Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420085/46/WEI/Bk

Linz, 11.05.2000

VwSen-420085/46/WEI/Bk Linz, am 11. Mai 2000

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Beschwerde des F, vom 8. November 1995 wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 1. November 1995 durch der Bezirkshauptmannschaft Schärding zuzurechnende Gendarmeriebeamte nach Aufhebung des im ersten Rechtsgang ergangenen h. Erkenntnisses vom 6. Mai 1996, VwSen-420085/24/Schi/Ka, durch den Verwaltungsgerichtshof zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird Folge gegeben und festgestellt, dass der Beschwerdeführer am 1. November 1995 in der Zeit von etwa 9.00 bis 11.30 Uhr im verfassungsrechtlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt verletzt wurde, indem er von Gendarmeriebeamten der Posten S und T zur gemeinsamen Fahrt nach D, T und S und zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen bei sonstiger (förmlicher) Festnahme gezwungen wurde, obwohl die Voraussetzungen für ein eigenmächtiges Vorgehen der Sicherheitsorgane nach dem § 177 Abs 1 StPO nicht vorlagen.

II. Der Bund hat dem Beschwerdeführer Aufwendungen in Höhe von S 18.920,-- (darin enthalten S 120,-- Bundesstempel; entspricht 1.374, 97 Euro) binnen 2 Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen. Das Mehrbegehren von S 3.760,-- (entspricht 273, 25 Euro) wird abgewiesen.

Rechtsgrundlagen:

Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 und § 67c AVG 1991; § 79a AVG iVm Aufwandersatzverordnung UVS, BGBl Nr. 855/1995.

Entscheidungsgründe:

1. Mit Schriftsatz vom 8. November 1995, beim Oö. Verwaltungssenat eingelangt am 13. November 1995, hat der rechtsfreundlich vertretene Beschwerdeführer (Bf), eine Maßnahmenbeschwerde gemäß § 67a Abs 1 Z 2 und § 67c AVG wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt am 1. November 1995 in der Zeit von 09.00 bis 11.30 Uhr infolge Zwangs zur gemeinsamen Fahrt mit Gendarmeriebeamten und zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen erhoben und die Verletzung von einfachgesetzlich gewährleisteten Rechten geltend gemacht.

Im Einzelnen wurde ausgeführt, dass am Vormittag des 1. November 1995 um etwa 9.00 Uhr insgesamt vier Gendarmeriebeamte bei seiner Wohnung erschienen wären und ihm erklärt hätten, dass eine gebrauchte Motorsäge bei einer dem Bf bekannten Person gestohlen worden wäre. Er habe erklärt, dass er wohl eine gebrauchte Motorsäge in der Hütte in D hätte, jedoch keinesfalls eine solche gestohlen hätte. Er wäre daraufhin zum Mitkommen aufgefordert worden und ihm wäre befohlen worden, unverzüglich zu der Hütte in D zu fahren. Er hätte zunächst erklärt, dies am Vormittag des Allerheiligentages keinesfalls tun zu wollen. Daraufhin sei ihm erklärt worden, dass er bei Anwendung sonstiger Zwangsgewalt dazu verpflichtet wäre, weshalb ihm nichts anderes übrig geblieben wäre, als nach D zu fahren. Dort hätte man eine gebrauchte gelbe Motorsäge vorgefunden. Tatsächlich hätte es sich um eine Verwechslung gehandelt.

