Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-300168/2/WEI/Bk

Linz, 14.07.1998

VwSen-300168/2/WEI/Bk Linz, am 14. Juli 1998 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung des A gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf a.d. Krems vom 30. Juni 1997, Zl. Pol 96-38-1997, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem § 5 Abs 1 O.ö. Polizeistrafgesetz - O.ö. PolStG (LGBl Nr. 36/1979 idF LGBl Nr. 94/1985, zuletzt geändert mit LGBl Nr. 30/1995) zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG eingestellt.

II. Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens entfällt.

Rechtsgrundlagen: § 66 Abs 4 AVG 1991 iVm § 24 VStG 1991; § 66 Abs 1 VStG 1991.

Entscheidungsgründe:

1.1. Mit dem bezeichneten Straferkenntnis der belangten Behörde vom 30. Juni 1997 wurde der Berufungswerber (Bw) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

"Sie haben am 10.03.1997 um ca. 11.30 Uhr Ihren Hund 'Cherry' in der Gaststube des Gasthauses 'K nicht ordnungsgemäß beaufsichtigt bzw. verwahrt, so daß der Hund Herrn D in den rechten Unterschenkel beißen konnte, wodurch dieser über das zumutbare Maß hinaus belästigt wurde." Dadurch erachtete die belangte Behörde den § 5 Abs 1 O.ö. PolStG als verletzte Rechtsvorschrift und verhängte wegen dieser Verwaltungsübertretung "gemäß § 5/1 PolStG." (richtig wäre: Strafrahmen des § 10 Abs 2 lit b) O.ö. PolStG) eine Geldstrafe von S 500,-- und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 12 Stunden. Als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurden S 50,-- vorgeschrieben.

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das dem Bw zu Handen seiner Rechtsvertreter am 3. Juli 1997 zugestellt wurde, richtet sich die am 8. Juli 1997 rechtzeitig zur Post gegebene Berufung gleichen Datums, mit der die Aufhebung des Straferkenntnisses und Einstellung des Strafverfahrens angestrebt wird. 1.3. Die belangte Behörde hat ihren Verwaltungsstrafakt zur Berufungs- entscheidung vorgelegt und von einer Berufungsvorentscheidung Abstand genommen. 2. Aus der Aktenlage ergibt sich der folgende wesentliche S a c h v e r h a l t :

2.1. Mit Strafanzeige vom 27. März 1997, Zl. P-349/97/Pra, hat der Gendarmerieposten K den gegenständlichen Vorfall vom 10. März 1997 dem Bezirksanwalt beim Bezirksgericht K zur Kenntnis gebracht und eine Gleichschrift der belangten Strafbehörde übermittelt. Nach Darstellung der Tat habe der Bw seinen achtjährigen "Kleinen Münsterländer" mit dem Rufnamen Cherry nicht ordnungsgemäß verwahrt, so daß er den in der Gaststube des Gasthauses K anwesenden D in den rechten Unterschenkel hätte beißen können. Der Gendarmerie wurde der Vorfall durch die Verletzungsanzeige des Hausarztes Dr. K bekannt, den G am nächsten Tag aufsuchte. Danach erlitt dieser an der rechten vorderen Schienbeinkante auf halber Unterschenkelhöhe einige bekrustete Kratzer auf ca. 4 x 4 cm, wobei in der Umgebung durch einen Unterhautbluterguß eine Schwellung mit Druckschmerz aufgetreten war.

Der mit den Wirtsleuten gut bekannte Bw besuchte das Gasthaus S in K (K), das an diesem Tag Ruhetag hatte, durch den Hintereingang, setzte sich an die Bar und hatte seinen Jagdhund an der Leine neben ihm liegen. Kurz darauf erschien G, der den Bw vom Sehen kannte, durch den Hintereingang und stellte sich an die Bar. Nach seiner Schilderung stand der Hund auf und blieb unauffällig stehen, wobei er aber keinerlei Aggression zeigte. Als er den Hund streicheln wollte, fuhr dieser unter seiner Hand weg und biß ihn in den rechten Unterschenkel. Nach dem Zubeißen hätte der Hund geknurrt. Danach hätte der Hundebesitzer die Leine ergriffen und den Hund festgehalten. Nach Darstellung des Bw wäre der Hund erst nach erfolgtem Streicheln, bei dem sich der Hund ganz ruhig verhalten hätte, plötzlich aufgesprungen und hätte den sich entfernenden G in den Unterschenkel gebissen, wobei er ihm die Hose aufriß. Am Unterschenkel hätte man einen blauen Fleck gesehen. Die Hose wollte der Bw ersetzen. Daß G einen Arzt aufsuchen werde, habe er nicht erwähnt. Bei einer tierärztlichen Untersuchung vom 17. März 1997 in der Tierklinik S ergaben sich keine Anhaltspunkte für eine Wutkrankheit.

