Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420039/9/Schi/Ka

Linz, 20.07.1993

VwSen - 420039/9/Schi/Ka Linz, am 20. Juli 1993 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Christian Schieferer über die Beschwerde des H V, S, B, vertreten durch Rechtsanwälte Dr. E - Dr. W, M, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsund Zwangsgewalt durch vorläufige Abnahme des Führerscheines in Zurechnung der Bezirkshauptmannschaft Braunau/Inn nach öffentlicher mündlicher Verhandlung am 9. Juli 1993, mündlich verkündet am 20. Juli 1993, zu Recht:

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die vorläufige Abnahme des Führerscheines am 19. März 1993 um 1.15 Uhr am Gendarmerieposten M als rechtswidrig festgestellt.

Rechtsgrundlage: Art.129a Abs.1 Z2 B-VG iVm §§ 67a Abs.1 Z2 und § 67c Abs.3 AVG iVm § 76 Abs.1 KFG 1967.

II. Die Bezirkshauptmannschaft Braunau/Inn als belangte und hinsichtlich der festgestellten Rechtswidrigkeit für den Bund tätig gewordene Behörde ist gemäß § 79a AVG verpflichtet, die mit 16.690 S zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig bestimmten Kosten dem Beschwerdeführer zu Handen seines Vertreters binnen 14 Tagen ab der Zustellung dieses Erkenntnisses bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsgrundlage: § 79a AVG Entscheidungsgründe:

zu I.:

1. Der Beschwerdeführer hat mit Schriftsatz vom 28. April 1993 eine Beschwerde gemäß § 67c iVm § 67a Abs.1 Z2 AVG beim unabhängigen Verwaltungssenat (eingelangt am 29. April 1993) eingebracht, ihm am 19. März 1993 um 1.15 Uhr ein Gendarmeriebeamter des GPK M, Bezirk B den Führerschein abgenommen hat. Er beantragt deshalb, die Ausübung unmittelbarer behördlicher Befehlsund Zwangsgewalt in Form der Abnahme seines Führerscheines für rechtswidrig zu erklären und gemäß § 79a AVG die belangte Behörde, der diese Maßnahmen zuzurechnen ist, zum Ersatz der Kosten für den Beschwerdeschriftsatz in der Höhe von 7.413 S zu verpflichten. Außerdem wurde die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über diese Beschwerde beantragt.

2. Begründend führt der Beschwerdeführer im wesentlichen aus, daß er am 19. März 1993 um etwa 0.05 Uhr seinen PKW auf der B aus U kommend in Richtung B gelenkt habe, wobei ihm in R unmittelbar vor dem Fahrzeug ein Reh über die Fahrbahn gelaufen ist. Durch eine abrupte Auslenkbewegung geriet der PKW soweit nach links, daß das Gegenlenken nach rechts nicht mehr wirksam wurde, weil das linke Vorderrad in den Straßengraben geriet. Am PKW, den er sich erst ca. zwei Wochen vor dem Vorfall um 80.000 S gekauft habe, trat Totalschaden auf, sodaß das Fahrzeug vom ÖAMTC auf einem Anhänger gehoben und weggefahren werden mußte. Einige Minuten nach dem Vorfall traf die Gendarmerie ein; am Gendarmerieposten wurde ein Alkotest vorgenommen, welcher 0,5 und 0,52 mg/l Atemluftalkoholgehalt ergab. Im Anschluß daran, um 1.15 Uhr, wurde ihm von einem Gendarmeriebeamten der Führerschein abgenommen und ihm die Abnahmebestätigung ausgehändigt.

