im Licht des Doppelbestrafungsverbotes ausgelöste Sperrwirkung zu Gunsten des gerichtlichen Strafverfahrens beseitigt werden (vgl. Walter ZVR 1997, 362).

Abgesehen davon besagt der § 99 Abs.6 lit.c StVO mit dieser Subsidiaritätsklausel, dass eine Verwaltungsübertretung dann nicht vorliegt, wenn eine Tat nach diesem Bundesgesetz oder nach den §§ 37 und 37a FSG den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht.

Um die Beachtung der Subsidiarität durch die Verwaltungsbehörden sicherzustellen, sieht § 30 Abs.2 VStG die Aussetzung des verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens vor. Ist demnach eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, und ist es zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über die Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.

Mit Blick darauf ist für den Berufungswerber auch mit dem im Zusammenhang mit der hier offenkundig verfehlten Bestrafung getätigten Hinweis auf Thienel, in JBl 2004, S 153 ff nicht zu gewinnen. Auch Thienel scheint im Ergebnis die Auffassung des OGH hinsichtlich der Möglichkeit einer "Wiederaufnahme" des Strafverfahrens durch Beseitigung des früheren Strafbescheides aus der Sicht des Art 4 7. ZPMRK unter bestimmten Voraussetzungen als durchaus vertretbar zu erachten.

Im Ergebnis verweist Thienel auf den Zweck der MRK effektive Rechte zu garantieren, und von der Notwendigkeit der Annahme ausgehend, dass Art 4 7. ZPMRK auf einen autonomen Verständnis des Begriffes "Rechtskraft" abstellt. Darauf weist auch die Definition des "Explanatory Report of the European Convention on the International Validity of Criminal Judgments" hin, die die res iudicata-Wirkung an einem traditionellen Begriffsbild misst.

Ein Verwaltungsstrafbescheid ist gemäß dieser Abhandlung erst iS des Art 4 7. ZPMRK als rechtskräftig anzusehen, wenn diese Beschwerden nicht mehr offen stehen. Diese Überlegung haben einerseits zur Konsequenz, dass - solange ein Verfahren beim VwGH oder VfGH anhängig ist oder offen steht - noch keine Sperrwirkung der verwaltungsbehördlichen Entscheidung für gerichtliche Verfahren impliziert; anderseits besteht damit aber auch die Möglichkeit, dass ein rechtswidriger Bescheid durch VwGH oder VfGH beseitigt und die Zuständigkeit der Gerichte klargestellt wird.

Geht man demnach davon aus, dass § 30 VStG verfassungskonform ist und durch die Eröffnung einer Verfahrenseinstellung dieser Bestimmung der Intention des Art 4 7. ZPMRK nicht zuwidergehandelt wird, vermögen demnach in der Beseitigung einer vorübergehend die Sperrwirkung auslösenden Rechtskraft einer verwaltungsrechtlichen Bestrafung, selbst dann keine Bedenken gehegt werden, wenn damit die rechtmäßige in die Zuständigkeit der Gerichte fallende Strafverfolgung erst eröffnet wird (vgl. abermals VfGH 27.11.2003, B 666/03). Den rechtstheoretischen Überlegungen von Thienel könnte jedoch dann nicht mehr gefolgt werden und dafür spricht offenbar auch die Sichtweise des OGH im bereits zitierten Urteil, wollten diese dem § 30 Abs.3 VStG - auch einen wie hier vorliegenden Vorgehen des Gerichtes der zur Aufhebung des rechtswidrigen Verwaltungsstrafverfahrens führte - praktisch keinen Anwendungsbereich mehr eröffnen würde. Schließlich würde eine derart formalrechtliche Sichtweise dem verfassungsmäßig garantierten Grundsatz auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter entgegenwirken. Der Rechtsordnung konnte ferner wohl kaum ein Inhalt zugesonnen werden, der zur Unvollziehbarkeit und Selbstblockade derselben führen würde. Ein solches Ergebnis wird aber selbst von Thienel mit dem Hinweis auf die Anwendungsmöglichkeit nach § 52a VStG relativiert, wobei auch von hier nicht verkannt wird, dass, wie oben bereits angemerkt, diese Bestimmung wohl die geeignetere Vorschrift für die Beseitigung der Rechtskraft des Straferkenntnisses vom 1.7.2003 gewesen wäre.

Schließlich vermag auch dem Einwand des Verbotes der "reformatio in peius" keine inhaltliche Stichhaltigkeit zugebilligt werden. Dies insbesondere mit Blick darauf, dass hier im Rahmen eines im Sinne des Art. 6 EMRK konformen Verfahrens auch der Inhalt des grenzwertigen Atemluftgehaltes zu prüfen sein wird, wobei im gegenständlichen Fall im Rahmen der Beweiswürdigung durch das Gericht durchaus die Frage des Eich- bzw. Verkehrsfehlers des Atemluftmessgerätes mit mindestens zwei Hundertstel bzw. 5% des Messwertes Bedeutung erlangen könnte. Ein geeichtes Gerät darf nur innerhalb der Eichfehlergrenzen unrichtig anzeigen. Öffentliche Urkunden "begründen den vollen Beweis dessen, was darin von der Behörde amtlich verfügt oder erklärt oder von der Behörde ....... bezeugt wird" (§ 47 AVG iVm § 292 Abs.1 ZPO). Die öffentliche Urkunde - konkret in Form der Eichbestätigung - dient als Beweismittel im Verfahren und hat die Wirkung einer praesumptio iuris des Beurkundeten zur Folge (Benjamin Davy, Rechtsfragen im Eichwesen, ZfV 1982, 139). Mit Blick darauf kann keinesfalls argumentiert werden, dass der Berufungswerber durch die Aufhebung der Bestrafung im Verwaltungsverfahren zwingend schlechter gestellt ist.

5.2. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die weitere Vorgehensweise der Verwaltungsbehörde im Falle der Außerachtlassung ihrer subsidiären Strafkompetenz in § 30 Abs 3 VStG geregelt ist. Demnach darf ein Straferkenntnis vorläufig nicht vollzogen werden, wenn die Behörde dieses vor der in Abs.2 erwähnten Entscheidung gefällt hat. Ergibt sich, so wie in diesem Fall durch die gerichtliche Beschlussfassung evident und wenn schon nicht in der Rechtskraft fähiger, so doch rechtsverbindlichen Form festgestellt, dass das Verwaltungsstrafverfahren nicht hätte durchgeführt werden sollen, so hat die Behörde erster Instanz, wenn aber in der Sache ein unabhängiger Verwaltungssenat entschieden hat, dieser, das Straferkenntnis außer Kraft zu setzen und das Verfahren einzustellen.

Für den Fall der mangelnden Beachtung der Vorschrift des § 30 Abs.3 VStG sieht Abs.4 eine Anrechnung der Strafe vor (vgl. Oliveira gg. Schweiz, EKMR 1. 7. 1998, 25.711/94). In diesem Fall ging die Kommission offenbar nur von der Vermeidung der Wirkung einer Doppelverfolgung und der Anrechnung einer bereits verhängten Strafe aus.

Demnach haben die Gerichte und die sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörden eine entgegen Abs.3 vollstreckte Verwaltungsstrafe auf die von ihnen wegen derselben Tat verhängte Strafe anzurechnen (OGH 22.8.2002, 15Os18/02).

Dieser den Verwaltungsstrafbescheid aufhebende Bescheid ist daher im Ergebnis als rechtmäßig festzustellen gewesen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

Dr. B l e i e r

Beschlagwortung:

Sperrwirkung, reformatio in peius ne bis in idem

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