Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-150346/11/Lg/Gru

Linz, 01.06.2006

 

 

 

VwSen-150346/11/Lg/Gru Linz, am 1. Juni 2006

DVR.0690392

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Ewald Langeder über die Berufung der Fa. H. L., vertreten durch Rechtsanwalt Dr. J. P., S., 52 M., gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Braunau am Inn vom 29. März 2005, Zl. BauR96-24-2005, wegen einer Übertretung des Bundesstraßen-Mautgesetzes 2002 (BStMG) zu Recht erkannt:

 

Die Berufung wird als unzulässig zurückgewiesen (§ 66 Abs. 4 i.V.m. § 24 VStG)

 

 

Entscheidungsgründe:

 

  1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde über Frau K. G., vertreten durch Rechtsanwalt Dr. J. P., eine Geldstrafe von 400 Euro bzw. eine Ersatzfreiheitsstrafe von 34 Stunden verhängt, weil sie am 8.8.2004 um 21.18 Uhr als Lenkerin eines Kfz mit einem höchst zulässigen Gesamtgewicht von mehr als 3,5 Tonnen und dem amtlichen Kennzeichen BR die A bei Strkm. 74 im Gemeindegebiet von St. M. bei S. in Fahrtrichtung Knoten V. benützt habe, ohne dass die für die Benützung der Autobahn vorgeschriebene fahrleistungsabhängige Maut ordnungsgemäß entrichtet worden sei. Die Achsenzahl des Kraftfahrzeuges (4) sei höher gewesen als die eingestellte Kategorie/Achsenzahl am Fahrzeuggerät (3).
  2.  

    In der Begründung des Straferkenntnisses wird im Wesentlichen ausgeführt, dass sich der Tatvorwurf aus einer Anzeige der A. vom 27.9.2004 und des vorgelegten Fotos samt Einzelleistungsnachweis ergebe. Die Behauptung der Bestraften, die falsche Abbuchung beruhe offensichtlich auf einem technischen Gebrechen, werde als reine Schutzbehauptung angesehen, zumal keinerlei konkreten Hinweise auf einen technischen Defekt vorliegen würden. Die Bestrafte sei ihrer Verpflichtung, vor, während und nach der Fahrt die Funktionstüchtigkeit der GO-Box zu überprüfen, nicht nachgekommen, wie in der Mautordnung normiert worden sei. Es komme im Verwaltungsstrafverfahren auch nicht darauf an, welche Ersparnis durch eine falsch eingestellte GO-Box eingetreten sei. Es sei weiters nicht Aufgabe der Verwaltungsbehörde zu überprüfen, ob die normierte Mindeststrafe dem Unrechtsgehalt der Übertretung angepasst sei. Gleiches gelte für die behauptete Verletzung von Art. 7 EMRK.

     

  3. In der Berufung wird vorgebracht:

"Die Fa. H. L. mit Sitz in 52 P. erhebt gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 29.03.2005, BauR96-24-2005, in welchem über deren Dienstnehmerin K. G. eine Geldstrafe von € 400,00 wegen Übertretung des § 20 Abs. 2 BStMG verhängt wurde, in dieser Eigenschaft und als Zulassungsbesitzerin des von Frau G. damals gelenkten LKW nachstehende

BERUFUNG

an den Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich und regt an, an den Verfassungsgerichtshof nach Art.140 Abs. 1 B-VG einen Antrag auf Aufhebung des Passus 'von 400 €' in § 20 Abs. 2 des Bundestraßen-Mautgesetzes 2002 als gleichheits- und somit als verfassungswidrig zu stellen.

Wir verkennen nicht, dass nach § 23 Abs. 2 BStMG der Zulassungsbesitzer im Straf- verfahren gegen den Lenker keine Parteistellung hat und ein gegen den Lenker ergangener Strafbescheid für ihn keine bindende Wirkung hat.

