Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-102186/8/Br

Linz, 10.10.1994

VwSen - 102186/8/Br Linz, am 10. Oktober 1994 DVR.0690392

Erkenntnis

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn Dipl.Ing. O P, Tstraße, W vertreten durch Dr. P W, Rechtsanwalt, Kgasse, L, gegen das Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion W vom 19. Juli 1994, Zl. III-VU-40/94 G, nach der am 10. Oktober 1994 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und Verkündung zu Recht erkannt: I. Der Berufung wird keine F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird vollinhaltlich bestätigt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz 1991, BGBl.Nr. 51, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 866/1992 - AVG, iVm. § 19, § 24, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.2 Verwaltungsstrafgesetz 1991, BGBl. Nr. 52, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 666/1993 - VStG.

II. Dem Berufungswerber werden zuzüglich zu den erstinstanzlichen Verfahrenskosten für das Berufungsverfahren 200 S (20% der verhängten Strafe) auferlegt. Rechtsgrundlage: § 64 Abs.1 u. 2 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bundespolizeidirektion W hat mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis vom 19. Juli 1994, Zl. III-VU-40/94/G, wider den Berufungswerber je zwei Geldstrafen von 500 S und für den Fall der Uneinbringlichkeit je 24 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, weil er am 30. November 1993 um 07.30 Uhr in W, auf der Bstraße bei der Kreuzung mit der Bfstraße, Richtung Norden als Lenker eines Fahrrades nach einem Verkehrsunfall mit Personenschaden, mit dem sein Verhalten am Unfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden sei, es unterlassen habe 1.) hievon die nächste Sicherheitsdienststelle sofort zu verständigen, 2.) ebenfalls habe er trotz des Vorschriftszeichens "Vorrang geben" den Vorrang einer auf dem südlichen Radweg der Bahnhofstraße in westlicher Richtung fahrenden Fahrradlenkerin nicht beachtet, indem er sie zum unvermittelten Abbremsen ihres Fahrzeuges genötigt habe.

Zu 1.) wurde als verletzte Rechtsnorm § 4 Abs.2 iVm § 99 Abs.2 lit.a und zu 2.) § 19 Abs.7 iVm § 19 Abs.4 und § 99 Abs.3 lit.a StVO herangezogen.

1.1. Begründend führt die Erstbehörde im wesentlichen aus, daß der Berufungswerber trotz des Wissens über die herbeigeführte Verletzung an der Zweitbeteiligten nicht sofort die Meldung bei der nächsten Polizeidienststelle erstattet habe. Diese Meldepflicht bestehe schon, wenn dem Betroffenen objektive Umstände zum Bewußtsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zum Bewußtsein hätten kommen müssen aus denen eine Verletzung einer Person erkannt werden hätte können. Die Vorrangverletzung stützte die Erstbehörde auf die Angaben der zweitbeteiligten Radfahrerin.

2. In der dagegen fristgerecht erhobenen Berufung führt der Berufungswerber sinngemäß aus, daß sein Verhalten mit diesen Unfall nicht in ursächlichem Zusammenhang gestanden habe. Er habe rechtzeitig vor dem Radweg angehalten gehabt. Ferner sei auch die Verletzung der Radfahrerin nicht erkennbar gewesen. Auf seine an die Radfahrerin diesbezüglich gestellte Frage habe diese eine Verletzung verneint. Die gegenteiligen Aussagen der Radfahrerin seien daher falsch. Die Radfahrerin habe ihre Fahrweise auch nicht den Straßenverhältnissen angepaßt gehabt. 3. Die Erstbehörde hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt. Da jeweils keine 10.000 S übersteigenden Strafen verhängt worden sind, ist der Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Mitglied zur Entscheidung berufen. Weil der Berufungswerber die Übertretungen dem Grunde nach bestreitet war eine öffentliche mündliche Verhandlung anzuberaumen (§ 51e Abs.1 VStG).

3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bundespolizeidirektion W Zl. III-VU-40/94/G, die Vernehmung der Zeugin S S und die Vernehmung des Berufungswerbers als Beschuldigten im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung.

4. Nachfolgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt steht fest: 4.1. Der Berufungswerber lenkte am 30. November 1993 um 07.30 Uhr ein Fahrrad auf der Bstraße in Richtung B. Bei der Annäherung an die Kreuzung mit Bstraße - Bstraße fuhr der Berufungswerber mit geringer Geschwindigkeit unmittelbar vor der von rechts auf dem Radfahrweg herannahenden Zeugin S in die Kreuzung ein. Er hatte in seiner Fahrtrichtung das Verkehrszeichen "Vorrang geben" zu beachten. Aufgrund der Unübersichtlichkeit dieser Kreuzung war eine gegenseitige Gefahrenerkennung erst knapp vor der Kollision möglich. Der Berufungswerber befand sich zum Zeitpunkt des Bremsentschlusses der Zeugin bereits so weit in der Kreuzung, daß deren Fahrlinie durch ihn tangiert war bzw. damit jedenfalls gerechnet werden mußte. Die dadurch bei Frau Stefely veranlaßte Bremsung brachte sie auf dem schneebedeckten Radweg zu Sturz. Die Zeugin wurde dabei verletzt und ihr Fahrrad beschädigt. Hinsichtlich einer allfälligen Verletzung gab Frau S gegenüber dem ihr sofort Hilfe gewährenden Berufungswerber an, daß sie Schmerzen am Rücken verspüre. In weiterer Folge wiesen die Beteiligten einander ihre Identität nach. Eine Verständigung der nächsten Sicherheitsdienststelle unterblieb vorerst. Die Anzeige bei der Polizei erfolgte durch die Zeugin erst über das Anraten durch ihren Arzt am 6. Dezember 1993. Die Staatsanwaltschaft W hat die Anzeige der Bundespolizeidirektion W vom 25.1.1994, unter 3 BAZ 4202/94, gemäß § 90 StPO am 9. Februar 1994 zurückgelegt. Dieses Beweisergebnis stützt sich insbesondere auf die glaubwürdigen Angaben der Zeugin S. Die Zeugin vermochte sich in überzeugender Weise daran zu erinnern, daß der Unfallgegner sich zum Zeitpunkt ihrer zum Sturz führenden Bremsung unmittelbar im Begriff war ihre Fahrlinie zu kreuzen und er sich auch in Bewegung befunden hatte. Diese Angabe ist schon deshalb glaubhaft, weil wohl nicht davon auszugehen ist, daß die Zeugin grundlos gebremst hätte und daher eine Kausalität zum Verhalten des Berufungswerbers nicht vorläge. Die Glaubwürdigkeit der Zeugin erfährt jedenfalls nicht dadurch eine Einbuße, weil die Zeugin nicht (mehr) exakt die Entfernung zum Unfallgegner zum Zeitpunkt ihrer Wahrnehmung angeben konnte. Sie gab an, "der Berufungswerber sei relativ knapp hervorgekommen. Unmittelbar nach dem Sturz habe sich der Berufungswerber knapp links neben ihr befunden." Dies bestätigt die Angabe der Zeugin, daß sie wegen des unmittelbar bevorstehenden Kreuzens ihrer Fahrlinie durch den Berufungswerber zur Bremsung verhalten wurde. Selbst nicht einmal die Verantwortung des Berufungswerbers läßt konkret ableiten, daß sein Verhalten nicht unfallskausal gewesen wäre. Der Einwand des mangelnden Verschuldens ist dabei belanglos. Selbst wenn er die Fahrlinie der Zeugin noch nicht tangiert hätte, wäre der Sturz immer noch auf die, durch sein Einfahren in die Kreuzung, bei der Zeugin herbeigeführte Bremsung zurückzuführen gewesen, womit sich auch logisch die ursächliche Beteiligung am Unfall und die Vorrangmißachtung ergibt. 5. Rechtlich hat der O.ö. Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Sind bei einem Verkehrsunfall Personen verletzt worden, so haben die im § 4 Abs.1 StVO 1960 (alle Personen deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht) genannten Personen u.a. auch die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen....

Kommt ein Radfahrer zu Sturz, muß mit einer hohen Wahrscheinlichkeit mit Verletzungen des Radfahrers gerechnet werden. Umsomehr wenn von der Beteiligten auf Schmerzen hingewiesen wurde. Es wird diesbezüglich auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, wonach auch der nicht offenbar unbegründete - Verdacht, daß eine andere Person verletzt worden sein könnte, genügt, um die Meldepflicht auszulösen (vgl. ua VwGH vom 22.3.1991, 90/18/0266). Es kommt nicht auf den Grad der Verletzung an, auch nicht nennenswerte Verletzungen lösen die Verständigungspflicht nach § 4 Abs.2 aus (VwGH 27.4.1984, 83/02/0392 = ZfVB 1984/6/3415; 20.4.1988, 87/02/0118 = ZfVB 1989/1/152). Kommt bei einem Verkehrsunfall ein Radfahrer zu Sturz, muß mit Verletzungen gerechnet werden, auch wenn solche nicht äußerlich erkennbar sind (VwGH 25.11.1985, 85/02/0208 = ZFVB 1986/3/1349).

Eine Vorrangverletzung liegt dann vor, wenn ein "wartepflichtiges Fahrzeug" durch "Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen" die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) zum unvermittelten Abbremsen oder Auslenken ihrer Fahrzeuge nötigt (§ 19 Abs.7 StVO 1960). Ist vor einer Kreuzung das Vorschriftszeichen "Vorrang geben" oder "Halt" angebracht, so haben sowohl die von rechts als auch die von links kommenden Fahrzeuge den Vorrang.....(§ 19 Abs.4 StVO 1960). Der Vorrang erstreckt sich auf den gesamten Kreuzungsbereich, dessen Umfang sich nach den Abgrenzungen der Überschneidungen der Straßen bestimmt (OGH 20.10.1981, ZVR 1982/234). Im Sinne des Vertrauensgrundsatzes war die bevorrangte Verkehrsteilnehmerin ab dem Zeitpunkt verpflichtet ihr Fahrzeug abzubremsen, als sie erkannte, daß der benachrangte Verkehrsteilnehmer ihren Vorrang nicht beachten werde (Vertrauensgrundsatz, § 3 StVO 1960). Die Zeugin hat sich durch das Abbremsen ihres Fahrzeuges völlig gesetzeskonform verhalten und konnte dadurch offenbar einen Verkehrsunfall unter "noch nachteiligerer Mitbeteiligung" auch des Zweitbeteiligten verhindern. Der Inhalt der Wartepflicht zerfällt in eine zeitliche Komponente, die besagt, wenn der Wartepflichtige weiterfahren darf, und in eine örtliche Komponente, die besagt, bis zu welcher Stelle der Wartepflichtige vorfahren darf, um den Zeitpunkt des endgültigen Weiterfahrens abzuwarten. Hiefür müssen die örtlichen Verhältnisse, insbesondere die Sichtverhältnisse, in Betracht gezogen werden (OGH 7.4.1976, 8 Ob 36/76). Eine Vorrangverletzung liegt auch dann vor, wenn zwar eine nachträgliche Berechnung allenfalls ergäbe, daß die Fahrzeuge nicht zusammengestoßen wären, falls jedes Fahrzeug mit der von ihm eingehaltenen Geschwindigkeit weitergefahren wäre, der Vorrangberechtigte aber unter dem Eindruck der augenblicklichen Verkehrssituation Maßnahmen zur Verhinderung eines Zusammenstoßes trifft, die vom Standpunkt eines sorgfältigen Lenkers aus geboten erscheinen (OGH 7.9.1978, 8 Ob 138/78). Der Lenker eines benachrangten Fahrzeuges hat sich Gewißheit zu verschaffen, daß er kein anderes (bevorrangtes) Fahrzeug in seiner Bewegung behindert (vgl. Dietrich-Stolzlechner, StVO 1960 1960, Anm. 74 zu § 19 StVO 1960). Entgegen der im Rahmen der Verhandlung sinngemäß zum Ausdruck gebrachten Rechtsansicht des Berufungswerbers, muß der Benachrangte auch dann den Vorrang beachten, wenn er keine Einsicht in den bevorrangten Verkehr hat (OGH, 20 Ob 24/92). Aus diesen Darlegungen wird deutlich, daß dem Verhalten des Berufungswerbers geradezu in typischer Weise der Charakter einer Vorrangverletzung zukommt. Das hiedurch herbeigeführte "unvermittelte Abbremsen" ist aus der Sicht der in ihrem Vorrang verletzten Radfahrerin wohl die einzige adäquate Gegenmaßnahme zur Verhinderung einer Kollision gewesen. Dem Schutzzweck der Bestimmung des § 19 Abs.4 u. 7 StVO 1960 hat der Berufungswerber daher ganz offenkundig zuwidergehandelt. 5.1.1. Nach § 99 Abs.6 lit.c StVO 1960 läge eine Verwaltungsübertretung etwa dann nicht vor, wenn eine in Abs. 2, 2a, 2b, 3 oder 4 bezeichnete Tat den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung verwirklicht. Aus der Aktenlage ergibt sich, daß das Gericht - für welches eine andere Beurteilungsdogmatik gegeben ist - einen solchen offenbar nicht als gegeben gesehen hat. 5.1.2. Bei den vom Berufungswerber gestellten weiteren Beweisanträgen handelt es sich teilweise um Ausforschungsbeweise, welchen der unabhängige Verwaltungssenat nicht nachzukommen hat (VwGH 13.11.1991, 91/03/0258). Mit der Beischaffung eines medizinischen Gutachtens zum Beweis dafür, daß diese hier vorliegende Körperverletzung an sich eine in den Zuständigkeitsbereich eines Gerichtes fallende strafbare Handlung bildet, geht hier schon deshalb ins Leere, weil im Rahmen dieses Verfahrens nicht die Frage des Verschuldens hinsichtlich einer Körperverletzung, sondern jene einer Vorrangverletzung zu klären war. Die Frage der Vorrangverletzung hatte im Rahmen der Würdigung der Zeugenaussage der Zweitbeteiligten zu erfolgen. Das vom Berufungswerber in diesem Zusammenhang beantrage Gutachten eines Sachverständigen aus dem Verkehrswesen wäre nicht über das hier vorliegende Beweisergebnis hinaus für die Beurteilung geeignet, ob das Verhalten des Berufungswerbers für den Sturz der Zeugin kausal gewesen ist. Diesen Anträgen war daher nicht nachzukommen.

5.2. Bei der Strafzumessung ist gemäß § 19 VStG Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der § 32 bis § 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.

5.3. Konkret ist hiezu auszuführen, daß die Erstbehörde in Punkt 1.) ohnedies die gesetzliche Mindeststrafe verhängt hat. Als Milderungsgrund kommt die Tatsache der Unbescholtenheit zum Tragen. Die Voraussetzungen für die Anwendung des § 20 VStG liegen deshalb aber nicht vor, weil hier von einem beträchtlichen Überwiegen der Milderungsgründe nicht ausgegangen werden kann. Auch in Punkt 2.) kann der Strafe mit 500 S nicht entgegengetreten werden. Auch die Einkommensverhältnisse des Berufungswerbers liegen erheblich über dem Durchschnitt.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. B l e i e r

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