Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230408/3/Kei/Shn

Linz, 28.06.1995

VwSen-230408/3/Kei/Shn Linz, am 28. Juni 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Michael Keinberger über die Berufung des Ilmi S, gegen den Bescheid der Bundespolizeidirektion Linz vom 9. November 1994, Zl.St.13.551/94-B, wegen einer Übertretung des Fremdengesetzes (FrG), zu Recht:

I: Der Berufung wird stattgegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und das Verfahren eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.4 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes (AVG) iVm § 24 des Verwaltungsstrafgesetzes (VStG), § 45 Abs.1 Z2 und § 51 VStG.

II: Es entfällt die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde sowie zu den Kosten des Verfahrens vor dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem in der Präambel angeführten, mündlich verkündeten Bescheid wurde über den Berufungswerber eine Geldstrafe von 3.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 5 Tagen) verhängt, weil er "Fremder im Sinne des § 1 des Fremdengesetzes" gewesen sei und "sich seit seiner illegalen Einreise in das Bundesgebiet Österreich am 8.5.1992 unrechtmäßig im Bundesgebiet" aufgehalten habe, da er nicht im Besitz einer Aufenthaltsbewilligung gewesen sei. Dadurch habe er eine Übertretung des § 82 Abs.1 Z4 iVm § 15 Abs.1 Z2 FrG begangen, weshalb er gemäß § 82 Abs.1 FrG zu bestrafen gewesen sei.

2. Gegen diesen dem Berufungswerber am 9. November 1994 durch mündliche Verkündung zugestellten Bescheid richtet sich die am 23. November 1994 der Post zur Beförderung übergebene und fristgerecht erhobene Berufung.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat in den Verwaltungsakt der Bundespolizeidirektion Linz vom 23. Jänner 1995 und vom 20. März 1995, jeweils Zl.III-St.-13.551/94-B und in den (mittels Telekopie übermittelten) Zustellnachweis betreffend den Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. April 1994, Zl.4.338.485/1-III/13/92, Einsicht genommen.

Folgender Sachverhalt wurde als erwiesen angenommen und der Entscheidung zugrunde gelegt:

Der Berufungswerber ist am 8. Mai 1992 in das österreichische Bundesgebiet eingereist und hat einen Asylantrag gestellt. Durch den Bezirkshauptmann von Baden wurde für den Berufungswerber eine mit 11. Mai 1992 datierte "Bescheinigung über die vorläufige Aufenthaltsberechtigung" im Bundesgebiet für die Dauer "bis zum rechtskräftigen Abschluß des bei der Sicherheitsdirektion für das Bundesland Niederösterreich anhängigen Feststellungsverfahrens" ausgestellt. Der Asylantrag wurde mit Bescheid des Bundesministers für Inneres vom 29. April 1994, Zl.4.338.485/1-III/13/92, dem Berufungswerber zugestellt am 5. Mai 1994, abgewiesen. Innerhalb offener Frist hat der Berufungswerber - nachdem mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Oktober 1994, Zl.VH 1994/01/0304-12, die Verfahrenshilfe bewilligt worden war - eine mit 27. Dezember 1994 datierte Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof gerichtet und einen Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung gestellt. Diesem Antrag wurde mit Beschluß des Verwaltungsgerichtshofes vom 10. Jänner 1995, Zl.AW 94/01/0573, "mit der Wirkung stattgegeben, daß dem Antragsteller die Rechtsstellung zukommt, die er als Asylwerber vor Erlassung des angefochtenen Bescheides hatte".

Der Berufungswerber war Fremder iSd § 1 Abs.1 FrG - und zwar Albaner aus Kosovo, Staatsangehöriger der (ehemaligen) Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien. Ihm wurde nicht von einer Sicherheitsbehörde ein Sichtvermerk oder eine Bewilligung nach § 1 des Aufenthaltsgesetzes erteilt.

Ihm ist für die Zeit vom 6. Mai 1994 bis zum 9. November 1994 nicht eine Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991, BGBl.Nr.8/1992, zugekommen.

4. In der Sache selbst hat der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

4.1. Gemäß § 15 Abs.1 FrG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn (Z2) ihnen eine Bewilligung gemäß § 1 des Aufenthaltsgesetzes oder von einer Sicherheitsbehörde ein Sichtvermerk erteilt wurde oder (Z3) solange ihnen Aufenthaltsberechtigung nach dem Asylgesetz 1991, BGBl.Nr.8/1992, zukommt.

Gemäß § 82 Abs.1 Z4 FrG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 10.000 S zu bestrafen, wer sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 15). Als Tatort gilt der Ort der Betretung oder des letzten bekannten Aufenthaltes.

Gemäß § 6 VStG ist eine Tat nicht strafbar, wenn sie durch Notstand entschuldigt oder, obgleich sie dem Tatbestand einer Verwaltungsübertretung entspricht, vom Gesetz geboten oder erlaubt ist.

4.2. Steiner führt in "Österreichisches Asylrecht" (Wien 1990, S 16) aus:

"Besonders wichtig ist es, zu beachten, daß die vorläufige Aufenthaltsberechtigung nur bis zum rechtskräftigen Abschluß des Feststellungsverfahrens besteht (§ 5 Abs.1 AsylG), also bis zur Zustellung des Berufungsbescheides an den Asylwerber. Mit der Erlassung eines (abweislichen) Berufungsbescheides, der einer Anfechtung durch ein ordentliches Rechtsmittel nicht weiter zugänglich ist, verliert somit der Asylwerber seine vorläufige Aufenthaltsberechtigung, und zwar ungeachtet einer gegen den Berufungsbescheid in der Folge allenfalls erhobenen Verwaltungsgerichtshofbeschwerde." Der Aufenthalt des Berufungswerbers im Bundesgebiet ist seit der Zustellung des in Punkt 3 angeführten Bescheides des Bundesministers für Inneres an den Berufungswerber (ab 6. Mai 1994) bis zur Erlassung des angefochtenen Straferkenntnisses (9. November 1994) nicht rechtmäßig gewesen. Dies auch trotz der durch den Verwaltungsgerichtshof mit Beschluß vom 10. Jänner 1995, Zl.AW 94/01/0573, zuerkannten aufschiebenden Wirkung. Eine Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wirkt nach ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (s zB das Erkenntnis vom 2. Dezember 1992, Zl.92/10/0109) ex nunc (mit Zustellung des diesbezüglichen Beschlusses) und nicht ex tunc (rückwirkend). Der objektive Tatbestand des § 82 Abs.1 Z4 FrG liegt somit vor.

Im Hinblick auf die subjektive Tatseite wird aber festgehalten:

Der Berufungswerber war ein Albaner aus einer Provinz der (ehemaligen) Republik Jugoslawien - und zwar Kosovo. Das Ausmaß und auch die Intensität der Auseinandersetzungen in diesem Teil Europas sind Gegenstand ausführlicher medialer Berichterstattung und sohin allgemein bekannt. Die subjektive Befürchtung des Berufungswerbers, die in dem glaubhaften Vorbringen im Einspruch vom 19. Oktober 1994 und in der Berufung vom 23. November 1994 zum Ausdruck kommt, dahingehend, daß er in die Auseinandersetzung hineingezogen und einer Verfolgung ausgesetzt wird, begründet eine Notstandsituation. Festgehalten wird auch, daß ein Irrtum des Berufungswerbers im Hinblick auf die Einschätzung der Situation (Tatsachenirrtum) in analoger Anwendung des § 10 Abs.2 zweiter Satz StGB entschuldbar wäre. Das Verhalten des Berufungswerbers war somit nicht schuldhaft. Was die Beurteilung dieser Frage im Rahmen des Verwaltungsstrafverfahrens betrifft, so wird darauf hingewiesen, daß diese unabhängig von einer Beurteilung durch andere Behörden in administrativen Verfahren erfolgt und auch auf die Erkenntnisse des O.ö. Verwaltungssenates, VwSen-230413/2/Br/Bk vom 20. Februar 1995 und VwSen-230397/5/Kei/Km vom 8. März 1995.

4.3. Aus den angeführten Gründen war der vorliegenden Berufung gemäß § 24 VStG iVm § 66 Abs.4 AVG stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z2 VStG einzustellen.

5. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Berufungswerber gemäß § 66 Abs.1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem O.ö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Beilage Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Keinberger

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