Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-280744/42/Kl/Pe

Linz, 28.03.2006

 

 

 

VwSen-280744/42/Kl/Pe Linz, am 28. März 2006

DVR.0690392

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Klempt über die Berufung des H O, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. F G, Dr. S S, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 12.5.2004, Ge96-145-2003-GRM/KM, wegen Verwaltungsübertretungen nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz (ASchG) nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 14.9.2004 zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II. Es entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge.

 

Rechtsgrundlagen:

zu I.: § 66 Abs.4 AVG iVm §§ 24, 22, 30, 45 Abs.1 Z1 und 51 VStG.

zu II.: § 66 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 12.5.2004, Ge96-145-2003-GRM/KM, wurden über den Berufungswerber Geldstrafen von 700 Euro bzw. 800 Euro, Ersatzfreiheitsstrafen von 48 bzw. 60 Stunden, wegen einer Verwaltungsübertretung gemäß § 130 Abs.5 Z1 iVm 1) § 87 Abs.3 BauV und 2) § 85 BauV verhängt, weil er als handelsrechtlicher Geschäftsführer der Firma H-O Z GmbH mit Sitz in, und somit als zur Vertretung nach außen berufenes Organ (§ 9 VStG 1991 idgF) und Arbeitgeber zu verantworten hat, dass - festgestellt anlässlich einer am 13. und 14.8.2003 von einem Organ des Arbeitsinspektorates Wels durchgeführten Überprüfung der Baustelle L-M, - folgende Übertretungen von Arbeitnehmerschutzbestimmungen begangen wurden:

Auf vorgenannter Baustelle wurden von Arbeitnehmern der Firma H-O Z GmbH auf die bereits montierten Nagelbinder die Dachlatten und die Dachhaut (Spanplatten) ohne jede Schutzeinrichtung gegen Absturz aufgebracht.

  1. Die Absturzhöhe beträgt bei der Traufe (nach au0en) ca. 4 m, die Dachneigung beträgt ca. 22°. Es waren keine Schutzeinrichtungen angebracht.

Dies stellt eine Übertretung des § 87 Abs.3 BauV dar, wonach bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20° und einer Absturzhöhe von mehr als 3 m geeignete Schutzeinrichtungen vorhanden sein müssen.

Grundsätzlich sind bei Arbeiten auf Dächern mit einer möglichen Absturzhöhe von mehr als 3 m technische Schutzmaßnahmen zu treffen. Bei einer Dachneigung von über 20° (wie im gegenständlichen Fall) muss gemäß § 87 Abs.3 BauV eine der nachstehenden Schutzeinrichtungen angebracht werden.

Bei Neueindeckungen (Spengler- und Dachdeckerarbeiten) ist ausschließlich die Errichtung des Dachfanggerüstes (z.B. hochgezogenes Fassadengerüst) zur Sicherung gegen Absturz zielführend, da Dachschutzblenden (Rinnengitter) bei der Montage von Dachrinnen sowie bei Deckungsarbeiten im Traufenbereich entfernt werden müssen und eine Sicherung der Arbeitnehmer durch anseilen nur bei geringfügigen Arbeiten, die nicht länger als einen Tag dauern zulässig ist. Dachschutzblenden, sind daher nur dann sinnvoll, wenn die auszuführenden Arbeiten zur Gänze oberhalb des Traufenbereichs stattfinden.

  1. Es wurden keine Einrichtungen gegen das Abstürzen von Arbeitnehmern in das Innere des Bauwerks angebracht.

Die Absturzhöhe beträgt bei der Traufe ca. 4 m, im Firstbereich (ins Gebäudeinnere) ca. 5,7 m.

Dies stellt eine Übertretung des § 85 iVm § 7 BauV dar, wonach bei einer Absturzhöhe von mehr als 2 m an sonstigen Arbeitsplätzen, Standplätzen und Verkehrswegen Absturzgefahr besteht und Schutzeinrichtungen gemäß § 10 BauV anzubringen sind.

