Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-220940/16/Le/La

Linz, 16.09.1994

VwSen-220940/16/Le/La Linz, am 16. September 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Dr. Leitgeb über die Berufung des Herrn H K , G rstraße , L , vertreten durch Rechtsanwalt Dr. H L , E straße , L , gegen das Straferkenntnis des Magistrates der Landeshauptstadt Linz als Bezirksverwaltungsbehörde vom 18.3.1994, GZ 502-32/Kn/We/44/93e, wegen Übertretung des Arbeitnehmerschutzgesetzes, zu Spruchabschnitt 1 zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben; das Straferkenntnis wird in Spruchabschnitt 1 aufgehoben und diesbezüglich die Einstellung des Strafverfahrens verfügt.

II. Der Berufungswerber hat keine Beiträge zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens zu leisten.

Rechtsgrundlage:

Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl.Nr. 51 idgF iVm §§ 24, 45 Abs.1 Z2, 51 Abs.1, 51c und 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl.Nr. 52/1991.

Zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

zu I.:

1.1. Mit Straferkenntnis vom 18.3.1994, GZ:

502-32/Kn/We/44/93e, des Magistrates der Landeshauptstadt Linz als Bezirksverwaltungsbehörde wurde Herr H K, geb. , wohnhaft in L , G straße , als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Firma H K GesmbH, G straße , und somit als gemäß § 9 VStG verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlicher bestraft. Es wurde ihm vorgeworfen, daß auf der von seiner Firma betriebenen Baustelle "Dachbaustelle L , T straße ", wie anläßlich einer Inspektion durch das Arbeitsinspektorat für den 9. Aufsichtsbezirk festgestellt wurde, am 18.2.1993 Arbeitnehmer der o.a. Firma Dachdeckerarbeiten, nämlich das Auswechseln von schadhaften Ziegeln, welche nicht als umfangreiche Reparaturarbeiten iSd § 44 Abs.2 BAV anzusehen waren, durchführten, wobei folgende Mängel vorlagen:

1) Die Dachleitern waren nicht ordnungsgemäß und sicher miteinander verbunden, die oberste Leiter war nicht im Firstbereich befestigt und weiters waren die Anfangs- und Endsprossen nicht mit Bandeisen gesichert, obwohl gemäß § 43 Abs.3 Bauarbeiterschutzverordnung (BAV) die Dachleitern eine ausreichende Festigkeit besitzen müssen und die Anfangs- und Endsprossen solcher Leitern durch Bandeisen gesichert sein müssen und, falls bei Dacharbeiten mehrere Leitern übereinander verwendet werden, die oberste Leiter im Firstbereich sicher zu befestigen ist und die Leitern miteinander sicher zu verbinden sind.

Die in den Spruchabschnitten 2. und 3. enthaltenen Tatvorwürfe sind wegen der dazu ausgesprochenen Strafen Gegenstand des bei der 9. Kammer des unabhängigen Verwaltungssenates zu VwSen-220939-1994 anhängigen Verfahrens. Der vollständige Sachverhalt ist in deren Erkenntnis nachzulesen.

Der Beschuldigte habe hiedurch folgende Verwaltungsübertretung begangen:

§ 31 Abs.2 lit p) i.V.m. § 33 Abs.1 lit a) Ziffer 12 und § 33 Abs.7 ANSchG, BGBl.Nr. 234/1972 i.d.g.F. i.V.m. § 43 Abs.3 BAV BGBl.Nr. 267/1954 i.d.g.F.

Über den Beschuldigten wurde wegen dieser Verwaltungsübertretung gem. § 31 Abs.2 ANSchG in Anwendung des § 22 VStG eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 3 Tage) verhängt.

Gleichzeitig wurde ein Beitrag in Höhe von 10 v.H. zu den Kosten des Strafverfahrens vorgeschrieben.

1.2. Im Ermittlungsverfahren stützte sich die Erstbehörde auf nachstehende Beweisaufnahmen:

Anzeige des Arbeitsinspektorates für den 9. Aufsichtsbezirk vom 3. März 1993 einschließlich der Ergänzung vom 19. April 1993 sowie der Stellungnahme vom 24. August 1993; Einsichtnahme in den Akt der Staatsanwaltschaft L insbesonders die Meldung der Bundespolizeidirektion L Wachzimmer E, vom 18.2.1993, Bericht der Bundespolizeidirektion L, Kriminalpolizeiliche Abteilung, vom 18.2.1993, Niederschrift der Bundespolizeidirektion L , Kriminalpolizeiliche Abteilung, vom 18.2.1993 über die Vernehmung des Herrn A R (Arbeitskollege des verunglückten H S ) sowie Niederschrift der Bundespolizeidirektion L , Kriminalpolizeiliche Abteilung, vom 10.3.1993, über die Vernehmung des Beschuldigten.

