Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-221024/2/Le/La

Linz, 29.12.1994

VwSen-221024/2/Le/La Linz, am 29. Dezember 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Dr. Leitgeb über die Berufung des Arbeitsinspektorates für den 19. Aufsichtsbezirk, Edisonstraße 2, 4600 Wels, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen vom 13.6.1994, Zl.

Ge96-1184-1993/Rb, mit dem das Verwaltungsstrafverfahren gegen Frau H K, wegen Übertretung des Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetzes eingestellt worden war, zu Recht erkannt:

Die Berufung wird mit der Feststellung, daß der unabhängige Verwaltungssenat zur Entscheidung über einen Berufungsantrag, wie ihn das Arbeitsinspektorat für den 19.

Aufsichtsbezirk gestellt hat, nicht zuständig ist, zurückgewiesen.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 AVG, BGBl.Nr. 51/1991 idgF iVm §§ 24, 51 Abs.1 und 2, 51c, 51d und 51e Abs.2 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl.Nr. 52/1991 idgF.

Entscheidungsgründe:

1.1. Das Arbeitsinspektorat für den 19. Aufsichtsbezirk hat mit Schreiben vom 20. Oktober 1993 der Bezirkshauptmannschaft G angezeigt, daß Frau H K, G, in ihrem Gastgewerbebetrieb Bestimmungen des Kinder- und Jugendlichenbeschäftigungsgesetzes 1987 - KJBG, übertreten habe. Im einzelnen wurde dargestellt, daß verschiedene namentlich genannte Jugendliche an bestimmten näher bezeichneten Tagen über die höchstzulässige Tagesarbeitszeit und in näher bezeichneten Wochen über die höchstzulässige Wochenarbeitszeit hinaus beschäftigt worden wären und diesen Jugendlichen überdies an bestimmten Tagen die vorgeschriebene Nachtruhezeit nicht gewährt worden wäre.

Zum Beweis dafür legte das Arbeitsinspektorat die Kopien der Arbeitszeitkarten für diese Jugendlichen vor, in denen die Anwesenheitszeit und die Normalarbeitszeit eingetragen waren.

1.2. Die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen hat daraufhin ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet und zu diesem Zweck am 15.2.1994 eine mündliche Verhandlung durchgeführt.

Bei dieser wurden die Zeuginnen R W und U K sowie die Vertreter der Beschuldigten zum Tatvorwurf befragt. Auch der Arbeitsinspektor Ing. F W gab zur Anzeige eine Stellungnahme ab.

In einer ergänzenden Stellungnahme von Frau H K vom 14.3.1994 führte diese unter anderem aus, daß dem Arbeitsinspektorat bereits bekannt sein mußte, daß die Verantwortung für die Einhaltung der gegebenen Vorschriften von ihr an ihren Ehemann W K abgetreten worden sei. Dies ergebe sich aus einer Rechtfertigung vom 6.9.1993.

In der Folge wurden sodann zwei weitere jugendliche Beschäftigte von Frau K zum normalen Tagesablauf und zu den Eintragungen in den Arbeitszeitkarten befragt, die im wesentlichen ein übereinstimmendes Ergebnis zu den Aussagen in der mündlichen Strafverhandlung brachten.

Mit Schreiben vom 13.6.1994 wurde dem Arbeitsinspektorat von der Bezirkshauptmannschaft G mitgeteilt, daß beabsichtigt sei, das Verwaltungsstrafverfahren gegen Frau H K wegen Übertretung des KJBG einzustellen; gleichzeitig wurde eine Frist von 14 Tagen zur Stellungnahme eingeräumt.

Mit Schreiben vom 22.6., bei der Bezirkshauptmannschaft G eingelangt am 23.6.1994, teilte das Arbeitsinspektorat mit, einer Einstellung des Strafverfahrens nicht zuzustimmen.

1.3. Mit Bescheid vom 13.6.1994, Ge96-1184-1993/Rb, abgesandt am 27.6.1994, stellte die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG ein.

