Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-102956/7/Br

Linz, 18.07.1995

VwSen-102956/7/Br Linz, am 18. Juli 1995 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr.Bleier über die Berufung des Herrn H P, B, gegen ein Straferkenntnis mit der Aktenzahl VerkR96-6238-1994-SR/GA, in Punkt I. vor der öffentlichen mündlichen Verhandlung und in Punkt II. nach der öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht erkannt:

I. Das in dieser Sache erlassene Erkenntnis, VwSen 102929/2/Br, vom 19. Juni 1995 (Zurückweisung der Berufung) wird unter Anwendung des § 52a Abs.1 VStG aufgehoben.

II. In der Sache selbst wird der Berufung keine F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird bestätigt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl.Nr.

51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 866/1992 - AVG iVm § 24, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 u. § 51i und ad. I. § 52a Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 666/1993 - VStG.

III. Als Kosten für das Berufungsverfahren werden dem Berufungswerber im Punkt II. zuzüglich zu den erstinstanzlichen Verfahrenskosten 400 S (20% der verhängten Strafe) auferlegt.

Rechtsgrundlage:

§ 64 Abs.1 u.2 VStG Entscheidungsgründe:

Zu I.

1. Der Berufungswerber benannte mit seinem Schreiben (Berufung) vom 11. Juni 1995 an den unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich die bescheiderlassende Behörde nicht. Aus diesem Grunde wurde seine Berufung zurückgewiesen.

Weil er jedoch binnen offener Frist, nämlich am 22. Juni 1995, die inhaltsgleiche Berufung auch bei der Erstbehörde einbrachte - was zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung dem Verwaltungssenat nicht bekannt sein konnte - erweist sich nun der Zurückweisungsbescheid objektiv als rechtswidrig.

Von Amts wegen kann ein rechtskräftiger erstinstanzlicher Bescheid, durch den zum Nachteil des Bestraften das Gesetz offenkundig verletzt worden ist, von der Behörde, die ihn erlassen hat, oder von der sachlich in Betracht kommenden Oberbehörde aufgehoben oder abgeändert werden. Das Gleiche steht den unabhängigen Verwaltungssenaten für die von ihnen erlassenen rechtskräftigen Erkenntnisse zu. Auf die Ausübung dieses Rechtes hat niemand einen Rechtsanspruch (§ 52a Abs.1 VStG).

Zu II.

1.1. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat mit dem angefochtenen Straferkenntnis, Zl.: VerkR96-6238/1994-SR/GA, vom 6.6.1995, wider den Berufungswerber wegen der Übertretung nach § 16 Abs.1 lit.c iVm § 99 Abs.3 lit.a StVO eine Geldstrafe in der Höhe von 2.000 S und im Nichteinbringungsfall 48 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und im Spruch zur Last gelegt:

"Sie haben am 12.12.1994 um 05.45 Uhr den PKW, Kennzeichen auf der B von O in Richtung L gelenkt und dabei zw. Str.km 8,950 und 8,6 überholt, obwohl Sie nicht einwandfrei erkennen konnten, ob Sie Ihr Fahrzeug nach dem Überholvorgang ohne Gefährdung oder Behinderung anderer Straßenbenützer wieder in den Verkehr einordnen können." 1.2. Begründend führte die Erstbehörde aus wie folgt:

"Die im Spruch angeführte Übertretung ist durch die eigene, dienstliche Wahrnehmung eines Straßenaufsichtsorganes erwiesen.

In Ihrem Einspruch führen Sie im wesentlichen aus, daß es richtig sei, daß Sie überholt hätten. Grundsätzlich wäre zwar die Kurve am Tatort zumindest tagsüber unübersichtlich, zur Tatzeit hätte dies aber nicht gegolten, da klare Nacht herrschte und Sie eventuell herannahenden Gegenverkehr auf Grund der Scheinwerfer hätten erkennen können. Im großen und ganzen seien aber die vom Meldungsleger angefertigten Lichtbilder mit dem darauf eingezeichneten Überholweg korrekt.

Zeugenschaftlich einvernommen, bestätigt der Meldungsleger seine in der Anzeige gemachten Angaben. Er beschreibt detailliert, daß er von seinem Standort bei der Bushaltestelle aus beobachten konnte, wie Sie drei PKWs überholten, wobei sich der Überholvorgang allerdings bis in die unübersichtliche Kurve hineinzog.

Die Behörde hat dazu erwogen:

Gemäß § 16 Abs. 1 lit. c StVO 1960 darf der Lenker eines Fahrzeuges unter anderem dann nicht überholen, wenn er nicht einwandfrei erkennen kann, daß er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern. Daraus ergibt sich, daß der Tatbestand § 16 Abs.1 lit.c StVO 1960 schon dann vollendet ist, wenn der Lenker den Überholvorgang begonnen hat, ohne geprüft und einwandfrei erkannt zu haben, daß er andere Straßenbenützer weder gefährden noch behindern kann, wobei eine konkrete Behinderung überhaupt nicht erforderlich ist. Es ist dabei auch unerheblich, ob ein einziges oder mehrere Fahrzeuge überholt werden.

