Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-240023/7/Gf/Kf

Linz, 25.02.1992

VwSen - 240023/7/Gf/Kf Linz, am 25. Februar 1992 DVR.0690392 - &

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Alfred Grof über die Berufung der I, gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 7. Oktober 1991, Zl. 101-4/9, nach der am 20. Februar 1992 in Anwesenheit der Beschwerdeführerin und ihres Rechtsvertreters Dr. P als Vertreter der belangten Behörde und im Beisein des Schriftführers Werner Pfleger durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid gemäß § 66 Abs.4 AVG i.V.m. § 24 VStG ersatzlos aufgehoben.

II. Die Berufungswerberin hat gemäß § 66 Abs.1 VStG weder einen Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens noch zu den Kosten des Berufungsverfahrens zu leisten.

Entscheidungsgründe:

1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 7. Oktober 1991, Zl. 101-4/9, wurde über die Beschwerdeführerin wegen Übertretung des § 9 Abs. 1 Z. 2 i.V.m. § 4 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Maßnahmen gegen die Verbreitung des erworbenen Immundefektsyndroms (AIDS-Gesetz), BGBl.Nr. 293/1986, eine Geldstrafe von 5.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe: 5 Tage) verhängt.

Begründend wird dazu ausgeführt, daß die Beschwerdeführerin in der "Villa E" in 4600 W durch Ausübung der Prostitution gewerbsmäßig Unzucht getrieben hätte, ohne sich vor Aufnahme dieser Tätigkeit bzw. ohne sich regelmäßig wiederkehrend der gesetzlich vorgesehenen Untersuchung auf eine Kontaktnahme mit dem Virus LAV/HTLV III unterzogen zu haben. Dieser Sachverhalt sei von der Bundespolizeidirektion Wels zur Anzeige gebracht, von der Beschwerdeführerin auch nicht bestritten und daher als erwiesen angenommen worden. Erschwerungs- oder Milderungsgründe seien nicht hervorgekommen; da die Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse der Beschwerdeführerin nicht hätten erhoben werden können, weil sie weder an ihrer Wohnadresse anzutreffen gewesen sei noch einer Vorladung zum Erscheinen vor der Behörde Folge geleistet hätte, und auch deshalb, weil im Wege der Amtshilfe über die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse das Vorliegen eines Dienstverhältnisses nicht habe festgestellt werden können, sei Vermögenslosigkeit anzunehmen und daher eine Geldstrafe im untersten Bereich des gesetzlichen Strafrahmens zu verhängen gewesen.

Aus diesen Gründen sei spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

2. Gegen dieses der Beschwerdeführerin am 11. November 1991 zugestellte Straferkenntnis hat diese mit einem am 25. November 1991 - und damit rechtzeitig - zur Post gegebenen Schriftsatz Beschwerde erhoben.

Begründend wird dazu ausgeführt, daß im gegenständlichen Fall von einer gewerbsmäßigen Ausübung der Prostitution nicht die Rede sein könne, sondern daß die Beschwerdeführerin lediglich zugestanden habe, mit einem Lokalbesucher einmal gegen Entgelt Unzucht getrieben zu haben. Außerdem habe sie ihre Tätigkeit in der "Villa E" umgehend nach der besagten polizeilichen Kontrolle beendet.

Aus diesen Gründen wird die Aufhebung des Straferkenntnisses und die Einstellung des Strafverfahrens beantragt.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des Magistrates der Stadt Linz zu Zl. 101-4/9 sowie im Wege der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu der die Beschwerdeführerin und deren Rechtsvertreter sowie zwei Vertreter der belangten Behörde als Parteien des Verfahrens und BI Johann R (Beamter bei der kriminalpolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Wels) als Zeuge erschienen sind.

Im Zuge dieser Beweisaufnahme wurde folgender Sachverhalt als erwiesen festgestellt:

Die Beschwerdeführerin hat am 13. Mai 1991 im Lokal "Villa E" in Wels ein Probedienstverhältnis als Kellnerin begonnen. Anfangs hatte sie Tagdienst. Am 29. Mai 1991 wurde sie erstmals zum Nachtdienst eingeteilt, wobei das Lokal täglich von 12.00 Uhr mittags bis 6.00 Uhr früh des nächsten Tages geöffnet ist. An diesem Tag fand eine routinemäßige Kontrolle der Bediensteten der "Villa E" durch Organe der Bundespolizeidirektion Wels statt, in deren Zuge auch einem anonymen Hinweis, daß in diesem Lokal eine Prostituierte ihre Tätigkeit ohne die gesetzlich geforderten amtsärztlichen Untersuchungen ausüben würde, nachgegangen wurde. Im Zuge dieser Kontrolle wurde festgestellt, daß von den im Lokal beschäftigten Damen lediglich die Beschwerdeführerin keinen Ausweis im Sinne des § 2 der Verordnung BGBl.Nr.

