Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-109926/8/Zo/Pe

Linz, 17.01.2005

 

 

 VwSen-109926/8/Zo/Pe Linz, am 17. Jänner 2005

DVR.0690392
 

 

 

E R K E N N T N I S
 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Zöbl über die Berufung des Herrn Dr. J F, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. M K, vom 9.8.2004 gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Gmunden vom 22.7.2004, VerkR96-3527-2004, wegen einer Übertretung der Straßenverkehrsordnung 1960, nach öffentlicher mündlicher Berufungsverhandlung am 11.1.2005 zu Recht erkannt:

 

  1. Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.
  2.  

  3. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51 Abs.1, 51e und 45 Abs.1 Z1 VStG.

zu II.: §§ 64ff VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Zu I.:

1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde dem Berufungswerber vorgeworfen, dass er am 29.3.2004 um 11.06 Uhr den Pkw auf der A 1 bei km 210,500 in Fahrtrichtung Wien gelenkt habe, wobei er beim Fahren hinter dem nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug keinen solchen Abstand eingehalten habe, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich gewesen wäre, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst worden wäre. Der Berufungswerber habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 18 Abs.1 StVO 1960 begangen, weshalb über ihn gemäß § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe in Höhe von 60 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 34 Stunden) verhängt und er zur Zahlung eines Verfahrenskostenbeitrages in Höhe von 6 Euro verpflichtet wurde.

Begründend wurde ausgeführt, dass mittels einer Messung durch das Verkehrsüberwachungssystem VKS 3.0 festgestellt worden sei, dass der Berufungswerber bei einer Geschwindigkeit von 130 km/h lediglich einen Abstand von 0,44 Sekunden eingehalten habe.

 

2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Berufung, in welcher der Berufungswerber vorbringt, dass nach der Rechtsprechung zu § 18 StVO bei optimalen Verhältnissen eine Unterschreitung des Sicherheitsabstandes bis 0,3 Sekunden zulässig sei. Es habe für das vordere Fahrzeug keinerlei Anlass bestanden, plötzlich ein Bremsmanöver durchzuführen. Selbst wenn dies der Fall gewesen wäre, wäre ihm jedenfalls vom Aufleuchten der Bremslichter bis zum tatsächlichen Eintritt der Bremsverzögerung die Bremsanschwellzeit von 0,2 Sekunden zugute gekommen. Darüber hinaus hätte das von ihm gelenkte Fahrzeug eine bessere Bremsverzögerung erzielen können, als das voranfahrende Fahrzeug. Die kurzfristige Unterschreitung des ansonsten üblichen "Sollabstandes" sei deshalb nicht unzulässig und damit auch nicht strafbar gewesen.

 

Es habe sich um eine einfache, übersichtliche, vorausberechenbare und bekannte Verkehrssituation gehandelt, der Berufungswerber selbst sei subjektiv gut disponiert und konzentriert gewesen und sei bremsbereit gefahren.

 

3. Der Bezirkshauptmann von Gmunden hat den Verwaltungsakt dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Entscheidung vorgelegt. Eine Berufungsvorentscheidung wurde nicht erlassen. Es ergibt sich daher die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates, wobei dieser durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat (§ 51c VStG).

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der Erstinstanz sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 11.1.2005. An dieser hat der Rechtsvertreter des Berufungswerbers unter Berufung auf die ihm erteilte Vollmacht teilgenommen und es wurde die gegenständliche auf Video dokumentierte Abstandsmessung von einem Sachverständigen für Verkehrstechnik vorgeführt und erläutert.

 

4.1. Daraus ergibt sich folgender entscheidungswesentliche Sachverhalt:

 

Der Berufungswerber lenkte am 29.3.2004 um 11.06 Uhr seinen Pkw mit dem Kennzeichen auf der A 1 Westautobahn in Fahrtrichtung Wien. Bei Strkm. 210,500 erfolgte eine Abstandsmessung mit dem geeichten Verkehrsüberwachungssystem VKS 3.0. Diese Messung ist mittels Videoaufzeichnung für die Dauer von 5 Sekunden dokumentiert. Innerhalb dieses Zeitraumes änderte sich der Abstand zwischen den beiden Fahrzeugen augenscheinlich nicht. Es wurde eine Geschwindigkeit von 130 km/h und ein Abstand von 0,44 Sekunden ermittelt.

 

Zum Messvorgang führte der Sachverständige aus, dass sich bei der Abstandsmessung Messungenauigkeiten durch die Breite des Messbalkens und die Fahrzeugüberhänge ergeben, wobei jeweils das für den Berufungswerber günstigste Ergebnis zugrunde gelegt wird. Dieser so ermittelte Wert wird noch auf den nächsten vollen Meter aufgerundet und erst von diesem Wert der zeitliche Abstand ermittelt. Hinsichtlich der von Fahrzeuglenkern erreichbaren Reaktionszeiten führte der Sachverständige aus, dass von den besseren 50 % der Kraftfahrer bei einer umfangreichen Untersuchung (veröffentlicht in den Empfehlungen des 20. deutschen Verkehrsgerichtstages) eine Reaktionszeit von 0,86 Sekunden ermittelt wurde. Diese setzt sich aus einer Informationsverarbeitungszeit von 0,45 Sekunden, einer Umsetzzeit von 0,19 Sekunden sowie einer Bremsschwelldauer von 0,22 Sekunden zusammen. Die Bremsschwellzeit ist bei durchschnittlichen Pkw bei allen Fahrzeugtypen bis auf wenigste hundertstel Sekunden gleich und kann daher unberücksichtigt bleiben. Die Umsetzzeit ist jene Zeit, welche benötigt wird, um den rechten Fuß vom Gaspedal wegzugeben und das Bremspedal zu betätigen. Sollte der Berufungswerber tatsächlich - so wie er behauptet - bremsbereit gefahren sein, wäre auch die Umsetzzeit von der erforderlichen Reaktionszeit abzuziehen.