Trotz dieser Bagatellangelegenheit wäre er aufgefordert worden, zum Gendarmerieposten nach T zu fahren, wobei ihm auch diesbezüglich angesichts der Drohung der Anwendung von Zwangsmaßnahmen nichts anderes übrig geblieben wäre. Er machte dort zur Sache selbst keine Angaben. Angaben zu seiner Person wären an sich nicht notwendig gewesen, weil den Gendarmeriebeamten die Wohnadresse und der Name bekannt war. Schließlich wäre ihm erklärt worden, dass auch erkennungsdienstliche Maßnahmen durchgeführt werden müssten. Aufgrund der Androhung von sonstigem Zwang wäre ihm nichts anderes übrig geblieben, als die Prozedur der Abnahme der Fingerabdrücke über sich ergehen zu lassen. Schließlich wäre festgestellt worden, dass in T kein Fotoapparat vorhanden war. Daher wäre er gezwungen worden, nach S zu fahren, und dort wären im Zuge der erkennungsdienstlichen Maßnahmen noch Fotos gemacht worden. Letztlich hätte er nach einer mehr als 2 Stunden dauernden Prozedur nach Hause fahren dürfen. Er hätte die Gendarmen auch nach Namen und Erkennungsnummern gefragt, welche Auskunft aber verweigert worden wäre.

Aufgrund dieser Vorgangsweise der Gendarmeriebeamten wäre er in seinen Rechten verletzt worden. Er wäre zur Erduldung erkennungsdienstlicher Behandlung gezwungen worden, obwohl die Voraussetzungen gemäß den Bestimmungen des Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) nicht vorlagen. Der Verdacht wäre lediglich dahin gegangen, dass er eine gebrauchte Motorsäge gestohlen hätte. Dies wäre ohnedies nicht der Fall, weil eine Verwechslung vorläge. Aber auch bei Berechtigung dieses Verdachtes lägen die Voraussetzungen gemäß §§ 65 ff SPG nicht vor. Aufgrund der Bedeutung der Angelegenheit wäre auch die Anordnung und der Zwang zu den Fahrten nach D, T und S nicht gerechtfertigt gewesen. Diese Vorgangsweise wäre absolut unverhältnismäßig gewesen, insbesondere am Vormittag des Allerheiligentages. Diese Vorgangsweise wäre weder durch die Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO) noch durch jene des SPG gerechtfertigt gewesen und bedeuteten einen Eingriff in das Grundrecht auf Freiheit.

Abschließend stellte der Bf daher den Antrag auf kostenpflichtige Erlassung der folgenden Entscheidung:

"Der Bf ist durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt, nämlich der befehls- und zwangsweisen Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen, des Befehls bzw. Zwangs zur gemeinsamen Fahrt mit den Gendarmen nach D, T und S am 1.11.1995 von 9.00 Uhr bis 11.30 Uhr durch die Gendarmen des Gendarmeriepostens S und T, als Organe der belangten Behörde, in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Freiheit und in seinem einfach gesetzlich gewährleisteten Rechten gemäß den Bestimmungen der Strafprozeßordnung und des Sicherheitspolizeigesetzes verletzt worden."


2. Die belangte Behörde hat mit Schriftsatz vom 15. Dezember 1995, Sich 01-781-1995-Hol, eine Gegenschrift erstattet und beantragt, die Beschwerde als unzulässig zurückzuweisen bzw als unbegründet abzuweisen. In der Gegenschrift wird im Wesentlichen ausgeführt, dass gemäß § 22 Abs 3 2. Satz SPG ausschließlich die Bestimmungen der StPO gelten, sobald ein bestimmter Mensch der strafbaren Handlung verdächtig ist. Die Bestimmungen des SPG über den Erkennungsdienst wären aber sowohl dann anzuwenden, wenn die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sicherheitspolizeiliche Agenden wahrnehmen, als auch dann, wenn sie im Dienste der Strafrechtspflege tätig werden. Im gegenständlichen Fall wäre der Bf verdächtig gewesen, eine bestimmte gerichtlich strafbare Handlung begangen zu haben und es hätten keine Umstände vorgelegen, die weiteres sicherpolizeiliches Handeln zur Vorbeugung weiterer gefährlicher Angriffe des Bf erforderlich gemacht hätten. Die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes wären daher gegen eine konkrete Person vorgegangen, die verdächtig war, eine bestimmte gerichtlich strafbare Handlung begangen zu haben. Da weitergehende sicherheitspolizeiliche vorbeugende Maßnahmen nicht erforderlich waren, wäre das gegenständliche Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Dienste der Strafrechtspflege geschehen. Dies ergebe sich aus der Bestimmung des § 22 Abs 3 SPG, aus der auch eindeutig ableitbar sei, dass die Bestimmungen über den Erkennungsdienst im SPG für Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sowohl dann anzuwenden seien, wenn sie zur Wahrung sicherheitspolizeilicher Agenden einschreiten, als auch dann, wenn sie im Dienste der Strafrechtspflege tätig werden. Im konkreten Fall hätten die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Befugnisse gemäß §§ 68 ff SPG im Dienste der Strafrechtspflege wahrgenommen, weshalb dieses Einschreiten den Justizbehörden zuzurechnen wäre und die Bezirkshauptmannschaft Schärding als Sicherheitspolizeibehörde nicht als belangte Behörde in Betracht käme. Die gegenständliche Beschwerde wäre daher in Bezug auf die erkennungsdienstliche Behandlung wegen Unzuständigkeit zurückzuweisen.