2.2. Mit Aufforderung zur Rechtfertigung vom 22. April 1997 hat die belangte Behörde dem Bw die Tat wie im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses angelastet. In der rechtsfreundlich vertretenen Stellungnahme vom 13. Mai 1997 wird eingewendet, daß der Bw seinen Hund, der auch im Gasthaus S mittels Schulterleine angeleint gewesen wäre, ordnungsgemäß verwahrt hätte. Dies gelte auch für den Fall, daß die Leine neben dem Hundehalter griffbereit lag. Mit dem gutmütigen Hund hätte es zuvor noch keine ähnlichen Vorfälle gegeben. Der Bw legte ferner auch die Benachrichtigung vom 10. April 1997 von der Zurücklegung der Anzeige gemäß § 90 Abs 1 StPO durch den Bezirksanwalt beim Bezirksgericht K vor und verweist auf § 5 Abs 1 O.ö. PolStG.

Mit Mitteilung vom 24. April 1997, 14 BAZ 145/97 s, wurde der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht, daß das Strafverfahren wegen der Hundebißverletzung nach § 88 Abs 1 StGB am 4. April 1997 gemäß § 90 Abs 1 StPO zurückgelegt worden sei. Den Grund teilte die zuständige Bezirksanwältin der belangten Behörde telefonisch mit (vgl Aktenvermerk vom 20.05.1997). Das Strafverfahren wurde mangels Verschuldens aufgrund des ersten Bisses, der nicht vorhersehbar gewesen wäre, eingestellt.

In weiterer Folge erließ die belangte Behörde gegen den Bw das angefochtene Straferkenntnis vom 30. Juni 1997.

2.3. Mit der Berufung wird neuerlich die Benachrichtigung des Angezeigten vom Unterbleiben der Verfolgung bzw von der Zurücklegung der Anzeige gemäß § 90 Abs 1 StPO vorgelegt und dazu vorgebracht, daß ein gerichtliches Vorverfahren durchgeführt worden wäre, das von der Staatsanwaltschaft S eingestellt worden wäre, da ein Verschulden iSd § 88 Abs 1 StGB nicht vorlag. Es könne im Sinne des Subsidiaritätsprinzips nicht entgegen dem Wortlaut des § 5 Abs 1 O.ö. PolStG ein Verwaltungsstrafverfahren stattfinden. Vorsichtshalber werde auch auf das bisherige Vorbringen in der Stellungnahme verwiesen. Es hätte keinen Anlaß gegeben, dem gutmütigen Hund "Cherry" einen Beißkorb anzulegen. Dies wäre auch deshalb lebensfremd, weil am Ruhetag im Gasthaus S mit anderen Besuchern nicht zu rechnen war.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat nach Einsicht in die vorgelegten Verwaltungsakten unter Berücksichtigung der Berufung festgestellt, daß der entscheidungswesentliche Sachverhalt hinlänglich geklärt erscheint und im wesentlichen Rechtsfragen zu beurteilen sind. Schon aus der Aktenlage war abzuleiten, daß das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist.

4. In rechtlicher Hinsicht hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

4.1. Gemäß § 5 Abs 1 Satz 1 O.ö. PolStG begeht u.a. eine Verwaltungsübertretung, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, wer als Halter eines Tieres dieses in einer Weise beaufsichtigt oder verwahrt, daß durch das Tier dritte Personen gefährdet oder über das zumutbare Maß hinaus belästigt werden.

§ 5 Abs 1 Satz 2 O.ö. PolStG stellt klar, daß als unzumutbare Belästigung Dritter insbesondere auch die Verunreinigung von Kinderspielplätzen und ähnlichen Flächen gilt.