Geeignete Schutzeinrichtungen zum Auffangen abstürzender Personen und Materialien sind

 

2. Dagegen wurde fristgerecht Berufung eingebracht und die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Einstellung des Strafverfahrens beantragt. Begründend wurde ausgeführt, dass der Vorwurf bestritten wird und darauf verwiesen wird, dass die Dienstnehmer dem Beschuldigten gegenüber bestätigt haben, dass sie auch hinsichtlich der Baustelle L-M, die Arbeiten vorschriftsgemäß und unter Einhaltung der einschlägigen Arbeitnehmerschutzbestimmungen ausgeführt haben. Der Beschuldigte selbst sei nicht ständig auf der Baustelle anwesend gewesen, sodass er über das tatsächliche Geschehen keine eigenen Wahrnehmungen gemacht habe. Es wurde bestritten, dass Arbeiten, insbesondere das Aufbringen von Dachlatten und der Dachhaut ohne jede Schutzeinrichtung gegen Absturz durchgeführt worden wären. Es wurde nicht nachgewiesen, dass tatsächlich Arbeiten ausgeführt wurden, noch dass die erforderlichen Schutzmaßnahmen nicht getroffen worden wären. Es liege auf der Hand, dass Abstürze auch dann möglich sind, wenn alle gesetzlich gebotenen Schutzmaßnahmen getroffen sind. Weiters wurde nicht ausreichende Tatkronkretisierung angeführt. Es ist nicht ausreichend klar angeführt, zu welcher konkreten Tatzeit welche Tathandlungen begangen worden sind. Auch fehlt die konkrete namentliche Darstellung der Arbeitnehmer. Auch war ein Dach auf der gegenständlichen Baustelle noch gar nicht vorhanden, sodass auch nicht von Arbeiten auf Dächern gesprochen werden könne. Schließlich wurde die Strafhöhe bekämpft.

 

3. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land als belangte Behörde hat die Berufung samt dem bezughabenden Verwaltungsstrafakt vorgelegt.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Akteneinsichtnahme sowie durch Anberaumung und Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 14.9.2004, zu welcher der Beschuldigte und sein Rechtsvertreter, die belangte Behörde und das zuständige Arbeitsinspektorat geladen wurden und erschienen sind. Weiters wurde der Zeuge DI H M, und T T, H-O Z GmbH, geladen und einvernommen. Der weiters als Zeuge geladene verunfallte Arbeitnehmer F I ist nicht erschienen. Dieser befand sich in Krankenstand und Genesungsaufenthalt in Ungarn mit unbekannter Anschrift.

 

4.1. Der einvernommene Arbeitsinspektor schilderte das Ergebnis der Unfallserhebungen und Kontrollen am 13., 14. und am 18.8.2003 und verwies auf die von ihm angefertigten und beigeschlossenen Fotos. Es war das Dach neu zu errichten, wobei die Nagelbinder montiert vorhanden waren und beim Verlegen der Spanplatten ein Arbeitnehmer abgestürzt ist. Dies war am 13.8.2003. Es waren keine Schutzeinrichtungen gegen das Abstürzen, weder nach außen noch nach innen, vorhanden. Bei der Kontrolle am 14.8.2003 waren bereits Dachschutzblenden montiert. Diese schützen gegen Absturz nach außen. Gegen Absturz nach innen waren keine Schutzvorkehrungen angebracht, dh es waren noch keine Fangnetze vorhanden und die Arbeitnehmer waren auch nicht angeseilt. Ein Arbeitnehmer wurde dann in die Firma geschickt, um ein Fangnetz zu holen.

Zum Unfallhergang wurde ausgeführt, dass ein Arbeitnehmer von dem auf dem Dach befindlichen Stoß eine Spanplatte herunternehmen wollte und dabei danebengestiegen ist. Der Zeuge führte weiters aus, dass, wenn von dem auf dem Dach befindlichen Stoß Spanplatten etwas genommen wird zur Vervollständigung der ersten Reihe, also zur Verlegestelle, dann müsste eine Schutzvorrichtung vorhanden sein. Es wäre auch zulässig, von einem verfahrbaren Gerüst aus oder von einer Leiter aus, von außen die erste Reihe zu montieren. Allerdings hätte dort ein fahrbares Gerüst oder Fahrzeug nicht aufgestellt werden können. Auch führte der Arbeitsinspektor aus, dass im Normalfall das Hinaufbringen der Spanplatten über eine Leiter nicht üblich ist aufgrund der Größe der Spanplatten. Auch verwies er darauf, dass die Spanplatten auch auf der Dachfläche selbst gelagert waren.