Selbst wenn man die Bezirkshauptmannschaft Schärding im gegenständlichen Beschwerdefall in Bezug auf die erkennungsdienstlichen Maßnahmen als belangte Behörde ansähe, käme der Beschwerde keine Berechtigung zu. Der Bf hätte sich freiwillig der erkennungsdienstlichen Behandlung unterzogen. Befehls- oder gar Zwangsgewalt wäre daher nicht zur Anwendung gekommen. Weiters verweist die belangte Behörde auf die Bestimmung des § 65 Abs 1 SPG. Gemäß dieser Bestimmung seien Sicherheitsbehörden ermächtigt, Menschen, die in Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, erkennungsdienstlich zu behandeln, wobei hievon solange abgesehen werden könne, als nicht zu befürchten sei, der Betroffene werde weitere gefährliche Angriffe begehen. Diese Bestimmung enthalte daher eine generelle Ermächtigung der Sicherheitsbehörden (und über die Verweisung des § 22 Abs 3 SPG auch der Justizbehörden), erkennungsdienstliche Behandlungen von Personen vorzunehmen, welche in Verdacht stehen, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben. Dass der Bf in Verdacht stand, einen gefährlichen Angriff begangen zu haben, gehe ja eindeutig aus der vorliegenden Anzeige des Gendarmeriepostens T hervor (und werde im Wesentlichen auch in der eingebrachten Maßnahmebeschwerde nicht bestritten). Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes hätten daher zulässigerweise von ihrer Befugnis Gebrauch gemacht, den Bf erkennungsdienstlich zu behandeln. Die Bestimmung des § 65 Abs 1 2. Satz SPG enthalte eine Ermessensbefugnis der Sicherheitsbehörde bzw der für sie einschreitenden Organe  des öffentlichen Sicherheitsdienstes, von  erkennungsdienst-lichen Behandlungen dann abzusehen, wenn nicht zu befürchten ist, dass der Betroffene weitere gefährliche Angriffe begehen werde. Von dieser Ermessensbefugnis hätten die einschreitenden Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes nicht Gebrauch gemacht. Im Übrigen werde darauf verwiesen, dass sich aus den vorliegenden Identitätsurkunden bezüglich des Bf Ungereimtheiten in Bezug auf sein Geburtsdatum (1936 oder 1938) ergeben. Schon aus diesem Grund wäre es als zur Identitätsfeststellung zweckmäßig zu erachten gewesen, den Bf einer erkennungsdienstlichen Behandlung zu unterziehen. Aus diesem Grund wäre die gegenständliche Beschwerde zumindest abzuweisen.