Im konkreten Fall geben Sie selbst an, daß die Kurve unübersichtlich ist und Sie sich allein darauf verließen, daß Sie eventuell herannahenden Gegenverkehr am Scheinwerferlicht erkennen würden. Das Verlassen, herannahenden Gegenverkehr auf Grund des Scheinwerferlichtes erkennen zu können, kann sicherlich nicht als "einwandfreies Erkennen" im Sinne des § 16 Abs.1 lit.c StV0 1960 angesehen werden.

Unter Zugrundelegung der zeugenschaftlichen Aussage des Meldungslegers sowie Ihrer eigenen Rechtfertigung besteht für die Behörde daher keinerlei Zweifel an der Richtigkeit der Anzeige und es war sohin spruchgemäß zu entscheiden.

Dem Strafausmaß wurden gemäß § 19 VStG. 1991 Ihre persönliche, finanzielle Situation sowie die Schwere der Übertretung zu Grunde gelegt. Gerade vorschriftswidrige Überholmanöver sind immer wieder die Ursache für schwerste Verkehrsunfälle. Mildernd konnte Ihre bisherige Unbescholtenheit gewertet werden, erschwerende Umstände traten in diesem Verfahren nicht zu Tage. Die Vorschreibung der Verfahrenskosten ist gesetzlich begründet." 2. Dagegen wendet sich der Berufungswerber mit seiner fristgerecht bei der Erstbehörde eingebrachten Berufung:

" Betreff. VerkR96-6238-1994-SR/GA Mein Zeichen: DR.M/VA Gegen o.a. Straferkenntnis erhebe ich in offener Frist das Rechtsmittel der B E R U F U N G Begründungen:

* Im bisherigen Verfahrensverlauf wurden die von mir zur Entlastung vorgebrachten Argumente und Beweise (Weg Zeitdiagramme, Hinweise auf Falschaussagen des Gendarmen, der die Anzeige eingebracht hat, etc.) negiert.

* Offensichtliche Fehler, Widersprüche und Diskrepanzen wurden nicht zur Kenntnis genommen oder stark verfälscht interpretiert.

* Das Verfahren wurde nicht sachlich - objektiv, sondern tendenziös geführt. Beispiel: Die verbindliche Vorladung für 2.2.1995 wurde zwar durch das Schreiben des Hr.

Bezirkshauptmannes relativiert, als ordnungsliebender Staatsbürger hielt ich diesen Termin aber ein, um mir allfällige Nachteile zu ersparen. Allerdings war der zuständige Sachbearbeiter, der Tag und Uhrzeit meiner Vorladung vorgab, exakt an jenem Tag wegen Urlaubes nicht anwesend.

Wegen eines Auslandaufenthaltes vom 15. Juni bis 23. Juni 1995 bin ich unter meiner im Briefkopf angeführten Wohnadresse nicht erreichbar.

Mit der Bitte um Kenntnisnahme (e.h. Unterschrift des Berufungswerbers.)" 3. Die Erstbehörde hat den Akt zur Berufungsentscheidung vorgelegt; somit ist die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gegeben. Dieser ist, da keine 10.000 S übersteigende Strafe verhängt wurde, durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zur Entscheidung berufen. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung war erforderlich, weil die zur Last gelegte Übertretung vom Berufungswerber teilweise auch inhaltlich bestritten wurde (§ 51e Abs.1 VStG).

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme und Erörterung des Inhaltes des Verwaltungsstrafaktes der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung, Zl.:

VerkR96-6238-1994-SR/GA, anläßlich der im Rahmen eines Ortsaugenscheines durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung am 18. Juli 1995; Beweis erhoben wurde schließlich auch durch Vernehmung des Meldungslegers als Zeugen und des Berufungswerbers als Beschuldigten und zuletzt durch Berechnung des Überholprofils.

5. Folgender Sachverhalt gilt aufgrund des durchgeführten Beweisverfahrens als erwiesen:

5.1. Der Berufungswerber lenkte zum o.a. Zeitpunkt sein Fahrzeug auf der R Bundesstraße in Richtung L. Auf Höhe des bei Strkm 8,9 im dort gelegenen Bushaltestellenbereiches Verkehrsüberwachung versehenden BezInsp. E überholte der Berufungswerber mit einer Fahrgeschwindigkeit von ca. 100 km/h drei mit 70 km/h knapp hintereinander fahrende Pkw's.