Der Begriff des Tierhalters wird im O.ö. PolStG nicht definiert, sondern offenbar mit Rücksicht auf dessen Relevanz in anderen Rechtsgebieten als bekannt vorausgesetzt. Nach der hM zu § 1320 ABGB ist als Tierhalter anzusehen, wer die tatsächliche Herrschaft über das Verhalten des Tieres ausübt und über Verwahrung und Beaufsichtigung zu entscheiden hat (vgl die Judikaturnachweise bei Dittrich/Tades, MGA ABGB, 33. A, E 18 ff zu § 1320; Koziol/Welser, Grundriß des bürgerlichen Rechts I, 10. A [1995], 492 mwN in FN 314). Auf eine bestimmte rechtliche Beziehung zum Tier (wie etwa das Eigentumsrecht) kommt es dabei nicht an. Wie der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen hat, sind die faktischen Verhältnisse der Herrschaft über das Tier (Aufzucht, Ernährung, Unterbringung, Pflege und gesundheitliche Betreuung) für den Begriff des Haltens entscheidend (vgl VwGH 30.7.1992, 88/17/0149).

Im Sinne dieser Kriterien kam der Bw als Halter des Hundes "Cherry" in Betracht. Der Aktenlage sind jedenfalls keine gegenteiligen Anhaltspunkte zu entnehmen.

4.2. Die Frage, ob der Hund vom Bw im konkreten Fall ausreichend oder nur mangelhaft verwahrt wurde, braucht im vorliegenden Fall nicht abschließend geklärt zu werden. Es ist nämlich davon auszugehen, daß der konkrete Sachverhalt eine in die Zuständigkeit der Gerichte fallende strafbare Handlung bildet, weshalb die Subsidiaritätsklausel des § 5 Abs 1 O.ö. PolStG greift.

Da Herr D durch den Hundebiß jedenfalls eine leichte Verletzung erlitten hatte, war im vorliegenden Fall an den gerichtlich strafbaren Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs 1 StGB zu denken. Dementsprechend hat der Gendarmerieposten K den Vorfall vom 10. März 1997 auch dem zuständigen Bezirksanwalt beim Bezirksgericht K wegen des Verdachts der fahrlässigen Körperverletzung nach dem § 88 Abs 1 StGB angezeigt. Wie aus der Aktenlage hervorgeht sind die Strafverfolgungsbehörden grundsätzlich von einer gerichtlich strafbaren Handlung ausgegangen. Die Bezirksanwältin begründete ihre Zurücklegung der Anzeige im Vorverfahrensstadium des § 90 Abs 1 StPO bzw. das Unterbleiben einer weiteren Verfolgung nicht etwa damit, daß durch den Vorfall vom 10. März 1997 in objektiver Hinsicht keine gerichtlich strafbare Handlung gegeben wäre. Vielmehr hielt sie das Verschulden des Bw an der Verletzung durch den Hund für nicht nachweisbar, weil nach seinen bisherigen (nicht widerlegbaren) Erfahrungen das Verhalten des angeblich sonst immer gutmütigen Hundes nicht vorhersehbar gewesen wäre. Damit war aber dem Grunde nach die gerichtliche Zuständigkeit wegen des Vorliegens einer gerichtlich strafbaren Handlung durchaus zu bejahen.

Im Hinblick auf die eindeutige Aussage der Subsidiaritätsklausel des § 5 Abs 1 O.ö. PolStG liegt beim gegebenen Befund keine strafbare Verwaltungsübertretung vor. Nach ihrem Wortlaut kommt es für die verwaltungsrechtliche Strafbarkeit nicht auf die Gerichtsanhängigkeit oder ein bestimmtes Verfolgungsverhalten des Staatsanwaltes, sondern nur darauf an, daß die Tat nicht den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung bildet. Durch diese Subsidiaritätsklausel vermeidet der Landesgesetzgeber auch die spätestens seit dem Urteil des EGMR im Fall Gradinger (vgl ÖJZ 1995, 954 MRK ENr. 51 = NL 95/5/10) verfassungsrechtlich unzulässige mehrfache Strafverfolgung aus ein und demselben Grund (vgl dazu VfGH 5.12.1996, G 9/96 ua Zlen, veröffentlicht in JBl 1997, 447 ff oder EuGRZ 1997, 169 ff).

Es war daher das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 1 VStG einzustellen.

5. Bei diesem Ergebnis entfällt gemäß § 66 Abs 1 VStG die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens.

Rechtsmittelbelehrung: Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis: Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von S 2.500,-- zu entrichten.

Dr. W e i ß Beschlagwortung: Subsidiaritätsklausel

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