3.1. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat am 25. April 1996 am Sitz der Bezirkshauptmannschaft Schärding eine öffentliche mündliche Verhandlung in Gegenwart des Bf, seines Rechtsvertreters D und des Vertreters der belangten Behörde, M, durchgeführt. Im Zuge dieser Verhandlung wurde Beweis aufgenommen durch Einsicht in den vorgelegten Verwaltungsakt, in die Schriftsätze und in das vom Bf vorgelegte Protokoll über die Hauptverhandlung beim Bezirksgericht S am 21. März 1996 zu U , betreffend Strafsache gegen F wegen § 146 StGB. Die in diesem Verhandlungsprotokoll befindlichen Zeugenaussagen von J und A wurden über Antrag des Bf und mit Zustimmung der Verfahrensparteien verlesen. Als Zeugen wurden G und R, beide vom Gendarmerieposten T, in der Verhandlung einvernommen.

3.2. Auf Grund der aufgenommenen Beweise hat der unabhängige Verwaltungssenat den folgenden entscheidungsrelevanten Sachverhalt als erwiesen angenommen:

Auf Grund der Diebstahlsanzeige des J vom 12. Oktober 1995 betreffend eine gebrauchte gelbe Motorsäge am Gendarmerieposten T wurden Ermittlungen hinsichtlich des Täters durchgeführt. Der Bearbeiter dieses Aktes war R. Letztlich ergab der dringende Tatverdacht, dass der Bf den Diebstahl begangen hatte. Kurz vor dem 1. November 1995 waren die Indizien durch die Ermittlungen soweit gediehen, dass beschlossen wurde, den Bf als Tatverdächtigen mit dem Tatvorwurf zu konfrontieren. Am Allerheiligentag 1. November 1995, einem gesetzlichen Feiertag, fuhren die Zeugen R und G in Begleitung von zwei weiteren Beamten des Gendarmeriepostens S zur Wohnung des Bf. Um etwa 9.00 Uhr oder 9.30 Uhr des 1. November 1995 wurde an der Wohnungstür des Bf geläutet und dieser konfrontiert. Der Bf räumte sodann ein, eine gelbe Motorsäge in einer Hütte in D zu haben. Nachdem er aufgefordert worden war, dorthin mitzufahren, lehnte er dies zunächst ab. In weiterer Folge wurde ihm von den Ermittlungsbeamten erklärt, dass dies unbedingt notwendig sei. Daraufhin erklärte sich der Bf dazu bereit und ersuchte, im eigenen PKW dorthin fahren zu dürfen, um kein größeres Aufsehen zu erregen. Dies wurde ihm gestattet.

Nach Ankunft bei der Hütte in D gab der Bf die Motorsäge der Marke Partner heraus. Daraufhin wurde der Bf aufgefordert, zum Gendarmerieposten S, T oder S zu fahren, um die Identität festzustellen. Nach kurzer Zeit hat sich der Bf bereit erklärt, zum Gendarmerieposten T mitzukommen. Dort wurde er erkennungsdienstlich behandelt und schließlich sollte er noch fotografiert werden. Da auf diesem Posten kein Fotoapparat vorhanden war, wurde beschlossen, zum Gendarmerieposten S zu fahren, wo schließlich eine Fotoserie vom Bf angefertigt wurde. Danach konnte der Bf etwa um 11.30 Uhr wieder nach Hause fahren.

Der Bf war den Gendarmeriebeamten nicht hinreichend bekannt; aus diesem Grund und insbesondere wegen mangelnder Ortskenntnisse sind die beiden Gendarmeriebeamten des Postens S anfangs zur Wohnung des Bf mitgefahren. Sowohl die Zeugen als auch der Bf selbst gaben übereinstimmend an, dass bei keinem der verschiedenen Ermittlungsschritte eine förmliche Festnahme durchgeführt bzw eine unmittelbare Zwangsgewalt eingesetzt, oder mit ihr unmittelbar gedroht wurde. Weiters stimmen sämtliche Aussagen auch dahingehend überein, dass der Bf zunächst immer wieder einen verbalen Widerstand gegen die Ansinnen der Gendarmeriebeamten (Fahrt nach D; erkennungsdienstliche Behandlung bzw Identitätsfeststellung; Fahrt zum GP S zwecks Fotografierens) geleistet hat. Dieser verbale Widerstand konnte jedoch im Gespräch mit dem Bf überwunden werden. Die Gendarmen betonten die Notwendigkeit dieser Ermittlungen und sonstigen Maßnahmen, wobei für den Bf mehr oder weniger unausgesprochen eine Drohung mit Zwang im Raum stand. Aus diesem Grund wirkte er auch an der gesamten Amtshandlung entsprechend mit.

3.3. Insoweit mit der eingebrachten Beschwerde auch die Verletzung einer gemäß § 31 SPG festgelegten Richtlinie behauptet wurde, hat der Oö. Verwaltungssenat diese mit h.
Schreiben vom 16. November 1995 gemäß § 89 Abs. 1 SPG an das zuständige Landesgendarmeriekommando für Oberösterreich als Dienstaufsichtsbehörde weitergeleitet.

3.4. Mit Erkenntnis des Oö. Verwaltungssenates vom 6. Mai 1996, Zl. VwSen-420085/24/Schi/Ka, wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der Bf zum Kostenersatz an den Bund verpflichtet. Diese im ersten Rechtsgang ergangene Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 16. Februar 2000, Zl. 96/01/0570-5, wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts aufgehoben. Im Grunde dieses Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtshofes ist daher nunmehr im zweiten Rechtsgang neuerlich zu entscheiden.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein (sog. Maßnahmenbeschwerde), ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes.

Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt setzt nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die unmittelbare Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus (vgl VwGH 14.12.1993, 93/05/0191; VfSlg 11935/1988; VfSlg 10319/1985; VfSlg 9931/1984 und 9813/1983). Die bloße Untätigkeit einer Behörde erfüllt diesen Begriff nicht (vgl VfSlg 9813/1983; VfSlg 9931/1984; VfSlg 10319/1985, VfSlg 11935/1988). Für die Ausübung von Zwangsgewalt ist ein positives Tun begriffsnotwendig (vgl VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9461 A/1977; VfSlg 6993/1973; VfSlg 4696/1964). Dieses kann auch in einem schlüssigen Tun iSd § 863 ABGB bestehen (vgl Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit, 1983, 74).

Voraussetzung für die Zulässigkeit einer sog. Maßnahmenbeschwerde ist daher, dass gegen den Beschwerdeführer physischer Zwang ausgeübt wurde oder die unmittelbare Ausübung physischen Zwanges bei Nichtbefolgung eines Befehles droht (vgl mwN Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 8. A, 1996, Rz 610).

Da unbestritten kein richterlicher Befehl vorlag, erfolgte das Einschreiten der Gendarmen selbständig gemäß § 177 StPO. Wie der Verwaltungsgerichtshof in seinem aufhebenden Erkenntnis unter Hinweis auf ein Vorerkenntnis ( vgl VwGH 6.10.1999, 99/01/0120) ausgeführt hat, ist in einem solchen Fall das auf eigener Willensbildung beruhende Organverhalten der Verwaltung zuzurechnen, obwohl das Einschreiten im Dienste der Strafjustiz erfolgte.

4.2. Nach Art 5 Abs 1 EMRK hat jedermann ein Recht auf Freiheit und Sicherheit. Die Freiheit darf einem Menschen nur in den Fällen des Absatz 1 lit a) bis f) und nur auf die gesetzlich vorgeschriebene Weise entzogen werden.