Die Überholsichtweite betrug an dieser Stelle in Richtung Osten (L) 254 Meter. Bei dem vom Berufungswerber gelenkten Fahrzeug handelte es sich um ein 65 PS-starkes, 1.100 kg schweres, 165 cm breites Fahrzeug. Unter sämtlichen zugunsten des Berufungswerbers getätigten Annahmen eines optimalen und zügigen Aus- und Einscherens in die rechte Fahrspur beanspruchte der Überholvorgang 270 Meter, wobei hiefür eine Zeit von etwa 10 Sekunden benötigt wurde. Dies bedeutet, daß es im Falle eines mit 100 km/h zu erwartenden Gegenverkehrs etwa in der Mitte des Überholweges zu einer sehr gefährlichen Situation gekommen wäre.

5.2. Dieses Beweisergebnis stützt sich auf die glaubwürdigen Aussagen des BezInsp. E und das Ergebnis des Ortsaugenscheines. Der Straßenverlauf wurde von der vom Berufungswerber glaubhaft als Überholbeginn bezeichneten Stelle mittels Lasermeßgerät in Richtung des Scheitelpunktes der Rechtskurve vermessen und dabei eine Sichtweite von 254 Meter festgestellt. Diese Messung erfolgte vom linken Fahrbahnrand aus, sodaß schon darin ein für den Berufungswerber jedenfalls günstigerer Meßwert erzielt wurde (möglichst realistische Positionierung aus der Sicht des Berufungswerbers). Wenn der Berufungswerber im Gegensatz zum Meldungsleger vermeinte er habe einen (diesen) Überholvorgang erst später eingeleitet und der Meldungsleger sei bei seiner Wahrnehmung im Irrtum, so ist dem zu entgegnen, daß die selektive Wahrnehmung des Straßenaufsichtsorganes in dieser Situation ungleich günstiger und von weniger Fehlerquellen beeinflußt ist, als dies für einen in der Dunkelheit überholenden Kfz-Lenker der Falls ist, welcher seine gesamte Aufmerksamkeit für das Lenken des Fahrzeuges und die Verkehrsbeobachtung aufzuwenden hat. Es ist schließlich undenkbar, daß ein Organ der Straßenaufsicht darin irrte, ob etwa ein Fahrzeug auf Höhe seiner Standposition überholte oder nicht. Nicht zuletzt deckt sich schließlich auch die rechnerische Rekonstruktion mit den Angaben des Zeugen, indem dieser das Ende des Überholvorganges etwa bei Strkm 8,6 bezeichnete.

Dies stimmt schließlich mit der Überholwegstrecke von etwa 300 Metern überein. Der Überholweg wurde mit dem Computerprogramm für Unfallrekonstruktionen von Prof. Dr. G, KFZ-Sachverständiger, errechnet.

6. Rechtlich ist zu bemerken, daß gemäß § 16 Abs. 1 lit. c StVO, wenn er nicht einwandfrei erkennen kann, daß er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern......

Eine konkrete Behinderung oder Gefährdung ist nach dem Tatbild des § 16 Abs.1 lit.c nicht erforderlich (VwGH 29.8.1990, 90/02/0044 u.a.). Die Zulässigkeit des Überholens ist nicht vom Endpunkt des Überholmanövers, sondern von dessen Beginn aus zu beurteilen (VwGH 20.11.1967, ZVR 1969/11). Ferner setzt die Entscheidung über die Zulässigkeit des Überholmanövers grundsätzlich die Feststellung jener Umstände voraus, die für die Länge der für den Überholvorgang benötigten Strecke von Bedeutung sind, das sind in erster Linie die Geschwindigkeiten des Überholenden und des (der) zu überholenden Fahrzeuge(s).

Ebenso sind vor dem Überholmanöver Umstände zu beurteilen, welche einem Wiedereinordnen in den Verkehr entgegenstehen könnten (VwGH 12.3.1986, 85/03/0152). Aus dieser Sicht erfolgte der hier vorliegende Überholvorgang entgegen den Vorschriften des Straßenverkehrs.

Nach der Judikatur genügt die bloße Wahrnehmung eines derartigen Überholvorganges durch ein Organ der Straßenaufsicht und die einem derartigen Organ zuerkannte Qualifikation für die Beurteilung eines Tatbildes nach § 16 Abs.1 lit.c StVO (VwGH 27.2.1992, Zl. 91/02/0145). Die letztgenannte Entscheidung bezieht sich auf einen Vorfall an genau dieser Örtlichkeit.

7. Gemäß § 19 VStG ist Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat.

Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der § 32 bis § 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.

7.1. Überholmanöver an unübersichtlichen Straßenstellen sind immer wieder die Ursachen schwerer Verkehrsunfälle, weshalb sowohl Gründe der Spezialprävention als auch der Generalprävention eine Geldstrafe im Ausmaß von 2.000 S in jeder Hinsicht gerechtfertigt erscheinen lassen. Den diesbezüglichen Ausführungen der Erstbehörde ist vollinhaltlich beizutreten.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.Ö. Verwaltungssenat:

Dr. B l e i e r

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum