Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-280434/4/Le/Ri

Linz, 07.09.1998

VwSen-280434/4/Le/Ri Linz, am 7. September 1998 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Leitgeb über die Berufung des A K, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. W W, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 17. Juli 1998, Zl. Ge96-35-1998/Poe, wegen Übertretung des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes iVm der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung zu Recht erkannt:

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

Es entfällt die Verpflichtung zur Leistung jeglicher Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage: Zu I.: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG, BGBl.Nr. 51/1991 idgF, iVm §§ 24, 44a, 45 Abs.1 Z1, 51 Abs.1, 51c und 51e Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, BGBl.Nr. 52 idgF. Zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe: zu I.: 1. Mit dem angefochtenen Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 17. Juli 1998 wurde über den nunmehrigen Berufungswerber wegen Übertretung der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung iVm dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (im folgenden kurz: ASchG) eine Geldstrafe in Höhe von 10.000 S (Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 5 Tagen) verhängt; gleichzeitig wurde er zum Ersatz der Verfahrenskosten in Höhe von 10 % der verhängten Strafe verpflichtet.

Im einzelnen wurde ihm vorgeworfen, er habe es gemäß § 9 Abs.1 VStG zu vertreten, daß am 6. Oktober 1995 im Betrieb in T der Arbeitnehmer M H an einer näher bezeichneten Druckgießmaschine beschäftigt wurde, wobei dieser mangels Vorhandenseins entsprechender Schutzmaßnahmen bzw. -vorrichtungen von der sich automatisch schließenden Schutztüre erfaßt und gegen die Maschine gestoßen wurde und dabei mit der linken Hand zwischen die Formwerkzeuge geriet und dadurch schwere Verletzungen erlitt (Verlust der Hand und Teilen des Unterarmes).

In der Begründung dazu wurde im wesentlichen ausgeführt, daß auf Grund einer Anzeige des Arbeitsinspektorates die Verwaltungsübertretung zur Last gelegt wurde.

Nach einer Darlegung des Rechtfertigungsvorbringens des Beschuldigten stellte die Erstbehörde die Rechtslage dar und kam daraufhin zum Ergebnis, daß der Arbeitsunfall vom Arbeitsinspektorat Linz festgestellt wurde und an diesen Feststellungen nicht zu zweifeln war. Durch den zum Unfallzeitpunkt eingestellten Automatikbetrieb mit händischer Zuführung und Entnahme hätten die vorhandenen Schutzvorrichtungen nicht ausgereicht, da der Arbeitnehmer gezwungen war, den Gefahrenbereich zu betreten und auch bei einem fortdauernden Aufenthalt in diesem Bereich der gefahrbringende Arbeitsvorgang der Maschine vonstatten ging. Die objektive Tatseite wäre somit als erwiesen anzusehen.

Hinsichtlich des Verschuldens nahm die Erstbehörde gemäß § 5 Abs.1 VStG Fahrlässigkeit an.

Sodann wurde im einzelnen dargelegt, warum die Erstbehörde der Rechtfertigung des Beschuldigten keinen Glauben schenkte.

2. Dagegen richtet sich die rechtzeitig eingebrachte Berufung vom 22. Juli 1998, mit der beantragt wird, das angefochtene Straferkenntnis zu beheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

Zur Begründung behauptete der Berufungswerber eine Mangelhaftigkeit des Verfahrens, weil der von ihm beantragte Lokalaugenschein unter Beiziehung eines Sachverständigen für Maschinensicherheitstechnik bzw. Arbeitnehmerschutz nicht durchgeführt wurde, sowie die von ihm beantragten Zeugen nicht einvernommen worden waren. Dadurch aber konnte nicht geklärt werden, ob die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen und Sicherungsfunktionen vorhanden waren bzw die Frage, wodurch der verfahrensgegenständliche Arbeitsunfall konkret zustandegekommen ist und ob dies für ihn vorhersehbar und damit vermeidbar gewesen wäre. Insbesonders wies der Berufungswerber darauf hin, daß der Maschinenhersteller die Schutztüre so geliefert hatte, die Maschine seit Jahren im Einsatz war und auch von den Arbeitsinspektoren laufend besichtigt und nie beanstandet worden war.

Der Berufungswerber beantragte daher, eine mündliche Berufungsverhandlung anzuberaumen, im Rahmen dieser den bereits im Verfahren erster Instanz beantragten Lokalaugenschein unter Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Gebiet der Maschinensicherheitstechnik bzw des Arbeitnehmerschutzes durchzuführen sowie einige namentlich angeführte Zeugen vorzuladen.

3. Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land hat die Berufung und den zugrundeliegenden Verwaltungsakt dem unabhängigen Verwaltungssenat zur Entscheidung vorgelegt; eine Berufungsvorentscheidung wurde nicht erlassen.

Das Arbeitsinspektorat für den 9. Aufsichtsbezirk hat zur vorgelegten Berufung keine Stellungnahme abgegeben.

Da bereits aus der Aktenlage ersichtlich ist, daß das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben ist, konnte von der Durchführung der beantragten Beweisaufnahme Abstand genommen werden.

4. Hierüber hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

4.1. Im Verwaltungsstrafverfahren steht den Parteien gemäß § 51 Abs.1 VStG das Recht der Berufung an den unabhängigen Verwaltungssenat jenes Landes zu, in dem die Behörde, die den Bescheid erlassen hat, ihren Sitz hat. Daraus ergibt sich die Zuständigkeit des Oö. Verwaltungssenates.

Die unabhängigen Verwaltungssenate entscheiden gemäß § 51c VStG über Berufungen durch Kammern, die aus drei Mitgliedern bestehen, wenn aber im angefochtenen Bescheid weder eine primäre Freiheitsstrafe noch eine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, durch eines ihrer Mitglieder. Da im vorliegenden Verfahren der Berufungswerber mit einer Geldstrafe in Höhe von 10.000 S bestraft wurde, war zur Durchführung des Verfahrens das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied berufen.