314/1974 - sog. "Gesundheitsbuch - vorweisen konnte. Die Beschwerdeführerin wurde daraufhin mündlich aufgefordert, in dieser Angelegenheit in den nächsten Tagen bei der Bundespolizeidirektion Wels vorzusprechen. Dieser Aufforderung entsprach die Beschwerdeführerin am 3. Juni 1991. Bei ihrer niederschriftlichen Einvernahme gab die Beschwerdeführerin an, in der Zeit vom 13. Mai 1991 bis zum 29. Mai 1991 insgesamt dreimal mit Kunden auf das Zimmer gegangen zu sein und dafür jeweils 1.000 S bekommen zu haben; sie habe jedoch nicht vor, diese Tätigkeit weiter auszuüben, weil sie im vierten Monat schwanger sei, was auch ihr Gynäkologe bestätigen könne. In diesem Zeitraum habe sie keine ärztliche Untersuchung auf Geschlechts- oder Infektionskrankheiten vornehmen lassen, weil sie nicht gewußt hätte, daß die Prostitution nicht ohne "Gesundheitsbuch" ausgeübt werden dürfe. Aufgrund dieser Angaben wurde von dem die Kontrolle und die Einvernahme im Amt durchgeführt habenden Zeugen am 4. Juni 1991 eine Anzeige wegen des Verdachtes der "Ausübung der Prostitution ohne Gesundheitsbuch; § 1 Vdg.d.BM.f.Ges.u.U., BGBl. 314/74" an die Bundespolizeidirektion Wels erstattet; von dieser wurde das Strafverfahren mit Schreiben vom 10. Juni 1991, Zl. III-St-2079/91, gemäß § 29a VStG der Bundespolizeidirektion Linz übertragen; letztere hat offenbar, weil es sich inhaltlich um den Verdacht einer Übertretung des AIDS-Gesetzes handelte und dieses Gesetz i.S.d. § 26 VStG eine Zuständigkeit der Bundespolizeidirektion nicht ausdrücklich vorsieht - mit Schreiben vom 15. Juli 1991, Zl. St-6.648/91-B, die Anzeige an die und die Abtretungsverfügung der Bundespolizeidirektion Wels "dem Magistrat Linz Bezirksverwaltungsamt hinsichtlich der sachlichen Zuständigkeit übermittelt". Der Bürgermeister der Stadt Linz hat - jeweils ohne entsprechenden Hinweis darauf, in seiner Eigenschaft als Bezirksverwaltungsbehörde einzuschreiten - die Beschwerdeführerin zur Rechtfertigung aufgefordert sowie versucht, im Wege der Amtshilfe über die Oberösterreichische Gebietskrankenkasse deren Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse zu ermitteln und schließlich das oben unter 1. angeführte und mit der vorliegenden Berufung angefochtene Straferkenntnis erlassen.

In der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat die Beschwerdeführerin ihre niederschriftlichen Angaben vom 3. Juni 1991 insofern widerrufen bzw. präzisiert, als sie in der "Villa Erotica" nur als Kellnerin, deren Aufgabe es lediglich gewesen sei, Getränke zu servieren, nicht aber als Prostituierte gearbeitet hätte. Daß sich dabei ihre Arbeitskleidung von jener, wie sie üblicherweise von Kellnerinnen in einem Gasthaus oder Restaurant getragen wird, unterschieden habe, sei selbstverständlich. Ferner sei sie nur einmal jedoch nicht allein, sondern in Begleitung mit einer echten Prostituierten - mit einem Kunden auf das Zimmer gegangen und habe sich mit beiden dort ca. eine Stunde lang lediglich unterhalten, ohne dabei einen Geschlechtsverkehr auszuüben. Die Widersprüche zu ihren niederschriftlichen Angaben erklärte die Beschwerdeführerin damit, daß sie dazu seitens der verhörenden Polizeibeamten geradezu gezwungen worden wäre, weil ihr für den Weigerungsfall eine Verhaftung angedroht worden sei. Nur um das Amtsgebäude wieder verlassen zu können, habe sie sohin ein "Geständnis" abgelegt. Ihr Dienstverhältnis zu den Betreibern der "Villa E" habe sie aufgrund dieser Vorkommnisse - und nicht weil sie ein Kind erwarte; sie könne nämlich auf natürlichem Weg überhaupt keine Kinder bekommen - umgehend beendet.