Dem Beschuldigten wurde Gelegenheit zur Stellungnahme geboten und wurden mit Schriftsätzen vom 28.6.1993 und 17.11.1993 vom Beschuldigten Stellungnahmen abgegeben.

1.3. Folgender Sachverhalt wurde von der Erstbehörde als erwiesen angenommen:

1.3.1. Unfallhergang: am 18.2.1993 begaben sich Herr H S , der seit 38 Jahren als Spenglergeselle im Betrieb des Beschuldigten tätig war, sowie Herr A Reiter als Spenglergehilfe an die Arbeitsstelle T , wo sie mit Reparaturarbeiten am Dach dieses Hauses beauftragt waren. Herr H S war als Partieführer eingesetzt. Am Arbeitsort stellten sie fest, daß sie jene Kiste vergessen hatten, in der sich neben diversem Dachdeckerwerkzeug auch die Brustgurte für die Sicherheitsseile befanden. Diese Kiste wurde von den beiden Arbeitern nicht geholt (der Zeuge A R gab an, daß Herr S gesagt hätte, daß sich das nicht auszahle; er werde die paar Dachziegel auch ohne Brustgurt auswechseln können).

Auf der Straßenseite wechselten die beiden sodann verschiedene defekte Dachziegel ohne Zwischenfall aus.

Sodann lehnten sie die ca. 9 m lange Leiter an der Rückseite des Hauses an. Um zu den Firstziegeln gelangen zu können, mußten sie zwei weitere Holz-Dachleitern auflegen, wobei sie die längere Leiter nach der Aluleiter auf die Dachziegeln auflegten und mit einem Haken verspreizten. Die kürzere Holzleiter schlossen sie an diese an und befestigten sie an der ersten Holzleiter mit einem Haken. Auf diesen Leitern, die auf den Dachziegeln lagen, konnten sie dann am Dach nach oben gehen. Während A R den Mörtel mischte, wechselte H S einige Ziegel aus. Gegen 11.50 Uhr verließ A R die Baustelle, um eine Jause zu holen. Als er nach ca 10 min wieder zum Haus zurück kam und aus dem Auto ausstieg, hörte er einen dumpfen Knall. Er lief um das Haus herum und fand H S am Boden liegend, kein Lebenszeichen mehr von sich gebend. Der sofort herbeigerufene Notarzt konnte nur mehr den Tod von Herrn H S feststellen.

1.3.2. Der Zeuge A R gab an, daß die Brustgurte normalerweise immer verwendet wurden, nur am Unfalltag deshalb nicht, da sie diese in der Firma vergessen hatten.

Die Sicherungsseile hatten sie zwar mit, aber ohne Brustgurt könne man diese nicht bestimmungsgemäß verwenden. Die beiden mitgeführten Sicherungsseile konnten daher nicht verwendet werden.

Er gab weiters an, daß ihnen der Firmenchef (offensichtlich der Beschuldigte) die Auflage erteilt hätte, die Brustgurte bei allen Arbeiten auf Dächern mit gefährlicher Neigung zu verwenden. Er hätte sie auf diese Auflage mehrmals jährlich aufmerksam gemacht, zuletzt Mitte Jänner 1993.

1.3.3. Zur Verantwortlichkeit des Beschuldigten wurde folgendes festgestellt:

1.3.3.1. Das Arbeitsinspektorat warf dem Beschuldigten vor, daß die Dachleitern nicht ordnungsgemäß und sicher miteinander verbunden und befestigt waren.

Bezugnehmend auf die Verantwortung des Beschuldigten in der schriftlichen Stellungnahme vom 28.6.1993 verwies das Arbeitsinspektorat darauf, daß sich der Beschuldigte ohne jedwede Kontrolle auf angebliche Aussagen des tödlich verunglückten H S verlassen habe, ohne selber irgendwelche Sicherheitsvorkehrungen festzulegen. Weiters wurde dem Beschuldigten vorgeworfen, die Angaben des H S betreffend die Gefährlichkeit der Baustelle nicht überprüft zu haben; auch die Verantwortung, daß die Sicherheitsbehelfe überprüft worden wären, wurde in Zweifel gezogen, weil diese auf der Baustelle nicht vorhanden waren.

1.3.3.2. Der Beschuldigte verantwortete sich damit, daß der tödlich verunglückte H S seit 38 Jahren im Betrieb als Spenglergeselle beschäftigt war und als Partieführer eingesetzt wurde. Sämtliche Partieführer im Betrieb wären als Anordnungsbefugte an den einzelnen Arbeitsstellen beauftragt und bevollmächtigt gewesen, die entsprechenden Arbeitnehmerschutzbestimmungen einzuhalten und die Einhaltung durch die übrigen Arbeiter zu überprüfen.

Die einzelnen Partieführer, so auch Herr H S wären über sämtliche einzuhaltenden Arbeitnehmer-Schutzvorschriften informiert worden. Vom Beschuldigten selbst wären in unregelmäßigen Zeitabständen (ca alle 14 bis 20 Tage) stichprobenartige Kontrollen hinsichtlich der zu verwendenden und den einschlägigen Vorschriften entsprechenden Geräte und Schutzvorrichtungen durchgeführt worden. Außerdem hätte er die Partieführer angewiesen, bei jenen Baustellen, an welchen der Beschuldigte aufgrund anderweitiger Beschäftigungen selbst keine Kontrollen durchführen konnte, die notwendigen Vorkehrungen zu treffen.

Bei der gegenständlichen Baustelle wäre Herr S vom Beschuldigten angewiesen worden, vor Beginn der Arbeiten die Baustelle zu besichtigen und Vorkehrungen hinsichtlich der zu treffenden Schutzmaßnahmen durchzuführen. Herr S habe dem Beschuldigten lediglich mitgeteilt, daß es sich um eine kleine Baustelle handle, welche keinen besonderen Grad der Gefährlichkeit aufweise. Hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeiten hätte dieser einen Zeitraum von ca 2 Tagen angegeben.

Der Beschuldigte hätte vor Beginn dieser Baustelle die Werkzeuge und Sicherheitsbehelfe dieser Arbeitsgruppe im Rahmen der Routinekontrollen überprüft; die Schutzvorrichtungen hätten sich in der Regel auf dem Lieferwagen befunden. Herr S hätte bisher nie den Anweisungen des Beschuldigten zuwidergehandelt, sodaß er sich auch in diesem Fall auf die Angaben des Partieführers als Bevollmächtigten und Anordnungsbefugten verlassen hätte.

Aufgrund anderweitiger Baustellentätigkeiten und der kurzen Dauer dieser Arbeitsleistungsfrist auf dieser Baustelle wäre es dem Beschuldigten nicht zumutbar gewesen, die Angaben des verunglückten H S zu überprüfen.

1.3.3.3. Der Zeuge A R gab dazu an, daß er als Spenglergehilfe bei der Firma H K arbeite und am 18.2.1993 mit Herrn H S mit Reparaturarbeiten am Dach des Hauses T straße beauftragt gewesen sei. Die Kiste, in der sich neben diversem Dachdeckerwerkzeug auch die Brustgurte für die Sicherheitsseile befanden, hätten sie am Firmengelände vergessen. Erst am Auftragsort hätten sie das Fehlen der besagten Kiste bemerkt, doch hätte Herr Schafhauser gemeint, daß sich das nicht auszahle, noch einmal zurückzufahren. Er werde die paar Dachziegel auch ohne Brustgurt auswechseln können.

Der Firmenchef (gemeint ist damit offensichtlich der Beschuldigte) hätte ihnen die Auflage erteilt, die Brustgurte bei allen Arbeiten mit Dächern mit gefährlicher Neigung zu verwenden. Auf diese Auflage hätte er sie mehrmals jährlich aufmerksam gemacht, zuletzt Mitte Jänner 1993.

1.3.3.4. Von der Erstbehörde wurde dazu festgestellt, daß es feststehe, daß die Arbeitnehmer an dieser Baustelle die Dachleitern nicht ordnungsgemäß und sicher miteinander verbunden und die oberste Leiter nicht im Firstbereich befestigt hatten, sowie die Anfangs- und Endsprossen nicht mit Bandeisen gesichert hatten.

