Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-220496/2/Ga/La

Linz, 17.05.1994

VwSen-220496/2/Ga/La Linz, am 17. Mai 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Mag. Gallnbrunner über die Berufung des Dipl.-Ing. P. B., gegen das Straferkenntnis der Bezirks- hauptmannschaft vom 9. Februar 1993, Zl. Ge.., wegen Übertretungen von Arbeitnehmerschutzvorschriften, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben; das Straferkenntnis wird aufgehoben und die Einstellung des Strafverfahrens verfügt.

II. Der Berufungswerber hat keine Beiträge zu den Kosten des Strafverfahrens zu leisten.

Rechtsgrundlage:

Zu I.: § 66 Abs.4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes 1991 - AVG, BGBl.Nr. 51, iVm § 24 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl.Nr. 52; § 45 Abs.1 Z3, § 51 Abs.1, § 51c und § 51e Abs.1 VStG.

Zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

Zu I.:

1.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der Berufungswerber 1.) einer Übertretung des § 45 Abs.4 erster Satz der Bauarbeitenschutzverordnung (BarbSchV) und 2.) einer Übertretung des § 45 Abs.4 zweiter Satz BarbSchV schuldig gesprochen.

Wegen dieser Verwaltungsübertretungen wurde, jeweils gemäß § 31 Abs.2 lit.p des Arbeitnehmerschutzgesetzes iVm § 16 VStG, über den Berufungswerber im Spruchpunkt 1.) eine Geldstrafe in der Höhe von 10.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe:

57 Stunden), im Spruchpunkt 2.) eine Geldstrafe in der Höhe von 8.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe: 53 Stunden), je kostenpflichtig, verhängt.

1.2. Begründend verweist die Strafbehörde auf die Anzeige des Arbeitsinspektorates W. Die darin enthaltenen Feststellungen über Tatzeit (29. Juli 1992) und Tatort (eine bestimmt beschriebene Baustelle, an der vom Unternehmen des Berufungswerbers die Spenglerarbeiten durchgeführt wurden) und weitere Tatumstände hat die Strafbehörde im Wege der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 8. Oktober 1992 zum Tatvorwurf erhoben und darüber das ordentliche Strafverfahren eingeleitet.

Im Abschnitt 'rechtliche Würdigung' vertritt die Strafbehörde den Standpunkt, daß der Vorwurf der Verwaltungsübertretung dem Berufungswerber "in konkreter und vollständiger Weise zur Kenntnis gebracht" worden ist. In seiner Rechtfertigung habe der Berufungswerber ein Kontroll- und Aufsichtssystem, das unter den vorhersehbaren Umständen die Übertretung der Arbeitnehmerschutzvorschriften wirksam verhindern kann, nicht dargetan. Außerdem sei davon auszugehen, daß ein Lehrling im dritten Lehrjahr die im Zusammenhang mit dem Spruchpunkt 2.) geforderten "vollständigen Fachkenntnisse" noch nicht habe.

1.3. Die dagegen vom Bestraften erhobene Berufung enthält zwar eine Begründung, jedoch keinen Antrag; das Rechtsmittel ist im Sinne der Rechtsprechung dennoch (vgl. VwGH vom 29.9.1993, 93/02/0129) als zulässig zu werten.

Das wesentliche Vorbringen des Berufungswerbers besteht in der Darlegung des nach seiner Meinung ausreichenden Kontrollsystems sowie in dem Einwand, daß der von ihm beschäftigt gewesene Lehrling sich zu einem guten Spengler entwickle und im Hinblick auf sein Alter und auf seine fast dreijährige Berufserfahrung über ausreichende Verläßlichkeit verfüge; diese seine Auffassung werde auch vom Bundesinnungsmeister der Spengler geteilt. Jedenfalls dürfe die BarbSchV, wenn sie für solche Arbeiten "notwendige Fachkenntnisse" verlange, nicht - wie dies das Straferkenntnis tue - in die Richtung ausgelegt werden, daß damit eine "abgeschlossene Lehre" verlangt sei.

2. Die Strafbehörde als belangte Behörde hat die Berufung und den bezughabenden Strafakt zu Zl. Ge.. vorgelegt.

Zum Inhalt der Berufung hat sie sich nicht geäußert.

Nach Beweisaufnahme durch Einsicht in diesen Strafakt hat der unabhängige Verwaltungssenat rechtlich erwogen:

3.1. Ob das dargestellte Berufungsvorbringen der Sachlage nach rechtlich geeignet sein konnte, die Berufung zu einem Erfolg zu führen, bleibe dahingestellt. Das angefochtene Straferkenntnis mit den zur Prüfung vorliegenden Schuldsprüchen hätte nämlich aus nachstehenden Gründen, deren Vorliegen vom unabhängigen Verwaltungssenat im Rahmen der ihm obliegenden Rechtmäßigkeitskontrolle aufzugreifen war, nicht mehr erlassen werden dürfen.

3.2. Der dem Spruchpunkt 1.) als verletzte Verwaltungsvorschrift zugrundegelegte erste Satz des § 45 Abs.4 BarbSchV ordnet an, daß sich die mit Spenglerarbeiten am Dachsaum oder an Hängerinnen Beschäftigten immer (nur) dann, wenn die Arbeiten nicht von einem sicheren Standplatz im Dachbodenraum ausgeführt werden, sicher anseilen müssen.

Der dem Spruchpunkt 2.) als verletzte Verwaltungsvorschrift zugrundegelegte zweite Satz des § 45 Abs.4 BarbSchV hingegen schreibt vor, daß solche Spenglerarbeiten (am Dachsaum oder an Hängerinnen) von mindestens zwei verläßlichen Personen ausgeführt werden müssen, die die notwendigen Fachkenntnisse für die ihnen übertragenen Arbeiten besitzen.

Nach § 31 Abs.1 VStG ist die Verfolgung einer Person unzulässig, wenn gegen sie binnen der Verjährungsfrist (hier: sechs Monate) von der Behörde keine Verfolgungshandlung (§ 32 Abs.2 VStG) vorgenommen worden ist.

Nach § 32 Abs.2 VStG ist Verfolgungshandlung jede von einer Behörde gegen eine bestimmte Person als Beschuldigten gerichtete Amtshandlung, u.zw. auch dann, wenn die Behörde zu dieser Amtshandlung nicht zuständig war, die Amtshandlung ihr Ziel nicht erreicht oder der Beschuldigte davon keine Kenntnis erlangt hat.

3.3. Eine Verfolgungshandlung unterbricht nur dann die Verjährung, wenn sie sich auf alle der Bestrafung zugrundeliegenden Sachverhaltselemente bezogen hat (vgl. zB die VwGH-Erkenntnisse verstärkter Senate vom 19.10.1978, Slg. NF 9664/A, und vom 19.9.1984, Slg. NF 11525/A, sowie die Erkenntnisse vom 16.1.1984, Zl. 10/2883/80 = ZfVB 1984/5/3055, und vom 9.7.1992, Zl. 92/10/0004; Erk. UVS vom 27.9.1993, 220243/2; vom 19.4.1994, 220488/2).

Im Berufungsfall wurden zwei behördliche Akte gesetzt, die als Verfolgungshandlungen in Betracht kommen, nämlich die Aufforderung zur Rechtfertigung vom 8. Oktober 1992 (expediert am 10. Oktober 1992) und das Straferkenntnis vom 9. Februar 1993 (abgesendet am 10. Februar 1993).

Der im Sinne des § 44a Z1 VStG maßgebliche Wortlaut der ersten Verfolgungshandlung lautet:

"Sie haben am 29. Juli 1992 in A., bei der Baustelle "Wohnhaus A." von einem Lehrling (3.

Lehrjahr) Spenglerarbeiten im Bereich des Dachsaumes (Montage von Hängerinnen) durchführen lassen, ohne daß entsprechende Sicherheitseinrichtungen vorhanden waren bzw. benützt wurden und die Traufenhöhe ca. 6 m betrug." Dem gegenüber lauten die Schuldsprüche (§ 44a Z1 VStG) des Straferkenntnisses wie folgt:

"1. Es wurden von Ihren Bediensteten am Wohnhaus A., Spenglerarbeiten im Bereich des Dachsaumes (Montage von Hängerinnen) durchgeführt, o h n e daß sich die Bediensteten angeseilt hätten, oder die Arbeiten von einem sicheren Standplatz im Dachbodenraum aus, getätigt worden wären." "2. Die Spenglerarbeiten am Dach des Wohnhauses A., wurden von einem (1) Lehrling Ihrer Firma, im dritten Lehrjahr der Ausbildung stehend, ausgeführt. Solche Arbeiten müssen jedoch von mindestens zwei Personen ausgeführt werden, die die notwendigen Fachkenntnisse, das heißt, abgeschlossene Lehre für die Ihnen übertragenen Arbeiten besitzen." Aus dieser Gegenüberstellung wird deutlich, daß die erste Verfolgungshandlung eine nicht hinreichend konkretisierte Tat vorgeworfen hat. Wesentliche Sachverhaltsmerkmale, die erst die Unterstellung unter die als verletzt angegebenen Rechtsvorschriften erlaubt hätten, sind in dieser Tatanlastung nicht enthalten. So ist schon die Wortwahl "entsprechende Sicherheitseinrichtungen" deswegen zu unbestimmt, weil § 45 Abs.4 erster Satz BarbSchV nur vom sicheren Anseilen spricht; das Nichtvorhandensein "entsprechender" anderer Sicherheitseinrichtungen (welcher?) kann, abgesehen davon, daß es auf ein Nichtvorhandensein gar nicht ankommt, nach dieser Vorschrift nicht angelastet werden. Zudem übersieht die Aufforderung zur Rechtfertigung vom 8. Oktober 1992 die Subsidiarität der Pflicht zur Anseilung. Die Anseil-Pflicht wird aktuell immer erst dann (arg. "sofern") ausgelöst, wenn nach der örtlichen Gegebenheit feststeht, daß für die Ausführung der Spenglerarbeiten ein sicherer Standplatz im Dachbodenraum entweder gar nicht zur Verfügung steht oder bloß nicht - aus welchen Gründen immer - benützt wird. Der vollständige Tatvorwurf hätte daher auch den Vorwurf des nicht vorhandenen oder des nicht benützten sicheren Standplatzes im Dachbodenraum als für diese Verwaltungsübertretung wesentliches Merkmal erfordert. Hingegen ist die Angabe der Traufenhöhe im Lichte dieser Rechtsvorschrift nur ein unwesentliches Sachverhaltsmerkmal.

Daß schließlich aus dem Blickwinkel des zweiten Satzes des § 45 Abs.4 BarbSchV die Tatanlastung der ersten Verfolgungshandlung gänzlich ungenügend ist, liegt auf der Hand. Weder nämlich wurde vorgeworfen, daß die Spenglerarbeiten nicht von mindestens zwei Personen ausgeführt worden sind, noch daß die Verläßlichkeit dieser Personen nicht gegeben war, noch daß die für die konkreten Arbeiten notwendigen Fachkenntnisse bei diesen Personen nicht vorhanden waren.

3.4. Indem das Straferkenntnis den Konkretisierungsmangel offenbar erkannt hat und mit der Aufgliederung in zwei Spruchpunkte nunmehr zwei selbständige Verwaltungsübertretungen vorwirft, werden in die Bestrafung allerdings wesentliche Sachverhaltselemente einbezogen, die die Aufforderung zur Rechtfertigung als erste Verfolgungshandlung noch nicht enthalten hatte. Das Straferkenntnis mit diesem Inhalt jedoch hätte nicht mehr erlassen werden dürfen, weil zum Erlassungszeitpunkt einer Bestrafung des Berufungswerbers wegen dieser Taten bereits Verfolgungsverjährung entgegengestanden ist.

3.5. Bei diesem Ergebnis kann weiters dahingestellt bleiben, daß im Spruchpunkt 2.) ein wesentlicher Teilaspekt der Verwaltungsübertretung dem Berufungswerber nicht als persönliche Sorgfaltsverletzung vorgeworfen, sondern der abstrakte Gesetzestext bloß narrativ wiedergegeben wird. Ein so formulierter Schuldspruch verfehlt jedoch das Kernanliegen eines auf die Person des Täters konkret ausgerichteten Schuldstrafrechts.

Davon abgesehen, hält der unabhängige Verwaltungssenat fest:

Im Lichte der diesbezüglich unbestimmt bleibenden Verwaltungsvorschrift darf aus dem Umstand allein, wonach der immerhin im dritten Lehrjahr der Ausbildung stehende Lehrling seine Lehre formell noch nicht abgeschlossen hatte, in dieser verallgemeinernden, im Straferkenntnis nicht näher begründeten Schlußfolgerung weder auf die deswegen (zwingend) fehlende notwendige Fachkenntnis und schon gar nicht auf eine bloß deswegen fehlende Verläßlichkeit geschlossen werden.

4. Aus diesen Gründen war aus Anlaß der Berufung das Straferkenntnis aufzuheben. Die Einstellung des Strafverfahrens war zu verfügen, weil Umstände vorliegen, die die weitere Verfolgung des Berufungswerbers in dieser Sache ausschließen. Auf das weitere Berufungsvorbringen war inhaltlich nicht mehr einzugehen.

Zu II.:

Die Aufhebung hat auf der Kostenseite die Entlastung des Berufungswerbers von allen Beiträgen zur Folge.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Mag. Gallnbrunner

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