Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-240045/14/Gf/Hm

Linz, 18.11.1992

VwSen-240045/14/Gf/Hm Linz, am 18. November 1992 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Alfred Grof über die Berufung des N, gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 14. September 1992, Zl. 101-6/1, nach der am heutigen Tag im Beisein der Schriftführerin durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG und § 21 VStG insoweit stattgegeben, als von der Verhängung einer Strafe abgesehen und stattdessen eine Ermahnung erteilt wird; im übrigen wird diese hingegen abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, daß in dessen Spruch an die Stelle des Klammerausdruckes "zulässig 200" nunmehr die Wendung "zulässig 100" zu treten hat.

II. Gemäß § 66 Abs. 1 VStG i.V.m. § 45 Abs. 2 letzter Satz des Lebensmittelgesetzes entfällt die Verpflichtung zur Leistung von Kostenbeiträgen zum Verfahren vor der belangten Behörde und zum Verfahren vor dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich sowie die Verpflichtung zum Ersatz der Untersuchungskosten als Barauslagen der belangten Behörde.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

1.1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 14. September 1992, Zl. 101-6/1, wurde über den Berufungswerber eine Geldstrafe von insgesamt 2.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe: 2 Tage) verhängt, weil das von ihm am 22. Juli 1991 in seinem Café hergestellte, behandelte und zum Verkauf bereitgehaltene Kiwi-Eis und Tiramisu-Eis insofern nicht den Bestimmungen der Speiseeisverordnung entsprochen hätte, als sich in ersterem 28.000 und in letzterem 24.000 anstelle der höchstzulässigen 200 coliformen Keime pro Gramm befunden hätten; dadurch habe der Berufungswerber eine Übertretung des § 74 Abs. 5 Z. 1 i.V.m. § 77 Abs. 1 Z. 18 des Lebensmittelgesetzes, BGBl.Nr. 86/1975, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 226/1988 (im folgenden: LMG), und i.V.m. § 9 Abs. 1 lit. c der Speiseeisverordnung, BGBl.Nr. 6/1973 (im folgenden: SpeiseeisVO), begangen, weshalb er gemäß § 75 Abs. 1 Z. 1 LMG zu bestrafen gewesen sei.

1.2. Gegen dieses dem Berufungswerber am 22. September 1992 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, am 6. Oktober 1992 - und damit rechtzeitig - zur Post gegebene Berufung.

2.1. Im angefochtenen Straferkenntnis führt die belangte Behörde begründend aus, daß es aufgrund der von der Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung in Linz (im folgenden kurz: Bundesanstalt) vorgenommen Analyse als erwiesen anzusehen sei, daß die gezogenen Proben die festgestellten Grenzwertüberschreitungen aufwiesen; eine nachträgliche Vermehrung dieser Keime durch unsachgemäßes Hantieren in der Zeit zwischen der Probenziehung durch das Organ der Lebensmittelaufsicht des Magistrates der Stadt Linz und der Untersuchung durch die Bundesanstalt könne hingegen mit Sicherheit ausgeschlossen werden. Da die festgelegte Keimhöchstzahl um mehr als das Hundertfache überschritten worden und daher der Unrechtsgehalt der Tat sehr hoch sei, sei unter Berücksichtigung der von der belangten Behörde geschätzten Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse des Berufungswerbers spruchgemäß zu entscheiden gewesen.

2.2. Dagegen bringt der Berufungswerber vor, daß sich die belangte Behörde mit seinen Beweisanträgen - Einholung eines chemischen Sachverständigengutachtens, Vernehmung des probeziehenden Amtsorganes, Ortsaugenschein betreffend Speiseeisherstellung durch den Berufungswerber - und seinem Vorbringen im ordentlichen Ermittlungsverfahren überhaupt nicht auseinandergesetzt hätte. Daß das einschreitende Amtsorgan bei der Probenziehung vorschriftsgemäß vorgegangen und die Verunreinigung des Eises bereits im Betrieb des Berufungswerbers eingetreten wäre, habe von der belangten Behörde aufgrund der Beweisergebnisse tatsächlich nicht festgestellt, sondern nur vermutet werden können; damit wäre das Strafverfahren aber im Zweifel einzustellen gewesen. Außerdem finde sich im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses kein Hinweis auf das Verschulden des Berufungswerbers.

Aus allen diesen Gründen wird die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Strafverfahrens beantragt.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt des Magistrates der Stadt Linz zu Zl. 101-6/1 sowie im Wege der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu der als Partei der Berufungswerber und der Vertreter des Vertreters seines Rechtsvertreters, Mag. A, sowie die sachverständigen Zeugen C (Marktamt der Stadt Linz) und Dr. S (Bundesanstalt für Lebensmitteluntersuchung) erschienen sind.