Der von der Beschwerdeführerin zu ihren dementsprechenden Angaben in der öffentlichen mündlichen Verhandlung als Zeuge benannte Gynäkologe verweigerte im fortgesetzten Verfahren unter Hinweis auf § 49 Abs. 1 Z. 2 AVG die Aussage.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich beurteilt diesen Sachverhalt rechtlich wie folgt:

4.1. Gemäß § 9 Abs. 1 Z. 2 i.V.m. § 4 Abs. 2 des Bundesgesetzes über Maßnahmen gegen die Verbreitung des erworbenen Immundefektsyndroms (AIDS-Gesetz), BGBl.Nr. 293/1986, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 243/1989 (im folgenden kurz: AIDS-G), begeht derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 100.000 S zu bestrafen, der gewerbsmäßig Unzucht treibt, ohne sich vor Aufnahme dieser Tätigkeit und regelmäßig wiederkehrend einer amtsärztlichen Untersuchung auf einen Kontakt mit dem Virus LAV/HTLV III zu unterziehen.

4.2. Es ist unstrittig, daß die Beschwerdeführerin keine derartige Untersuchung vornehmen ließ; sie bestreitet jedoch deren Notwendigkeit und damit die Tatbestandsmäßigkeit ihres Verhaltens in bezug auf die zitierten Gesetzesbestimmungen mit der Begründung, daß sie keine Unzucht - und diese damit erst recht nicht gewerbsmäßig - getrieben hat. Mit diesem Vorbringen ist die Beschwerdeführerin im Ergebnis im Recht.

4.2.1. Wie aus dem AIDS-G selbst sowie aus den Gesetzesmaterialien hiezu (vgl. insbesondere den Bericht des Ausschusses für Gesundheit und Umweltschutz, 952 BlgStenProtNR, 16. GP) unzweifelhaft hervorgeht, liegt der Schutzzweck dieses Gesetzes darin, Vorsorge dafür zu treffen, daß eine weitere Ausbreitung des LAV/HTLV-III-Virus verhindert wird. Aus medizinischer Sicht gelten als Primärrisiko für eine derartige Verbreitung dieses Virus insbesondere dessen Übertragung durch Geschlechtsverkehr oder durch unsterile Injektionsvorgänge; als Hauptrisikogruppen sind daher homosexuelle Männer, Prostituierte und Drogensüchtige anzusehen. Wenn daher das AIDS-G die Ausübung der gewerbsmäßigen Unzucht einerseits an eine vorhergehende und in der Folge laufende amtsärztliche Untersuchung auf einen Kontakt mit dem Virus LAV/HTLV III bindet und andererseits bei einer entsprechend nachgewiesenen Kontaktnahme deren Ausübung verbietet, dann ist es vor dem dargestellten Hintergrund offensichtlich, daß das Tatbestandsmerkmal der (gewerbsmäßigen) "Unzucht" i.S.d. § 4 Abs. 1 und 2 bzw. § 9 Abs. 1 AIDS-G eine tatsächliche (gewerbsmäßige) Ausübung des Geschlechtsverkehrs - und nicht etwa bloß die Anbahnung der Prostitution voraussetzt: Auf den vorliegenden Fall bezogen bedeutet dies, daß nur solche Personen, die sich gewerbsmäßig zum Geschlechtsverkehr anbieten bzw. anzubieten beabsichtigen und diesen auch tatsächlich ausüben, der Verpflichtung unterliegen, sich einer amtsärztlichen Untersuchung auf eine Kontaktnahme mit dem Virus LAV/HTLV III zu unterziehen, bzw. im Unterlassungsfall eine entsprechende Verwaltungsübertretung begehen.