Der einvernommene Zeuge T gab an, dass am 13.8.2003 seit den Morgenstunden die Arbeitnehmer damit beschäftigt waren, Staffeln und Spanplatten zu befestigen, wobei auf einer Leiter gearbeitet wurde und von unten eine Spanplatte hinaufgegeben wurde und so die erste Reihe Spanplatten verlegt wurde. Es muss die Leiter zur Verlegung der nächsten Platte verrückt werden und so wird die erste Reihe verlegt. Erst dann sollten die Dachschutzblenden montiert werden. Der Zeuge und ein Kollege haben auf der Leiter Spanplatten montiert, zwei Kollegen haben Platten von unten hinaufgereicht. Die Dachschutzblenden wurden am nächsten Tag montiert, Fangnetze erst später. Es wurde am 14.8.2003 vom Arbeitsinspektor aufgefordert, aus der Firma Fangnetze zu holen. Auf der Baustelle selbst gab es keinen Chef, der Zeuge wusste über Schutzvorkehrungen Bescheid, weil es generelle Unterrichtungen und Anweisungen gibt, welche Schutzeinrichtungen zu verwenden sind. Eine Einweisung konkret für die Baustelle gab es nicht.

Vom Beschuldigten wurde dann hingewiesen, dass es Aussagen vor dem Bezirksgericht Lambach gibt und sowohl gegen ihn als auch weitere Personen Vorerhebungen beim Bezirksgericht Lambach anhängig sind. Es wurde die Aussetzung des Strafverfahrens bis zur gerichtlichen Entscheidung beantragt.

 

4.2. Der Oö. Verwaltungssenat hat in den Akt des Bezirksgerichtes Lambach zu Zl. 3 U 56/04 b Einsicht genommen. Daraus geht ein Strafantrag der Staatsanwaltschaft Wels gegen den Beschuldigten hervor. Hinsichtlich der weiteren Personen J K P, H W und Ing. W H wurde kein Grund zur weiteren Verfolgung gefunden (§ 90 Abs.1 StPO). Gegen den Beschuldigten fand am 10.2.2005 und am 30.6.2005 eine mündliche Hauptverhandlung vor dem Bezirksgericht Lambach statt. Am 30.6.2005 wurde der Beschuldigte von dem wider ihn erhobenen Vorwurf, er habe am 13.8.2003 in Lambach als verantwortlicher Geschäftsführer der Firma H-O Z GmbH dadurch, dass er nicht veranlasste, dass bei der Baustelle des L-M Schutzeinrichtungen gegen das Abstürzen nach außen und gegen das Abstürzen ins Gebäudeinnere angebracht werden, wodurch F I vom Dach stürzte, fahrlässig diesen am Körper verletzt, wobei die Tat mehrfache Brüche und eine Gehirnerschütterung zur Folge hatte, hiedurch das Vergehen der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 Abs.1 und 4, erster Fall StGB begangen, gemäß § 259 Z3 StPO freigesprochen. In der Hauptverhandlung wurde ein Gutachten des Sachverständigen DI H W unter Zugrundelegung der Aussagen des Zeugen W und des Zeugen T erstattet, wonach die Platten von außen her hochgehoben wurden und mit Zugang über Leitern entlang der Traufenlinie befestigt wurden. Es kommt der Sachverständige zu dem Schluss, dass ab dem Verlegen der zweiten Plattenreihe Netze und auch die Traufenabsicherung angebracht hätte werden müssen. Ergänzend führte der Sachverständige über Befragen durch den Richter, ob man am Unfalltag das Netz bereits benötigt hätte, aus, dass nach den Fotodokumentationen die Traufenreihe noch nicht fertig verlegt war. Es war daher ein Arbeiten an einer zweiten Reihe noch nicht aktuell. Es war daher weder eine Netz- noch Traufsicherung unbedingt erforderlich. Technischerseits waren die Netze an diesem Tag nicht erforderlich.

 

5. Hierüber hat der Oö. Verwaltungssenat erwogen:

 

5.1. Gemäß § 20 Abs.1 ASchG, BGBl. Nr. 450/1994 idgF, sind Arbeitgeber verpflichtet, Arbeitsstätten und Baustellen entsprechend den Vorschriften dieses Bundesgesetzes sowie den dazu erlassenen Verordnungen und entsprechend den für sie geltenden behördlichen Vorschreibungen einzurichten und zu betreiben.

 

Gemäß § 130 Abs.1 Z15 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 145 Euro bis 7.260 Euro zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber entgegen diesem Bundesgesetz und den dazu erlassenen Verordnungen die Verpflichtungen betreffend die Einrichtung und den Betrieb von Arbeitsstätten oder Baustellen einschließlich der Sozial- und Sanitäreinrichtungen verletzt.