4.2. Die Feststellungen der Erstbehörde gründen sich im wesentlichen auf die Anzeige des Arbeitsinspektorates für den 9. Aufsichtsbezirk, das vom Beschuldigten beigebrachte Gutachten des gerichtlich beeideten Sachverständigen für technisches Unfallwesen und Arbeitsschutz Prof. Dr. Z, W, sowie eine gutachtliche Stellungnahme des Herrn Dipl.-Ing. J, Amtssachverständiger beim Amt der oö. Landesregierung, Abteilung Maschinen- und Elektrotechnik. Weitere Beweisaufnahmen, insbesonders ein Lokalaugenschein sowie die Einvernahme der beantragten Zeugen, wurden nicht durchgeführt.

Aus dem Gutachten des Herrn Prof. Dr. Z geht zusammenfassend hervor, daß der Unfall entstand 1.) weil die Sicherheitsvorrichtung an der Schutztüre (Sicherheitsbügel) nicht jene Wirkung erzielte, für die sie bestimmt war und 2.) weil Herr E (Anmerkung: Herr L E war der Einsteller der Maschine) es verabsäumte, die Maschine, die vorher im Automatikbetrieb mit mechanischer Werkstückentnahme eingerichtet war, auf Halbautomatik umzustellen, weshalb für die Ingangsetzung der Maschine beim einzelnen Preßvorgang kein neuerliches händisches Startsignal des Gießers nötig war.

Herr Dipl.-Ing. J kam zum Ergebnis, daß der Unfallursachenkomplex nicht aus zwei, sondern aus drei (verketteten) Komponenten in nachfolgender kausaler Reihenfolge bestand: 1.) Standort des Arbeitnehmers (bei einem anderen Standort des Arbeitnehmers hätte der Unfall vermieden werden können); 2.) Automatikbetrieb (beim gegenständlichen Standort des Arbeitnehmers und Deaktivierung des Automatikbetriebes = Halbautomatikbetrieb hätte der Unfall vermieden werden können); 3.) die Sicherheitseinrichtung sprach nicht an (beim gegenständlichen Standort des Arbeitnehmers und Beibehaltung des Automatikbetriebes hätte bei Ansprechen der Sicherheitseinrichtung der Unfall vermieden werden können).

Auf Grund des Umstandes, daß gleichzeitig alle drei Komponenten gegeben waren, konnte der gegenständliche Unfall passieren.

4.3. Daraus folgt nach ha Ansicht, daß der genaue Unfallhergang sowie die Ursachen, die dazu geführt haben, nicht mit der erforderlichen an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit festgestellt worden sind. Es wäre nach ha Ansicht eine sofortige Untersuchung der Unglücksmaschine durch einen Sachverständigen für Maschinensicherheitstechnik erforderlich gewesen: Aus dessen Gutachten hätte sich ergeben müssen, ob ausreichende Schutzmaßnahmen iSd anzuwendenden Arbeitnehmerschutzbestimmungen, insbesonders der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung sowie der Maschinenschutzvorrichtungsverordnung vorhanden waren oder nicht bzw im Falle deren Vorhandenseins, ob diese versagt haben (wobei auch die Gründe dafür zu eruieren gewesen wären) bzw ob eine mangelhafte Einstellung der Maschine durch den Einsteller L E oder ein Eigenverschulden des Arbeitnehmers unfallskausal war, wobei in diesem Zusammenhang wiederum zu klären gewesen wäre, inwieweit nicht auch Schutzmaßnahmen gegen eine allfällige Fehlbedienung erforderlich gewesen wären. Dieses Beweisergebnis wäre dann von der Behörde unter Beiziehung der beantragten Zeugen und Durchführung eines Lokalaugenscheines entsprechend zu würdigen gewesen und hätte erst dann die rechtliche Beurteilung und die Zurechenbarkeit in den Verantwortungsbereich des Beschuldigten erfolgen können.

Die Nachholung dieses Beweisverfahrens, das an sich bereits Aufgabe der Erstbehörde gewesen wäre, durch den unabhängigen Verwaltungssenat ist im Hinblick auf den erheblichen Zeitraum, der seither verstrichen ist, die mittlerweile aktenkundig erfolgte Abänderung der Maschine sowie wegen des unmittelbar bevorstehenden Ablaufes der Strafbarkeitsverjährungsfrist iSd § 31 Abs.3 VStG am 6. Oktober 1998 realistisch nicht mehr möglich.

Da aus dem Gutachten des Prof. Dr. Z sowie aus der fachlichen Stellungnahme des Amtssachverständigen Dipl.-Ing. J erhebliche Zweifel an der Zurechenbarkeit dieses Arbeitsunfalles in die persönliche Verantwortung des Berufungswerbers entstanden sind, und sich der Tatvorwurf in der verbleibenden Zeit nicht mehr mit der erforderlichen Sicherheit feststellen läßt, war zumindest im Zweifel spruchgemäß zu entscheiden.

Zu II.: Wird ein Strafverfahren eingestellt, so sind gemäß § 66 Abs.1 VStG die Kosten des Verfahrens von der Behörde zu tragen. Damit war der Verfahrenskostenausspruch der belangten Behörde aufzuheben. Die Kosten des Berufungsverfahrens sind gemäß § 65 VStG dem Bw nicht aufzuerlegen, wenn der Berufung auch nur teilweise Folge gegeben wurde.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S zu entrichten.

Dr. L e i t g e b Beschlagwortung: mangelhaftes Ermittlungsverfahren

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