Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-300739/2/SR/Ri

Linz, 02.08.2006

 

 

 

VwSen-300739/2/SR/Ri Linz, am 2. August 2006

DVR.0690392

 

 

 

 

 

E R K E N N T N I S

 

 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Christian Stierschneider über die Berufung des A N, Gstraße, G, vertreten durch die einstweilige Sachwalterin S P-A, Verein für Sachwalterschaft, Wstraße, L, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Perg vom 9. Mai 2006, Pol96-150-2005, wegen einer Übertretung des Oö. Polizeistrafgesetzes zu Recht erkannt:

 

 

I. Der Berufung wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren wird eingestellt.

 

II. Der Berufungswerber hat weder einen Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde, noch einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat zu leisten.

 

 

Rechtsgrundlagen:

zu I: §§ 24 und 45 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG iVm. § 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 - AVG;

zu II: § 66 VStG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1.1. Mit Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Perg vom 9. Mai 2006, Pol96-150-2005, wurde über den Berufungswerber (in der Folge: Bw) gemäß
§ 3 Abs. 1 Oö. Polizeistrafgesetz eine Geldstrafe von 36,- Euro, im Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 10 Stunden, verhängt, weil er am 17. November 2005 bis ca. 2:30 Uhr im Stadtgebiet von Grein im Bereich der Gebäude Ufer 5 und Ufer 7 ungebührlicherweise störenden Lärm verursacht habe, indem er in erheblich alkoholisiertem Zustand über eine Stunde lang im vorstehend angeführten Bereich laut geschrieen und mit sich selbst diskutiert habe.

 

Begründend führte die Behörde erster Instanz im Wesentlichen aus, dass der Bw der Aufforderung zur Rechtfertigung nicht nachgekommen sei. Offensichtlich habe er der ihm zur Last gelegten Verwaltungsübertretung nichts entgegenhalten können. Im Hinblick auf die Anzeige der Polizeiinspektion Pregarten (wohl gemeint: Pabneukirchen) sei der Sachverhalt als erwiesen anzusehen.

 

Der Bw habe durch den vorliegenden Sachverhalt den im Spruch genannten Tatbestand verwirklicht und diesen verwaltungsstrafrechtlich zu verantworten, da keine Unstände vorliegen würden, die geeignet seien, sein gesetzwidriges Verhalten zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Die verhängte Strafe sei unter Bedachtnahme auf die soziale und wirtschaftliche Lage des Bw festgelegt worden und entspräche dem Ausmaß seines Verschuldens. Das monatliche Einkommen sei mit 900 Euro angenommen worden. Mildernde oder erschwerende Umstände habe die Behörde erster Instanz nicht gewertet.

 

1.2. Gegen dieses Straferkenntnis, das der einstweiligen Sachwalterin am 23. Juni 2006 zugestellt wurde, richtet sich die rechtzeitig bei der belangten Behörde eingelangte Berufung.

 

In der Begründung führte die Sachwalterin aus, dass der Bw "mangelnde Disposition sowie Diskretionsfähigkeit" aufweise und das Verhalten des Bw schon seit längerer Zeit zumindest demente Auffälligkeiten, die stark im Zunehmen seien, aufzeige. Ein psychiatrisches Gutachten werde gerade erstellt. Der Bw habe massive Schwierigkeiten sich in der Umwelt zurechtzufinden, (Lebenssachverhalte) wahrzunehmen und mit dieser zu kommunizieren. Sein monatliches Einkommen bestehe zur Zeit aus 20 Prozent der Ausgleichszulagenpension.

 

Gerade noch erkennbar wird im Schriftsatz die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses beantragt.

2. Die Bezirkshauptmannschaft Perg hat die Berufung samt dem Bezug habenden Verwaltungsstrafakt, AZ Pol96-150-2005, mit Schreiben vom 6. Juli 2006 zur Berufungsentscheidung vorgelegt.

 

3.1. Der Oö. Verwaltungssenat erhob Beweis durch Einsichtnahme in den Vorlageakt. Da sich bereits daraus in Verbindung mit dem Parteienvorbringen der entscheidungswesentliche Sachverhalt klären ließ und auf Grund der Aktenlage feststeht, dass der mit Berufung angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte im Übrigen gemäß § 51e Abs. 2 Z. 1 VStG die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung entfallen.

 

3.2. Auf Grund der Aktenlage steht folgender relevanter Sachverhalt fest:

 

Laut Anzeige der Polizeiinspektion Pabneukirchen vom 18. November 2005 wurde von der Zeugin P W eine Privatanzeige erstattet. Danach sei der Bw "erheblich alkoholisiert, laut schreiend und mit sich selbst laut diskutierend stadteinwärts durch Grein gegangen". Die Zeugin habe den Eindruck gehabt, dass es sich dabei um mehrere Personen gehandelt habe. In dem unter "Zeugenaussage von W P" wiedergegebenen Absatz wird der Bw nur als "der Mann", der eine Stunde lang geschrieen und mit sich selbst lautstark geredet habe, beschrieben.