4.2.2. Im durchgeführten Verwaltungsstrafverfahren konnte nun der Beschwerdeführerin weder die Absicht zur noch die tatsächliche Ausübung einer in diesem Sinne verstandenen Prostitution nachgewiesen werden. Der als Zeuge einvernommene Beamte der kriminalpolizeilichen Abteilung der Bundespolizeidirektion Wels konnte lediglich angeben, bei der Routinekontrolle am 29. Mai 1991 die Beschwerdeführerin in der "Villa E" angetroffen und diese nach dem "Gesundheitsbuch" gefragt zu haben, welches sie nicht vorweisen konnte. An andere Umstände, insbesondere im Detailbereich (wie zB an die Kleidung der Beschwerdeführerin oder daran, ob diese von ihm auf die Notwendigkeit der amtsärztlichen Untersuchung hingewiesen wurde, bzw. daran, ob sie überhaupt hinsichtlich der Absicht zur Ausübung der Prostitution ausdrücklich befragt wurde u.ä.), vermochte sich der Zeuge - für einen Kriminalbeamten eher ungewöhnlich - nicht bzw. nicht mehr genau zu erinnern. Andere Beweise als die Meldung und Anzeige des Zeugen und die von diesem aufgenommene Niederschrift mit der Beschwerdeführerin - etwa die zeugenschaftliche Vernehmung von Gästen des Lokales oder sonstiger in der "Villa Erotica" bediensteter Personen hat die belangte Behörde nicht aufgenommen.

4.2.3. Hiezu ist festzuhalten, daß die alleinige Aussage einer Beschuldigten im Verwaltungsstrafverfahren und eine - was das Tatbestandsmerkmal der Ausübung des Geschlechtsverkehrs betrifft - nur auf deren Einvernahme im Amt aufbauende Zeugenaussage des Meldungslegers von vornherein nicht als ein taugliches Beweismittel erscheint, um die der Beschwerdeführerin vorgeworfene Tat nachzuweisen, unterliegt diese doch als Beschuldigte gemäß den §§ 32 und 33 VStG von vornherein nicht der Wahrheitspflicht. Daher liefert auch eine mit ihr aufgenommene Niederschrift schon grundsätzlich weder einen vollen Beweis über die Wahrheit des von ihr Ausgesagten (sondern allenfalls darüber, daß sie eine entsprechende Aussage getätigt hat) noch bewirkt diese eine Beweislastumkehr i.S.d. § 15 AVG. Im besonderen gilt dies erst recht zum einen für eine - wie im vorliegenden Fall nicht den Vorschriften des § 14 AVG entsprechend aufgenommene Niederschrift (es fehlt nämlich ein Hinweis darauf, daß diese vorgelesen bzw. von der Beschuldigten auf die Verlesung verzichtet wurde; vgl. VwGH v. 19.6.1986, 85/04/0106) sowie zum anderen aufgrund des Unmittelbarkeitsgrundsatzes (§ 51g Abs. 3 VStG) dann, wenn und weil im Berufungsverfahren eine öffentliche mündliche Verhandlung durchzuführen ist, da in diesem Fall in der Folge bei der Fällung des Erkenntnisses grundsätzlich nur auf das Rücksicht zu nehmen ist, was in der Verhandlung vorgekommen ist.

4.2.4. Der unabhängige Verwaltungssenat ist von Verfassungs wegen wie der Verwaltungsgerichtshof als ein Organ, das die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung garantiert, eingerichtet (vgl. Art. 129 B-VG); er ist daher in erster Linie ein Kontrollorgan und keine Strafbehörde. An dieser verfassungsrechtlichen Zielvorgabe hat sich auch die Auslegung der einfachgesetzlichen Verfahrensvorschriften, im besonderen des VStG, zu orientieren. Aus diesem Grund erachtet sich der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich in der Regel lediglich dazu befugt, jene Beweise als im Sinne des § 51g Abs. 1 VStG "zur Entscheidung der Sache erforderlich" aufzunehmen, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren aufgenommen wurden (bzw. offensichtlich aufzunehmen gewesen wären) und deren Würdigung durch die Erstbehörde es nunmehr im Hinblick auf deren Gesetzmäßigkeit zu kontrollieren gilt, sowie darüber hinaus jene Beweise, die (worauf in der Ladung zur mündlichen Verhandlung auch die belangte Behörde ausdrücklich hingewiesen wurde) von den Parteien des Berufungsverfahrens - weil diesbezüglich gemäß § 65 AVG i.V.m. § 24 VStG kein Neuerungsverbot besteht zeitgerecht vor der Entscheidung angeboten werden. Im übrigen sieht es der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich - wie bereits beginnend mit VwSen-220013 vom 9.8.1991 mehrfach ausgesprochen wurde (vgl. z.B. VwSen-220007 vom 28.8.1991 und VwSen-200000 vom 29.8.1991) jedoch nicht als seine Aufgabe an und ist es nach hg. Auffassung auch mit dessen verfassungsrechtlicher Stellung als ein unabhängiges und unparteiisches Gericht i.S.d. Art. 6 MRK nicht vereinbar, im Berufungsverfahren gleichsam das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren zu substituieren.

