Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230861/2/BMa/Be

Linz, 11.03.2004

 

 

 

 VwSen-230861/2/BMa/Be Linz, am 11. März 2004

DVR.0690392
 

 

 

E R K E N N T N I S
 
 
 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Bergmayr-Mann über die Berufung des Herrn K M gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmanns von Braunau vom 23. Oktober 2003, Zl. Sich96-980-2002, wegen einer Übertretung des Fremdengesetzes zu Recht erkannt:

 

  1. Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.
  2.  

  3. Der Berufungswerber hat weder einen Kostenbeitrag zum Strafverfahren vor der belangten Behörde noch einen Beitrag zum Verfahren vor dem Oö. Verwaltungssenat zu leisten.

 

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.: § 24 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG iVm § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG; § 45 Abs.1 Z2 VStG, § 51c VStG

zu II.: § 66 Abs.1 VStG
 
 

Entscheidungsgründe:
1.1. Mit Straferkenntnis des Bezirkshauptmanns von Braunau vom 23. Oktober 2003, Zl. Sich96-980-2002, wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von 72 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 36 Stunden) verhängt, weil er sich vom 9. Mai 2002 bis zumindest 6. Juni 2002 als türkischer Staatsangehöriger und somit als passpflichtiger Fremder im Bundesgebiet der Republik Österreich aufgehalten habe, ohne im Besitz eines gültigen Reisedokuments zu sein. Dadurch habe er eine Übertretung des § 2 Abs.1 iVm. § 107 Abs.1 Z.3 des Fremdengesetzes (FRG), BGBl.Nr. 75/1997, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 134/2003, begangen, weshalb er gemäß § 107 Abs.1 FRG zu bestrafen gewesen sei.

1.2. Dazu führt die belangte Behörde im Wesentlichen begründend aus, der Berufungswerber (im Folgenden: Bw) sei als türkischer Staatsangehöriger am 9. Mai 2002 unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist. Es sei ihm nicht bekannt, aus welchem der an Österreich angrenzenden Staaten er eingereist sei. Am 10. Mai 2002 habe er beim Bundesasylamt in Salzburg einen Asylantrag gestellt. Er habe sich bei der Asylbehörde lediglich mit einer Kopie der Geburtsurkunde ausweisen können, den Reisepass hätten ihm die Schlepper bereits kurz nach der türkischen Grenze abgenommen. Das Asylverfahren sei noch nicht abgeschlossen. Im Asylverfahren habe er angegeben, dass er über Drittstaaten nach Österreich eingereist sei. Es könne sich dabei nur um Staaten handeln, die unmittelbar an Österreich angrenzen. Somit könne davon ausgegangen werden, dass diese Staaten, die allesamt Beitrittskandidaten zur europäischen Union sind, Schutz vor Verfolgung bieten würden. Er hätte somit die Möglichkeit gehabt, sich in diesen "Drittstaaten" ein gültiges Reisedokument zu besorgen bzw. um Asyl anzusuchen. Es hätte auch die Möglichkeit bestanden, bei einer österreichischen Vertretungsbehörde im Ausland oder an der Grenzkontrollstelle einen Asylantrag zu stellen. Ein entschuldigender Notstand gemäß § 6 VStG liege nicht vor und der Berufungswerber habe gegen die einschlägigen Strafbestimmungen des Fremdengesetzes schuldhaft verstoßen. Das Verschulden sei jedenfalls als grob fahrlässig zu qualifizieren.

1.3. Gegen dieses ihm am 28. Oktober 2003 zu Handen seines Rechtsanwalts Dr. G M zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende am 11. November 2003 - und damit rechtzeitig - zur Post gegebene Berufung.

1.4. Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, Herr M K halte sich im Bundesgebiet im Sinn der Genfer Flüchtlingskonvention auf. Die Rechtsansicht der Behörde, wonach ihm die Rechtswohltat des Art. 31 Z1 des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge (Genfer Flüchtlingskonvention - GFK/FK, BGBl. II 1953 S.559) nicht zukomme, weil er die Möglichkeit gehabt hätte, sich in "Drittstaaten" ein gültiges Reisedokument zu besorgen bzw. um Asyl anzusuchen, sei unrichtig. Keiner der Beitrittskandidaten erfülle derzeit die Kriterien eines sicheren Drittstaates. Ungarn, Slowenien und Tschechien seien keine sicheren Drittstaaten im Sinne der aktuellen Rechtssprechung zu § 4 Asylgesetz. Auch bei der Slowakei sei im Zweifel davon auszugehen, dass es sich dabei um keinen sicheren Drittstaat handle. Die Feststellung der Behörde, der Berufungswerber hätte in jedem an Österreich grenzenden Land Schutz vor Verfolgung finden und einen Asylantrag stellen bzw. ein Reisedokument beantragen können, sei unrichtig und widerspreche der Rechtssprechung zu § 4 Asylgesetz. Es stehe nicht fest, über welches Land der Berufungswerber eingereist sei. Es sei daher im Zweifel davon auszugehen, dass er von keinem sicheren Drittstaat eingereist sei. Dem Berufungswerber komme somit die Rechtswohltat des Art. 31 Z1 GFK zugute.

Im Gegensatz zur Rechtsauffassung der Behörde liege im Fall des Berufungswerbers auch ein Notstand vor, der den Grenzübertritt nach Österreich rechtfertigt. Der Berufungswerber habe anlässlich seiner Einvernahme beim Bundesasylamt über die Gefahr für sein Leben und seine Freiheit berichtet. Das Asylverfahren des Berufungswerbers befinde sich derzeit beim Unabhängigen Bundesasylsenat in Wien. Derzeit komme dem Berufungswerber eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 19 Asylgesetz zu. Er sei daher zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt.

Bis zum Abschluss des Asylverfahrens sei jedenfalls davon auszugehen, dass der Berufungswerber in seiner Heimat verfolgt und sein Leben und seine Freiheit in Gefahr seien. Das erste sichere Land sei die Republik Österreich gewesen. Der Berufungswerber dürfe sich daher auf das Vorliegen eines strafbefreienden Notstandes berufen. Daher wird die ersatzlose Behebung des Straferkenntnisses sowie die Behebung des Straferkenntnisses und Zurückverweisung zur neuerlichen Entscheidung an die erstinstanzliche Behörde beantragt.

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bezirkshauptmannschaft Braunau zu Zl. Sich96-980-2002; da sich bereits aus diesem der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und mit dem angefochtenen Straferkenntnis eine 500 Euro übersteigende Geldstrafe nicht verhängt wurde, konnte im Übrigen gemäß § 51e Abs.3 Z.3 VStG von der Durchführung einer öffentlichen Verhandlung abgesehen werden.

3. Der Unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

3.1. Die relevanten Rechtsvorschriften (§ 2 Abs.1 und § 107 Abs.1 Z.3 FRG, §§ 5 Abs.1 und 6 sowie 19 VStG) wurden im angefochtenen Erkenntnis wiedergegeben, deshalb erübrigt sich eine nochmalige Zitierung.

Der objektive Tatbestand wurde vom Berufungswerber nicht bestritten, er hat somit tatbildlich im Sinne des § 107 Abs.1 FRG gehandelt.

3.2. Auf der Verschuldensebene ist davon auszugehen, dass der Berufungswerber einen Asylantrag gestellt hat und das Asylverfahren derzeit noch nicht rechtskräftig abgeschlossen ist. Dazu bringt er vor, dass ihm eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis gemäß § 19 Asylgesetz zukomme und er daher zum Aufenthalt im Bundesgebiet berechtigt sei. Aus dem im Akt befindlichen Ausdruck aus der Asylwerberinformationsdatei ergibt sich, dass der Berufungswerber am 13. Mai 2002 einen Asylantrag eingebracht hat und ihm ab 28. Mai 2003 die AB-Karte gemäß § 19 Asylgesetz ausgestellt worden ist. Der Berufungswerber ist jedenfalls Asylwerber, dem ab 28. Mai 2003 auch eine vorläufige Aufenthaltsberechtigung zukommt. Damit ist aber (lediglich) eine Bestrafung gemäß § 107 Abs.1 Z.4 FRG ausgeschlossen.

Der im vorliegenden Fall zu beurteilende Tatbestand des § 107 Abs.1 Z.3 FRG sanktioniert spezifisch die Verletzung der Passpflicht.

Was das Verschulden anbelangt, so ist dem Berufungswerber vorzuwerfen, dass er seinen Reisepass an die von ihm bezahlten Schlepper abgegeben hat.