 

Gemäß § 130 Abs.5 Z1 ASchG begeht eine Verwaltungsübertretung, die mit Geldstrafe von 145 Euro bis 7.260 Euro zu bestrafen ist, wer als Arbeitgeber/in den nach dem 9. Abschnitt weitergeltenden Bestimmungen zuwiderhandelt.

 

Gemäß § 87 Abs.3 BauV, BGBl. Nr. 340/1994 idgF, müssen bei Arbeiten auf Dächern mit einer Neigung von mehr als 20° und einer Absturzhöhe von mehr als 3,00 m geeignete Schutzeinrichtungen vorhanden sein, die den Absturz von Menschen, Materialen und Geräten in sicherer Weise verhindern. Geeignete Schutzeinrichtungen sind Dachschutzblenden und Dachfanggerüste (§ 88).

 

Gemäß § 7 Abs.2 Z4 BauV liegt Absturzgefahr vor an sonstigen Arbeitsplätzen, Standplätzen und Verkehrswegen bei mehr als 2,00 m Absturzhöhe.

 

Gemäß § 7 Abs.1 BauV sind bei Absturzgefahr Absturzsicherungen (§ 8), Abgrenzungen (§ 9) oder Schutzeinrichtungen (§ 10) anzubringen.

 

Gemäß § 10 Abs.1 BauV müssen, wenn Absturzsicherungen nach § 8 oder Abgrenzungen nach § 9 aus arbeitstechnischen Gründen nicht verwendet werden können, Schutzeinrichtungen zum Auffangen abstürzender Personen und Materialien vorhanden sein, wie Fanggerüste oder Auffangnetze, sowie bei Dächern Dachfanggerüste oder Dachschutzblenden (§ 88).

 

§ 22 VStG bestimmt, dass wenn jemand durch verschiedene selbständige Taten mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat oder eine Tat unter mehrere einander nicht ausschließende Strafdrohungen fällt, die Strafen nebeneinander zu verhängen sind. Das selbe gilt bei einem Zusammentreffen von Verwaltungsübertretungen mit anderen von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndenden strafbaren Handlungen.

 

Gemäß der Anordnung nach § 30 VStG sind strafbare Handlungen unabhängig von einander zu verfolgen, und zwar in der Regel auch dann, wenn die strafbaren Handlungen durch ein und die selbe Tat begangen worden sind, wenn einem Beschuldigten von verschiedenen Behörden zu ahndende Verwaltungsübertretungen oder eine Verwaltungsübertretung und eine andere von einer Verwaltungsbehörde oder einem Gericht zu ahndende strafbare Handlung zur Last liegen. Ist aber eine Tat von den Behörden nur zu ahnden, wenn sie nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit anderer Verwaltungsbehörden oder der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, und ist es zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, so hat die Behörde das Strafverfahren auszusetzen, bis über diese Frage von der sonst in Betracht kommenden Verwaltungsbehörde oder vom Gericht rechtskräftig entschieden ist.

 

Dazu wird in Walter-Thienel, Verwaltungsverfahren, Manz, 2. Auflage, S. 415ff, unter Hinweis auf die Judikatur des Verfassungsgerichtshofes (VfSlg. 14696/1996) ausgeführt, dass die Vorschriften des § 22 und § 30 VStG deswegen dem Verbot der Doppelbestrafung gemäß Art.4 Abs.1 7. ZPMRK nicht widerspricht, weil § 22 VStG lediglich die Strafbemessung im Sinn des Kumulationsprinzips regelt, wenn jemand mehrere Verwaltungsübertretungen begangen hat, und weil § 30 Abs.1 VStG für diesen Fall die verwaltungsstrafverfahrensrechtliche Regel aufstellt, dass die strafbaren Handlungen unabhängig von einander zu verfolgen sind. Ob bei eintätigem Zusammentreffen mehrerer Delikte diese insgesamt zu verfolgen sind, oder die Bestrafung nach einem Straftatbestand bei Bestrafung nach einem anderen ausschließt, ist den gesetzlichen Regelungen der materiellen Strafbestimmungen zu entnehmen, nicht jedoch § 22 und § 30 Abs.1 VStG. Diese setzen vielmehr die gesetzliche Anordnung miteinander konkurrierender und daher nebeneinander zu ahndender Strafbestände schon voraus und ordnen als Konsequenz die kumulative Verfolgung sowie die kumulative Bestrafung der mehreren Straftaten an. "Die verfassungsrechtliche Grenze, die Art.4 Abs.1 7. ZPMRK einer Doppel- oder Mehrfachbestrafung zieht, kann nur darin liegen, dass eine Strafdrohung oder Strafverfolgung wegen einer strafbaren Handlung dann unzulässig ist, wenn sie bereits Gegenstand eines Strafverfahrens war; dies ist der Fall, wenn der herangezogene Deliktstypus den Unrechts- und Schuldgehalt eines Täterverhaltens vollständig erschöpft, sodass ein weitergehendes Strafbedürfnis entfällt, weil das eine Delikt den Unrechtsgehalt des anderen Deliktes in jeder Beziehung mitumfasst. Strafverfolgungen bzw. Verurteilungen wegen mehrerer Delikte, die auf Straftatbeständen fußen, die einander wegen wechselseitiger Subsidiarität, Spezialität oder Konsumtion jedenfalls bei eintätigem Zusammentreffen ausschließen, bilden verfassungswidrige Doppelbestrafungen, wenn und weil dadurch ein - und dieselbe strafbare Handlung strafrechtlich mehrfach geahndet wird."