Wir vertreten die Rechtsansicht, dass der Ausschluss der Parteistellung des Zulas- sungsbesitzers im Verwaltungsstrafverfahren gegen den Lkw-Lenker unsachlich und somit gleichheitswidrig ist, weil der Zulassungsbesitzer nach § 23 Abs. 1 leg.cit für die über den Lenker ihres Fahrzeuges wegen Übertretung des § 20 Abs. 2 verhängten Geldstrafe und für die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand haftet, wenn er - wie gegenständlich - dem Lenker das Fahrzeug selbst (oder über Dritte - hier nicht der Fall) überlassen hat.

Der letzte Halbsatz des Abs. 2 steht in Widerspruch zu Abs. 1 leg.cit, zumal letztge- nannte Bestimmung eine Haftung des Zulassungsbesitzers für die über den Lenker verhängten Geldstrafen samt Verfahrenskosten (zur ungeteilten Hand) normiert, was nichts anderes bedeutet, als dass der gegen den Lenker ergangene Strafbescheid sehr wohl bindende Wirkung für den Zulassungsbesitzer hat, diese beiden Bestimmungen stehen zueinander in Widerspruch.

Personen, auf die sich die Tätigkeit der Behörde bezieht sind Beteiligte und, insoweit sie an der Sache vermöge eines Rechtsanspruches oder eines rechtlichen Interesses beteiligt sind, Parteien (§ 8 AVG).

Diese Bestimmung ist im Sinne des § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anwendbar .

Dass der Zulassungsbesitzer ein rechtliches Interesse am Ausgang des gegen den Lenker seines Fahrzeugs geführten Verwaltungsstrafverfahrens hat, liegt in Anbetracht der Haftungsbestimmung des § 23 Abs. 1 BStMG auf der Hand; die Bestimmung des § 23 Abs. 2 leg.cit steht somit auch mit § 8 AVG in Widerspruch.

Die Regelung des § 23 Abs. 2 lässt sich auch mit der Bedarfskompetenz des Art.11 Abs. 2 B-VG nicht begründen, weil nach dem letzten Halbsatz dieser Verfassungsbestimmung abweichende Regelungen für das Verwaltungsstrafrecht bzw. das Verwaltungsstrafverfahren in den die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- und Landesgesetzen nur dann getroffen werden können, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind.

Diese Erforderlichkeit ist gegenständlich keineswegs erkennbar, es ist vielmehr so, dass überhaupt kein sachlicher Grund gegeben ist, den Zulassungsbesitzer, der für die über die Lenker verhängten Geldstrafen samt Verfahrenskosten haftet, die Parteistellung, welche ihm nach § 8 AVG (in Verbindung mit § 24 VStG) zukäme, zu nehmen, die verfassungsgerichtliche Judikatur hat klargestellt, dass diese 'Erforderlichkeit' im Sinne einer Unerlässlichkeit zu verstehen ist (vgl. VfSlg. 11.564, 14.153 und 15.351).

Die Bestimmung des § 23 Abs. 2 BStMG ist somit gleichheitswidrig und damit verfassungswidrig und widerspricht dem fair trial nach Art. 6 EMRK, zumal sich der Zulassungsbesitzer gegen eine solche Bestrafung, für deren Bezahlung er haftet, nicht zur Wehr setzen kann.

Schon beim Einbau der Go-Box in den in Rede stehenden Lkw wurde diese auf vier und mehr Achsen eingestellt, die Einstellung wird von uns regelmäßig kontrolliert und hat es noch keinen Fall gegeben, dass diese nicht entsprochen hätte. Die Lenker haben die strikte Anordnung, sich uneingeschränkt an die Bestimmungen des Bundestraßen-Mautgesetzes zu halten, was auch der Fall ist. Dies bestätigt auch die Tatsache, dass nur wenige Verwaltungsstrafverfahren anhängig sind, obwohl wir mit dem gesamten Fuhrpark täglich auf mautpflichtigen Straßen unterwegs sind, die über Frau G. verhängte Verwaltungsstrafe ist nicht gerechtfertigt, die Bestrafung resultiert unseres Erachtens aus einer unrichtigen Erfassung durch das Mautsystem.