In der Begründung dazu wurde ausgeführt, daß die Aufzeichnungen in den Arbeitszeitkarten nicht geeignet seien, sichere Aufschlüsse über die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden und deren Entlohnung zu geben, sodaß die zur Last gelegte Verwaltungsübertretung nicht erwiesen werden kann.

Die Behörde wäre im Rahmen der freien Beweiswürdigung zum Ergebnis gekommen, daß die vom Arbeitsinspektorat als Beweis für die angezeigten Verwaltungsübertretungen ins Treffen geführten Aufzeichnungen keinen vollen Beweis für die tatsächlich geleisteten Arbeitsstunden iSd § 26 Abs.1 Z5 KJBG zu liefern vermögen. Andererseits stelle der Gesetzgeber die Nichtbeachtung der Aufzeichnungspflicht durch den Arbeitgeber (gegenständlich § 26 Abs.1 Z5 KJBG und verweisend auf § 26 Abs.1 AZG) unter eine eigenständige Strafsanktion. Diese Schlußfolgerungen wären auch dadurch erhärtet worden, daß das Arbeitsinspektorat im Rahmen der ihm zukommenden Mitwirkungspflicht keine sonstigen Beweise für die angezeigten Verwaltungsübertretungen geliefert habe.

2. Dagegen richtet sich die vorliegende Berufung des Arbeitsinspektorates für den 19. Aufsichtsbezirk vom 6.7.1994, mit der beantragt wird, den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft G abzuändern und die Beschuldigte - so wie in der Strafanzeige vom 20.10.1993 beantragt - zu bestrafen.

In der Begründung dazu wird unter Hinweis auf näher zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes eine unrichtige rechtliche Beurteilung des angefochtenen Bescheides behauptet.

3. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und zur Berufung eine Stellungnahme abgegeben. Insbesondere wird darin aufgezeigt, daß die Arbeitszeitaufzeichnungen mangelhaft gewesen wären und die Annahme, daß keine Ruhepausen oder Ruhezeiten gewährt worden wären, in offenem Widerspruch zu den im Strafverfahren vorgebrachten Zeugenaussagen stehen würden. Zur Unterfertigung des Bescheidkonzeptes am 13.6.1994 gab die belangte Behörde an, daß dies im Bewußtsein der regelmäßigen Nichtinanspruchnahme des Stellungnahmerechtes durch das Arbeitsinspektorat erfolgt wäre und diese Annahme in der Folge im Schreiben des Arbeitsinspektorates vom 22.6.1994 ihre Rechtfertigung gefunden habe, sodaß keine über das Bescheidkonzept hinausgehende Überlegungen notwendig erschienen und dieses daher als Grundlage für die Bescheiderlassung herangezogen werden konnte.

4. Der O.ö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsstrafakt.

Da der Sachverhalt aus der Aktenlage zweifelsfrei ersichtlich ist und eine mündliche Verhandlung nicht ausdrücklich beantragt wurde, konnte von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden.

5. Der O.ö. Verwaltungssenat hat erwogen:

5.1. Gemäß § 11 Abs.3 des Arbeitsinspektionsgesetzes 1993 ArbIG steht dem Arbeitsinspektorat das Recht der Berufung gegen Bescheide sowie des Einspruches gegen Strafverfügungen zu.

Gemäß § 66 Abs.4 hat die Berufungsbehörde, sofern die Berufung nicht als unzulässig oder verspätet zurückzuweisen ist, immer in der Sache selbst zu entscheiden. Sie ist berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung (§ 60) ihre Anschauung an die Stelle jener der Unterbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern.

Lehre und Judikatur haben dazu entwickelt, daß bei der Auslegung des Begriffes "Sache" zu beachten ist, daß die Berufungsbehörde nur über die Angelegenheit zu entscheiden befugt ist, die den Gegenstand des Bescheides der Unterinstanz - im eingeschränkten Sinne des Verfahrens der Unterinstanz - gebildet hat; unzulässig wären etwa zusätzliche Aufträge durch die Berufungsbehörde. Eine weitere Schranke der Prüfungsbefugnis der Berufungsbehörde ist darin gelegen, daß sie nicht jenen Rahmen überschreiten darf, der durch die Berufung selbst gesetzt wurde, durch die Anträge des Berufungswerbers, die Anfechtungserklärung (Hauer - Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 4. Auflage, Seite 514).

Das berufende Arbeitsinspektorat stellte ausdrücklich den im nachfolgenden wörtlich wiedergegebenen "A n t r a g, den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft G vom 13.

Juni 1994, Zl. Ge96-1184-1993/Rb, abzuändern und die Beschuldigte wie in der Strafanzeige des Arbeitsinspektorat Wels vom 20. Oktober 1993, Zl. 2495/21-19/93, beantragt, zu bestrafen." Zur Entscheidung über eine Berufung mit einem in dieser Ausdrücklichkeit formulierten Antrag ist jedoch der unabhängige Verwaltungssenat funktionell nicht zuständig; das Arbeitsinspektorat verkennt die Aufgaben und die Funktion der unabhängigen Verwaltungssenate im Verwaltungsstrafverfahren:

Art.129 Bundes-Verfassungsgesetz idF von 1929 (B-VG) bestimmt, daß zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der gesamten öffentlichen Verwaltung die unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern und der Verwaltungsgerichtshof in Wien berufen sind.

Die unabhängigen Verwaltungssenate erkennen nach Erschöpfung des administrativen Instanzenzuges, sofern ein solcher in Betracht kommt, 1. in Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen, ausgenommen Finanzstrafsachen des Bundes ... (Art.129a Abs.1 Z1 B-VG).

Um diese Aufgaben erfüllen zu können, wurden für den Bereich des Verwaltungsstrafverfahrens im 5. Abschnitt des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 eigene Verfahrensbestimmungen (ergänzend zu den anzuwendenden Bestimmungen des AVG) geschaffen. Demnach haben im Verfahren vor den unabhängigen Verwaltungssenaten der Beschuldigte, die belangte Behörde sowie allfällige Amtsparteien (zB Arbeitsinspektorat) Parteistellung. Die mündliche Verhandlung, die im Gegensatz zu anderen Verhandlungen nach AVG öffentlich ist, dient dem Zweck der Beweisaufnahme. Diese Verhandlung kann unterbleiben, wenn in der Berufung ausdrücklich nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird und wenn sie in der Berufung nicht ausdrücklich verlangt wurde.

Der unabhängige Verwaltungssenat hat daher die Aufgabe, auf Grund einer eingebrachten Berufung ein Straferkenntnis (oder die bescheidmäßige Einstellung eines Verwaltungsstrafverfahrens) auf seine formelle und materielle Richtigkeit hin zu überprüfen.

Während der Berufungswerber im Berufungsverfahren die gänzliche oder teilweise Aufhebung des Erkenntnisses der ersten Instanz begehrt, hat die bescheiderlassende Erstbehörde im Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat als belangte Behörde ihr Straferkenntnis zu verteidigen (siehe hiezu Thienel, Das Verfahren der Verwaltungssenate, 2. Auflage, Seite 230 ff).

Der unabhängige Verwaltungssenat ist daher nie Strafverfolgungsbehörde in dem Sinn wie die Bezirksverwaltungsbehörde als Erstbehörde.

Mit dem oben wiedergegebenen, ausdrücklich so formulierten und ausschließlich auf eine materielle Entscheidung zielenden Antrag (an dessen Vorgaben der unabhängige Verwaltungssenat gebunden ist - siehe Thienel, aaO, Seite 342 f) sinnt das Arbeitsinspektorat dem unabhängigen Verwaltungssenat Aufgaben und Stellung einer erstinstanzlichen Strafverfolgungsbehörde zu. Einen Schuldspruch wie eine Strafbehörde erster Instanz erstmals auszusprechen, ist dem unabhängigen Verwaltungssenat aber aus den obigen und auch aus weiteren verfassungsrechtlichen Gründen verwehrt:

Was nämlich schon diese Ebene anbelangt, ist zum einen auf Art.6 Abs.1 MRK hinzuweisen, wonach der unabhängige Verwaltungssenat eingerichtet ist, um über die Stichhaltigkeit der gegen einen Beschuldigten erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden. Eine solche Anklage im Sinne dieser Verfassungsvorschrift liegt jedoch im Berufungsfall nicht vor, weil die Erstbehörde eben das Strafverfahren eingestellt hat.