Art 1 des BVG über den Schutz der persönlichen Freiheit (PerFrSchG), BGBl Nr. 684/1988, gewährleistet dieses Recht auf Freiheit und Sicherheit (persönliche Freiheit) ebenfalls. Nach Art 1 Abs 2 PersFrSchG darf niemand aus anderen als den in diesem BVG genannten Gründen oder auf andere als die gesetzlich vorgeschriebene Weise festgenommen oder angehalten werden. Der Entzug der persönlichen Freiheit darf nach Art 1 Abs 3 PersFrSchG nur vorgesehen werden, wenn dies nach dem Zweck der Maßnahme notwendig ist. Er ist nur zulässig, wenn und soweit dies nicht zum Zweck der Maßnahme außer Verhältnis steht.

Die Freiheitsentziehung im Sinne des PersFrSchG und der EMRK umfasst sowohl die Verhaftung (Festnahme) als auch die Anhaltung. Die Verhaftung (Festnahme) ist ein einmaliges Ereignis, sozusagen der Eintritt einer Freiheitsbeschränkung, der vom Willensakt eines Organs (Menschen) getragen wird. Dagegen stellt die Anhaltung die Fortdauer, die Aufrechterhaltung des einmal eingetretenen Zustands der Festgenommenheit dar (vgl. Ermacora, Grundriss der Menschenrechte in Österreich, 1988, Rz 364 ff). Auch dieses Verhalten eines Organs muss von dessen Willen getragen sein. Damit müssen jeweils zwei Elemente vorliegen, nämlich ein tatsächliches Verhalten und der Wille zur Freiheitsbeschränkung. Dieser Wille, durch den das bloße Verhalten erst zum normativen Akt - hier: zum Akt unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt - wird, kann etwa dadurch ausdrücklich erklärt werden, dass jemand durch ein Organ "für verhaftet erklärt" wird. Andererseits kann ein Organverhalten auch dann eine Freiheitsentziehung bedeuten, wenn das Organ den Willen nicht ausdrücklich erklärt hat, dieser aber aus seinem Verhalten erschlossen werden muss.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes kann von einem Eingriff in die persönliche Freiheit nur gesprochen werden, wenn der behördliche Wille primär auf eine Freiheitsbeschränkung gerichtet war, diese sich also nicht bloß als sekundäre Folge anderer Maßnahmen, mit denen Bewegungsbehinderungen verbunden sind, darstellt (vgl etwa VfSlg 5280/1966, 5570/1967, 8327/1978, 7298/1974, 12.017/1989, 12.792/1991). Im Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 12. Dezember 1998, B 1341/97, wurde in diesem Zusammenhang aber auch zum Ausdruck gebracht, dass eine nach Art und Umfang überschießende Amtshandlung eine einer Festnahme gleichkommende Beschränkung der persönlichen Freiheit darstellen kann.


4.3. Ein wesentliches Kriterium der Freiheitsentziehung ist die Unfreiwilligkeit. Ein freiwilliges Verhalten des Betroffenen kann nicht als Freiheitsbeschränkung gedeutet werden. Schon die Androhung von physischem Zwang genügt, um die Freiwilligkeit auszuschließen. Bloße Einladungen sind hingegen nicht als Androhung von Zwang zu werten. Eine bloße Einladung liegt nach VfSlg 13.156/1992 dann vor, wenn der Betroffene nach eigenem Gutdünken der Einladung auch nicht nachkommen konnte, ohne dabei Gefahr zu laufen, dass er deshalb unverzüglich und unmittelbar physischem Zwang unterworfen werde. Es handelt sich dabei um ein schlichtes Ansinnen, das keinen individuell-normativen Inhalt aufweist. Ein solches ist auch dann gegeben, wenn keine Androhung der sofortigen Festnahme erfolgt ist oder wenn bloß ein Wunsch geäußert wird, der keinen die sofortige Befolgung erheischenden Befehl darstellt, bei dessen Nichtbefolgung der Betroffene mit der Ausübung von körperlichem Zwang zu rechnen hätte (VfSlg 11.568/1987).