Sofern er sich dieser kriminellen Organisationen überhaupt bedient, hätte er dafür zu sorgen müssen, dass er seinen Reisepass behalten kann.
Überdies ist dem Ausdruck aus der Asylwerberinformationsdatei des Bundesministeriums für Inneres, der von der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn erstellt wurde und dem Akt angeschlossen ist, zu entnehmen, dass der Berufungswerber noch nie ein Visum für ein EU Land und damit auch nicht für Österreich beantragt hat.

Damit hat er aber zumindest fahrlässig und somit auch schuldhaft im Sinne des

§ 107 Abs.1 Z.3 FRG gehandelt; denn es wäre an ihm gelegen, sich über die einschlägigen österreichischen Rechtsvorschriften zu informieren, sich ein gültiges Reisedokument zu besorgen und sich dieses nicht abnehmen zu lassen.

3.3. Als Strafausschließungsgrund wird Art.31 Z1 der Genfer Flüchtlingskonvention angeführt.

Nach dieser Bestimmung sollen die vertragschließenden Staaten - und damit auch Österreich - keine Strafen wegen illegaler Einreise oder Anwesenheit über Flüchtlinge verhängen, die direkt aus einem Gebiet kommend, wo ihr Leben oder ihre Freiheit im Sinne des Artikel 1 bedroht war, ohne Erlaubnis einreisen oder sich ohne Erlaubnis auf ihrem Gebiet befinden, vorausgesetzt, dass sie sich unverzüglich bei den Behörden melden und gute Gründe für ihre illegale Einreise oder Anwesenheit vorbringen.

Entscheidend für die Strafbarkeit des Bw ist somit die Frage, ob er "direkt" im Sinne der zitierten Rechtsvorschrift aus seinem Heimatstaat nach Österreich eingereist ist und damit zum Kreis der durch diese Rechtsvorschrift Begünstigten zu zählen ist.

Personen, die die Grenze gemäß Art 31 Z1 GFK straffrei überschreiten dürfen, sind Flüchtlinge, die die Grenze (bei einer Einreise auf dem Landweg) von einem Staat aus überschreiten, in dem sie (noch immer) in Verfolgungsgefahr geschwebt sind (Davy, Asyl- und intern. Flüchtlingsrecht Bd. I Völkerrechtl. Rahmen 114).

Seinen Angaben zu Folge kann der Bw nicht angeben, über welchen Staat er eingereist ist. Sieht man davon ab, dass (theoretisch) auch die Möglichkeit einer Einreise über die Schweiz und Lichtenstein, die gemäß ständiger Rechtsprechung als sichere Drittstaaten gelten, gegeben ist, so ist hinsichtlich der vom Bw angeführten Staaten auf die jüngere Judikatur des UBAS zu verweisen, wonach nicht alle diese Staaten als "sichere Drittstaaten" eingestuft werden ( siehe Bescheide des UBAS vom 7. Mai 2003, GZ 229.046/0-VII/20/02, vom 4. Juli 2003, GZ 233.481/0 - IX/25/02, vom 4. September 2003, GZ 239.696/0-VIII/22/03, vom 29. Mai 2002, GZ 222.737/0 - XII/36/01 und vom 16. Mai 2003 GZ 232.435/0 - VII/43/02).

Im Zweifel ist daher zu Gunsten des Bw davon auszugehen, dass er über keinen "sicheren Drittstaat" und damit "direkt" im Sinne des Art.31 Z1 GFK nach Österreich eingereist ist.

Damit kommt dem Bw aber die Rechtswohltat dieser Bestimmung zugute.

4. Der Berufung war daher gemäß § 24 VStG iVm § 66 Abs. 4 AVG stattzugeben, der angefochtene Bescheid aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gem.

§ 45 Abs.1 Z2 VStG einzustellen, ohne dass auf das weitere Vorbringen des Rechtsmittelwerbers inhaltlich eingegangen werden musste.

5. Bei diesem Verfahrensergebnis war dem Bw gem. § 66 Abs.1 VStG weder ein Kostenbeitrag zum Strafverfahren vor der belangten Behörde, noch ein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Oö. Verwaltungssenat vorzuschreiben.
 

Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

Mag. Bergmayr-Mann

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