Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230198/20/Br/Gr

Linz, 27.05.1993

VwSen - 230198/20/Br/Gr Linz, am 27. Mai 1993 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr.Bleier über die Berufung des Herrn J H, , gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz - Land vom 19. März 1993, Zl.: Sich-96/84/1991-Fu, nach der am 27. Mai 1993 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird F o l g e gegeben; das angefochtetene Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

Rechtsgrundlage:

Art. XI Abs.1 Z.1 des Einführungsgesetzes zu den Verwaltungsverfahrensgesetzen 1991, BGBl.Nr.50 - EGVG, § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl.Nr.51/1991 - AVG iVm § 5, § 19, § 24, § 45 Abs.1 Z 1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr.52 - VStG II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge Rechtsgrundlage:

§ 65, § 66 VStG Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Linz - Land hat mit Straferkenntnis vom 19. März 1993, Zl.: Sich-96/84/1991-Fu wider den Berufungswerber wegen Übertretung nach Art. IX Abs.1 Z.1 EGVG eine Geldstrafe von 400 Schilling und für den Nichteinbringungsfall von 24 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, weil er am 5. Dezember 1991 um 18.00 Uhr durch ein Verhalten, welches geeignet gewesen sei Ärgernis zu erregen, die Ordnung an einem öffentlichen Ort gestört habe, indem er während des Krampustreibens auf dem Stadtplatz in Enns, vorerst mit N und in der Folge mit N, eine verbale Auseinandersetzung ausgetragen habe, in deren Verlauf er gegen die beiden Vorgenannten tätlich geworden sei. Dadurch habe er bei zahlreichen unbeteiligten Personen am Hauptplatz Aufsehen und insbesondere bei Barbara Neswadba und Andreas Kranjc Ärgernis erregt.

1.1. In der Begründung des angefochtenen Straferkenntnisses ist die Erstbehörde im wesentlichen von folgender Beweislage ausgegangen:

Der Berufungswerber habe die Familie N wegen deren Hunde angestänkert und aufgefordert, die Hunde in das Auto zu geben. Nach der Aufforderung durch N an den Berufungswerber zu gehen, sei dieser ärgerlich geworden und habe er versucht auf N einzuschlagen. Um dies zu verhindern, habe N den Berufungswerber an der Jacke erfaßt und ihn weggetaucht. Dabei habe der Berufungswerber Franz N. sen. ins Gesicht geschlagen. Hiedurch sei das tatbestandsmäßige Verhalten erfüllt worden.

2. Dagegen hat der Berufungswerber fristgerecht Berufung erhoben. Er führt hiezu sinngemäß aus, daß der Sachverhalt sich nicht so wie in der Begründung des Straferkenntnisses zugetragen habe. Er sei jedoch nach der Aufforderung der Familie N die Hunde wegzubringen, von N an der Jacke gepackt und geschüttelt worden. Dabei habe N. zu ihm gesagt, daß seine Hunde einen solchen Dodl wie ihn nicht mehr beißen würden. Dagegen habe er sich nur insofern gewehrt, als er versucht habe, Herrn Franz N. wegzutauchen. In der Folge sei er von Franz N. sen. verletzt worden. Es sei auch nicht richtig und völlig aus der Luft gegriffen, wenn Frau N sagt, daß er N. einen Kinnhaken versetzt hätte. Nach der Gerichtsverhandlung, in der er freigesprochen worden wäre, habe sich Franz N. sen. bei ihm sogar für sein Verhalten entschuldigt.

3. Die Erstbehörde hat den Akt zur Entscheidung vorgelegt. Somit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser hat, da keine 10.000 S übersteigende Strafe verhängt worden ist, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden. Gemäß § 51e Abs. 1 VStG war eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen.

