Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-221096/2/Kl/Rd

Linz, 25.11.1994

VwSen-221096/2/Kl/Rd Linz, am 25. November 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Dr. Klempt über die Berufung des Arbeitsinspektorates für den 4. Aufsichtsbezirk, Leopoldsgasse 4, 1020 Wien, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 15.9.1994, Ge-448-1993, betreffend Einstellung des Verfahrens wegen Verwaltungsübertretungen gemäß der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung zu Recht erkannt:

Der Berufung wird keine Folge gegeben und der angefochtene Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, daß nach dem Ausdruck "eingestellt" ein Punkt zu setzen ist und die Wortfolge "weil sie ... haben" zu entfallen hat.

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 51, 45 Abs.1 Z1 VStG und 31 Abs.2 lit.p Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl.Nr. 234/1972 idgF.

Entscheidungsgründe:

1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Schärding vom 15.9.1994, Ge-448-1993, wurde das gegen den Beschuldigten Dipl.-Ing. Dr. H Z eingeleitete Verwaltungsstrafverfahren "gemäß § 45 Abs.1 lit.a VStG eingestellt, weil ihn an der Verletzung dieser Verwaltungsvorschriften kein Verschulden trifft und er die Taten somit nicht begangen hat". Es wurde zur Last gelegt, daß er als Vorstandsmitglied und somit gemäß § 9 Abs.1 VStG zur Vertretung nach außen Berufener der als Arbeitgeberin fungierenden S Milch AG mit dem Sitz in S, zu verantworten hat, daß in der Betriebsanlage in W, auf der Westrampe am 2.7.1993 gegen 07.20 Uhr, von einem Tankwagen der Fa. W, 50 %ige Natronlauge (NaOH), wobei es sich um einen ätzenden Arbeitsstoff handelt, abgeschlaucht wurde, wobei mit diesen Abladearbeiten der Chauffeur des LKW, Herr P und Frau A beschäftigt waren und dies in derartiger Weise geschah, daß der Ablaßschlauch des LKW in die obere Spundöffnung der zu befüllenden 1.000 Liter Boxpaletten lose eingehängt wurde, sodaß während des Befüllens der Laugenbehälter der Schlauch aus der oberen Spundöffnung schnellte und dabei Natronlauge in die Augen der Arbeitnehmerin O M, die ohne Schutzbrille mit der Manipulation der Behälter beschäftigt war, spritzte.

Der Beschuldigte soll dabei 1) Frau O M bei dieser Tätigkeit, bei welcher die Möglichkeit einer Gefährdung der Augen oder des Gesichtes durch ätzende Arbeitsstoffe bestand, keinen geeigneten Augenschutz, wie Schutzbrillen, oder einen geeigneten Gesichtsschutz, wie Schutzschilder, Schutzhauben oder Schutzschirme zur Verfügung gestellt haben und 2) bei diesen Arbeiten keine zuverlässige, mit den Arbeiten vertraute Person mit der Aufsicht und Verständigung betraut bzw. keine wirksame Überwachung dieser Arbeitnehmerin sichergestellt haben.

Der Beschuldigte soll dadurch folgende Rechtsvorschriften verletzt haben:

1) § 66 Abs.1 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, BGBl.Nr. 218/1983 idgF iVm § 31 Abs.1 lit.p des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl.Nr. 234/1972 idgF 2) § 57 Abs.2 und 3 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, BGBl.Nr. 218/1983 idgF iVm § 31 Abs.2 lit.p des Arbeitnehmerschutzgesetzes, BGBl.Nr. 234/1972 idgF.

2. Dagegen hat das Arbeitsinspektorat für den 4. Aufsichtsbezirk fristgerecht Berufung eingebracht und diese damit begründet, daß gegen die Vorstandsmitglieder kein gerichtliches Strafverfahren durchgeführt wurde und daher die Bezirksverwaltungsbehörde nicht entbunden ist, eine eigenständige Prüfung des Straftatbestandes durchzuführen. Nach der ständigen Judikatur des VwGH ist nämlich die Verwaltungsbehörde nur an eine gerichtliche Verurteilung des Beschuldigten gebunden. Der Freispruch des Bevollmächtigten Robert Kolla durch das Strafbezirksgericht hingegen erlaubt keinen Rückschluß darüber, ob die Vorstandsmitglieder kein Verschulden trifft. Hingegen räume die Bezirkshauptmannschaft Schärding durch die Feststellung, daß kein Verschulden vorliegt, selbst ein, daß die angezeigten Übertretungen nicht von einer gerichtlich strafbaren Tat umfaßt sind. Es werde daher eine Bestrafung iSd Strafantrages der Anzeige neuerlich beantragt.

3. Die Bezirkshauptmannschaft Schärding als belangte Behörde hat die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt vorgelegt.

Der O.ö. Verwaltungssenat hat in den bezughabenden Verwaltungsakt Einsicht genommen. Da aufgrund der Aktenlage der Sachverhalt hinreichend geklärt ist und im übrigen in der Berufung nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung behauptet wird, und im übrigen eine Verhandlung nicht ausdrücklich verlangt wurde, war eine öffentliche mündliche Verhandlung nicht anzuberaumen (§ 51e Abs.2 VStG).