Hinsichtlich der Verantwortung des Beschuldigten wurde bei Würdigung der subjektiven Tatbestandsmäßigkeit als erwiesen angesehen, daß es nicht nachweisbar sei, daß die gegenständliche Übertretung mit Wissen des Beschuldigten begangen worden sei. Hinsichtlich der eigenen Beaufsichtigung des Betriebes und der Beaufsichtigung des Bevollmächtigten (= des Verunglückten) habe es der Beschuldigte jedoch an der nötigen Sorgfalt fehlen lassen.

Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, daß er sich hinsichtlich der Notwendigkeit der betreffenden Schutzmaßnahmen auf das Urteil von Herrn S verlassen habe, ohne sich selbst vom besonderen Grad der Gefährlichkeit des Daches zu überzeugen.

Die Verantwortung des Beschuldigten, er hätte vor Beginn dieser Baustelle die Werkzeuge und Sicherheitsbehelfe ohnehin im Rahmen von Routinekontrollen überprüft und aufgrund anderweitiger Baustellentätigkeiten sei es ihm nicht zumutbar gewesen, die Angaben des verunglückten H S zu überprüfen, anerkannte die Erstbehörde nicht mit der Begründung, daß der Beschuldigte daher die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften selbst nicht in einer geeigneten Form kontrolliert habe, da er die Werkzeuge nur in Form von Routinekontrollen überprüft und kleinere Baustellen wie die verfahrensgegenständliche mangels Zumutbarkeit überhaupt nicht selbst besucht hätte. Es reiche für eine wirksame Kontrolle jedenfalls nicht aus, die Arbeitnehmer mehrmals jährlich nur auf die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften hinzuweisen. Der Beschuldigte hätte dafür sorgen müssen, daß auch in geeigneter Form kontrolliert werde, ob sich die Arbeitnehmer tatsächlich an seine Anordnungen halten. Auch wenn der Verunglückte bereits 38 Jahre in seiner Firma beschäftigt gewesen sei und er sich daher auf sein Urteilsvermögen verlasse, reiche es für eine nötige Kontrolle nicht aus, sich nur auf einen langjährigen Mitarbeiter zu verlassen und diesen in keinster Weise mehr zu kontrollieren. Der Beschuldigte hätte verstärkt für ein nötiges Kontrollsystem sorgen müssen, da er noch dazu schon mehrmals wegen ähnlicher Mißstände vom Arbeitsinspektorat Aufforderungen zur Behebung erhalten habe und auch schon ein Strafantrag an die zuständige Behörde gestellt worden sei.

Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte dem Beschuldigten klar werden müssen, daß seine mehrmals jährlich stattfindenden Belehrungen der Arbeitnehmer und seine routinemäßigen Kontrollen des Werkzeuges offensichtlich zu wenig seien, um für die Einhaltung der gesetzlichen Sicherheitsvorschriften zu sorgen. Er sei seiner Aufsichtspflicht iSd § 31 Abs.5 ANSchG in keinster Weise nachgekommen.

2. Mit der rechtzeitig eingebrachten Berufung vom 11.4.1994 hat der Beschuldigte das Straferkenntnis in seinem gesamten Umfang angefochten und beantragt, das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen, in eventu die Geldstrafe herabzusetzen.

In der Begründung verwies er auf Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von wesentlichen Verfahrensvorschriften, unrichtige Beweiswürdigung und Rechtswidrigkeit des Inhaltes. Im einzelnen wurde vorgebracht, daß der angefochtene Bescheid mit einem Begründungsmangel behaftet sei, da in den Feststellungen keinerlei Anhaltspunkte dafür aufscheinen, daß der Beschuldigte die ihm mögliche eigene Beaufsichtigung des Betriebes oder die Beaufsichtigung seines Bevollmächtigten nicht mit der geforderten Sorgfalt gemäß § 31 Abs.5 Arbeitnehmerschutzgesetz durchgeführt habe.

Weiters wurde gerügt, daß es die Erstbehörde unterlassen habe, exakt zu begründen, auf Grund welcher Vorfälle aus der Vergangenheit, wie vom Arbeitsinspektorat behauptet, der Beschuldigte veranlaßt gewesen wäre, dem Verunglückten zu mißtrauen bzw. diesen verstärkt zu kontrollieren.