4.3. Konnte somit im Ergebnis nach der Beweislage das "Treiben von "Unzucht" i.S.d. § 9 Abs. 1 Z. 2 i.V.m. § 4 Abs. 2 AIDS-G - vom Merkmal der "Gewerbsmäßigkeit" ganz abgesehen - und damit die Erfüllung des Tatbestandes nicht als erwiesen angesehen werden, so war das angefochtene Straferkenntnis schon aus diesem Grunde aufzuheben; ob bzw. inwieweit eine weitere Strafverfolgung der Beschwerdeführerin mit Blick auf eine zwischenzeitlich allenfalls bereits eingetretene Verfolgungsverjährung zulässig ist, haben die erstinstanzlichen Behörden aus eigenem zu beurteilen.

4.4. Im übrigen ist darauf hinzuweisen, daß es einer nach § 29a VStG für zuständig erklärten (Zweit-)Behörde selbst dann nicht zukommt, diese Kompetenz einer anderen (Dritt-)Behörde zu subdelegieren, wenn - wie im vorliegenden Fall - nicht die erstere (Zweit-Behörde), sondern tatsächlich die letztere (Dritt-)Behörde von Gesetzes wegen sachlich zuständig ist, weil derartiges im Gesetz nicht vorgesehen ist. Die prinzipiell durch Gesetz begründete Zuständigkeit der Behörden, die gemäß § 6 Abs. 2 AVG zunächst der Disposition der Parteien entzogen ist, kann auch durch einen behördlichen Akt nur dann und insoweit modifiziert werden, als dies gesetzlich für zulässig erklärt ist. In diesem Sinne ist daher auch § 6 Abs. 1 AVG restriktiv dahingehend auszulegen, daß eine derartige Weiterleitung an die zuständige Behörde nur bei Vorliegen eines Anbringens einer Partei, nicht aber einer anderen Behörde in Betracht kommt. Findet sich damit aber weder im VStG noch im AVG eine entsprechende gesetzliche Grundlage, so verbleibt einer im Wege des § 29a VStG zu Unrecht für zuständig erklärten Behörde letztlich nur die Möglichkeit, mittels eines verfahrensrechtlichen Bescheides formell ihre Unzuständigkeit festzustellen; eine Subdelegation an die tatsächlich zuständige Behörde kommt hingegen nicht in Betracht (vgl. z.B. VwSlg 10638 A/1982; VwGH vom 11.5.1983, 82/03/0216). Indem der Bürgermeister der Stadt Linz - abgesehen davon, daß sich im Straferkenntnis kein Hinweis darauf, daß dieser als Bezirksverwaltungsbehörde und nicht als ein Organ des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde eingeschritten ist, findet und damit im Ergebnis die bescheiderlassende Behörde nicht erkennbar ist (vgl. z.B. VwGH vom 20.4.1972, 1943/71) - sohin das angefochtene Straferkenntnis erlassen hat, ohne daß ihm hiezu das Strafverfahren von der "zuständigen Behörde" i.S.d. § 29a VStG (nämlich unmittelbar von der Bundespolizeidirektion Wels und nicht gleichsam indirekt von der Bundespolizeidirektion Linz) übertragen worden wäre, wurde die Beschwerdeführerin dadurch auch in ihrem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter (Art. 83 Abs. 2 B-VG) verletzt (vgl. z.B. VfSlg 8939/1980 und 9181/1981) und war daher das angefochtene Straferkenntnis auch aus diesem Grunde aufzuheben.

5. Bei diesem Verfahrensergebnis war der Beschwerdeführerin gemäß § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des erstinstanzlichen Strafverfahrens noch zu den Kosten des Verfahrens vor dem unabhängigen Verwaltungssenat vorzuschreiben.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s :

Gegen diesen Bescheid kann von den Parteien des Verfahrens (§ 51d VStG) innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Linz, am 25. Februar 1992 Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. G r o f 6

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