Im gegenständlichen Fall war nach den Gesamtumständen davon auszugehen, dass der Bf mit Sicherheit festgenommen worden wäre, hätte er nicht den "Aufforderungen" zum Mitkommen zwecks Ermittlungen, Identitätsfeststellung und Einvernahme sowie erkennungsdienstliche Behandlung Folge geleistet. Dies geht zunächst schon aus der Intention der erhebenden Gendarmeriebeamten (vgl Tonbandprotokoll, Seite 1, Aussage des Zeugen R: "... beschlossen wir, uns den Herrn F zu holen...") klar hervor. Auch nach der Schilderung des Bf stand die Drohung einer Festnahme mehr oder weniger unausgesprochen im Raum. Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 16. Februar 2000 der Interpretation als Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehls- und Zwangsgewalt unter Hinweis auf die gesamte Situation (Auftreten von vier Gendarmeriebeamten, Konfrontation mit dem Verdacht, eine gerichtlich strafbare Handlung begangen zu haben, sowie Innehabung einer entwendeten fremden Sache) zugestimmt.

4.4. Nach Art 2 Abs 1 Z 2 PersFrSchG darf einem Menschen die persönliche Freiheit auf die gesetzlich vorgesehene Weise u.a. entzogen werden, wenn der Betroffene einer gerichtlich strafbaren Handlung verdächtig ist, und zwar zum Zweck der Beendigung des Angriffes oder zur Feststellung des Sachverhaltes, sofern der Verdacht im engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat oder dadurch entsteht, dass der Verdächtige einen bestimmten Gegenstand innehat (lit. a) oder um ihn daran zu hindern, sich dem Verfahren zu entziehen oder Beweismittel zu beeinträchtigen (lit. b).

Gemäß § 177 Abs 1 StPO kann die vorläufige Verwahrung des eines Verbrechens oder Vergehens Verdächtigen ausnahmsweise auch ohne schriftliche Anordnung durch Organe der Sicherheitsbehörden zum Zwecke der Vorführung vor den Untersuchungsrichter in den Fällen des § 175 Abs 1 Z 1 StPO (Betreten auf frischer Tat oder im engsten zeitlichen Zusammenhang) oder in den Fällen des § 175 Abs 1 Z 2 bis 4 (Fluchtgefahr, Verdunkelungsgefahr, Tatbegehungs- oder Ausführungsgefahr) erfolgen, wenn die Einholung des richterlichen Befehls wegen Gefahr im Verzug nicht tunlich ist.

Nach § 177 Abs 2 StPO ist der Festgenommene unverzüglich zur Sache sowie zu den Voraussetzungen der Verwahrungshaft zu vernehmen und sogleich freizulassen, wenn sich dabei ergibt, dass kein Grund zur weiteren Anhaltung vorhanden ist.

Der Verwaltungsgerichtshof führte in seinem Erkenntnis vom 16. Februar 2000, Zl. 96/01/0570-5, zur rechtlichen Beurteilung im aufgehobenen h. Erkenntnis wie folgt aus:

"Die belangte Behörde hat die gesetzliche Rechtfertigung für die ohne vorherige Einholung eines richterlichen Befehls erfolgte Festnahme des Beschwerdeführers in § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO erblickt und dies damit begründet, dass der Beschwerdeführer selbst eingeräumt habe, in seiner Hütte in D. eine Motorsäge zu verwahren. Der Beschwerdeführer sei daher im Sinne dieser Gesetzesstelle als Verdächtiger mit 'anderen Gegenständen', die vom Verbrechen oder Vergehen herrührten oder sonst auf seine Beteiligung daran hinwiesen, betreten worden.

Demgegenüber kann der in dieser Gesetzesstelle normierte Haftgrund ausschließlich dann angenommen werden, wenn es sich um das Betreten auf frischer Tat oder um den ersten Zugriff im engsten zeitlichen Zusammenhang mit der Tat handelt. Im Beschwerdefall wurde die Tat, deren der Beschwerdeführer verdächtigt wurde, bereits am 7. Oktober 1995 begangen, die Verhaftung des Beschwerdeführers erfolgte erst am 1. November 1995, sodass von einem engen zeitlichen Zusammenhang mit der Tat nicht mehr die Rede sein konnte. § 175 Abs. 1 Z. 1 StPO kommt daher als Grundlage für die Verhaftung des Beschwerdeführers nicht in Betracht."