4. Der O.ö. Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Die im Spruch angeführte Arbeitnehmerin hat im Zuge der am 2.7.1993 gegen 7.20 Uhr (Tatzeit) durchgeführten im Spruch näher konkretisierten Tätigkeiten einen Arbeitsunfall erlitten, indem sie durch die austretende Natronlauge in den Augen schwer verletzt wurde. Dies wurde vom Arbeitsinspektorat für den 4. Aufsichtsbezirk zum Anlaß einer Anzeige beim Strafbezirksgericht Wien sowie einer Strafanzeige an das Magistratische Bezirksamt Wien genommen. Wie dem Verfahrensakt weiters zu entnehmen ist, wurde das gerichtliche Strafverfahren gegen den Bevollmächtigten für die Betriebsmittel, Einkauf und Verwaltung, Herrn Kolla durch Freispruch mit Urteil vom 30.6.1994, 2 U 2416/93, mangels Schuldbeweises beendet.

4.2. Gemäß § 100 der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung, BGBl.Nr. 218/1983 idgF (kurz: AAV), sind Übertretungen dieser Verordnung nach Maßgabe des § 31 des ASchG zu ahnden.

Gemäß § 31 Abs.2 lit.p Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl.Nr.

234/1972 idgF, begehen Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die den Vorschriften der aufgrund des § 24 dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen oder den aufgrund des § 27 dieses Bundesgesetzes vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen oder den erteilten Aufträgen zuwiderhandeln, eine Verwaltungsübertretung und sind, sofern die Tat nicht nach anderen Gesetzen strenger zu bestrafen ist, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 50.000 S zu bestrafen.

4.3. Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH (zB Erk. vom 20.5.1994, 93/02/0110 mwN) ergibt sich aus §§ 22 und 30 VStG, daß eine von einer Verwaltungsbehörde zu ahndende strafbare Handlung auch dann von dieser Behörde zu verfolgen ist, wenn die Tat gleichzeitig unter einen gerichtlich strafbaren Tatbestand fällt, es sei denn, das Gesetz normiert ausdrücklich eine Ausnahme von diesem Grundsatz; eine solche Ausnahme ist § 31 Abs.2 lit.p ASchG, in der es heißt, die dort genannten Verwaltungsübertretungen sind, sofern die Tat nicht nach anderen Gesetzen strenger zu bestrafen ist, mit Geldstrafe bis zu 50.000 S zu bestrafen.

Nur im Fall einer verurteilenden Entscheidung durch das Strafgericht besteht eine Bindung der Verwaltungsstrafbehörde in der Frage, ob ein gerichtlich zu ahndender Tatbestand vorliegt, der die Ahndung als Verwaltungsübertretung ausschließt; bei Freispruch und Einstellung des Verfahrens hat eine selbständige Prüfung durch die Verwaltungsstrafbehörde zu erfolgen, ob sie zur Ahndung zuständig ist.

4.4. Das berufende Arbeitsinspektorat führte zunächst zu Recht aus, daß die belangte Behörde aufgrund des angefochtenen Bescheidspruches selbst einräume, daß die angezeigten Übertretungen nicht von einer gerichtlich strafbaren Handlung umfaßt sind. Sie wäre daher nicht gehindert gewesen, abgesehen von der im § 31 Abs.2 lit.p ASchG enthaltenen Subsidiaritätsklausel, die Bestrafung der Beschuldigten nach dieser Gesetzesstelle durchzuführen.

Nach Ansicht des O.ö. Verwaltungssenates ist aber die im Spruch des angefochtenen Bescheides zum Ausdruck kommende Rechtsansicht an sich verfehlt, weil - wie nachfolgend ausgeführt wird - die Tat in die Zuständigkeit der Strafgerichte fällt, also die angeführte Subsidiaritätsklausel zum Tragen kommt.

Die in der Präambel umschriebene angelastete Tat wird nämlich von der gerichtlich nach § 88 StGB strafbaren und mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bis zu 180 Tagessätzen bedrohten Tat umfaßt. Wie nämlich schon aus der Strafanzeige und den Stellungnahmen des Arbeitsinspektorates hervorgeht, stellen diese ausschließlich auf die mit dem Arbeitsunfall in direktem Zusammenhang stehende Verletzung der §§ 66 Abs.1 und 57 Abs.2 und 3 der AAV ab. Gerade durch die Verletzung der genannten Bestimmungen der AAV, indem keine geeigneten Schutzvorrichtungen zur Verfügung gestellt wurden und keine mit den Arbeiten vertraute Person mit der Aufsicht und Verständigung betraut bzw. keine wirksame Überwachung dieser Arbeitnehmerin sichergestellt wurde, also in Mißachtung der konkreten, zum Schutze der körperlichen Sicherheit der Arbeitnehmerin aufgestellten Normen, wird nämlich der strafgesetzwidrige Erfolg als Verwirklichung der Gefahr herbeigeführt, derentwegen das Verhalten des Täters geboten war, bzw. wurde eine Gefahrenlage geschaffen, die zur Sorge dafür verpflichtet, daß die dadurch bewirkte abstrakte Gefahr nicht in einen tatbildmäßigen Erfolg umgesetzt wird.

Dabei genügt es, wenn der Beschuldigte die Wahrscheinlich keit des Erfolgseintritts gegenüber rechtmäßigem Alternativverhalten erhöht hat (Foregger-Serini, StGB, 4. Auflage, Seite 212, Erl. II-IV).

Es ist daher nach der Ansicht des O.ö. Verwaltungssenates die Zuständigkeit des Gerichtes zur Tatahndung gegeben dies unbeschadet des Vorliegens bzw. Fehlens einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft -, weshalb im Grunde der nach § 31 Abs.2 lit.p ASchG normierten Subsidiarität das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG einzustellen war.

Aus diesen Ausführungen erhellt auch die vorgenommene Spruchberichtigung.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. K l e m p t

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