 

In der Anzeige werden als Tatzeit "17.11.2005/02.30 Uhr" und als Tatort "Donau Bundestraße 3, Stadtgebiet von Grein, Bereich KFZ-Werkstätte und Tankstelle Grufeneder, Ufer 7, sowie Wohnhaus Familie W, Ufer 5", angeführt.

 

Im Schreiben vom 15. März 2006 fordert die Behörde erster Instanz den Bw zur Rechtfertigung auf. Das eigenhändig übernommene Schriftstück lässt der Bw unbeantwortet.

 

Mit Beschluss des Bezirksgerichtes Perg vom 3. Mai 2006, Zl. 2 P 282/05m-11(2.SW), wurde S P-A, Whofstraße, L als einstweilige Sachwalterin des Bw zur Besorgung dringender Angelegenheiten (§ 120 AußStrG) bestellt. Laut diesem Beschluss hat die einstweilige Sachwalterin folgende dringende Angelegenheiten für den Bw zu besorgen:

"Vertretung vor Gerichten, Behörden, Sozialversicherungsträgern und privaten Vertragspartnern, insbesondere mit dem Umzug des Betroffenen".

 

Begründend wurde ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Erstanhörung des Bw am 13. Jänner 2006 davon auszugehen ist, dass der Bw nicht in der Lage ist, alle seine Angelegenheiten ohne Gefahr eines Nachteils für sich selbst zu besorgen. Das bisherige Verfahren habe ergeben, dass zur Wahrung des Wohls des Bw die in dem Beschluss angeführten Angelegenheiten dringend besorgt werden müssen. Die Bestellung der einstweiligen Sachwalterin werde sofort wirksam.

 

Die einstweilige Sachwalterin hat der Behörde erster Instanz den gegenständlichen Beschluss mit Schreiben vom 31. Mai 2006 übermittelt. Ua. hat sie darauf hingewiesen, dass "in diesem Verfahren eruiert wird, ob der Bw zum Zeitpunkt der Verwaltungsübertretung deliktfähig war".

 

Die Behörde erster Instanz hat den Einwand der "mangelnden Deliktfähigkeit zum Zeitpunkt der Tat" unbeachtet gelassen und das am 9. Mai 2006 erstellte Straferkenntnis am 23. Juni 2006 an die einstweilige Sachwalterin in unveränderter Form neuerlich zugestellt (erstmalige Zustellung am 12. Mai 2006 an den Postbevollmächtigten "Sozialhilfeverband Perg").

 

3.3. Die Anzeige der PI Pabneukirchen dürfte ausschließlich auf Grund der Angaben der Zeugin P W erstellt worden sein. Der Anzeige kann nicht entnommen werden, wann die Privatanzeige erstattet worden ist. Ebenfalls ist nicht erkennbar, ob im Anschluss an die (telefonische?) Anzeige Erhebungen am Tatort vorgenommen worden sind. Jedenfalls wurde die dem Bw angelastete Verwaltungsübertretung vom Meldungsleger nicht dienstlich wahrgenommen. Weiters weist die Anzeige mehrere Widersprüchlichkeiten auf. Einerseits gibt die Privatanzeigerin bekannt, dass ein Mann "stadteinwärts durch Grein" gegangen wäre und andererseits wird festgehalten, dass dieser "eine Stunde lang im Bereich Ufer 7 und Ufer 5 laut geschrieen habe". Nicht aussagekräftig ist auch der festgehaltene Tatzeitpunkt "02.30". Daraus kann nicht abgeleitet werden, ob zu diesem Zeitpunkt die strafbare Handlung begonnen oder geendet hat. Wer die "erhebliche Alkoholisierung" des Bw festgestellt hat, wird ebenfalls nicht festgehalten.

 

Jedenfalls hat der Bw die ihm angelastete Tat bestritten. Wann und wo er mit dem Tatvorwurf konfrontiert wurde, kann aus dem Akt nicht abgeleitet werden. Da weder der die Anzeige aufnehmende Beamte noch die Privatanzeigerin zeugenschaftlich befragt und die nicht unerheblichen Widersprüche geklärt wurden, kann das "Verschweigen" des Bw nicht als Schuldeingeständnis gewertet werden.

 

Darüber hinaus hätte bereits die Behörde erster Instanz nach dem Einlangen des Schriftsatzes der einstweiligen Sachwalterin die Deliktsfähigkeit des Bw einer neuerlichen Beurteilung zu unterziehen gehabt.

 

Aus der Begründung des gegenständlichen Beschlusses des BG Perg, dem Vorbringen der einstweiligen Sachwalterin und dem beschriebenen Verhalten des Bw an der Tatörtlichkeit lässt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit ableiten, dass der Bw zum damaligen Zeitpunkt nicht in der Lage war, das Unrecht der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 3 Abs. 1 Oö. PolStG begeht eine Verwaltungsübertretung, wer ungebührlicherweise störenden Lärm erregt.

 

Nach § 3 Abs. 2 leg.cit. sind unter störendem Lärm alle wegen ihrer Lautstärke für das menschliche Empfinden unangenehm in Erscheinung tretenden Geräusche zu verstehen.

 

Gemäß § 3 Abs. 3 leg.cit. ist störender Lärm dann als ungebührlicherweise erregt anzusehen, wenn das Tun oder Unterlassen, das zur Erregung des Lärmes führt, gegen ein Verhalten verstößt, wie es im Zusammenleben mit anderen verlangt werden muss und jene Rücksichtnahme vermissen lässt, die die Umwelt verlangen kann.

 

4.2. Die Strafbarkeit ist bereits gegeben, wenn die Lärmerregung nach einem objektiven Maßstab geeignet erscheint, von anderen nicht beteiligten Personen als ungebührlich und störend empfunden zu werden, wobei bei der Beurteilung die Erfahrungen des täglichen Lebens gelten.

 

Lärm wird ungebührlicherweise erregt, wenn das Verhalten, das zur Erregung des Lärms führt, jene Rücksicht vermissen lässt, die im Zusammenleben verlangt werden kann (vgl. VwGH 24.5.1982, 3015/80; 17.9.1984, 84/10/0109).

 

Für den Tatbestand der ungebührlichen Erregung störenden Lärms ist es nicht erforderlich, dass der Lärm an einem öffentlichen Ort erregt wird. Ebensowenig fordert das Gesetz, dass durch die Erregung von Lärm mehrere Personen oder gar eine größere Anzahl von Personen gestört werden (vgl. VwGH vom 17.9.1984, 84/10/0109).

 

4.3. Gemäß § 44a VStG hat der Spruch, wenn er nicht auf Einstellung lautet, zu enthalten:

1. die als erwiesen angenommene Tat;

2. die Verwaltungsvorschrift, die durch die Tat verletzt worden ist; ........

 

Nach Lehre und Rechtsprechung kommt dem Spruch des Straferkenntnisses besondere Bedeutung zu. Der Beschuldigte hat ein Recht darauf, schon dem Spruch unzweifelhaft entnehmen zu können, welcher konkrete Tatbestand als erwiesen angenommen, worunter die Tat subsumiert, welche Strafe unter Anwendung welcher Bestimmung über ihn verhängt wurde usw.

 

Der Vorschrift des § 44a Z. 1 VStG ist (nur) dann entsprochen, wenn

a) im Spruch des Straferkenntnisses dem Beschuldigten die Tat in so konkretisierter Umschreibung vorgeworfen ist, dass er (im ordentlichen Verwaltungsstrafverfahren, gegebenenfalls auch in einem Wiederaufnahmeverfahren) in die Lage versetzt wird, auf den konkreten Tatvorwurf bezogene Beweise anzubieten, um eben diesen Tatvorwurf zu widerlegen und

b) der Spruch geeignet ist, den Beschuldigten rechtlich davor zu schützen, wegen desselben Verhaltens nochmals zur Verantwortung gezogen zu werden (siehe hiezu Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens, 6. Auflage, Seite 1521).

 

Ziffer 1 stellt somit klar, dass der den Deliktstatbestand erfüllende Sachverhalt mit allen rechtserheblichen Merkmalen konkretisiert umschrieben werden muss.

 

Auf Grund der widersprüchlichen Angaben in der Privatanzeige, des "festgestellten" Sachverhalts und der Tatanlastung, die teilweise im Widerspruch zu den die Tat konkretisierenden Angaben in der Privatanzeige steht, ist von einer mangelhaften Spruchkonkretisierung auszugehen. Schon aus diesem Grund war das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen.

 

4.4. Für den Fall einer gesetzeskonformen Spruchkonkretisierung hätte die Behörde erster Instanz § 3 VStG in ihre Beurteilung einbeziehen müssen.

 

Nach § 3 Abs. 1 Verwaltungsstrafgesetz 1991 - VStG, ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat wegen Bewusstseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. War diese Fähigkeit zur Zeit der Tat aus einem dieser Gründe vermindert, so ist das nach Abs. 2 als mildernder Umstand bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen.

 

Wie unter Punkt 3.3. ausgeführt, bot der zu beurteilende Sachverhalt eindeutige Hinweise darauf, dass der Bw auf Grund der geschilderten Umstände bereits zur Zeit der Tat unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln. Die dem Bw angelastete Tat geschah zwei Monate vor dieser ersten Einvernahme durch das Bezirksgericht Perg. Sein von der Zeugin beschriebenes Verhalten (längeres unmotiviertes Schreien, Selbstgespräche...) lässt vermuten, dass der Bw bereits zum Tatzeitpunkt nicht in ausreichendem Maße fähig war, einsichtsgemäß zu handeln.

 

4.5. Im Hinblick auf die obigen Überlegungen war der vorliegenden Berufung stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 VStG einzustellen.

 

5. Bei diesem Ergebnis war dem Bw nach § 66 Abs. 1 VStG weder ein Beitrag zu den Kosten des Berufungsverfahrens vor dem Unabhängigen Verwaltungssenat noch ein Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens vor der belangten Behörde vorzuschreiben.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

 

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

 

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 

 

 

Mag. Stierschneider

 

 

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