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis geführt durch die zeugenschaftliche Vernehmung von A H, Insp. G, N, Franz N und B N, sowie durch Einvernahme des Berufungswerbers als Beschuldigten. Der Zeuge A K war nicht erschienen. Er entschuldigte sein Fernbleiben am 28. Mai 1993 und begründete dies mit seinem Urlaubsantritt.

5. Es wurde als erwiesen erachtet, daß der Berufungswerber die Familie N wegen der bellenden Hunde aufgefordert hatte diese wegzuschaffen. Nachdem er vorerst mit seinem Ansinnen ignoriert worden war, er aber auf diesem beharrte, wurde er von Franz N. sen. an der Oberbekleidung gepackt und daran hochgehoben. Franz N. sen. sagte dabei zu ihm sinngemäß "einen solchen Dodl wie dich beißen keine Hunde mehr; die Hunde fressen nur Frischfleisch..." Auf diesen Angriff hat der Berufungswerber sich gewehrt. In der Folge hat Franz N. jun. auf ihn eingeschlagen und ihn vermutlich im Bereich des Auges verletzt. Nachdem diese Auseinandersetzung beendet gewesen ist und der Berufungswerber sich von seinen Kontrahenten "befreit" hatte, versetzte er dem Franz N. sen. einen Fußtritt gegen dessen Füße.

5.1. Dieses Beweisergebnis stützt sich auf die glaubwürdige Verantwortung des Berufungswerbers. Aber auch aus den Aussagen der vernommenen Zeugen ergibt sich, daß der Berufungswerber weitgehend in der Defensive geblieben war und er gleich zwei "physisch übermächtigen Gegnern" gegenübergestanden war. Das Beweisverfahren hat insbesondere durch die Aussage des Zeugen Franz N. sen. ergeben, daß seitens dieses Zeugen ein erhebliches "Aggressionspotential" gegen den Berufungswerber vorgelegen hatte. Dies kommt einerseits insbesondere dadurch zum Ausdruck, daß dieser Zeuge meinte, er wäre schon im Begriffe gewesen auf den Berufungswerber loszuschlagen, wäre er nicht zurückgehalten worden. Dieser Zeuge räumte auch ein, daß er geneigt gewesen wäre etwas zu tun, was ihm später leid getan hätte, wäre er daran nicht gehindert worden. Anderseits aber auch durch die den Berufungswerber in seiner Menschenwürde verletzende Aussage des Franz N. sen., "seine Hunde würden nur Frischfleisch fressen" zum Ausdruck. Der Berufungswerber machte vor dem unabhängigen Verwaltungssenat einen sachlichen und soliden Eindruck, während die Herren Neswadba, insbesondere jedoch Franz N. jun. sich hiezu gegensätzlich präsentiert(e)n. Frau Neswadba gab an, daß sie nicht gesehen habe, daß ihr Mann den Berufungswerber an dessen Bekleidung angefaßt gehabt habe. Diese Aussage ist insofern nicht sehr überzeugend, weil sich diese Zeugin wohl während des ganzen Vorfalls in räumlicher Nähe aufhielt und eher davon auszugehen ist, daß sie nicht weggeschaut hat. Ferner gibt Franz N. jun. seinerseits wieder an, daß er den Berufungswerber am "Krawattl" gepackt und von sich weggetaucht hätte. Diese Schilderungen lassen es unglaubhaft erscheinen den Berufungswerber als den Ordnungsstörer zu sehen. Ferner ist es unwahrscheinlich, daß der Berufungswerber als "von vornherein unterlegener Streitteil", welcher ja nur Ruhe von den Hunden haben wollte, das vorgeworfene ordnungsstörende Verhalten gewollt hat.

6. Rechtlich ist daher zu erwägen:

6.1. Gemäß § 5 Abs.1 VStG ist festzustellen, daß, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt.

Die Behörde hat aber dem Täter grundsätzlich nicht nur den objektiven Tatbestand, sondern auch das Verschulden nachzuweisen. Auch für das Verwaltungsstrafrecht gilt das Schuldprinzip, dh eine Bestrafung ist nur bei Vorliegen eines schuldhaften Verhaltens möglich (so auch VwGH 13.5.1987, 85/18/0067).

