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VwSen-280486/28/Kl/Rd

Linz, 21.09.2000

VwSen-280486/28/Kl/Rd Linz, am 21. September 2000

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Klempt über die Berufung des R, vertreten durch Rechtsanwalt, gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Steyr vom 6.10.1999, Ge-627/99, wegen Verwaltungsübertretungen nach dem ASchG nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 6.9.2000 zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

II. Es entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlagen:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 45 Abs.1 Z2 und 3 und 51 VStG.

zu II.: § 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Steyr vom 6.10.1999, Ge-627/99, wurde über den Bw in zwei Fällen eine Geldstrafe von je 10.000 S, im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von je 72 Stunden, wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß 1) § 72 Abs.1 AAV iVm §§ 114 Abs.4 Z7 und 130 Abs.5 Z1 ASchG und 2) § 14 Abs.2 Z2 und § 130 Abs.1 Z11 ASchG verhängt, weil er es als handelsrechtlicher Geschäftsführer und somit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ der Fa. K GesmbH, verwaltungsstrafrechtlich zu vertreten hat, dass

1) die Arbeitnehmer oa Fa. Hr. R und Hr. W am 16.12.1998 um 9.30 Uhr auf einem Nebengebäude der Schottergrube oa Firma in 4564 Klaus (ehemalige Schottergrube von Kern) Dachdeckungsarbeiten durchführten, bei denen diesen keine Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt wurde. Die Absturzhöhe betrug ca 6 Meter. Es waren keine besonderen Schutzmaßnahmen (Anbringung von Sicherheitsnetzen oder Absturzsicherung in Form von Gerüsten) getroffen worden. Da bei Arbeiten an absturzgefährlichen Stellen, bei denen keine besonderen Schutzmaßnahmen getroffen werden, den Arbeitnehmern Sicherheitsgürtel oder Sicherheitsgeschirre einschließlich der dazugehörigen Ausrüstung zur Verfügung zu stellen sind, stellt oa Sachverhalt eine Übertretung der Bestimmungen der Allgemeinen Arbeitnehmerschutzverordnung (AAV) und des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes (ASchG) dar.

2) die Arbeitnehmer oa Firma Hr. R und Hr. W am 16.12.1998 um 9.30 Uhr auf einem Nebengebäude der Schottergrube oa Firma in K (ehemalige Schottergrube von K) Dachdeckungsarbeiten durchführten, ohne dass diese beiden Arbeitnehmer oa Firma - welche üblicherweise mit Arbeiten beim K und mit Arbeiten im T und nicht mit Dachdeckungsarbeiten beschäftigt werden - eine Unterweisung in diesem neuen Aufgabenbereich erhielten. Da eine Unterweisung der Arbeitnehmer jedenfalls bei einer Versetzung oder Veränderung des Aufgabenbereiches erfolgen muss, stellt oa Sachverhalt eine Übertretung der Bestimmungen des ASchG dar.

2. Dagegen wurde fristgerecht Berufung eingebracht und das Straferkenntnis seinem gesamten Inhalt nach angefochten. Begründend wurde ausgeführt, dass die Firma K GesmbH über zwei handelsrechtliche Geschäftsführer, somit über zwei zur Vertretung nach außen berufene Organe verfügt. Der gegenständliche Vorfall hat sich am 16.12.1998 ereignet, zu welchem Zeitpunkt sich der Bw in stationärer Behandlung im AKH Linz befand. Es war daher dem Bw weder möglich, den beiden Arbeitnehmern Unterweisungen in ihrem neuen Aufgabenbereich zu erteilen, noch dafür Sorge zu tragen, dass Schutzmaßnahmen getroffen und von den Arbeitnehmern auch eingehalten wurden. Weil er vom gegenständlichen Vorfall keinerlei Kenntnis hatte, treffe ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschriften auch keinerlei Verschulden. Vielmehr habe der Bw erst nach seinem Krankenhausaufenthalt vom Vorfall Kenntnis erlangt, wobei ihm vom zweiten Geschäftsführer Mag. K mitgeteilt worden sei, dass dieser die beiden Arbeitnehmer niemals mit der Durchführung von Dachdeckungsarbeiten beauftragt hätte und es auch nicht geplant gewesen sei, dass diese Dachdeckungsarbeiten von den beiden Arbeitern hätten vorgenommen werden sollen.

Es wurde daher die Aufhebung des Straferkenntnisses beantragt.

3. Der Magistrat der Stadt Steyr hat die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt vorgelegt. Das zuständige Arbeitsinspektorat wurde am Berufungsverfahren beteiligt.

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch die Akteneinsichtnahme sowie die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu welcher der Bw und sein Vertreter geladen wurden und erschienen sind. Ein Vertreter der belangten Behörde ist trotz ausgewiesener Ladung nicht erschienen. Weiters nahmen an der mündlichen Verhandlung ein Vertreter des AI sowie die geladenen Zeugen W und R teil. Der weiters geladene Zeuge Mag. K hat sich wegen Urlaubs entschuldigt.

Im Grunde der öffentlichen mündlichen Verhandlung steht folgender Sachverhalt als erwiesen fest:

Die Arbeitnehmer R und W haben bereits zwei Objekte der Fa. K GesmbH eingedeckt und hatten, nachdem sie am 15.12.1998 das Dach abgeholt hatten, den Auftrag durch den zweiten Firmenchef Mag. K, am nächsten Tag, also am 16.12.1998 das Dach einzudecken. An diesem Tag regnete es stark. Es handelte sich um ein Satteldach mit 12 Grad Dachneigung. Die Absturzhöhe betrug ca. 6 Meter. Die Arbeitnehmer waren weder durch Sicherheitsnetze noch durch Gerüste noch durch Sicherheitsgürtel oder -geschirre vor Absturz geschützt. Es wurde keine persönliche Schutzausrüstung zur Verfügung gestellt. Der Arbeitnehmer R rutschte auf dem nassen Dach aus und stürzte in die Tiefe. Er erlitt eine schwere Körperverletzung. Schutzvorkehrungen waren auf der Baustelle nicht vorhanden. Auch gab es keine Anweisungen der Firmenchefs, Schutzvorkehrungen wie zB Angurten oder Anseilen zu treffen.

Der Bw befand sich nachweislich vom 16.12.1998 bis 18.12.1998 im AKH Linz in stationärer Behandlung. Die Firma wird von beiden handelsrechtlichen Geschäftsführern geführt, wobei der unmittelbare Vorgesetzte und Ansprechpartner der Arbeitnehmer der handelsrechtliche Geschäftsführer Mag. K ist, welcher den Auftrag zur Dacheindeckung gab. Mag. K ist der Sohn des Bw. Dieser wusste vom stationären Aufenthalt des Bw und hatte für diese Zeit sämtliche Aufgaben in der Firma zu übernehmen.

Diese Feststellungen gründen sich auf die Aussagen des Bw selbst sowie auf die glaubwürdigen Aussagen der einvernommenen Zeugen. Es ergaben sich dabei keine Widersprüche.

5. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

5.1. Gemäß § 118 Abs.3 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz - ASchG, gilt die Bauarbeiterschutzverordnung (BauV) nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen als Verordnung nach diesem Bundesgesetz.

Gemäß § 118 Abs.4 Z3 ASchG gilt § 114 Abs.4 betreffend Arbeitsvorgänge und Arbeitsplätze nicht für Baustellen. Baustellen iSd Bundesgesetzes sind gemäß § 2 Abs.3 zweiter Satz zeitlich begrenzte oder ortsveränderliche Baustellen, an denen Hoch- und Tiefbauarbeiten durchgeführt werden. Gegenständlich wurden Dachdeckerarbeiten also Hochbauarbeiten durchgeführt und waren diese Arbeiten zeitlich begrenzt. Es war daher nicht § 114 Abs.4 ASchG anzuwenden.

Darüber hinaus ist anzumerken, dass nach der ständigen Judikatur des VwGH die BauV die speziellere Norm ist, welche der generellen Norm der AAV vorgeht.

Gemäß § 1 Abs.1 BauV gilt diese Verordnung für die Beschäftigung von Arbeitnehmern bei Ausführung von Bauarbeiten aller Art. Gemäß § 1 Abs.2 BauV sind Bauarbeiten insbesondere auch Zimmerer- und Dachdeckerarbeiten.

Gemäß § 2 Abs.1 BauV sind Baustellen iSd Verordnung jene Bereiche, in denen Arbeitnehmer Arbeiten nach § 1 Abs.2 durchführen, also auch Bereiche, an denen Arbeitnehmer Dachdeckerarbeiten ausführen.

Gemäß § 87 Abs.2 BauV müssen bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung bis zu 20 Grad und einer Absturzhöhe von mehr als 3 Meter Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen gemäß §§ 7 bis 10 vorhanden sein. Gemäß § 87 Abs.3 BauV müssen bei besonderen Gegebenheiten, wie auf glatter, nasser oder vereister Dachhaut, die ein Ausgleiten begünstigen, auch bei geringerer Neigung solche Schutzeinrichtungen, nämlich Dachschutzblenden und Dachfanggerüste (§ 88) vorhanden sein.

5.2. Sowohl in der Aufforderung zur Rechtfertigung vom 14.6.1999 als erster Verfolgungshandlung als auch im Spruch des angefochtenen Straferkenntnisses geht zwar die Absturzhöhe von ca 6 Meter hervor, Angaben über die Dachneigung fehlen jedoch. Dies ist aber ein wesentliches Tatbestandselement, wonach sich die jeweiligen Schutzmaßnahmen richten, nämlich Absturzsicherungen oder Schutzeinrichtungen gemäß §§ 7 bis 10 oder Dachschutzblenden oder -fanggerüste gemäß § 88 BauV. Lediglich bei nasser Dachhaut ist auch bei geringerer Dachneigung bereits das Anbringen von Dachschutzblenden und -fanggerüsten gemäß § 88 erforderlich. Danach wäre aber ein Hinweis auf die nasse Dachhaut bereits im Spruch des Straferkenntnisses erforderlich gewesen. Darüber hinaus stellt der objektive Tatbestand gemäß § 87 BauV nicht auf das "Zurverfügungstellen von Schutzausrüstung" - solches wurde dem Bw vorgeworfen - sondern auf das "Vorhandensein der Schutzeinrichtungen" ab.

Weil die entsprechende Verwaltungsübertretung nicht mit sämtlichen wesentlichen Tatbestandsmerkmalen vorgeworfen wurde, ist Verfolgungsverjährung eingetreten und war daher aus diesem Grunde das Faktum 1 des angefochtenen Straferkenntnisses aufzuheben und das diesbezügliche Verwaltungsverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z3 VStG einzustellen.

5.3. Gemäß § 14 Abs.1 ASchG sind Arbeitgeber verpflichtet, für eine ausreichende Unterweisung der Arbeitnehmer über Sicherheit und Gesundheitsschutz zu sorgen. Gemäß § 14 Abs.2 ASchG muss die Unterweisung in regelmäßigen Abständen, mindestens einmal jährlich, erfolgen, eine Unterweisung muss jedenfalls erfolgen bei einer Versetzung oder Veränderung des Aufgabenbereiches (Z2).

Gemäß § 130 Abs.1 Z11 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer als Arbeitgeber entgegen diesem Bundesgesetz oder den dazu erlassenen Verordnungen die Informations-, Beteiligungs- oder Anhörungspflichten gegenüber den Arbeitnehmern oder die Unterweisungspflicht verletzt.

Aus den Aussagen der vernommenen Zeugen geht einwandfrei hervor, dass eine Unterweisung in den Schutzvorkehrungen bei Dachdeckerarbeiten durch die Firmenchefs nicht stattgefunden hat. Auch wurden keinerlei Anordnungen zum Verwenden der Schutzeinrichtungen gegeben. Es ist daher der Tatbestand objektiv erfüllt.

Gemäß § 5 Abs.1 VStG genügt zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten und ist Fahrlässigkeit bei Ungehorsamsdelikten, zu welchen auch die gegenständliche Verwaltungsübertretung zählt, dann ohne weiteres anzunehmen, wenn zum Tatbestand einer Verwaltungsübertretung der Eintritt eines Schadens oder einer Gefahr nicht gehört und der Täter nicht glaubhaft macht, dass ihn an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft.

Im gegenständlichen Fall hat der Bw nachgewiesen, dass er zum Tatzeitpunkt sich stationär im AKH Linz aufgehalten hat. Die Zeugenaussagen haben weiters ergeben, dass die gegenständlichen Arbeiten nicht vom Bw, sondern vom zweiten Geschäftsführer, Mag. K, angeordnet wurden. Die Aussagen haben auch einhellig bestätigt, dass bei Anordnung dieser Arbeiten eine Unterweisung zur Verwendung von Schutzausrüstung durch den anweisenden Geschäftsführer nicht erfolgt ist. Sowohl aus den Zeugenaussagen als auch aus den Angaben des Bw, welche glaubhaft erscheinen, geht hervor, dass die beiden nach außen vertretungsbefugten Organe grundsätzlich gemeinsam das Unternehmen leiten, unmittelbarer Ansprechpartner und Chef aber in der Regel der handelsrechtliche Geschäftsführer Mag. K ist. Weiters ist nachgewiesen, dass für den Fall der Abwesenheit des einen Geschäftsführers der andere Geschäftsführer sämtliche Geschäfte und Anweisungen übernimmt. Dies gilt für Krankheit und Urlaub gleichermaßen.

Im Grunde dieser Ausführungen hat der Bw glaubhaft gemacht, dass ihn aufgrund seines Krankenhausaufenthaltes an der Verletzung der Verwaltungsvorschrift kein Verschulden trifft, zumal er weder die Arbeiten angeordnet noch beaufsichtigt hat und erst im Nachhinein überhaupt vom Tathergang Kenntnis erlangt hat. Auch nach der geschäftsinternen Regelung war durch seine krankenhausbedingte Abwesenheit der zweite Geschäftsführer verantwortlich. Es liegt daher kein Verschulden des Bw vor. Mangels eines vorwerfbaren Verschuldens hat daher der Bw die ihm vorgeworfene Tat nicht begangen. Es war daher das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z2 erste Alternative VStG einzustellen.

6. Weil die Berufung Erfolg hatte und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen war, entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge gemäß § 66 Abs.1 VStG.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500 S (entspricht 181,68 €) zu entrichten.

Dr. Klempt

Beschlagwortung:

BauV ist lex specialis, geht AAV vor. Tatkonkretisierung, Dachneigung; Krankheit, kein Verschulden.

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