In weiterer Folge hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Verfahren über die Bescheidbeschwerde geprüft, ob ein anderer Haftgrund nach § 175 StPO herangezogen werden könnte. Dabei dachte er an Verdunkelungsgefahr nach § 175 Abs 1 Z 3 StPO, welcher Haftgrund voraussetzt, dass auf Grund bestimmter Tatsachen die Gefahr besteht, dass der Verdächtige in Zukunft einen Versuch unternehmen werde, die Wahrheitsfindung in der dort beschriebenen Weise zu erschweren. Unter Hinweis auf Foregger/Kodek, Strafprozessordnung7, 264 f, Anm II, betonte der Verwaltungsgerichtshof, dass die bloße Möglichkeit einer Beeinträchtigung der Wahrheitsfindung nicht genügt. Der bloße Besitz einer Motorsäge könne auch nicht als eine derartige bestimmte Tatsache angesehen werden.

Abgesehen davon verwies der Verwaltungsgerichtshof zu den Haftgründen nach § 175 Abs 1 Z 2 bis 4 StPO darauf, dass grundlegende Voraussetzung für eine ohne richterlichen Befehl vorgenommene Festnahme der Umstand ist, dass wegen Gefahr im Verzug die Einholung eines richterlichen Befehls nicht tunlich ist. Er erblickte auch dann, wenn die Gendarmerieorgane berechtigt der Auffassung gewesen wären, der Bf könnte durch Verbringen der Motorsäge die Wahrheitsfindung behindern, bei der gegebenen Sachlage keinen Grund für die Annahme, dass die telefonische Einholung des Befehls eines Untersuchungs- bzw. Journalrichters untunlich gewesen wäre. Die Festnahme erweise sich daher auch aus diesem Grund als rechtswidrig.

5. Bei diesem Ergebnis hatte der Bund als Rechtsträger, für den die belangte Behörde tätig geworden ist, dem Bf als der obsiegenden Partei gemäß § 79a AVG 1991 idF BGBl Nr. 471/1995 die notwendigen Aufwendungen zu ersetzen. Als Aufwendungen gelten nach § 79a Abs 4 AVG neben Stempel- und Kommissionsgebühren sowie Barauslagen die durch Verordnung des Bundeskanzlers (vgl Aufwandersatzverordnung UVS BGBl Nr. 855/1995) festgesetzten Pauschalbeträge für Schriftsatz- und Verhandlungsaufwand. Danach beträgt der dem Bf zustehende Schriftsatzaufwand S 8.400,-- und der Verhandlungsaufwand S 10.400,--. Dem Bf waren daher S 18.800,-- und die entrichtete Eingabengebühr von S 120,--, insgesamt daher S 18.920,--, zuzusprechen. Das Mehrbegehren von 20 % MwSt. in dem anlässlich der mündlichen Verhandlung gelegten Kostenverzeichnis in Höhe von S 3.760,-- war abzuweisen, weil nur die pauschalierten Beträge ersatzfähig sind, in denen die MwSt schon berücksichtigt ist.

Analog dem § 59 Abs 4 VwGG 1985 war eine Leistungsfrist von 2 Wochen festzusetzen, zumal das Schweigen des § 79a AVG nur als planwidrige Lücke aufgefasst werden kann, sollte doch die Neuregelung idF BGBl Nr. 471/1995 im Wesentlichen eine Angleichung der Kostentragungsbestimmungen an das VwGG bringen (vgl Erl zur RV 130 BlgNR 19. GP, 14 f).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von S 2.500,-- (entspricht  181,68 Euro) zu entrichten.

Dr. W e i ß

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