Schon wegen der physischen Überlegenheit, welcher sich der Berufungswerber gegenüber sah, kann das ordnungsstörende und ärgerniserregende Geschehen in welches er verwickelt worden war, als nicht von ihm schuldhaft herbeigeführt erachtet werden. Selbst der nach der erlittenen physischen und verbalen Demütigung dem N versetzte Fußtritt könnte dem Berufungswerber nicht als schuldhaftes Verhalten vorgeworfen werden. Es kann in diesem Zusammenhang dahingestellt bleiben, ob ein "bloßer Fußtritt" überhaupt ein Verhalten ist, das Ärgernis zu erregen geeignet ist. Jedenfalls dann nicht, wenn es nur im Zuge einer, wenn auch verspäteten, Abwehr geschieht.

Dies ist als eine aus einer allgemein begreiflichen Gemütsbewegung bzw. aus der erlittenen Demütigung heraus resultierende, gleichsam als "verzweifelte Abwehr- handlung", anzusehen. Ein solches Verhalten wäre durchaus auch von jeder anderen, in der Lage des Berufungswerber befindlichen Person (der objektivierten Maßfigur), zu erwarten gewesen. Es wurde somit auch die Frage geprüft, ob dem Handelnden "die Einhaltung des gebotenen Maßes an Beherrschung nach nach den Umständen des Falles zuzumuten war." Im Rahmen der subjektiven Sorgfaltswidrigkeit wird gefragt, ob der Handelnde zu einem objektiv sorgfaltsgemäßen Verhalten überhaupt fähig war; das Erfordernis der Zumutbarkeit soll dagegen sicherstellen, daß die Tatschuld auch dann entfällt, wenn dem Täter die Erfüllung der objektiven Sorgfaltspflicht zwar an sich möglich gewesen wäre, aber infolge der besonderen Tatumstände an ihn derart hohe Anforderungen gestellt hätte, daß das Recht ihre Verfehlung nicht mehr vorwirft. Das bedeutet, daß in Verallgemeinerung des Grundgedankens von § 10 StGB zu fragen ist, ob von einem mit den rechtlich geschützten Werten verbundenen Menschen, der mit den konkreten körperlichen und geistigen Ausstattungen des Täters zu denken ist, in der speziellen Tatsituation die Einhaltung der objektiven Sorgfaltspflichten realistischerweise zu erwarten war. Dies war für den Berufungswerber wohl zu verneinen. Es ist dies immer eine Wertentscheidung, welche die Behörde treffen muß.

Für eine entsprechende Auslegung des Schuldelementes der Zumutbarkeit ist die Grundlage aus dem "neuen" StGB - dessen Grundsätze auch im Verwaltungsstrafverfahren anzuwenden sind durchaus Raum. Von dieser Möglichkeit sollte Gebrauch gemacht werden (Burgstaller, Fahrlässigkeit im Strafrecht, Wien 1976, Seite 200 ff).

Das im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses angelastete Verhalten war jedoch auf die Phase hinsichtlich der Auseinandersetzung wegen der bellenden Hunde abgestellt. In dieser Phase der Auseinandersetzung war das ordnungswidrige Verhalten von Neswadba sen. und jun. aktiv beherrscht. Die letztgenannte Aktivität des Berufungswerbers wird an sich nicht mehr von der im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses umschriebenen Tathandlung umfaßt, weil sie im Sinne des § 44a VStG nicht konkret angelastet worden ist. Diese war nur mehr der Endpunkt der doch länger währenden Auseinandersetzung, die, wie oben ausgeführt, dem Berufungswerber ohnedies nicht als schuldhaftes Verhalten zuzurechnen gewesen wäre.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist ein weiteres ordentliches Rechtsmittel nicht zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat: Dr. B l e i e r 6

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