 

Zur Frage des bremsbereiten Fahrens führte der Sachverständige aus, dass in diesem Fall das Gaspedal nicht betätigt werden kann, weshalb schon alleine aufgrund des Luftwiderstandes und der Motorbremswirkung es bei der Beobachtungsstrecke von 5 Sekunden zu einer merkbaren Verringerung der Geschwindigkeit und damit zu einer Vergrößerung des Abstandes kommen müsste. Eine solche liegt aber nicht vor, weshalb der Sachverständige vorerst davon ausging, dass der Berufungswerber nicht bremsbereit gefahren ist. Auf den Einwand des Vertreters des Berufungswerbers, dass diese Argumentation nicht richtig sei, wenn beim nachfahrenden Fahrzeug ein Tempomat in Betrieb ist, gab der Sachverständige an, dass in diesem Fall tatsächlich nicht feststellbar ist, ob der nachfahrende Lenker bremsbereit gefahren ist. Dies bedeutet, dass im vorliegenden Fall beim Berufungswerber, welcher behauptet, bremsbereit gefahren zu sein und der mit einem neueren Modell eines Oberklassefahrzeuges, bei welchem ein Tempomat eingebaut war, unterwegs war, diese Behauptung nicht widerlegt werden kann. Ist der Berufungswerber aber tatsächlich bremsbereit gefahren, so bleibt als Reaktionszeit nur noch die tatsächliche Informationsverarbeitungszeit übrig, wobei diese eben bei entsprechend konzentrierter Fahrweise aufgrund der oben angeführten Untersuchung mit 0,45 Sekunden anzunehmen ist.

 

5. Hierüber hat der Unabhängige Verwaltungssenat in rechtlicher Hinsicht erwogen:

 

5.1. Gemäß § 18 Abs.1 StVO 1960 hat der Lenker eines Fahrzeuges stets einen solchen Abstand zum nächsten vor ihm fahrenden Fahrzeug einzuhalten, dass ihm jederzeit das rechtzeitige Anhalten möglich ist, auch wenn das vordere Fahrzeug plötzlich abgebremst wird.

 

5.2. Nach der ständigen Rechtsprechung verlangt § 18 Abs.1 StVO 1960, dass der nachfahrende Fahrzeuglenker zumindest die Reaktionszeit einhält. Diese liegt im allgemeinen zwischen 0,8 und 1 Sekunde, kann aber durch erhöhte Konzentration und bremsbereites Fahren entsprechend reduziert werden. Nach der vom Sachverständigen vorgelegten Studie ist jedenfalls von einer notwendigen Reaktionszeit (Informationsverarbeitungszeit) von 0,45 Sekunden auszugehen. Dies dann, wenn der Berufungswerber tatsächlich bremsbereit und mit hoher Konzentration gefahren ist. Im gegenständlichen Fall liegt der gemessene Abstand bei 0,44 Sekunden. Die Unterschreitung um lediglich eine hunderstel Sekunde liegt nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates noch in jenem Toleranzbereich, der wohl auch für das Ergebnis der angeführten Untersuchung zu den Reaktionszeiten anzuwenden ist und rechtfertigt eine Bestrafung des Berufungswerbers nicht.

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich verkennt nicht, dass die praktischen Erfordernisse der Verkehrssicherheit einen deutlich höheren Sicherheitsabstand erfordern, weil der Lenker des nachfahrenden Fahrzeuges wohl häufig nicht hochkonzentriert ist und in der Regel nicht bremsbereit fährt. Auch die von verschiedenen Fahrzeuglenkern tatsächlich erreichten Bremsverzögerungen sind sehr unterschiedlich und liegen weit unter den technisch möglichen Verzögerungswerten, wobei diese wiederum neben den technischen Eigenschaften der Bremssysteme und der Fahrzeuge vor allem von der Bereifung und den Bodenverhältnissen abhängen. All diese Umstände erfordern in der Praxis für den sicheren Verkehrsfluss einen höheren Sicherheitsabstand als die bloße Informationsverarbeitungszeit. Es ist aber anzuführen, dass im Gesetz kein zahlenmäßig konkreter Sicherheitsabstand vorgeschrieben ist, sondern eben bloß die allgemeine Regel des § 18 Abs.1 StVO 1960 besteht. Aus diesem Grund dürfen in einem Strafverfahren nur jene Umstände zur Festlegung des konkret erforderlichen Sicherheitsabstandes herangezogen werden, welche auch tatsächlich bewiesen werden können. Nicht beweisbare Umstände dürfen auch nicht zu Lasten des Beschuldigten verwertet werden.

 

Das bedeutet im vorliegenden Fall, dass die Unterschreitung des konkret erforderlichen Sicherheitsabstandes nicht bewiesen werden kann. Der Berufungswerber hat bei diesen Beweisergebnissen einen - gerade noch - ausreichenden Abstand eingehalten, weshalb seiner Berufung stattzugeben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen war.

 

Zu II.:

Die Entscheidung über die Kosten stützt sich auf die im Spruch angeführten gesetzlichen Bestimmungen.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

Mag. Z ö b l

 
 

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