Die Voraussetzungen für die Abnahme des Führerscheines lagen deshalb nicht vor, weil sein PKW so schwer beschädigt worden war, daß er offensichtlich nicht mehr fahrbereit gewesen ist; dies war auch schon an der Unfallstelle klar erkennbar, weil der PKW vom ÖAMTC Pannendienst - der lediglich einen Kilometer von der Unfallstelle entfernt einen Stützpunkt hat abtransportiert werden mußte. Dies zu einem Zeitpunkt, als sich die Gendarmeriebeamten noch mit dem Beschwerdeführer an der Unfallstelle befanden. Weiters sei zum Zeitpunkt der Abnahme des Führerscheines am 19. März 1993 um 1.15 Uhr am Gendarmerieposten M eine weitere Inbetriebnahme des Fahrzeuges auch deshalb unmöglich gewesen, weil sich dieses zu diesem Zeitpunkt bereits durch die Abschleppung in Mattighofen befand. Bei der Beurteilung, ob die Verpflichtung zur vorläufigen Abnahme des Führerscheines besteht, hat sich das einschreitende Organ ausschließlich von dem Bestreben leiten zu lassen, einen drohenden Verkehrsunfall zu verhüten. Da nicht die geringste Befürchtung bestehen konnte, daß der Beschwerdeführer einen PKW wiederum in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand lenken hätte können, sei auch eine unmittelbare Unfallgefahr auszuschließen gewesen, zumal aufgrund des Meßergebnisses und wegen des Abbaues noch ungefähr zwei Stunden die Möglichkeit bestanden hätte, ein Fahrzeug alkoholisiert zu lenken oder in Betrieb zu nehmen.

3. Die belangte Behörde hat mit Schreiben vom 11. Mai 1993 den bezughabenden Verwaltungsakt vorgelegt und auf eine Gegenschrift verzichtet.

4.1. Der unabhängige Verwaltungssenat hat in diesem Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn, VerkR-0302-119/1993/Sch, Einsicht genommen; aus der Aktenlage im Zusammenhalt mit dem Ergebnis der am 9. Juli 1993 stattgefundenen öffentlichen mündlichen Verhandlung, zu der neben den Verfahrensparteien der Zeuge Gr.Insp. J H, Gendarmeriepostenkommando M, geladen wurden, ergibt sich folgender der Entscheidung zugrundegelegte erwiesener Sachverhalt:

4.2. Der Beschwerdeführer lenkte am 18. März 1993 ca. um 23.45 Uhr seinen PKW, in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand auf der B von U in Richtung B bzw B, wobei er bei Strkm.26,000 wegen einem Reh in einer leichten Rechtskurve nach links von der Fahrbahn abkam und in den Straßengraben geriet; dabei fuhr er zwei Leitpflöcke und zwei Schneestangen um und der PKW wurde so schwer beschädigt (Totalschaden), daß er nicht mehr fahrbereit war. Noch während der Anwesenheit des Beschwerdeführers sowie der Gendarmeriebeamten wurde das Fahrzeug vom ÖAMTC-Pannendienst aus einem nahegelegenem ÖAMTC Stützpunkt auf das Pannenfahrzeug gehoben und so abtransportiert, daß der PKW nur mehr auf den Hinterrädern gerollt ist. Danach wurde der Beschwerdeführer aufgefordert, mit den Gendarmeriebeamten zum Gendarmerieposten M zu kommen; dort wurde neben dem Unfallprotokoll um ca. 1.15 Uhr am 19.3.1993 auch ein Alkotest durchgeführt, der positiv verlief (0,50 und 0,52 mg/l). Daraufhin wurde ihm der Führerschein abgenommen und über die Tatsache der Abnahme wurde ihm eine Bescheinigung mit der Blattnummer 6, Blocknummer 86608 übergeben. Danach wurde er von den Gendarmeriebeamten nach Hause gebracht.

5. Aufgrund des festgestellten und als erwiesen angenommenen Sachverhaltes hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

5.1. Gemäß § 76 Abs.1 KFG 1967 haben die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einem Kraftfahrzeuglenker, aus dessen Verhalten deutlich zu erkennen ist, daß er insbesondere infolge eines übermäßigen Alkoholgenußes oder eines außergewöhnlichen Erregungs- oder Ermüdungszustandes nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt, den Führerschein vorläufig abzunehmen, wenn er ein Kraftfahrzeug lenkt, in Betrieb nimmt oder versucht, es in Betrieb zu nehmen.