Es liegt gegenständlich nicht eine Materie des Kraftfahrwesens (Art.10 Abs. 1 Z.9 B-VG) vor, sondern eine solche des Zivilrechtswesens (Z.6), weil die Autobahnmaut ein privatrechtliche Entgelt darstellt (vgl. OGH vom 22.02.2001, 2 Ob 33/01v sowie VwGH 98/06/0002 und ZVR 1999, Sonderheft 5a, 17).

Die im Gesetz vorgesehene Mindestgeldstrafe von € 400,00 ist exzessiv und somit gleichheitswidrig, diese erreicht gegenständlich das 2000-fache der 'Mautersparnis' in der Höhe von € 0,20.

Unsere Haftung für die über Frau G. verhängte Strafe (samt Verfahrenskosten) kommt einer Erfolgshaftung gleich, welche dem österreichischen (Verwaltungs)Strafrecht fremd ist (Schuldprinzip iSd § 5 VStG und § 4 StGB). Auf das um- fangreiche Vorbringen in der Berufung der Frau G. erlauben wir uns zur Vermeidung von Wiederholungen zu verweisen und dieses zum Inhalt unseres Rechtsmittels zu machen.

Die über Frau G. verhängte Geldstrafe stellt auch eine Verletzung nach Art.7 EMRK (keine Strafe ohne Gesetz) dar, weil diese dem Klarheitsgebot widerspricht, welches der Verfassungsgerichtshof aus dieser Verfassungsbestimmung abgeleitet hat.

Wir stellen somit den

ANTRAG.

der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich möge unserer Berufung nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung Folge geben, das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 29.03.2005, BauR96-24-2005, aufheben und das Verwaltungsstrafverfahren einstellen."

 

3. Aus dem Akt ist ersichtlich:

Dem Akt liegt eine Anzeige der A. vom 27.9.2004 zugrunde. Die Lenkeranzeige enthält den gegenständlichen Tatvorwurf. Als Beanstandungsgrund ist angegeben, dass die Achsenzahl des Kraftfahrzeuges mit 4 höher gewesen sei als die mit 3 eingestellte Kategorie/Achsenzahl am Fahrzeuggerät und dadurch die fahrleistungsabhängige Maut nicht ordnungsgemäß entrichtet worden sei.

Der Zulassungsbesitzer sei am 9.8.2004 gemäß § 19 Abs. 4 BStMG schriftlich zur Zahlung der Ersatzmaut aufgefordert worden. Dieser Aufforderung sei aber nicht fristgerecht entsprochen worden.

 

Anlässlich der Lenkererhebung wurde von der Zulassungsbesitzerin mit Schreiben vom 13.10.2004 Frau Katharina G. als Lenkerin angegeben.

 

Nach Strafverfügung vom 21.10.2004 gab die Beschuldigte mittels Einspruch bekannt, dass sie ihren Rechtsvertreter mit der ggst. Angelegenheit bevollmächtigt habe. Mit Schreiben vom 25.1.2005 wurde der Einspruchsakt gem. § 29a VStG an die Bezirkshauptmannschaft Braunau abgetreten und in der Folge auf Verlangen dem rechtsfreundlichen Vertreter der Bestraften zur Einsichtnahme vorgelegt.

 

In der daraufhin erfolgten Rechtfertigung wurde beantragt, zwecks Feststellung der richtigen Einstellung der Achsenzahl die Beweisbilder beizuschaffen. Seitens der Bestraften sei ein unrichtiges Einstellen der Achsenzahl wider jeder Vernunft, da kein wirklich wirtschaftlicher Vorteil erreicht werden könne. Sie werde daher den Einzelnachweis beischaffen und als Beweis vorlegen, dass sich eine minimale Differenz ergibt. Die Höhe der Mindeststrafe stehe außer Relation zur Ersparnis und sie würde keine derart hohe Geldstrafe provozieren, welche mehr als 1/3 ihres monatlichen Nettogehaltes ausmachen würde. Außerdem sei sie wirtschaftlich nicht in der Lage, sich auch nur eine einzige solche Strafe leisten zu können.

 

Aus einer ORF-Meldung vom 22.6.2004 ließe sich entnehmen, dass es bis Mai d.J. zu 50.000 Problemfällen mit den Go-Boxen gekommen sei. Kritisierungen der W., dass es pro Werktag bei mehr als 0,5 Prozent zu Problemen gekommen sei, seien seitens der Errichterfirma zurückgewiesen worden. Es sei daher die im Gesetz vorgesehene Mindestgeldstrafe von 400 € exzessiv und somit gleichheits- und verfassungswidrig. Weiters führt die Beschuldigte an, dass das Bundesstraßen-Mautgesetz den Verfassungsbestimmungen und der EMRK widerspräche.

 

Von der Bestraften wird außerdem vorgebracht, dass die Behörde erster Instanz nicht ausgeführt hätte, was unter ordnungsgemäßer Mautentrichtung zu verstehen sei - sie hätte eine Go-Box verwendet und es könne ihr daher keine Übertretung des § 7 BStMG vorgeworfen werden. Auch habe die Beschuldigte die Pflichten des Lenkers gem. § 8 BStMG nicht verletzt, da sie vor, während und nach jeder Fahrt die Funktionsfähigkeit der Go-Box kontrolliert habe. Betreffend Einstellung der Achsenzahl normiere das Gesetz nichts und könne daher auch keine Strafe erteilt werden, da die Beschuldigte in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht nach Art. 7 EMRK verletzt werde.

 

Nach Anforderung übermittelte die A. das vorliegende Beweisbild samt Einzelleistungsinformation und teilte gleichzeitig mit, dass dem Anbot zur Zahlung der Ersatzmaut nicht nachgekommen worden sei. Anhand der erfolgten Abbuchungen konnte festgestellt werden, dass das Mautportal ordnungsgemäß funktioniert habe.

 

Zum Ergebnis der Beweisaufnahme äußerte sich die Bestrafte im Wesentlichen wie in ihren bisherigen Rechtfertigungen bzw. wie in Teilen der später eingebrachten Berufung. Weiters wurde vorgebracht, dass die Wirtschaft eine faire Frist von einigen Tagen für das Umstellen der Achsenzahl benötige, da lt. Wirtschaftskammer beim An- und Abkoppeln von Anhängern öfters auf das Umstellen vergessen werde. Außerdem führt die Beschuldigte an, dass der Zulassungsbesitzer für die über den Lenker verhängte Geldstrafe zur ungeteilten Hand haftet und die Autobahnmaut kein öffentliches, sondern ein privatrechtlichtes Entgelt sei. Aus einem beiliegenden Schriftverkehr mit der A. würde sich ergeben, dass der ggst. LKW nicht am bezeichneten Ort des Einzelleistungsnachweises unterwegs war.

 

Die in dieser Stellungnahme angeführten Beilagen sind im Verwaltungsakt nicht enthalten.

 

Der Akt schließt mit dem angefochtenen Straferkenntnis und der daraufhin eingebrachten Berufung der Bestraften sowie einer Berufung des Zulassungsbesitzers.

 

Am 7. Februar 2006 legte die Bw eine Kopie eines Beschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 3. Oktober 2005, VfGH G72/05, betreffend der Zurückweisung eines Antrages um Aufhebung des § 23 Abs. 2 BStMG hinsichtlich der Regelung des Ausschlusses der Parteistellung des Zulassungsbesitzers im Verwaltungsstrafverfahren gegen den Lenker vor. Weiters wurden dem erkennenden Verwaltungssenat Kopien von Beschlüssen des VfGH vom 13. Oktober 2005 und vom 29. November 2005 vorgelegt. Gleichzeitig brachte der Bw vor, dass eine Verletzung im Recht auf ein faires Verfahren vorliege, weil der Zulassungsbesitzer nach § 103 Abs. 2 KFG verpflichtet worden sei, den Lenker seines LKWs bekannt zu geben, was automatisch dazu führe, dass er für die über den Lenker verhängte Geldstrafe samt Verfahrenskosten haftet, was einer Selbstbezichtigung gleichkommt. Dies sei im Sinne der neueren Judikatur des EGMR unzulässig.

Es wurde zusätzlich seitens des Bw ein Verhandlungsverzicht abgegeben.

 

Weiters hat der Bw mit Schriftsatz vom 18.5.2006 eine Berufungsergänzung vorgenommen, in der er Nachstehendes vorbrachte:

"Unsere Berufung vom 12.04.2005 gegen das gegen unsere Dienstnehmerin K. G. gerichtete Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 29.03.2005, BauR96-24-2005, erlauben wir uns wie folgt zu ergänzen:

Im vom UVS Salzburg in der Gegenschrift im Verfahren vor dem VwGH 2005/06/0387 zitierten gleich gelagerten Fall hat der Verfassungsgerichtshof mit Be-

schluss vom 29.11.2005, B 814/05, die Behandlung der Beschwerde der Fa. N. T. gegen den Bescheid des UVS Salzburg vom 07.06.2005, UVS-5/12.015/2-2005, im wesentlichen mit der Begründung abgelehnt, dass § 23 Abs. 2 2. Satz BStMG 2002 sicher stellt, dass der Zulassungsbesitzer im Haftungsverfahren all jene Einwendungen gegen die Bestrafung vorbringen kann, die dem Lenker offen gestanden wäre.

Dazu erlaube ich mir auszuführen, dass ein derartiges Haftungsverfahren gesetzlich nicht normiert ist und ohne Verweisungen im BStMG auch nicht davon ausgegangen werden kann, dass diesbezüglich etwa Bestimmungen der BAO hier analog anzuwenden wären. Im VStG gibt es solche Normen nicht, auch nicht im AVG.

Das Gesetz legt nicht einmal fest, auf welche Art und Weise die Haftung des Zulassungsbesitzers für über den Lenker verhängte Geldstrafen samt Verfahrenskosten zu aktivieren bzw. auszusprechen ist und ob dies allenfalls in Bescheidform zu erfolgen hat und wie sich das Rechtsmittelverfahren gestaltet.

Dazu kommt, dass selbst ein Rechtsmittel gegen einen 'Haftungsbescheid' die Rechtswirkungen einer rechtskräftig gegen den Lenker verhängten Bestrafung samt ausgesprochener Verpflichtung zur Tragung von Verfahrenskosten nicht zu beseitigen vermag, zumal der über den Lkw-Lenker verhängte Strafbescheid formell und materiell rechtskräftig und somit unanfechtbar, unwiderruflich und vollstreckbar ist.

Ein Rechtsmittel des Lkw-Zulassungsbesitzers gegen einen Haftungsbescheid vermag die Bestimmung des § 23 Abs. 1 BStMG und somit seine Haftung nicht außer Kraft zu setzen, die letztgenannte Bestimmung steht mit Abs. 2 leg.cit somit in einem unauflöslichen Widerspruch. Eine Gesetzesauslegung dahingehend, dass der zweite Halbsatz des § 23 BStMG den Abs. 1 aufhebt und somit die Haftung des Zulassungsbesitzers zum Wegfall bringt, verbietet sich aufgrund der Rechtskraftwirkungen der Bestrafung gegen den Lenker.

Im zitierten Ablehnungsbeschluss ist der Verfassungsgerichtshof leider nicht darauf eingegangen, dass § 23 Abs. 2 BStMG auch mit § 8 AVG in Widerspruch steht und die davon abweichende Regelung durch die Bedarfskompetenz nach Art. 11 Abs. 2 B-VG nicht gedeckt ist, weil nach dieser Verfassungsbestimmung abweichende Regelungen für das Verwaltungsstrafverfahren nur dann getroffen werden können, wenn sie zur Regelung des Gegenstandes erforderlich sind, worunter die Judikatur Unterlässlichkeit versteht (VfSlg. 11.564, 14.153 und 15.351).

Von einer Unerlässlichkeit des Ausschlusses der Parteistellung des Zulassungsbesitzers des Lkw im Verwaltungsstrafverfahren gegen den Lenker kann keineswegs gesprochen werden, haftet doch dieser für die über den Lenker verhängte Geldstrafe samt Verfahrenskosten.

Im zitierten Erkenntnis des verstärkten Senates des Verwaltungsgerichtshofes vom 21.11.2000, 99/09/0002, geht der Verwaltungsgerichtshof mit eingehender Begründung mit Blick auf Art. 6 EMRK auf die verfassungsrechtliche Notwendigkeit der Einräumung der Parteistellung ein, die volle Einbindung des Haftpflichtigen nach § 9 Abs. 7 VStG als Partei in jenes Verfahren, in welchem die Grundlage und der Umfang der Haftung ermittelt und festgesetzt wird, ist unumgänglich.

Etwa im jüngsten Erkenntnis vom 28.02.2006, 2001/03/0048, hat der Verwaltungsgerichtshof diese Rechtsprechung aufrecht erhalten.

Zu verweisen ist weiters auf das Judikat des EGMR vom 24.02.2005 im Fall J. und C. M., Beschwerdenummer 62.539/00 betreffend die Einbringung von Rechtsmittel gegen die Versagung der Beschäftigungsbewilligung durch den antragstellenden Arbeitgeber und die zu beschäftigende Person.

Im Gegensatz zum dortigen Fall ist hier unstrittig, dass Art. 6 EMRK anzuwenden ist. Nach gesicherter Judikatur ist das österreichische Verwaltungsstrafverfahren ein Verfahren betreffend eine strafrechtliche Anklage (vgl. dazu etwa EGMR vom 20.12.2001 im Fall E. B. gegen Österreich und vom 23.10.1995 im Fall G. gegen Österreich).

Im vorliegenden Fall stellt sich aber auch ein weiteres verfassungsrechtliches Problem im Hinblick auf Art. 6 und 8 EMRK (faires Verfahren, Unschuldsvermutung sowie Achtung des Privat- und Familienlebens), weil die Erstbehörde an uns als Zulassungsbesitzer des in Rede stehenden Lkw ein Lenkerauskunftsersuchen nach § 103 Abs. 2 KFG gerichtet hat, welches wir dahingehend beantwortet haben, dass damals K. G. unseren Lkw gelenkt hat.

Damit haben wir uns selbst belastet, zumal diese Lenkerauskunft zur Bestrafung des Lkw-Lenkers geführt hat und wir im Sinne des § 23 Abs. 1 BStMG für die über diesen verhängte Geldstrafe samt Verfahrenskosten haften.

Dadurch ist die Verwaltungsstrafbehörde unter Druck und Zwang gegen unseren Willen zu einem Beweismittel gelangt, nämlich zur Lenkereigenschaft des Herrn F. (gemeint wohl: Frau G.), welcher somit wegen 'Mautprellerei' nach § 20 Abs. 2 bestraft werden konnte, was einen Verstoß gegen das Anklageprinzip nach Art. 90 Abs. 2 B-VG darstellt (VfSlg. 9950, 10.394 und 10.505), zumal wir für diese Geldstrafe (samt Verfahrenskosten für beide Instanzen) haften.

In VfSlg. 14.987 stellt der Verfassungsgerichtshof klar, dass in ständiger Rechtsprechung aus dem in Art. 90 Abs. 2 B-VG verankerten Anklageprinzip in seiner materiellen Bedeutung das sowohl an die Gesetzgebung als auch an die Vollziehung gerichtete Verbot abgeleitet wird, den Rechtsunterworfenen auch schon im Stadium vor Einleitung eines gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Strafverfahrens durch Androhung oder Anwendung rechtlicher Sanktionen dazu zu verhalten, Beweise gegen sich selbst zu liefern.

Mit der 10. Novelle zum KFG (BGBI.Nr. 106/1986) hat der österreichische Gesetzgeber den letzten Satz des § 103 Abs. 2 KFG im Verfassungsrang erhoben, wonach Rechte auf Auskunftsverweigerung gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, zurücktreten.

Im Erkenntnis VfSlg. 11.829 hat der Verfassungsgerichtshof diese nun im Verfassungsrang stehende Bestimmung wiederum geprüft und nicht als verfassungswidrig erkannt, Art. 6 EMRK sei 'bloß in seiner innerstaatlichen Maßstabsfunktion' anzuwenden.