Zur Rüge der Rechtswidrigkeit des Inhaltes wurde behauptet, daß die Behörde zwar ausgeführt hätte, daß der Beschuldigte verstärkt für ein nötiges Kontrollsystem hätte sorgen müssen, daß er es jedoch unterlassen habe anzuführen, welche Maßnahmen der Beschuldigte hätte treffen müssen. Aus dem Vorhalt des Arbeitsinspektorates, daß bereits ähnliche Mißstände aufgezeigt worden wären, ergebe sich kein Hinweis auf die konkret geforderten Kontrollmaßnahmen und sei auch kein Zusammenhang zum konkreten Vorfall ersichtlich. Es ergebe sich kein Grund, warum der Beschuldigte im konkreten Fall seinem Bevollmächtigten, welcher bereits seit über 30 Jahren im Betrieb tätig war, hätte mißtrauen sollen. Der Beschuldigte, der sich nicht sämtlicher Belange und Angelegenheiten persönlich annehmen konnte, durfte sich auf die langjährige Erfahrung des bevollmächtigten Partieführers verlassen. Im konkreten Fall wäre es auf Grund paralleler Tätigkeiten des Betriebes dem Beschuldigten persönlich nicht zumutbar gewesen, daß er auch diese Kleinbaustelle (voraussehbare Arbeitsdauer maximal zwei Tage) kontrolliere, da sich dazu auf Grund der Angaben des bevollmächtigten Partieführers keinerlei Notwendigkeit ergeben hätte.

Vorsichtshalber wurde auch noch die Höhe der Geldstrafen als schuldunangemessen gerügt.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat führte am 6.9.1994 eine öffentliche mündliche Verhandlung durch, an der das Arbeitsinspektorat, die belangte Behörde und der Beschuldigte teilnahmen; weiters wurde der frühere Helfer des Herrn Helmut Schafhauser, Herr A R , als Zeuge befragt. Dabei wurde folgender Sachverhalt festgestellt:

Der von der Erstbehörde angenommene, oben unter 1.3.

wiedergegebene Sachverhalt, wurde im wesentlichen bestätigt.

In folgenden Punkten ergaben sich zur Sachverhaltsfeststellung der Erstbehörde folgende Änderungen bzw. Abweichungen:

Zum Kontrollsystem:

Der Zeuge R bestätigte die Angaben des Beschuldigten, wonach Sicherheitsbelehrungen mehrmals jährlich sowie vor jeder größeren Baustelle erfolgen. Überdies überprüft der Beschuldigte als Betriebsinhaber stichprobenweise die auf jedem LKW befindlichen Kisten, in denen die Sicherheitseinrichtungen für die bei dieser Partie beschäftigten Arbeitnehmer enthalten sind.

Zur Gefährlichkeit der Baustelle:

Der später tödlich verunglückte H S sowie Herr A R besichtigten ein paar Tage vor dem 18.2.1993 die Baustelle, schätzten den Material- und Zeitbedarf und berichteten darüber dem Betriebsinhaber und nunmehrigen Beschuldigten. Herr S hätte sinngemäß gemeint, daß die Baustelle nichts besonderes wäre. Von einer gefährlichen Dachneigung hat er nichts erwähnt.

Zur Befestigung der Dachleitern:

Die lange Leiter vom Boden bis zur Dachrinne wurde von S und R aufgestellt und die beiden oberen Leitern (am Dach) lediglich aufgelegt. Es war beabsichtigt, die Leitern erst nach der Mittagspause sicher miteinander zu verbinden und zu befestigen und erst dann mit den Arbeiten zu beginnen.

Hierüber hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

4.1. Gemäß § 51 Abs.1 VStG steht dem Beschuldigten das Recht der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat zu, in dessen Sprengel nach dem Ausspruch der Behörde erster Instanz die Tat begangen wurde.

Die unabhängigen Verwaltungssenate entscheiden über Berufungen durch Kammern, die aus drei Mitgliedern bestehen, wenn aber im angefochtenen Bescheid weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch eines ihrer Mitglieder.

Daraus ergibt sich, daß Gegenstand dieses Erkenntnisses lediglich die Berufung gegen die Ziffer 1 des Spruches des angefochtenen Straferkenntnisses des Magistrates der Landeshauptstadt Linz als Bezirksverwaltungsbehörde vom 18.3.1994 sein kann. Über die Berufung gegen die Tatvorwürfe in den Ziffern 2 und 3 dieses Straferkenntnisses hat die nach der Geschäftsverteilung zuständige Kammer des unabhängigen Verwaltungssenates zu entscheiden.

4.2. § 31 Abs.2 lit.p des Arbeitnehmerschutzgesetzes bestimmt:

"(2) Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die p) den Vorschriften der auf Grund des § 24 dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen ... zuwiderhandeln, begehen eine Verwaltungsübertretung und sind, sofern die Tat nicht nach anderen Gesetzen strenger zu bestrafen ist, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 50.000 S zu bestrafen." Die Staatsanwaltschaft Linz hat die Strafanzeige gegen Herrn H K wegen § 80 StGB zurückgelegt; der unabhängige Verwaltungssenat geht daher davon aus, daß die Tat nicht nach anderen Gesetzen strenger zu bestrafen ist (siehe hiezu VwGH 93/02/0110 vom 20.5.1994).

Dem Beschuldigten wurde die verfahrensgegenständliche Verwaltungsübertretung als Arbeitgeber angelastet. Zunächst war daher zu untersuchen, ob der Tatbestand der unter Z1 zur Last gelegten Verwaltungsübertretung in objektiver Hinsicht erfüllt ist.

Dazu hat das Ermittlungsverfahren ergeben, daß hinsichtlich der unter Z1 vorgeworfenen Verwaltungsübertretung der Tatbestand in objektiver Hinsicht erfüllt ist, weil aus der Aussage des Zeugen A R feststeht, daß die Befestigung der Leitern noch nicht abgeschlossen war.

Vielmehr bestand die Absicht, die Dachleitern zunächst aufzulegen, dann zu Mittag zu essen und erst dann die Dachleitern zu verankern und die Arbeiten zu beginnen. Es handelte sich dabei also um einen unfertigen Zustand, der im Laufe eines derartigen Arbeitsprozesses durchaus üblich ist.

Wie sich herausstellte, handelt es sich bei der Befestigung von Leitern auch um ein bei Dachdeckern und Spenglern übliches Berufswissen, was ebenfalls die Zeugenaussage unterstützt.

Dem konnten weder von der belangten Behörde noch vom Arbeitsinspektorat auf gleicher Ebene stehende Beweise entgegengehalten werden. Anzumerken ist, daß der Vertreter des Arbeitsinspektorates anläßlich der mündlichen Verhandlung vor dem unabhängigen Verwaltungssenat auch nicht mehr angeben konnte, ob die beiden Leitern noch am Dach waren oder neben dem Verunglückten am Boden lagen. Damit aber konnte die Aussage des Zeugen R nicht erschüttert werden.

Allerdings steht fest, daß Herr S dennoch auf das Dach geklettert ist. Zu welchem Zweck (Arbeiten oder Befestigen/Verankern der Leitern) läßt sich mangels Zeugen nicht mehr feststellen. Aber selbst unter der Annahme, daß er zum Arbeiten auf das Dach geklettert ist und dabei die nicht verankerten Leitern verwendet hat, - wodurch das Tatbild zwar objektiv erfüllt ist - ist die Tat dem Beschuldigten in subjektiver Hinsicht nicht vorwerfbar:

§ 5 Abs.1 VStG bestimmt dazu folgendes:

Wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, genügt zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten. Fahrlässigkeit ist bei Zuwiderhandeln gegen ein Verbot oder bei Nichtbefolgung eines Gebotes dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Bei der vorgeworfenen Verwaltungsübertretung handelt es sich um ein sogenanntes Ungehorsamsdelikt, weil das Tatbild in einem bloßen Verhalten ohne Merkmal eines Erfolges besteht.

(Der Umstand, daß ein - im verwaltungsstrafrechtlichen Sinne als solcher bezeichneter "Erfolg", nämlich - ein Arbeitsunfall tatsächlich eingetreten ist, ändert an der Zuordnung zur oben bezeichneten Verwaltungsvorschrift nichts.) Es war daher Sache des Beschuldigten, selbst initiativ alles darzulegen, was für seine Entlastung spricht. Es ist ihm im vorliegenden Verfahren gelungen glaubhaft zu machen, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Hinsichtlich der Verantwortlichkeit des Arbeitgebers hat der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 30.3.1982, 81/11/0087, abgedruckt als Leitsatz in Hauer-Leukauf, Handbuch des Österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4.

Auflage, Seite 719) folgendes ausgeführt:

"Nach ständiger Judikatur des VwGH darf bei der Annahme einer grundsätzlichen Verantwortung des Arbeitgebers für die im Zusammenhang mit dem Betrieb stehenden Verwaltungsübertretungen nicht übersehen werden, daß die im heutigen Wirtschaftsleben notwendige Arbeitsteilung es nicht zuläßt, daß sich der Unternehmer aller Belange und Angelegenheiten selbst persönlich annimmt. Die rechtliche Konsequenz, die aus dieser Tatsache zu ziehen ist, besteht darin, daß dem Unternehmer zugebilligt werden muß, die Besorgung einzelner Angelegenheiten anderen Personen selbstverantwortlich zu überlassen und die eigene Tätigkeit in diesen Belangen auf eine angemessene Kontrolle zu beschränken. Ob der Unternehmer dann persönlich von der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortung befreit ist, hängt im Einzelfall davon ab, ob er den Nachweis zu erbringen vermag, daß er Maßnahmen getroffen hat, die unter den vorhersehbaren Verhältnissen die Einhaltung der gesetzlichen Vorschrift mit gutem Grund erwarten lassen. Im Sinne dieser Judikatur reicht also die bloße Erteilung von Weisungen nicht aus; entscheidend ist, ob auch eine wirksame Kontrolle der vom Verantwortlichen erteilten Weisung erfolgt." Es ist dem Beschuldigten gelungen glaubhaft zu machen, daß er seine Arbeitnehmer über die einzuhaltenden Sicherheitsvorschriften immer wieder belehrt und darüber hinaus auch kontrolliert hat. Die Kontrolle bestand darin, daß er selbst immer wieder die einzelnen Baustellen besucht und die Einhaltung der Sicherheitsvorschriften überprüft hat. Auf Grund der Aussage des Zeugen A R steht weiters fest, daß der Beschuldigte als Arbeitgeber auch immer wieder überprüft hat, ob auf den Baustellen die Sicherheitsvorschriften eingehalten werden.

Im vorliegenden Einzelfall hätte lediglich eine lückenlose Kontrolle in der Form, daß er jede Baustelle zu jeder Zeit beaufsichtigt, das Besteigen der Dachleitern durch Herrn S verhindert. Daß ein solches lückenloses Kontrollsystem auf Grund der örtlichen Verschiedenheit der einzelnen Baustellen nicht durchführbar ist, liegt auf der Hand. Der Beschuldigte hat daher zu Recht die Partieführer als "Bevollmächtigte" im Sinne des § 31 Abs.2 lit.p ANSchG eingesetzt und ihnen auch diesbezüglich Anordnungsbefugnis erteilt.

Bei der Einsetzung des Arbeitnehmers H S als Bevollmächtigten konnte dem Arbeitgeber kein Auswahlverschulden nachgewiesen werden, zumal Herr S bereits seit 38 Jahren im Betrieb beschäftigt war und es bei ihm bezüglich der Verwendung der Sicherheitseinrichtungen noch nie Beanstandungen gegeben hat (Aussage des Beschuldigten sowie des Zeugen R ). Der Umstand, daß er nie eine Gesellenprüfung abgelegt hat, war in diesem Zusammenhang ohne Belang, weil er seine Tätigkeit immer ordnungsgemäß ausgeübt hat und in der Lage war, sich in diesem Beruf entsprechend erfolgreich zu betätigen.

Schließlich ist der Vollständigkeit halber noch auf die aus § 19 ANSchG resultierende Verpflichtung der Arbeitnehmer hinzuweisen, alle Einrichtungen und Vorrichtungen, die zum Schutz des Lebens und der Gesundheit der Arbeitnehmer ...

beizustellen sind, den Erfordernissen des Schutzzweckes entsprechend zu benützen...

Abschließend ist daher festzustellen, daß es im konkreten Fall dem Beschuldigten gelungen ist glaubhaft zu machen, daß ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft. Er hätte bei einem für einen solchen Betrieb typischen Kontrollsystem keine Möglichkeit gehabt zu verhindern, daß der Partieführer selbst, der als Bevollmächtigter iSd § 31 Abs.2 lit.p ANSchG anzusehen war, in nicht gesichertem Zustand auf der schrägen Dachfläche arbeitet.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu II.:

Wird ein Strafverfahren eingestellt oder eine verhängte Strafe infolge Berufung aufgehoben, so sind die Kosten des Verfahrens von der Behörde zu tragen (§ 66 Abs.1 VStG).

Da das Straferkenntnis behoben wurde, entfällt somit ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. L e i t g e b

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