"In Fällen, in denen wie hier eine Handlung gesetzt wird, die sowohl unter die Strafdrohung des § 130 Abs.5 Z1 bzw. Abs.1 Z15 oder Z16 ASchG als auch unter die des § 80 bzw. § 88 StGB fällt, wird zwar in der Regel davon auszugehen sein, dass das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung bzw. Tötung gemäß § 80 bzw. § 88 StGB den Unrechts- und Schuldgehalt des Delikts des § 130 Abs.5 Z1 bzw. Abs.1 Z15 oder Z16 ASchG vollständig erschöpft. Weder aus dem Wortlaut des § 130 ASchG noch aus dem Wortlaut der übrigen Bestimmungen des ASchG ergibt sich aber, dass bei der Ahndung der Delikte gemäß § 130 ASchG die Annahme einer Scheinkonkurrenz vom Gesetzgeber ausgeschlossen wäre; diese ist vielmehr gegebenenfalls aus dem Erfordernis, eine Gesetzesbestimmung einer - soweit möglich - verfassungskonformen Auslegung zuzuführen, geboten. Weder der bloße Wegfall der Subsidiaritätsklausel noch die von den UVS ins Treffen geführte offenbar bewusste Bedachtnahme auf mit der Verwaltungsübertretung zugleich auftretende Arbeitsunfälle oder Gesundheitsschäden in den Materialien zum ASchG lassen eindeutig darauf schließen, dass der Gesetzgeber eine Doppelbestrafung normieren wollte (VfGH 7.10.1998, G51/97. G26/98)."

 

5.2. Im Hinblick auf das gegen den Berufungswerber anhängige Strafverfahren vor dem Bezirksgericht Lambach wegen des Vorwurfs der fahrlässigen Körperverletzung nach § 88 StGB hat daher der Oö. Verwaltungssenat zunächst das Verwaltungsstrafverfahren ausgesetzt. Im Zuge des gerichtlichen Strafverfahrens wurde dem Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung genau jenes Tatverhalten zugrundegelegt, welches auch dem Tatvorwurf des gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahrens zugrunde liegt. Sowohl das gerichtliche Strafverfahren als auch das Verwaltungsstrafverfahren stellen auf die mit dem Arbeitsunfall in direktem Zusammenhang stehende Verletzung der §§ 85, 87 und 88 BauV ab. Es ist daher nach der zitierten Judikatur des Verfassungsgerichtshofes davon auszugehen, dass das Delikt der fahrlässigen Körperverletzung den Unrechts- und Schuldgehalt des Deliktes des § 130 Abs.5 Z1 ASchG vollständig erschöpft. Es darf daher wegen der gegenständlich vorgeworfenen strafbaren Handlungen, die bereits Gegenstand eines gerichtlichen Strafverfahrens waren, gemäß Art.4 Abs.1 7. ZPMRK keine weitere Strafverfolgung mehr erfolgen.

 

Weil die den Beschuldigten vorgeworfenen Taten den Tatbestand einer gerichtlich strafbaren Handlung erfüllen und vom Gericht verfolgt wurden, war von der Fortführung des Strafverfahrens abzusehen, das Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG einzustellen.

 

6. Weil die Berufung Erfolg hatte, entfallen jegliche Verfahrenskostenbeiträge gemäß § 66 Abs.1 VStG.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs-gerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

 

Dr. Klempt

 

Beschlagwortung:

Doppelbestrafungsverbot, gerichtliche Strafverfolgung

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum