Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-280236/20/Schi/Km

Linz, 24.02.1997

VwSen-280236/20/Schi/Km Linz, am 24. Februar 1997 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Schieferer über die Berufung des Ing. E I vertreten durch Rechtsanwälte Dr. E H und Dr. R L, gegen lit.b des Straferkenntnisses der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 4.4.1996, Ge96-209-1994, wegen einer Übertretung des Arbeitnehmerschutzgesetzes iVm der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 4.2.1997 und Verkündung am 24.2.1997, zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis hinsichtlich Spruchabschnitt lit. b aufgehoben und das diesbezügliche Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

II. Der Berufungswerber hat hinsichtlich lit.b keinerlei Strafkostenbeiträge zu leisten.

Rechtsgrundlage:

Zu I: § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl. Nr. 51/1991 idF BGBl.Nr. 471/1995, iVm §§ 24, 1 Abs.1, 9, 45 Abs.1 Z.1, 51 Abs.1, 51c, 51d und 51e Abs.2 und Abs.5 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl.Nr.52/1991 idF BGBl.Nr.620/1995; zu II: § 66 Abs. 1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis vom 4.4.1996 wurde über den nunmehrigen Berufungswerber (Bw) wegen Übertretung des § 72 Abs.1 AAV iVm § 31 Abs.2 lit.p ASchG (lit.b) eine Geldstrafe von 5.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe 5 Tage) (lit.b) verhängt und er zum Ersatz der Verfahrenskosten verpflichtet, weil er als handelsrechtlicher Geschäftsführer und damit gemäß § 9 Abs.1 VStG strafrechtlicher Verantwortlicher der I GmbH, die wiederum persönlich haftende Gesellschafterin der I GmbH und CoKG ist, die ihren Sitz in V, hat, es zu verantworten habe, daß am 5.4.1994 auf der Baustelle E Maschinen BaugesmbH, Halle 1, die vorhandenen Sicherheitsseile zum Sichern der Trapezblechtafelpakete auf den Stahlträgern gegen Herabfallen verwendet hat, obwohl Sicherheitsseile nur in Verbindung mit Sicherheitsgürteln oder Sicherheitsgeschirren zur Absturzsicherung von Personen verwendet werden dürfen (lit.b).

2. Dagegen hat der Bw mit Schriftsatz vom 2.5.1996 rechtzeitig Berufung erhoben und beantragt, der Berufung Folge zu geben, das Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen, in eventu die verhängte Geldstrafe entsprechend herabzusetzen bzw. das Straferkenntnis aufzuheben und der Erstbehörde zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.

Begründend wird dazu ausgeführt, daß zwar zur Absicherung von Trapezblechen Sicherungsseile verwendet worden seien, allerdings handelte es sich dabei um ältere Seile, die bereits für die Arbeiter aus sicherheitstechnischen Gründen nicht mehr verwendet würden, weshalb diese Seile eben hilfsweise hier in Verwendung gewesen seien. Diese Sicherungsseile seien grundsätzlich in tadellosem Zustand, ansonsten hätten sie ja nicht zum Sichern von Trapezblechtafeln verwendet werden können; es handle sich aber nicht um jene, die für die Arbeiter selbst auf der Baustelle gesondert vorhanden gewesen wären. Dies habe auch das Arbeitsinspektorat in seiner Stellungnahme vom 14.11.1994 zugestanden. Es werde daher die unterlassene Einvernahme des Zeugen A A gerügt.

3.1 Die Strafbehörde hat keine Berufungsvorentscheidung erlassen, sondern - als nunmehr belangte Behörde - die Berufung samt Strafakt vorgelegt. Von einer Gegenäußerung zum Berufungsvorbringen hat die belangte Behörde abgesehen.

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich ist in diesem Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 51 Abs.1 VStG als Berufungsbehörde zuständig und entscheidet gemäß § 51c durch (nur) eines seiner Mitglieder, weil in diesem Fall (lit.b) keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde.

Aus der Akteneinsicht hat der unabhängige Verwaltungssenat einen genügend geklärten Sachverhalt vorgefunden. Die Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens sind in der Begründung des Straferkenntnisses vollständig und mit dem Akteninhalt übereinstimmend so dargestellt, daß sich der unabhängige Verwaltungssenat ein klares und abschließendes Bild über die maßgebenden Sachverhaltselemente machen kann.

Diesen Sachverhalt, der im übrigen vom Berufungswerber in keiner Weise bestritten wird (es wird im Ergebnis nur eine unrichtige rechtliche Beurteilung geltend gemacht), legt der unabhängige Verwaltungssenat auch seiner Entscheidung zugrunde.

3.2. Gemäß § 15 Abs.6 iVm § 11 Abs.1 ArbIG 1993 sowie § 51e Abs.2 VStG wurde die Berufung dem Arbeitsinspektorat für den 9. Aufsichtsbezirk in Linz zur Kenntnis gebracht; dieses gab mit Schreiben vom 24.7.1996 eine Stellungnahme ab, welche mit h. Schreiben vom 2. September 1996 dem Bw zu Handen seiner ausgewiesenen Vertreter zugestellt wurde. Mit Schriftsatz vom 31.10.1996 hat der Bw eine Gegenäußerung erstattet, indem er seinen Standpunkt im wesentlichen aufrecht erhielt.

3.3. Der O.ö. Verwaltungssenat hat am 4.2.1997 in der Sache eine öffentliche mündliche Berufungsverhandlung anberaumt und durchgeführt; wegen des sachlichen Zusammenhanges wurde diese Verhandlung mit der Verhandlung der 6. Kammer im Verfahren VwSen-280235 (betreffend lit.a desselben Straferkenntnisses) gemäß § 51e Abs.5 VStG gemeinsam durchgeführt.

An dieser Verhandlung nahmen neben dem Bw und seinem Rechtsvertreter auch je ein Vertreter der belangten Behörde und des Arbeitsinspektorates Linz teil; der anzeigende Arbeitsinspektor Dipl.-Ing. H T wurde als Zeuge vernommen; ebenso wurde der beim Bw beschäftigte und als Zeuge namhaft gemachte Arbeitnehmer A A als Zeuge geladen und vernommen.

4. Der O.ö. Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Gemäß § 31 Abs.2 lit.p Arbeitnehmerschutzgesetz, BGBl.Nr. 234/1972 idgF (kurz: ANSchG), begehen Arbeitgeber und deren Bevollmächtigte, die den Vorschriften der aufgrund des § 24 dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen oder den aufgrund des § 27 dieses Bundesgesetzes vorgeschriebenen Bedingungen und Auflagen oder den erteilten Aufträgen zuwiderhandeln, eine Verwaltungsübertretung und sind, sofern die Tat nicht nach anderen Gesetzen strenger zu bestrafen ist, von der Bezirksverwaltungsbehörde mit Geldstrafe bis zu 50.000 S zu bestrafen.

Gemäß § 33 Abs.7 ANSchG gelten bei Zuwiderhandlung gegen die im Abs.1 genannten Rechtsvorschriften die Bestimmungen des § 31 sinngemäß. Dies gilt auch hinsichtlich der im Abs.2 genannten Rechtsvorschriften, soweit es sich um Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes handelt. Soweit es sich nicht um Angelegenheiten des Arbeitnehmerschutzes handelt, gelten Zuwiderhandlungen gegen die im Abs.2 genannten Rechtsvorschriften als Verwaltungsübertretungen nach der Gewerbeordnung.

Nach § 31 Abs.5 Arbeitnehmerschutzgesetz sind Arbeitgeber neben ihren Bevollmächtigten strafbar, wenn die Übertretung mit ihrem Wissen begangen wurde, oder wenn sie bei der nach den Verhältnissen möglichen eigenen Beaufsichtigung des Betriebes oder bei der Auswahl oder der Beaufsichtigung der Bevollmächtigten es an der erforderlichen Sorgfalt haben fehlen lassen.

4.2. § 72 Abs.1 Allgemeine Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) lautet:

Sofern bei Arbeiten an absturzgefährlichen Stellen durch Schutzmaßnahmen nach den §§ 18, 24 und 44 ein ausreichender Schutz nicht erreicht werden kann oder die Durchführung solcher Schutzmaßnahmen im Hinblick auf den Umfang der auszuführenden Arbeiten nicht gerechtfertigt ist, sind den Arbeitnehmern Sicherheitsgürtel oder Sicherheitsgeschirre einschließlich der dazugehörigen Ausrüstungen, wie Sicherheitsseile (Fangseile), Karabinerhaken, Falldämpfer, Seilkürzer oder Höhensicherungsgeräte, zur Verfügung zu stellen.

Sicherheitsseile dürfen nur in Verbindung mit Sicherheitsgürteln oder Sicherheitsgeschirren verwendet werden.

5.1. Auch der Bw bestreitet nicht, daß die Sicherheitsseile zum Befestigen von Trapezblechtafelpaketen verwendet worden waren, sondern rechtfertigt sich dahingehend, daß es sich dabei um "ausgemusterte", sohin nicht mehr zur Sicherung von Arbeitnehmern bestimmte Sicherheitsseile handelte, zumal überdies weitere eigene Sicherheitsseile für die Arbeitnehmer vorhanden waren.

5.2. Aus dem durchgeführten Ermittlungsverfahren, insbesondere der fotografisch untermauerten Anzeige des Arbeitsinspektorates sowie den glaubwürdigen und schlüssigen Angaben der Zeugen (Arbeitsinspektor Dipl.-Ing. H T und Arbeitnehmer A A) geht hervor, daß der objektiv im Straferkenntnis unter lit. b vorgeworfene Sachverhalt, nämlich die nicht zur Personensicherung verwendeten Sicherheitsseile, erfüllt worden ist.

5.3. Die belangte Behörde hat in der Begründung des Straferkenntnisses die Übertretung nach § 72 Abs. 1 AAV deshalb angenommen, weil diese Bestimmung besage, daß "Sicherheitsseile nur in Verbindung mit Sicherheitsgürteln oder Sicherheitsgeschirren zur Absturzsicherung von Personen verwendet werden dürfen".

Nun stimmt aber diese - offenbar aus der Anzeige des Arbeitsinspektorates Linz vom 8.4.1994 übernommene verkürzte Textversion des § 72 Abs.1 AAV nicht mit dem (vgl.

oben Punkt 4.2.) tatsächlichen Normtext überein.

Vielmehr besagt § 72 Abs.1 AAV (auf das hier wesentliche reduziert) aus, daß "den Arbeitnehmern Sicherheitsgürtel usw. zur Verfügung zu stellen sind, wobei Sicherheitsseile nur iVm Sicherheitsgürteln oder Sicherheitsgeschirren verwendet werden dürfen".

5.4. Es kann nun dahingestellt bleiben, ob allenfalls eine teleologische Interpretation des § 72 Abs.1 AAV zu dem von der belangten Behörde angenommenen Ergebnis führen könnte, weil Strafnormen immer einschränkend ausgelegt werden müssen und es im Hinblick auf § 1 Abs.1 VStG nicht zulässig ist, Handlungen zu strafen, die (nur) im Wege der Analogie unter ein Strafgesetz gereiht werden können oder mittels Ausfüllens einer Gesetzeslücke (vgl. VwSlg 7181/ A/1967, 11.463 A/1984; VfSlg 4280/1962).

Der Gesetzgeber hat die Elemente eines strafbaren Tatbestandes genau zu umschreiben und darf es nicht der Vollziehung überlassen, eine Strafnorm ergänzend auszulegen (VfSlg 9401/1982).

Bei den rechtlichen Überlegungen, ob ein bestimmtes Verhalten mit Strafe bedroht ist, kommt es weder auf die Absicht des Gesetzgebers noch auf die Wichtigkeit oder Bedeutung der Angelegenheit an. Dem Gesetzgeber muß zugemutet und auch zugetraut werden, eine ihm vorschwebende Absicht durch einen entsprechenden Normsetzungsakt zu verwirklichen (VfSlg 4291/1962). Es kann nicht Aufgabe der Rechtsanwendung sein, im Wege der Auslegung eine fehlende Strafrechtsnorm zu supplieren. Die Absicht des Gesetzgebers - und das gilt selbstverständlich auch vom Verordnungsgeber - muß immer im Wortlaut der auszulegenden Rechtsvorschrift ihren Ausdruck finden, damit ihr der Charakter einer Strafrechtsnorm beigemessen werden kann (VfSlg 4280/1962, VfSlg 6956 A/1966).

Dies deshalb, weil die Rechtsordnung dem einzelnen die Möglichkeit geben muß, sich dem Recht gemäß zu verhalten und den Unrechtsgehalt seines Handelns oder Unterlassens eindeutig zu erkennen (VfSlg 8695/1979).

Wenn es auch verfassungsrechtlich zulässig ist, die Normierung von Elementen strafbarer Tatbestände durch Verordnung vorzunehmen (hier durch die AAV), so muß doch in jedem Fall, in dem zwischen das Gesetz und dem individuellen Vollzugsakt (hier: Bescheid) eine VO tritt, an diese die Anforderung einer eindeutigen Umschreibung der als Elemente eines strafbaren Tatbestandes in Betracht kommenden Begriffe gestellt werden. Eine extensive Auslegung (wie vorliegend) eines Strafgesetzes in malam partem würde auch gegen die der österr. Verfassungsrechtsordnung angehörende Bestimmung des Art. 7 der MRK verstoßen (VfSlg 8903/1980).

5.5. Die diesbezügliche Bestrafung des Bw war daher (verfassungs)rechtswidrig, weshalb der Berufung in diesem Punkt Folge zu geben und das angefochtene Straferkenntnis hins. lit.b aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z.1, zweite Alt., einzustellen war.

6. Bei diesem Verfahrensergebnis hat der Bw keinerlei Strafkostenbeiträge zu leisten.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Dr. Schieferer

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