Dazu ist auszuführen, dass der nunmehr im Verfassungsrang stehende letzte Satz des § 103 Abs. 2 KFG deshalb einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip darstellt, weil es diese dem Verfassungsgerichtshof unmöglich macht, diese Verfassungsbestimmung auf ihre Konventionsgemäßheit hin (im wesentlichen nach Art. 6 Abs. 1 und 2 und Art. 8 Abs. 1 EMRK) zu prüfen, was einer Verfassungssuspendierung gleich kommt, welche unzulässig ist, weil die Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofes zur Normenkontrolle als wesentlicher Bestandteil des rechtsstaatlichen Baugesetzes zu qualifizieren ist (G 12/00 vom 11.10.2001). Zu Art. 8 EMRK vgl. etwa das Urteil des EGMR im Fall B. gegen Deutschland vom 28.04.2005, Beschwerde-Nr. 41.604/98).

Für die Anwendung des Art. 6 EMRK bloß in seiner innerstaatlichen Maßstabsfunktion bleibt schon deshalb kein Raum, weil Österreich als Konventionsstaat im Sinne des Art. 1 EMRK und Art. 9 Abs. 1 B-VG verpflichtet ist, die Konventionsrechte uneingeschränkt zu wahren. Art. 15 EMRK kommt hier nicht zum Tragen.

Mit der Schaffung der Verfassungsbestimmung des letzten Satzes des § 103 Abs. 2

KFG verstößt die Republik Österreich gegen Art. 17 EMRK, weil damit die Konventionsrechte zum Teil abgeschafft, zumindest aber beschränkt werden, was nach dieser Bestimmung unzulässig ist.

Eine Verletzung in unserem verfassungsgesetzlichen gewährleisteten Recht auf eine

wirksame Beschwerde nach Art. 13 EMRK liegt deshalb vor, weil es uns nicht möglich ist, in einem innerstaatlichen Verfahren diese Konventionsverletzungen feststellen zu lassen.

Verletzung des Art. 14 EMRK:

Nach dieser Konventionsbestimmung (Verbot der Benachteiligung) ist der Genuss der in der Konvention festgelegten Rechte und Freiheiten ohne Benachteiligung zu gewährleisten.

Einen Verstoß gegen diese Konventionsbestimmung leite ich daraus ab, dass die gesetzlichen Bestimmungen im österreichischen Verwaltungsstrafverfahren zwar die Zeugen iSd Art. 6 EMRK davor schützen sich selbst belasten zu müssen, nicht aber den Beschuldigten; diese Differenzierung ist unsachlich und somit diskriminierend.

Die Aussage darf von einem Zeugen nach § 49 Abs. 1 Z. 1 A VG (diese Bestimmung

ist iSd § 24 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden) über Fragen verweigert werden, deren Beantwortung dem Zeugen, seinem Ehegatten und anderen im Gesetz genannten nahen Familienangehörigen einen unmittelbaren bedeutenden Vermögensnachteil oder die Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung zu ziehen oder zur Schaden gereichen würde.

Nach § 38 VStG sind die Verwandten und Verschwägerten des Beschuldigten in auf- und absteigender Linie sowie die dort genannten anderen Familienangehörigen von der Verbindlichkeit zur Ablegung eines Zeugnisses auch dann befreit, wenn die in § 49 Abs. 1 Z. 1 AVG vorgesehenen Voraussetzungen nicht vorliegen.

Dies bedeutet, dass die in § 38 VStG genannten Personen die Zeugenaussage in einem Verwaltungsstrafverfahren gegen einen Beschuldigten selbst dann verweigern können, wenn sich diese nicht der Gefahr einer strafgerichtlichen Verfolgung aussetzen oder ihnen die Aussage zur Schaden gereichen oder einen unmittelbaren bedeutenden Vermögensnachteil mit sich bringen würde.

Genau mit diesen Argumenten hat der Verfassungsgerichtshof in den Erkenntnissen aus dem Jahr 1984 und 1985, VfSlg. 9950, 10.394 und 10.505 die damals auf einfachgesetzlicher Stufe gestandene Bestimmung des § 103 Abs. 2 KFG insoweit aufgehoben, als dieser den Zulassungsbesitzer zur Abgabe der Lenkerauskunft auch dann verpflichtet hat, wenn er sich damit selbst oder einen nahen Familienangehörigen belasten müsste.

Die im zweiten Satz des (damaligen) § 103 Abs. 2 KFG unter Strafsanktion des § 134 enthaltene Regelung der Auskunftspflicht bewirkt gegebenen falls materiell auch einen Zwang zur Selbstbeschuldigung im Hinblick auf eine Verwaltungsübertretung; weiters kommt dem Zulassungsbesitzer kein inhaltlich einem Zeugnisverweigerungsrecht entsprechendes Entschlagungsrecht zugute, was unsachlich und somit gleichheitswidrig ist.

Darin liegt auch ein Verstoß gegen den Gleichheitssatz nach Art. 1 des 12. ZP zur EMRK.

Neben der Verletzung des Art. 6 Abs. 1, Art. 8 Abs. 1 EMRK liegt auch ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, den Anklagegrundsatz nach Art. 90 Abs. 2 B-VG sowie gegen die Verfassungsbestimmungen der Art. 1, 13, 14 und 17 EMRK vor.

Dazu erlauben wir uns auf die Ausführungen in der Berufung sowie der heutigen Ergänzung zu verweisen; ein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung liegt deshalb vor, weil der 'gesetzliche Nachweis' unserer Schuld und somit unserer Haftung für die

über den Lenker verhängte Geldstrafe nicht geführt wurde, sondern wir mit Druck und Zwang (unter Strafandrohung) verpflichtet wurden, die erstbehördliche Lenkeranfrage zu beantworten, ansonsten über uns eine Geldstrafe bis zu € 2.180,-- (§ 134 Abs. 1 KFG) verhängt worden wäre.

Mit der Erteilung der Lenkerauskunft war automatisch die Haftung unseres Geschäftsführers für die über den Lenker zu verhängende und hier auch verhängte Geldstrafe festgeschrieben.

Die Rechtsmittelanträge bleiben aufrecht."

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat darüber erwogen:

 

4.1. Gemäß § 23 Abs. 1 BStMG haften Zulassungsbesitzer für die über die Lenker ihres Fahrzeuges wegen einer Übertretung des § 20 Abs. 2 verhängten Geldstrafen und für die Verfahrenskosten zur ungeteilten Hand, wenn sie dem Lenker das Fahrzeug selbst oder über Dritte überlassen haben.

Zulassungsbesitzer haben im Strafverfahren gegen den Lenker keine Parteistellung; ein gegen den Lenker ergangener Strafbescheid hat für sie keine bindende Wirkung (Abs. 2).

 

4.2. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde über Frau K. G. wegen einer Übertretung des BStMG die gegenständliche Strafe verhängt.

 

Gegen diesen Bescheid wendet sich die gegenständliche Berufung. Berufungswerber (Bw) ist jedoch nicht die bestrafte Lenkerin, sondern der Zulassungsbesitzer des Kraftfahrzeuges mit dem amtlichen Kennzeichen BR.

 

Im Hinblick auf § 23 BStMG ist die Berufung des Zulassungsbesitzes als unzulässig zurückzuweisen.

 

Insofern der Bw gegen die gesetzlichen Regelungen des § 23 BStMG bzw. des § 103 Abs. 2 KFG - vom Unabhängigen Verwaltungssenat nicht geteilte - verfassungsrechtliche Bedenken hegt, ist er auf den von der Rechtsordnung für die Geltendmachung solcher Bedenken vorgesehenen Rechtsweg zu verweisen. Dies gilt ebenfalls für die vorgebrachten und vom erkennenden Verwaltungssenat nicht geteilten verfassungsrechtlichen Bedenken in der Berufungsergänzung vom 18. Mai 2006.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

Dr. Langeder

 

 

 

 

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