Bei der Beurteilung, ob die Verpflichtung zur vorläufigen Abnahme des Führerscheines besteht, hat sich das einschreitende Organ sohin ausschließlich von dem Bestreben leiten zu lassen, einen drohenden Verkehrsunfall zu verhüten (vgl. Grubmann, KFG, Manz, Große Gesetzesausgabe, 24d, 3., erweiterte Auflage, S.475). Dabei sind bei der Belassung des Führerscheines strengste Maßstäbe anzulegen. Die Verpflichtung, aber auch die Befugnis zur vorläufigen Abnahme des Führerscheines ist jedenfalls als beendet anzusehen, wenn die geforderten Voraussetzungen ganz oder teilweise weggefallen sind und daher eine unmittelbare Unfallgefahr nicht mehr gegeben ist. Eine Unfallgefahr darf ferner nicht angenommen werden, wenn es dem Führerscheinbesitzer offensichtlich unmöglich ist, ein KFZ zu lenken, oder wenn nicht zu befürchten ist, daß der Führerscheinbesitzer nach Wiedererlangung seiner geistigen und körperlichen Eignung ein KFZ lenkt, in Betrieb nimmt oder versucht, es in Betrieb zu nehmen. Eine nachträglich, dh nach Wegfall der im Gesetz umschriebenen Voraussetzungen einer unmittelbaren Unfallgefahr, erfolgte vorläufige Abnahme des Führerscheines widerspricht dem Gesetz (VwGH 21.11.1984, 84/11/0240).

5.2. Das positive Ergebnis einer Atemluftprobe rechtfertigt für sich allein die vorläufige Abnahme des Führerscheines nicht. Es muß vielmehr aus dem Verhalten des betreffenden Kraftfahrzeuglenkers deutlich zu erkennen sein, daß er aus bestimmten Gründen nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt (VwGH 13.3.1985, 84/11/0062).

In der Beilage zur Anzeige zu GZ.P268/93-Ho, vom 19. März 1993 wurde im Abschnitt A (Beurteilung von Alkoholisierungssymptomen) folgendes ausgeführt): Geruch der Atemluft nach Alkohol: nicht; Gang: sicher; Sprache: verändert; Rötung der Bindehäute: leicht; Benehmen: beherrscht; Sonstige Merkmale: keine.

Das Meßergebnis des Alkotestes hat sodann einen Atemluftalkoholgehalt von 0,50 und 0,52 mg/l erbracht.

Die belangte Behörde hat anläßlich der mündlichen Verhandlung ausgeführt, daß gerade bei einem "jugendlichen" Lenker eines Kraftfahrzeuges im alkoholisierten Zustand jedenfalls anzunehmen ist, daß er nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt und somit die Voraussetzungen des § 76 Abs.1 KFG vorliegen. Hiezu ist zu bemerken, daß diese Aussage in ihrer Allgemeinheit möglicherweise bei vielen jüngeren Kraftfahrzeuglenkern der Fall sein mag; hier ist jedoch das konkrete Verhalten des Beschwerdeführers zu beurteilen; dabei darf keinesfalls ein allgemeiner Erfahrungswert ungeprüft auf einen konkreten einzelnen Fall übertragen werden. Wie sich schon aus der angeführten Beurteilung von Alkoholisierungssymptomen durch die Gendarmeriebeamten ergab, war es daraus nicht ohne weiteres erkennbar, daß der Beschwerdeführer aus bestimmten Gründen nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt (insbesondere: kein Geruch der Atemluft nach Alkohol, sicherer Gang, beherrschtes Benehmen und keine sonstigen Merkmale; lediglich veränderte Sprache und leichte Rötung der Bindehäute.

5.3. Selbst wenn man aber davon ausgeht, daß aus dem Verhalten des Beschwerdeführers zu erkennen war, daß er aus bestimmten Gründen nicht mehr die volle Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besaß, war die vorläufige Abnahme des Führerscheines rechtswidrig: denn nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes muß für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Annahme berechtigt sein, die betreffende Person werde in ihrem die Fähigkeit hiezu ausschließenden Zustand ein Kraftfahrzeug lenken (vgl. VwGH 23.2.1993, 92/11/0064). Diese Annahme wird ua dann nicht gerechtfertigt sein, wenn die gegebenen Umstände darauf schließen lassen, die betreffende Person habe eine allfällige vorangegangene Lenktätigkeit beendet, und nichts dafür spricht, sie werde ungeachtet ihres Zustandes ein Kraftfahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder versuchen, es in Betrieb zu nehmen (VwGH 6.3.1990, 89/11/0257,m.w.N.).

Im vorliegenden Fall hat - wie sowohl aus der Aktenlage als auch bei der mündlichen Verhandlung hervorgekommen ist - der Beschwerdeführer (wenn auch unfreiwillig) eine vorausgegangene Lenktätigkeit infolge des Verkehrsunfalles beendet; bei dem Verkehrsunfall wurde das Kraftfahrzeug des Beschwerdeführers so schwer beschädigt, daß es nicht mehr gelenkt bzw in Betrieb genommen werden konnte; darüber hinaus befand sich sein Fahrzeug zum Zeitpunkt der vorläufigen Abnahme des Führerscheines bereits nach Durchführung der Abschleppung in M. Es war daher für den Beschwerdeführer faktisch unmöglich, daß er das verunfallte und nicht mehr in seinem Gewahrsam befindliche Kraftfahrzeug wiederum lenken oder zu lenken versuchen werde.

Weiters hat die mündliche Verhandlung ergeben, daß dem Beschwerdeführer mangels eines Fahrzeuges in seiner Familie auch kein anderes Fahrzeug zur Verfügung gestanden wäre; der Beschwerdeführer selbst brachte lediglich vor, er besitze lediglich noch ein Mofa, das aber mangels Benzin und Unauffindbarkeit des KFZ-Schlüssels seit längerer Zeit nicht in Betrieb gewesen wäre. Auch in diesem Fall konnte dem Beschwerdeführer nicht entgegengetreten werden, denn zunächst ist eine vorläufige Abnahme des Führerscheines für die Gruppen A und B weder geeignet noch zulässig, eine Fahrt mit einem Mofa zu verhindern; weiters hat sich auch der als Zeuge vernommene Gendarmeriebeamte Gr.Insp. H konkret an den Vorfall nicht mehr erinnern können (er vermutete lediglich aufgrund der Tatsache der vorläufigen Abnahme des Führerscheines, daß irgendein gerechtfertigter Grund vorlag).

5.4. Aufgrund des Verfahrensergebnisses war daher für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Annahme nicht berechtigt, daß der Beschwerdeführer in einem Zustand, in dem er ein Kraftfahrzeug nicht zu beherrschen imstande ist, weil er infolge eines übermäßigen Alkoholgenußes nicht mehr die völlige Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt, (weiter) ein Kraftfahrzeug lenken werde; die vorläufige Abnahme des Führerscheines widerspricht daher dem § 76 Abs.1 KFG.

Bei diesem Verfahrensergebnis war daher die Beschwerde begründet und der Beschwerdeführer wurde durch die angefochtene Maßnahme in seinen Rechten verletzt. Der angefochtene Verwaltungsakt war daher für rechtswidrig zu erklären.

6. Gemäß § 79a AVG steht der Partei, die in Fällen einer Beschwerde wegen der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt obsiegt, der Ersatz der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten zu. Da die Beschwerde Erfolg hatte, hat die belangte Behörde ihre Kosten selbst zu tragen. Der Kostenantrag war daher gemäß den §§ 74 und 79a AVG abzuweisen.

Hinsichtlich der Höhe der zuzusprechenden Kosten erkannte der Verwaltungsgerichtshof am 23.9.1991, 91/19/0162, daß als ähnlichste Kostenregelung jene über den Kostenersatz vor dem VwGH (§§ 47 bis 60 VwGG bzw die darauf gegründete Pauschalierungsverordnung) heranzuziehen sei, wobei sich im Grunde der verschiedenen Mühewaltung die Pauschalsätze um ein Drittel verkürzen.

Es war daher dem Beschwerdeführer antragsgemäß ein Schriftsatzaufwand von 7.413 S und ein Verhandlungsaufwand von 9.277 S, insgesamt sohin ein Betrag von 16.690 S zuzuerkennen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist eine weitere Berufung unzulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Sie muß von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Schieferer

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