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des Landes Oberösterreich
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VwSen-280420/12/Kl/Rd

Linz, 09.11.1999

VwSen-280420/12/Kl/Rd Linz, am 9. November 1999

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Klempt über die Berufung des Peter S, vertreten durch Rechtsanwalt, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach vom 16.1.1998, Ge96-86-5-1997, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem Arbeitnehmerschutzgesetz nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 20.10.1999 zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird keine Folge gegeben und das angefochtene Straferkenntnis vollinhaltlich mit der Maßgabe bestätigt, dass

- die verletzte Rechtsvorschrift iSd § 44a Z2 VStG "§ 7 Abs.1 und Abs.2 Z4 Bauarbeiterschutzverordnung - BauV, BGBl.Nr. 340/1994 iVm §§ 118 Abs.3 und 130 Abs.5 Z1 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG, BGBl.Nr. 450/1994 idF BGBl. I Nr. 9/1997" und

- die Strafnorm iSd § 44a Z3 VStG " § 130 Abs.5 Einleitung ASchG" zu lauten hat.

II. Der Berufungswerber hat zu den Kosten erster Instanz einen Verfahrenskostenbeitrag für das Berufungsverfahren in Höhe von 20 % der verhängten Strafe, ds 1.000,00 Schilling (entspricht  72,67 Euro), zu bezahlen.

Rechtsgrundlagen:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 19 und 51 VStG.

zu II.: § 64 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach vom 16.1.1998, Ge96-86-5-1997, wurde über den Bw eine Geldstrafe von 5.000 S, Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen, wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 7Abs.1 BauV verhängt, weil er als verantwortlicher Beauftragter gemäß § 9 VStG der E GesmbH mit dem Sitz in L i.M., am 16.5.1997 auf der Baustelle: Linz, zwei Arbeitnehmer mit der Neueindeckung des 45° geneigten Daches beschäftigt hat. Die Traufenhöhe (= mögliche Absturzhöhe) betrug 12 m. Auf den Dachterrassen, auf denen Arbeitsmaterial zwischengelagert wurde, und die von den Arbeitnehmern betreten wurde, fehlte die Absturzsicherung, obwohl Absturzgefahr bestand.

2. Dagegen wurde fristgerecht Berufung eingebracht und darin geltend gemacht, dass die Möglichkeit des Entfallens der Anbringung von Absturzsicherungen gemäß § 7 Abs.4 BauV nicht geprüft worden sei. Die Dachterrasse sei nur zur vorübergehenden Zwischenlagerung der zuvor am Dach benötigten Gerätschaften und Materialien verwendet worden. Die Baustelle hätte am selben Tag geräumt werden sollen. Die verwendeten Materialien und Gerätschaften hätten zunächst auf dieser Dachterrasse gesammelt werden sollen, um anschließend von dort durch das Innere des Hauses abtransportiert zu werden. Dieser Vorgang dauerte nur wenige Stunden. Zuvor wurde die Dachterrasse von keiner beschäftigten Person betreten. Der für die Absturzsicherung notwendige Aufwand (Beischaffung und Anbringung von Geländer durch einen Kranwagen) sei jedenfalls unverhältnismäßig hoch. Darüber hinaus waren die Arbeiter verpflichtet, entsprechend den Bestimmungen des § 30 BauV ständig sicher angeseilt zu sein. Nach Kenntnis des Einschreiters sind die Arbeiter dieser Verpflichtung auch nachgekommen. Im gegenständlichen Fall wurden von den Arbeitnehmern der Fa. E GesmbH Arbeiten auf dem Dach durchgeführt, weswegen die §§ 87 ff der BauV als lex specialis die lex generalis des § 7 BauV derogieren. Auch hätte die Absturzgefahr gemäß § 7 Abs.2 BauV im Spruch zitiert werden müssen. Schließlich werde auf § 21 VStG aufmerksam gemacht, weil das Verschulden nur leicht sei und daher nur leichte Fahrlässigkeit vorliege.

3. Die Bezirkshauptmannschaft Rohrbach als belangte Behörde hat die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt vorgelegt.

Das zuständige Arbeitsinspektorat wurde am Berufungsverfahren beteiligt und hat in einer schriftlichen Stellungnahme ausgeführt, dass sich auf der Baustelle keine Einrichtung befand, durch die ein sicheres Anseilen der Arbeitnehmer gewährleistet gewesen wäre. Grundsätzlich sind technische Schutzvorrichtungen einer persönlichen Schutzausrüstung vorzuziehen. Um Absturzsicherungen in Form von Umwehrungen zB in Holzkonstruktion anzubringen, wäre kein zusätzlicher Kranwagen notwendig gewesen. Das Anbringen solcher vorgefertigter Absturzsicherungen nimmt Zeiträume unter 30 Minuten in Anspruch. Zum Zeitpunkt der Erhebung befand sich keine persönliche Schutzausrüstung auf der Baustelle.

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Akteneinsichtnahme sowie durch Anberaumung und Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 20.10.1999. Zu dieser sind der Vertreter des Bw sowie des Arbeitsinspektorates für den 9. Aufsichtsbezirk und der geladene Zeuge Ing. W vom AI für den 9. Aufsichtsbezirk erschienen. Der Bw ist nicht erschienen. Die belangte Behörde hat sich entschuldigt.

4. Folgender erwiesener Sachverhalt wird im Wesentlichen festgestellt:

Die E GesmbH war am 16.5.1997 auf der Baustelle Linz, mit der Neueindeckung des 45° geneigten Daches beschäftigt. Die Traufenhöhe betrug 12m. Zum Tatzeitpunkt befanden sich zwei Arbeitnehmer auf der Baustelle. Es waren noch Eindeckungsarbeiten im Firstbereich von der Dauer von etwa zwei bis drei Stunden erforderlich. Gegen 9.00 Uhr stürzte ein Arbeitnehmer aus dem Bereich des noch nicht eingedeckten Daches über eine Schneenase ab und zog sich mangels jeglicher Absturzsicherungen an der Unfallstelle schwere körperliche Verletzungen zu. Zum Tatzeitpunkt befand sich auf der Dachterrasse, bei der es sich um eine Terrasse im Dachbereich handelte und die ebenfalls eine Absturzhöhe von 12m aufwies, gelagertes Arbeitsmaterial, insbesondere solches, das für die Dacheindeckung erforderlich war. Zum Zeitpunkt des Arbeitsunfalls wurden Dacheindeckungsarbeiten im Bereich der noch offenen Stelle beim First durchgeführt. Bei dieser Dachterrasse war keine Sicherung vorhanden. Eine ordnungsgemäße Sicherung der Dachterrasse wäre mit vorgefertigten Zwingenklammern in zehn Minuten möglich gewesen. Auf der Baustelle waren keine persönlichen Schutzausrüstungen vorhanden. Auch waren noch Arbeiten über der Dachterrasse erforderlich.

Diese Feststellungen gründen sich auf das bisherige Ermittlungsverfahren sowie insbesondere auf die Aussagen des zeugenschaftlich einvernommenen Arbeitsinspektors. Bei diesem Zeugen handelt es sich um ein sachverständiges Organ. Seine Aussagen waren glaubwürdig und widerspruchsfrei. Danach ist eindeutig erwiesen, dass eine Sicherung der Dachterrasse fehlte und dass Arbeiten auf dem Dach bis zum Arbeitsunfall durchgeführt wurden. Aus diesem Grunde ist auch die weitere beantragte Einvernahme der Arbeitnehmer dazu, dass am Tattag die Dachterrasse nicht betreten wurde, entbehrlich, weil dies nicht Tatbestandvoraussetzung ist.

Die fehlende Dachterrassenabsicherung war nicht unfallkausal und ist nicht Gegenstand eines gerichtlichen Strafverfahrens. Gegen den Bw wurde bislang kein gerichtliches Strafverfahren eingeleitet.

5. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

5.1. Gemäß § 1 der Bauarbeiterschutzverordnung - BauV, BGBl.Nr. 340/1994, gilt diese Verordnung für die Beschäftigung von Arbeitnehmern bei Ausführung von Bauarbeiten aller Art. Bauarbeiten sind Arbeiten zur Herstellung, Instandhaltung, Sanierung, Reparatur, Änderung und Beseitigung von baulichen Anlagen aller Art, einschließlich der hiefür erforderlichen Vorbereitungs- und Abschlussarbeiten. Bauarbeiten sind insbesondere auch Dachdeckerarbeiten.

Gemäß § 7 Abs.1 BauV sind bei Absturzgefahr Absturzsicherungen (§ 8), Abgrenzungen (§ 9) oder Schutzeinrichtungen (§ 10) anzubringen.

Absturzgefahr liegt vor, ua an sonstigen Arbeitsplätzen, Standplätzen und Verkehrswegen bei mehr als 2,00 m Absturzhöhe (§ 7 Abs.2 Z4 BauV).

Die Anbringung von Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen kann entfallen, wenn der hiefür erforderliche Aufwand unverhältnismäßig hoch gegenüber dem Aufwand für die durchzuführende Arbeit ist. In diesen Fällen müssen die Arbeitnehmer entsprechend § 30 sicher angeseilt sein (§ 7 Abs.4 BauV).

Gemäß § 118 Abs.3 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes - ASchG, BGBl.Nr. 450/1994, idF BGBl. I Nr. 9/1997, gilt die BauV nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen als Verordnung nach diesem Bundesgesetz.

Gemäß § 130 Abs.5 Z1 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 2.000 S bis 100.000 S, im Wiederholungsfall mit Geldstrafe von 4.000 S bis 200.000 S zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber/in den nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden Bestimmungen zuwiderhandelt.

5.2. Aufgrund des erwiesenen Sachverhaltes wurden am Tattag Dacharbeiten durchgeführt und waren auf der gegenständlichen Dachterrasse Materialien und Gerätschaften gelagert, die zur Dacheindeckung benötigt werden. Die Dacheindeckung war noch nicht abgeschlossen. Aufgrund der Traufenhöhe von 12m bestand gemäß § 7 Abs.2 Z4 BauV Absturzgefahr. Gemäß § 7 Abs.1 BauV sind aber bei Absturzgefahr Absturzsicherungen, Abgrenzungen oder Schutzeinrichtungen anzubringen. Wenn auch Dacheindeckungsarbeiten auf der Dachterrasse selbst nicht durchgeführt wurden, so wurde die Dachterrasse "mitverwendet" und musste jedenfalls zum Beschaffen der Geräte und Materialien betreten werden. Sie gehört daher zum Arbeitsbereich dazu und war daher entsprechend abzusichern. Es hat daher der Bw den objektiven Tatbestand der Verwaltungsübertretung erfüllt.

5.3. Zum Einwand des Bw, dass der Bestimmung des § 7 BauV durch die Spezialbestimmung der §§ 87 ff BauV derogiert werde, ist entgegenzuhalten, dass dies nur für jene Fälle gilt, wo eine Spezialbestimmung vorgesehen ist. In § 7 Abs.1 BauV ist unter den Sicherungsmaßnahmen ua auch "Schutzeinrichtungen (§ 10)" angeführt und verweist § 10 Abs.1 letzter Halbsatz BauV "bei Dächern Dachfanggerüste oder -schutzblenden (§ 88)". Schutzeinrichtungen sind aber nur dann - subsidiär - zu verwenden, wenn Absturzsicherungen nach § 8 oder Abgrenzungen nach § 9 aus arbeitstechnischen Gründen nicht verwendet werden können. Ansonsten - wie im gegenständlichen Fall - bleiben die allgemeinen Bestimmungen nach §§ 7, 8 und 9 BauV weiterhin in Geltung.

Die weiters vom Bw eingewendete Ausnahmeregelung des § 7 Abs.4 BauV war nicht anzuwenden, weil der erforderliche Aufwand für Absturzsicherungen in Form von Umwehrungen zB in Holzkonstruktionen mit vorgefertigten Zwingenklammern lediglich 10 bis 15 Minuten in Anspruch genommen hätte und daher keinesfalls unverhältnismäßig hoch gegenüber dem Aufwand für die durchzuführenden Arbeiten gelegen ist. Dies gilt selbst für den Fall, dass die Baustelle geräumt hätte werden sollen, was allerdings zu relativieren ist, da noch Eindeckungsarbeiten erforderlich waren. Weil aber technische Sicherungsvorrichtungen möglich waren und der Aufwand auch nicht unverhältnismäßig war, war vom Anseilen nicht Gebrauch zu machen (§ 7 Abs.4 letzter Satz BauV). Darüber hinaus hat aber das Beweisverfahren ergeben, dass jedenfalls sichtbar an der Baustelle Sicherungsseile und Sicherheitsgurte nicht vorhanden waren. Letzteres ist aber nicht Gegenstand des Berufungsverfahrens.

Die gegenständliche Verwaltungsübertretung war auch nicht unfallkausal, weshalb der Einwand der Doppelstrafung nicht zum Tragen kommt.

5.4. Der Bw hat die Verwaltungsübertretung auch subjektiv zu verantworten. Gemäß § 5 Abs.1 VStG genügt bei Ungehorsamsdelikten, zu welchen auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung zählt, Fahrlässigkeit und ist diese ohne weiteres anzunehmen, wenn dem Bw ein Entlastungsnachweis nicht gelingt. Einen Entlastungsnachweis hat der Bw nicht angetreten. Der Bw hat keine Ausführungen getroffen, wie er Sorge getragen hat, um das Einhalten der Verwaltungsvorschrift zu gewährleisten. Vielmehr vertrat er die Auffassung, dass Sicherungseinrichtungen nicht erforderlich seien.

5.5. Hinsichtlich der Strafbemessung hat bereits die belangte Behörde auf sämtliche Strafbemessungsgründe gemäß § 19 VStG Bedacht genommen. Der Bw hat keine weiteren Milderungsgründe oder Strafbemessungsgründe dargelegt. Es ist daher die von der belangten Behörde festgesetzte Strafe dem Unrechtsgehalt der Tat angepasst und tat- und schuldangemessen. Sie ist auch erforderlich, um den Bw vor einer weiteren Tatbegehung abzuhalten. Im Hinblick auf den zu Grunde gelegten Strafrahmen ist sie im untersten Bereich gelegen und daher auch aus dieser Sicht nicht überhöht.

Die Voraussetzungen des § 21 VStG sind entgegen den Berufungsausführungen nicht erfüllt. Wie der Bw richtig ausführt, ist vom geringfügigen Verschulden nur dann auszugehen, wenn das tatbildmäßige Verhalten hinter dem in der Strafdrohung typisierten Unrechts- und Schuldgehalt erheblich zurückbleibt. Der Bw hat aber jenes tatbildmäßige Verhalten gesetzt, das unter Strafdrohung gestellt wurde und hat daher den Unrechtsgehalt der Tat in erheblichem Maß sich anzulasten. Es wurden nämlich jene schützenswerten Interessen, insbesondere die körperliche Unversehrtheit der Arbeitnehmer, gefährdet. Mangels einer der kumulativen Voraussetzungen nach § 21 VStG war daher von dieser Bestimmung nicht Gebrauch zu machen.

6. Bei diesem Verfahrensergebnis, weil die Berufung keinen Erfolg hatte, war dem Bw zum Verfahren erster Instanz ein Kostenbeitrag zum Berufungsverfahren in der Höhe von 20% der verhängten Strafe aufzuerlegen (§ 64 VStG).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S (entspricht 181,68 Euro) zu entrichten.

Dr. Klempt

Beschlagwortung:

Absturzsicherung, keine Unfallkausalität, lex specialis

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