Im Zuge dieser Beweisaufnahme wurde folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt festgestellt:

Am 22. Juli 1992 hat der erste Zeuge im Betrieb des Berufungswerbers eine routinemäßige Probenziehung durchgeführt und hiebei Proben von Stracciatella-, Tiramisu- und Kiwieis entnommen. Die Probenziehung erfolgte mittels eines zuvor in ein Alkoholbad getränkten und daraufhin abgeflammten sowie zwischen den einzelnen Probeentnahmen wiederum gereinigten Eisportionierers, den der Zeuge ebenso wie die sterilisierten Kühlgläser, in die die entnommenen Eisproben anschließend gegeben wurden, selbst mitgebracht bzw. unmittelbar zuvor aus der Bundesanstalt abgeholt hatte. Dem Berufungswerber wurde jeweils eine Gegenprobe ausgehändigt und die zur Untersuchung bestimmte Probe in eine amtliche, mit Kühlpatronen ausgestattete Kühltasche gegeben. Der Vorgang der Probenziehung begann gegen 11.10 Uhr und dauerte insgesamt etwa 20 Minuten; bis die einzelnen Probengläser jeweils in die Kühltaschen gegeben wurden, verstrichen einige - etwa sechs bis sieben - Minuten, wobei sie während dieser Zeit bei Raumtemperatur auf der Eisvitrine der Eismaschine des Berufungswerbers standen. Die gezogenen Proben wiesen jeweils eine Temperatur von minus 10 Grad auf. Um 12.11 Uhr desselben Tages überbrachte der erste Zeuge die Kühl tasche mit den Probengläsern der Bundesanstalt zur Untersuchung, wo sie in einem Kühlschrank verwahrt wurden. Diese Proben waren nach der Erinnerung des zweiten Zeugen deshalb nicht angetaut, weil eine Verformung des kugelförmigen Eises oder eine Einebnung der Oberfläche der im Probenglas befindlichen Eismasse nicht festgestellt werden konnte. Der zweite Zeuge ließ hierauf die Eisproben jeweils solange bei Raumtemperaturen stehen, bis diese weich waren (etwa 20 bis 30 Minuten), mischte diese sodann mit einem sterilen Löffel durch, versetzte je 10 Gramm dieser Probe mit 90 ml Verdünnungsflüssigkeit und stellte von dieser zehnfachen Stammverdünnung weitere Verdünnungen im selben Verhältnis her, bis eine Verdünnung von 1:10.000 erreicht war (sog. "Verdünnungsreihe"). Die einzelnen Elemente dieser Verdünnungsreihe wurden sodann mit einem Nährboden vermischt und im Hinblick auf das mögliche Vorhandensein coliformer Keime etwa 18 bis 24 Stunden bei plus 37 Grad überbrütet. Bei der Kiwieisprobe wurden mittels eines Markierungsstiftes 280 Kolonien coliformer Keime bei einer Verdünnung von 1:100 eruiert, was bei einer entsprechenden Rückrechnung auf 1:1 einer Keimzahl von 28.000 pro Gramm entspricht; bei der Tiramisueisprobe ergab sich auf diese Weise ein Wert von 24.000, während der Wert für die Stracciatellaeisprobe unter 200 lag.

Diese Sachverhaltsfeststellungen gründen sich auf die glaubwürdigen, in sich widerspruchsfreien und schlüssigen Aussagen der einvernommenen Zeugen, denen insoweit auch der Berufungswerber nicht entgegentritt.

4. In der Sache selbst hat der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erwogen:

4.1. Gemäß § 74 Abs. 5 Z. 1 i.V.m. § 77 Abs. 1 Z. 18 LMG und i.V.m. § 9 Abs. 1 lit. c SpeiseeisVO begeht u.a. derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 25.000 S zu bestrafen, der Speiseeis nicht so herstellt und behandelt, daß in je 1 Gramm nicht mehr als 100 coliforme Keime enthalten sind. Mit dem derzeit auf unbestimmte Dauer geltenden Erlaß des Bundesministeriums für Gesundheit und Umweltschutz wurde verfügt, daß der Grenzwert für coliforme Keime "das Doppelte betragen darf", d.h. "daß von den Untersuchungsanstalten und Lebensmittelpolizeiorganen Beanstandungen nur bei Vorliegen von Keimzahlen über 200 coliformen Keimen pro Gramm vorgenommen werden" dürfen (abgedr. bei: Walther Stuller, Speiseeisfibel, 6. Auflage, Wien , S. 50). Dieser (eine bloß das Innenverhältnis des Staates betreffende, nicht aber auch im Außenverhältnis zum Bürger verbindliche Norm) wohl die belangte als dem Bundesministerium für Gesundheit und Umweltschutz untergeordnete Behörde, nicht aber den außerhalb (vgl. Art. 129a Abs. 1 B-VG) dieser Organisationseinheit stehenden unabhängigen Verwaltungssenat inhaltlich bindende Erlaß ordnet aber - entgegen der Auffassung der belangten Behörde - nicht an, daß etwa erst eine Überschreitung des Grenzwertes von 200 coliformer Keime pro Gramm als rechtswirdrig anzusehen ist (diesfalls wäre der Erlaß nämlich gesetzwidrig), sondern daß eine im Bereich zwischen 101 und 200 coliformen Keimen pro Gramm liegende Grenzwertüberschreitung wohl rechtswidrig, jedoch von der Behörde nicht zu verfolgen ist. In diesem Sinne hatte der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich daher dennoch - nämlich unter Heranziehung dieses Erlasses (nicht als seine materielle Entscheidungsgrundlage, sondern bloß) als Prüfungsmaßstab zur Kontrolle der Gesetzmäßigkeit des behördlichen Handelns i.S.d. Art. 129 B-VG - den Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses im Hinblick auf § 44a Z. 1 VStG zu modifizieren (s.u., 4.4.).

4.2. Wie das Beweisverfahren ergeben hat, wurde dieser Grenzwert im gegenständlichen Fall sowohl bei dem vom Berufungswerber hergestellten und zum Verkauf bereitgehaltenen Kiwieis als auch beim Tiramisueis überschritten; der Berufungswerber hat daher tatbestandsmäßig i.S. der eben zitierten Norm gehandelt. Auf den Umstand, inwiefern der Berufungswerber die für die Grenzwertüberschreitung kausale Ursache erst selbst gesetzt hat oder diese schon in den ihm von einem Dritten gelieferten Zutaten begründet ist, kommt es hingegen nach dem Gesetzestext auf der Ebene der Tatbestandsmäßigkeit nicht an; diesem Aspekt kommt allenfalls für die Frage des Verschuldens Bedeutung zu. In diesem Zusammenhang führte der sachverständige zweite Zeuge aus, daß ex post insbesondere nicht mehr feststellbar ist, ob die bakteriologische Verseuchung von verdorbenen Zutaten oder von einer Verunreinigung beim Herstellungsvorgang herrührt. Da dem Berufungswerber letzteres nicht nachgewiesen werden konnte, war im Sinne des Grundsatzes "in dubio pro reo" (vgl. Art. 6 Abs. 2 MRK) von der für ihn günstigeren, weil bloß leichteste Fahrlässigkeit indizierenden Variante auszugehen, nämlich daß im gegenständlichen Fall die Verwendung verunreinigter Zuta ten die Ursache der Grenzwertüberschreitung bildete: Diesbezüglich hat auch der zweite sachverständige Zeuge ausgeführt, daß es - insbesondere für einen Laien - nicht einfach (wenngleich nicht unmöglich) ist, derart verunreinigte oder verdorbene Zutaten auch als solche zu erkennen.

4.3. Gemäß § 21 Abs. 1 VStG hat die Behörde von der Verhängung einer Strafe abzusehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind; sie kann den Beschuldigten jedoch gleichzeitig unter Hinweis auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens mit Bescheid ermahnen, sofern dies erforderlich ist, um den Beschuldigten von weiteren strafbaren Handlungen der gleichen Art abzuhalten.

Nach den Ausführungen des sachverständigen Zeugen handelt es sich bei den coliformen Keimen, hinsichtlich derer eine Grenzwertüberschreitung festgestellt werden konnte, um sog. "Indikatorkeime", die selbst nicht krankheitserregend sind, sondern nur anzeigen, daß sich in der untersuchten Masse möglicherweise ihrerseits tatsächlich krankheitserregende Keime befinden könnten, wobei auch eine höhere Anzahl coliformer Keime nur die Wahrscheinlichkeit entsprechend steigert, keinesfalls jedoch Gewißheit dafür bedeutet, daß die Probe krankheitsverursachend ist. Das im gegenständlichen Fall durchgeführte Verfahren hat keinen Hinweis darauf ergeben, daß sich in den gezogenen Proben in irgendeiner Form tatsächlich gesundheitsschädliche Stoffe befunden hätten; die Folgen der Übertretung waren daher trotz der absolut betrachtet hohen Grenzwertüber schreitung (nämlich um das 280- bzw. 240-fache) noch als "unbedeutend" i.S.d. § 21 Abs. 1 VStG zu qualifizieren.

Da nach dem zuvor Dargelegten (s.o., 4.2.) auch das Verschulden des Berufungswerbers geringfügig war, war sohin nach § 21 Abs. 1 erster Satz VStG von der Verhängung einer Strafe abzusehen. Um den Berufungswerber jedoch von der Begehung weiterer strafbarer Handlungen der gleichen Art abzuhalten, war gemäß § 21 Abs. 1 zweiter Satz VStG eine Ermahnung auszusprechen.

4.4. Aus allen diesen Gründen war daher der vorliegenden Berufung gemäß § 24 VStG i.V.m. § 66 Abs. 4 AVG und i.V.m. § 21 Abs. 1 VStG insoweit stattzugeben, als die verhängte Strafe aufgehoben und stattdessen eine Ermahnung erteilt wird; im übrigen war diese hingegen abzuweisen und der Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses mit der Maßgabe zu bestätigen, daß an die Stelle des Klammerausdruckes "zulässig 200" jeweils die Wendung "zulässig 100" zu treten hat.

+5. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Berufungswerber gemäß § 66 Abs. 1 VStG i.V.m. § 45 Abs. 2 letzter Satz LMG weder ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde noch ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich noch der Ersatz von Barauslagen für Untersuchungskosten vorzuschreiben.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann von den Parteien des Verfahrens (§ 51d VStG) innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden; diese muß von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Grof 6

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