Zum anderen hat der Verfassungsgerichtshof in den Entscheidungsgründen zu seinem Erkenntnis vom 1.10.1991, B 796/90-12, im Zusammenhang mit dem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter ausgeführt, daß dieses verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auch dann verletzt wird, wenn die Berufungsbehörde in einer Angelegenheit entscheidet, die nicht Gegenstand der Entscheidung der Unterinstanz war bzw.

wenn durch die Übergehung der zuständigen Behörde erster Instanz der gesetzlich vorgesehene Instanzenzug unvollständig geblieben ist und durch eine solche unzulässige Verkürzung des Instanzenzuges die Rechtsverfolgungsmöglichkeit behindert wird (siehe hiezu auch das Erkenntnis des unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 27.7.1994, VwSen-221006/5/Ga/La).

Im erstinstanzlichen Verfahren wurde das Verwaltungsstrafverfahren gegen Frau H K eingestellt, also nicht bestraft. Wenn nun der unabhängige Verwaltungssenat auf Grund der Berufung des Arbeitsinspektorates - so wie beantragt - eine Bestrafung von Frau K durchführen würde, würde diese in ihrem Rechtsschutz um eine Instanz verkürzt werden, weil sie zum ersten Mal bestraft wurde und das noch dazu von der Berufungsbehörde. Diese Verkürzung würde eine verfassungsgesetzlich unzulässige Verkürzung des Rechtsschutzverfahrens und somit des Verfahrens vor dem gesetzlichen Richter bewirken.

5.3. Aus all diesen Gründen war unter Hinweis auf die funktionelle Unzuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates der Antrag des einschreitenden Arbeitsinspektorates zurückzuweisen, weil dieses einerseits die Stellung des unabhängigen Verwaltungssenates im Verwaltungsstrafverfahren verkannte und überdies die Erlassung eines verfassungswidrigen Aktes begehrte.

5.4. Bei diesem Ergebnis war auf die Verwaltungsangelegenheit nicht näher einzugehen.

5.5. Der Umstand, daß die Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen zwar mit Schreiben vom 13.6.1994 dem Arbeitsinspektorat die Möglichkeit einer Stellungnahme zur beabsichtigten Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens einräumte, am selben Tag jedoch das einstellende Erkenntnis im Konzept bereits unterfertigte, vermag aus folgenden Gründen keine Gesetzwidrigkeit dieses Verfahrens darzulegen:

Wenngleich es mit dem Wesen des Parteiengehörs nicht vereinbar ist, daß die Behörde quasi antizipativ von einer Nichtinanspruchnahme des Stellungnahmerechtes ausgeht, ist im vorliegenden Fall jedoch festzustellen, daß das Arbeitsinspektorat in seiner Stellungnahme dazu vom 22.6.1994 lediglich mitteilte, daß der beabsichtigten Einstellung des Strafverfahrens nicht zugestimmt werden könne. Das Arbeitsinspektorat hat sich jeglicher weitergehenden Stellungnahme, Beweisanbote, Beweisanträge udgl. enthalten. Dadurch, daß das das Strafverfahren einstellende Erkenntnis vom 13.6.1994 erst nach Einlangen dieser Stellungnahme von der Bezirkshauptmannschaft abgesandt wurde, wurde es erst nach Einlangen dieser Stellungnahme "erlassen". Die Erstbehörde hätte die Möglichkeit gehabt, auf allfällige Anträge des Arbeitsinspektorates noch einzugehen, sodaß im vorliegenden Fall selbst bei Einhaltung der Verfahrensvorschriften (= Unterfertigen des Bescheidkonzeptes erst nach Einlangen der Stellungnahme des Arbeitsinspektorates) keine im Ergebnis anders lautende Entscheidung ergangen wäre.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. L e i t g e b

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum