Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230852/2/WEI/Eg/An

Linz, 25.11.2004

 

 

 VwSen-230852/2/WEI/Eg/An Linz, am 25. November 2004

DVR.0690392
 
 
 

E R K E N N T N I S
 
 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Berufung des M Y, geb., t Staatsangehöriger, B, H, vertreten durch Dr. J R, Rechtsanwalt in L, W, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Grieskirchen vom 9. September 2003, Zl. Sich 96-150-2003, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem § 107 Abs 1 Z 3 Fremdengesetz 1997 - FrG 1997 (BGBl I Nr. 75/1997, idF BGBl I Nr. 134/2002 [Strafrechtsänderungsgesetz]) zu Recht erkannt:

 

 

I. Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Strafverfahren gemäß § 45 Abs 1 Z 2 VStG eingestellt.

II. Die Verpflichtung zur Leistung von Beiträgen zu den Kosten des Strafverfahrens entfällt.

 

Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG iVm § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG ; § 66 Abs 1 VStG.
 
 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis wurde der Berufungswerber (Bw) wie folgt schuldig erkannt und bestraft:

"Sie haben sich am 20.4.2003 als t Staatsangehöriger und somit als passpflichtiger Fremder im Bundesgebiet der Republik Österreich, und zwar an der Adresse in H, B, aufgehalten, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokumentes zu sein."

 

Dadurch erachtete die belangte Behörde §§ 2 Abs 1 iVm 107 Abs 1 Z 3 FrG 1997 als verletzte Rechtsvorschriften und verhängte wegen dieser Verwaltungsübertretung "gemäß § 107 Abs. 1 Zi.3 FrG" eine Geldstrafe in Höhe von 72 Euro und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 33 Stunden. Als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurden 7,20 Euro vorgeschrieben.

 

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das dem Bw zu Händen seines Rechtsvertreters am 11. September 2003 zugestellt wurde, richtet sich die rechtsfreundlich verfasste Berufung, die am 12. September 2003 bei der belangten Behörde rechtzeitig mittels Telefax eingebracht worden ist und mit der die Aufhebung des Straferkenntnisses, hilfsweise die Anwendung des § 21 VStG beantragt wird.

 

2. Aus der Aktenlage ergibt sich der folgende wesentliche S a c h v e r h a l t :

 

2.1. Einem Aktenvermerk der belangten Behörde vom 5. August 2003 ist zu entnehmen, dass der Bw laut eigenen Angaben vor dem Bundesasylamt, Außenstelle Linz, vom 30. Juli 2003, über unbekannt in einem LKW ohne gültiges Reisedokument und unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist sei. Der Reisepass wurde ihm angeblich bereits in der T gestohlen. Der Bw verfügte lediglich über einen Personalausweis, welcher jedoch für die Einreise nach Österreich kein gültiges Reisedokument darstellte. Weiters geht aus dem Aktenvermerk hervor, dass die polizeiliche Anmeldung am 20. April 2003 erfolgte und ein Asylantrag am 25. April 2003 gestellt wurde.

 

In der Folge wurde von der belangten Behörde über den Bw mit Datum vom 7. August 2003 eine Strafverfügung verhängt, gegen welche er rechtzeitig Einspruch erhob. In seinem Einspruch führte der Bw an, dass seinerseits kein strafbares Verhalten vorliege, er am 24. April 2003 einen Asylantrag gestellt habe und im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung gemäß § 19 AsylG 1997 sei und er sich daher rechtmäßig in Österreich aufhalte. Der Umstand, dass er nicht im Besitz eines gültigen Reisedokumentes ist, könne ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Im Asylverfahren habe er ausgeführt, dass ihm am 17. April 2004 die Tasche, in welcher sich der Reisepass befand, in I gestohlen worden sei. Aufgrund der vorgebrachten Asylgründe sei eine Ausweisung sowohl auf Grund des Schutzes des Privat- und Familienlebens (§ 37 FrG 1997) als auch auf Grund bestehender Bedrohungsgefahr (§ 57 Abs 2 FrG 1997) in seiner Heimat nicht möglich. Wenn eine Ausweisung eines Fremden aus diesen Gründen nicht möglich ist, könne ein Fremder gemäß § 107 Abs. 1 FrG 1997 auch nicht bestraft werden, da vom Vorliegen eines gesetzlichen Strafausschließungsgrundes nach § 6 VStG auszugehen sei.

 

2.2. Die belangte Behörde führt im Straferkenntnis begründend aus, dass der Bw in einem LKW über ein Drittland eingereist sei und er somit die Möglichkeit gehabt hätte, auch in einem Nachbarstaat Österreichs Asyl zu beantragen, um so der behaupteten Gefahr in seinem Heimatland zu entgehen. Aus diesem Grund wäre es ihm zumutbar gewesen, die Verwirklichung der ihm angelasteten Übertretung zu vermeiden.

 

2.3. In der Berufung macht der Bw Verletzung von Verfahrensvorschriften und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend. Die Behörde habe ohne weitergehendes Ermittlungsverfahren und ohne über seine Beweisanträge zu entscheiden, diese übergangen. Der Bw rügt in diesem Zusammenhang Verletzung von Verfahrensvorschriften, weil die belangte Behörde die angebotenen Beweise, nämlich die zeugenschaftliche Einvernahme des Y H sowie PV, übergangen und das gegenständliche Straferkenntnis erlassen hat.

 

Bei Durchführung eines Beweisverfahrens wäre herausgekommen, dass ein Strafausschließungsgrund nach § 6 VStG vorliege. Als Asylwerber habe er aus politischen Gründen die Flucht aus seiner Heimat angetreten und habe er im Asylverfahren lebensbedrohende Umstände dargelegt und bescheinigt. Das von der Behörde geforderte Alternativverhalten, einen Asylantrag in einem Nachbarstaat Österreichs zu stellen, entspreche nicht der geltenden Rechtslage im Sinne des Asylgesetzes. Er habe die Reiseroute nicht wahrnehmen können, da er versteckt worden sei, weshalb ihm auch keinesfalls zumutbar gewesen sei, in einem ihm unbekannten Drittland einen Asylantrag zu stellen. Weiters rügt der Bw, dass die Behörde das Parteiengehör nicht gewahrt habe.

Der Bw bestreitet in seiner Berufung nicht, sich am 20. April 2004 als Fremder in Österreich aufgehalten zu haben, doch verweist er auf seinen am 24. April 2003 beim Bundesasylamt eingebrachten Asylantrag und darauf, dass er im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung gemäß § 19 AsylG sei und er sich somit seit 24. April 2003 legal in Österreich aufhalte. Der Bw hat weiterhin den schon bisher eingenommen Rechtsstandpunkt vertreten und darauf verwiesen, dass der Diebstahl eines Reisedokumentes einen Entlastungsbeweis im Sinne der höchstgerichtlichen Judikatur darstelle. Er stellt weiters den vorgeworfenen Tatzeitpunkt und die Strafbemessung in Frage. Auch habe sein Aufenthalt in Österreich am 20. April 2003 keine nachteiligen Folgen gehabt und habe er diesen sogar durch die Asylbehörde legalisieren können. Da ein Verschulden seinerseits nicht feststellbar sei, ein allfällig festgestelltes Verschulden höchstens geringfügig sei und die Folgen der Tat unbedeutend seien, wäre mit einer Ermahnung vorzugehen gewesen bzw. hätte die Behörde im Sinne des § 21 Abs 2 VStG überhaupt auf die Verhängung einer Strafe verzichten müssen. Aus diesen Gründen wird der Antrag auf Aufhebung des Straferkenntnisses, in eventu das Absehen von der Strafe gemäß § 21 VStG beantragt.

 

3. Der erkennende Verwaltungssenat hat nach Durchsicht der vorgelegten Verwaltungsakten festgestellt, dass das angefochtene Straferkenntnis schon auf Grund der Aktenlage aufzuheben ist.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen.

 

4.1. Gemäß § 107 Abs 1 FrG 1997, BGBl. I Nr. 75/1997 idgF BGBl.Nr. 134/2002 (Strafrechtsänderungsgesetz), begeht eine Verwaltungsübertretung und ist in den Fällen der Z 1 und Z 2 mit Geldstrafe bis 726 Euro oder Freiheitsstrafe bis zu 14 Tagen, sonst mit Geldstrafe bis zu 726 Euro zu bestrafen, wer

 

nach Erlassung eines Aufenthaltsverbotes oder einer Ausweisung nicht rechtzeitig ausreist oder

einem Aufenthaltsverbot zuwider unerlaubt in das Bundesgebiet zurückkehrt oder

sich als passpflichtiger Fremder, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokuments zu sein, im Bundesgebiet aufhält, oder

sich nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhält (§ 31).

 

Nach § 2 Abs 1 FrG 1997 brauchen Fremde für die Einreise, während des Aufenthaltes und für die Ausreise einen gültigen Reisepass (Passpflicht), soweit nicht anderes bundesgesetzlich oder durch zwischenstaatliche Vereinbarungen bestimmt wird oder internationalen Gepflogenheiten entspricht.

 

4.2. Im gegenständlichen Fall wird vom Bw gar nicht in Abrede gestellt, dass er sich zum Tatzeitpunkt ohne gültigen Reisepass in Österreich aufgehalten hat. Er rechtfertigt diese Tatsache jedoch damit, dass ihm vor seiner Abreise in I die Reisetasche mit dem darin befindlichen Reisepass gestohlen wurde. Auch sei ihm nicht zumutbar gewesen, in einem ihm nicht bekannten Drittland Asyl zu beantragen, da ihm die Reiseroute nicht bekannt war und er versteckt wurde. Weiters sei er seit 24. April 2003 im Besitz einer vorläufigen Aufenthaltsberechtigung gemäß § 19 Asylgesetz und halte er sich deshalb seit dem 24. April 2003 legal in Österreich auf.

Die Erstbehörde hat es leider unterlassen, geeignete Erhebungen zu den Angaben des Bw in Bezug auf die Umstände seiner Flucht, des Fluchtweges und der Einreise durchzuführen. Deshalb sind die Angaben des Bw auch nicht widerlegbar.

Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Erkenntnis vom 19. Oktober 2004, Zl. 2004/21/0131, unter Hinweis auf seine Entscheidungen vom 13. Dezember 2002, Zl. 99/21/0163, und vom 19. Oktober 2004, Zl. 2004/21/0181, ausgeführt, dass das in Art 31 Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention normierte Verbot der Verhängung von Strafen wegen illegaler Einreise oder Anwesenheit ein Verbot der Bestrafung wegen eines Aufenthalts im Bundesgebiet ohne gültiges Reisedokument einschließt, wenn das Fehlen eines Einreisedokuments aus den Umständen der Flucht, der direkten Einreise und dem Aufenthalt des Flüchtlings erklärt werden kann. Das Vorliegen einer direkten Einreise kann dabei nicht allein deshalb, weil der Asylwerber zuvor andere Staaten als jene, in denen er Verfolgung zu fürchten behauptet, durchreist hat, verneint werden, ohne dass die Strafbehörde zu diesem Thema auch dementsprechend konkrete Feststellungen getroffen hat.

Diese Rechtsprechung läuft im Ergebnis darauf hinaus, dass ein Asylwerber wegen Verletzung der Passpflicht nur dann bestraft werden kann, wenn ihm dezidiert nachzuweisen ist, dass er bereits in einem Drittstaat tatsächlich um Asyl hätte ansuchen können.

4.3. Da im gegenständlichen Fall entsprechende Feststellungen fehlen und solche im Wissen um die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes von einem anwaltlich vertretenen Bw auch im Zuge einer mündlichen Verhandlung offenkundig nicht zu erlangen sind, war der Berufung gemäß § 66 Abs 4 AVG iVm § 24 VStG stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren im Hinblick auf den Strafausschließungsgrund des Art 31 Z 1 der Genfer Flüchtlingskonvention nach § 45 Abs 1 Z 2 VStG einzustellen.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.
 
 

Dr. W e i ß

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