Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420041/5/Wei/Shn

Linz, 21.01.1994

VwSen-420041/5/Wei/Shn Linz, am 21. Jänner 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Beschwerde des M I, vertreten durch Rechtsanwalt wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe der Bundespolizeidirektion Linz anläßlich der Zurückschiebung des Beschwerdeführers nach Syrien am 9. Juni 1993 zu Recht erkannt:

I: Der Beschwerde wird Folge gegeben und die am 9. Juni 1993 zwangsweise durchgesetzte Zurückschiebung des Beschwerdeführers nach Damaskus/Syrien wird für rechtswidrig erklärt.

II: Die belangte Behörde (der Bund) hat dem Beschwerdeführer die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten in Höhe von S 7.533,33 (darin enthalten S 120,-Bundesstempel) binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsgrundlagen:

Art.129a Abs.1 Z2 B-VG iVm § 67a Abs.1 Z2 AVG 1991; § 67c Abs.3 AVG 1991; § 79a AVG 1991.

Entscheidungsgründe:

1. Der unabhängige Verwaltungssenat geht aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde vom folgenden Sachverhalt aus:

1.1. Der Beschwerdeführer (im folgenden Bf), ein syrischer Staatsangehöriger, ist am 30. April 1993 ohne gültigen Reisepaß und ohne österreichischen Sichtvermerk als Insasse im Auto eines Schleppers von Ungarn nach Österreich über einen unbekannten Grenzübergang in den Abendstunden eingereist. Der ungarische Schlepper fuhr ein altes graues Taxi, das an der österreichischen Grenze einfach durchgewunken wurde. Für den Fall einer Kontrolle übergab ihm der Schlepper den ungarischen Reisepaß eines Zigeuners, mit dem er sich ausweisen hätte sollen. Der Schlepper brachte den Bf mit dem Taxi direkt nach Linz, wofür ein Betrag von US $ 500,-- zu bezahlen war. Den Reisepaß mußte der Bf wieder zurückgeben (vgl zum Ganzen die fremdenpolizeilichen Niederschriften vom 4. und 18. Mai 1993).

Bis zum 4. Mai 1993 hielt sich der Bf unstet auf. An diesem Tag wurde er festgenommen. Noch am 30. April 1993 stellte er beim Bundesasylamt, Außenstelle Linz, einen Antrag auf Gewährung von Asyl, der mit Bescheid des Bundesasylamtes, Zl.93 01.659-AL, vom 3. Mai 1993 abgewiesen wurde. Das Bundesasylamt hat weiters die aufschiebende Wirkung der Berufung gemäß § 64 Abs.2 AVG im Interesse des öffentlichen Wohles wegen Gefahr im Verzug ausgeschlossen. Begründend führte es unter anderem aus, daß die vom Bf behauptete Verfolgung in Syrien bereits im Jahre 1990 erfolgt und nach Ansicht der Asylbehörde nicht mehr aktuell sei, da der Bf weder nach seiner im Jahre 1990 erfolgten Inhaftierung für 65 Tage, während der er angeblich mittels Elektroschocks gefoltert worden ist, die Flucht ergriffen noch eine weitere Verfolgung nach dieser Inhaftierung behauptet habe. Auch die nach der Genfer Flüchtlingskonvention bzw dem Asylgesetz geforderte Intensität der Verfolgung sei keinesfalls vorhanden gewesen. In der vom Bf dargelegten Verfolgung als Reaktion auf eine öffentliche Zerstörung des Bildes des syrischen Staatspräsidenten, sah die Asylbehörde eine behördliche Maßnahme, die auch in einem demokratischen Rechtsstaat wie Österreich hätte erfolgen können, zumal derartige Übertretungen auch in Österreich strafbar seien.

Eine befristete Aufenthaltsberechtigung gemäß § 8 Asylgesetz 1991 wurde nicht erteilt.

Der Bundesminister für Inneres hat mit Bescheid vom 8. Juni 1993, rechtswirksam erlassen am 9. Juni 1993, Zl.4.342.842/1-3/13/93, die Berufung gegen den negativen erstinstanzlichen Asylbescheid gemäß § 66 Abs.4 AVG abgewiesen.

1.2. Mit Mandatsbescheid vom 4. Mai 1993, Zl.Fr-82.650, ordnete die belangte Behörde gemäß § 41 Abs.1 FrG iVm § 57 AVG gegen den Bf die Schubhaft zur Sicherung der Zurückschiebung an. Dieser Bescheid wurde dem Bf noch am 4. Mai 1993 zu eigenen Handen zugestellt. Er wurde an diesem Tag festgenommen und ins Polizeigefangenenhaus Linz eingeliefert. Anläßlich der fremdenpolizeilichen Einvernahme vom 4. Mai 1993 gab der Bf an, daß er über US $ 25,-- und S 125,-- an Barmittel verfüge. Von der belangten Behörde wurde ihm zur Kenntnis gebracht, daß beabsichtigt ist, ihn gemäß § 35 Abs.1 Z1 FrG zurückzuschieben, da er unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist sei und binnen sieben Tagen betreten wurde.

1.3. Mit Bescheid vom 12. Mai 1993 hat die belangte Behörde den Antrag des Bf vom 6. Mai 1993 auf Erteilung eines Abschiebungsaufschubes gemäß § 36 Abs.2 FrG als unzulässig zurückgewiesen.

Mit Beschluß vom 9. Juni 1993, B 958/93-2, gab der Verfassungsgerichtshof dem Antrag, einer gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 12. Mai 1993 eingebrachten Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen, gemäß § 85 Abs.2 und 4 VerfGG 1953 Folge. In der gleichen Angelegenheit hat der Verfassungsgerichtshof allerdings dann mit Beschluß vom 21. Juni 1993, B 958/93-5, die Behandlung der eingebrachten Beschwerde abgelehnt und begründend unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung (vgl VfSlg 11.719/1988; VfSlg 11.951/1989; VfSlg 12.110/1989) ua ausgeführt, daß ein Bescheid, dem ausschließlich verfahrensrechtliche Wirkung beizumessen ist, den Bf nie in einem materiellen Recht, über das gar nicht entschieden wurde, verletzen kann.

1.4. Mit Bescheid der belangten Behörde vom 7. Juni 1993 wurde der Antrag des Bf vom 19. Mai 1993 auf Feststellung der Unzulässigkeit der Abschiebung bzw Zurückschiebung nach Syrien wegen Vorliegens von Gründen nach § 37 Abs.1 und 2 FrG im Grunde des § 54 Abs.2 FrG als unzulässig zurückgewiesen.

Über die Berufung des Bf vom 23. Juni 1993 hat die Sicherheitsdirektion für mit Bescheid vom 9. Juli 1993, St-136/93 entschieden, daß der angefochtene Bescheid vom 7. Juni 1993 gemäß § 66 Abs.2 AVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Verhandlung und Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde erster Instanz verwiesen wird. Begründend führte die Sicherheitsdirektion aus, daß der Bf die Grenzkontrolle nicht umgangen habe, sondern lediglich durchgewunken wurde. Das gegen ihn geführte Verwaltungsverfahren sei somit richtigerweise als ein solches zur Erlassung einer Ausweisung zu sehen, in welcher über den gestellten Feststellungsantrag nach § 54 FrG materiell entschieden werden könne.

1.5. Der Bf wurde am 9. Juni 1993 durch Organe der belangten Behörde zum Flughafen Wien-Schwechat gebracht und mit Flug Nr. OS 638 der AUA, Planabflug 12.50 Uhr, nach Damaskus/Syrien zwangsweise zurückgeschoben.

Der Beschluß des Verfassungsgerichtshofes, B 958/93-2, vom 9. Juni 1993, mit dem einer Beschwerde gegen den Bescheid der belangten Behörde vom 12. Mai 1993 (Zurückweisung des Antrages auf Abschiebungsaufschub) die aufschiebende Wirkung zuerkannt worden ist, wurde der belangten Behörde per Telefax noch am 9. Juni 1993 um 12.35 Uhr übermittelt. Dem Aktenvermerk vom 9. Juni 1993 ist zu entnehmen, daß Herr ORev. P telefonisch von Mag. B vom Verwaltungsgerichtshof über die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung um 12.50 Uhr informiert worden ist. Herr Panholzer hat in weiterer Folge mit dem Flughafen Wien-Schwechat telefonisch Verbindung aufgenommen und Frau C T von der AUA erreicht. Diese teilte ihm um 12.56 Uhr mit, daß die Maschine, Flug Nr. OS 638, bereits abgemeldet worden und ein Rückruf eines Passagieres nicht mehr möglich sei.

1.6. Mit Erkenntnis des O.ö. Verwaltungssenates, VwSen-400199/4/Wei/Fb, vom 21. Juni 1993 wurde die am 7.

Juni 1993 eingelangte Schubhaftbeschwerde vom 3. Juni 1993 als unbegründet abgewiesen. Aufgrund einer gegen diesen Bescheid eingebrachten Beschwerde ist derzeit zu B 1.419/93 ein Verfahren beim Verfassungsgerichtshof anhängig.

1.7. Mit Schriftsatz vom 19. Juli 1993, eingelangt beim O.ö.

Verwaltungssenat am 23. Juli 1993, hat der Bf die Maßnahmenbeschwerde gemäß Art.129a Abs.1 Z2 B-VG iVm § 67a Abs.1 Z2 AVG erhoben und die kostenpflichtige Feststellung beantragt, daß die Zurückschiebung des Bf nach Syrien am 9. Juni 1993 rechtswidrig war.

2.1. Die Maßnahmenbeschwerde verweist zunächst begründend auf das h Erkenntnis vom 8. Juni 1993, VwSen-420034/6/Gf/La, in der Beschwerdesache des O A, da der gegenständliche Fall nahezu identisch sei. Der Bf habe das Bundesgebiet nicht freiwillig verlassen, sondern sei von Organen der belangten Behörde zwangsweise aus Österreich entfernt worden. Es könne daher kein Zweifel bestehen, daß die Zurückschiebung nach Syrien als Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu bezeichnen sei. Gegen die Zurückschiebung gebe es auch kein Rechtsmittel, da sich die Schubhaftbeschwerde gemäß §§ 51 ff FrG lediglich auf die verhängte Schubhaft beziehe. Die Beschwerde sei daher zulässig.

Die Rechtswidrigkeit der Vorgangsweise der belangten Behörde wird zunächst mit dem Hinweis auf den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes, B 958/93-2, vom 9. Juni 1993, mit dem der Beschwerde gegen den Zurückweisungsbescheid der belangten Behörde vom 12. Mai 1993 die aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde, begründet. Noch vor dem Abflug des Bf sei der belangten Behörde dieser Beschluß bekannt geworden.

Dessen ungeachtet sei die Abschiebung vollzogen worden und damit habe die belangte Behörde den eindeutigen Beschluß eines österreichischen Höchstgerichtes mißachtet. Allein daraus ergebe sich die Rechtswidrigkeit der vorliegenden faktischen Amtshandlung.

Der Bf vertritt weiters die Rechtsansicht, daß im vorliegenden Fall keinesfalls eine "Zurückschiebung" iSd § 35 FrG, sondern vielmehr eine Abschiebung in sein Heimatland vorliege. Er verweise dazu vollinhaltlich auf die Argumentation in der (tatsächlich nicht) beiliegenden VfGH-Beschwerde. Tatsache sei, daß nach dem System des FrG eine Rückschiebung immer nur in jenes Land zulässig sei, aus dem der Fremde unmittelbar eingereist ist. Keinesfalls sei aber eine Zurückschiebung in das Heimatland des Fremden zulässig, wenn dieses nicht direkt der Einreisestaat ist.

Auch insoweit erweise sich seine "Zurückschiebung nach Syrien" als rechtswidrig.

Die Zurückschiebung nach Syrien sei aber auch deshalb unzulässig gewesen, da Gründe des § 37 FrG dieser Zurückschiebung entgegenstehen. Daß der unabhängige Verwaltungssenat gerade im Zurückschiebungsfalle verhalten sei, das Vorliegen dieser Gründe zu prüfen, sei im h Erkenntnis vom 8. Juni 1993 in der Beschwerdesache O A überzeugend dargelegt worden. Auf diese Ausführungen werde vollinhaltlich verwiesen.

Im Asylverfahren als auch im Feststellungsantrag nach § 36 Abs.2 iVm § 37 FrG habe der Bf konkrete Gründe vorgebracht, die es tatsächlich begründet erscheinen ließen, daß in seinem Falle eine konkrete Gefahr iSd § 37 Abs.1 FrG besteht. Er verweise dazu vollinhaltlich auf die dargelegten Ausführungen und auch auf das beiliegende Beweismittelkonvolut. Es sei daher davon auszugehen, daß im Falle des Bf eine konkrete Verfolgungsgefahr iSd § 37 Abs.1 und 2 FrG im Heimatland droht und die Zurückschiebung nach Syrien daher unzulässig gewesen sei.

2.2. Die belangte Behörde hat den Verwaltungsakt vorgelegt und in ihrer Gegenschrift vom 31. August 1993 die kostenpflichtige Abweisung der eingebrachten Maßnahmenbeschwerde beantragt.

Begründend verweist die belangte Behörde zunächst auf ihre im Schubhaftprüfungsverfahren erstattete Gegenschrift vom 8. Juni 1993. Ergänzend wird ausgeführt, daß die belangte Behörde entgegen der Ansicht der Sicherheitsdirektion für nach wie vor die Rechtsmeinung vertrete, daß der Bf unter Umgehung der Grenzkontrolle nach Österreich eingereist und die Zurückschiebung somit zulässig gewesen sei. Dabei bezieht sich die belangte Behörde auf die Niederschrift vom 18. Mai 1993, in der auf Seite 3 festgehalten ist, daß sich der Bf an der (gemeint: ungarischen) Grenze mit dem ungarischen Reisepaß des Zigeuners auswies und an der österreichischen Grenze das Taxi durchgewunken wurde. Nach Ansicht der belangten Behörde sei durchaus anzunehmen, daß der ungarische Reisepaß an das Autofenster gehalten und dadurch dem Grenzkontrollorgan eine legale Einreise vorgetäuscht worden wäre. In seinem Erkenntnis vom 8. Juni 1993, VwSen-420034/6/Gf/La, habe der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich das bloße Herzeigen eines fremden Reisepasses und das nachfolgende Unbeanstandetbleiben durch das Grenzkontrollorgan als Umgehung der Grenzkontrolle angesehen.

Was den Beschluß des Verfassungsgerichtshofes auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung betrifft, wird vorgebracht, daß der Sachbearbeiter von diesem Umstand erstmals um 12.50 Uhr durch das Telefonat mit Mag. B Kenntnis erlangt hat. Ein Rückruf des Schubhäftlings aus der Maschine sei nicht mehr möglich gewesen.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat nach Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt festgestellt, daß schon nach der Aktenlage in Verbindung mit dem Beschwerdevorbringen der entscheidungswesentliche Sachverhalt hinlänglich geklärt erscheint. Da schon aus der Aktenlage ersichtlich war, daß der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären ist, konnte gemäß § 67d Abs.1 AVG 1991 die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung unterbleiben.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Gemäß Art.129a Abs.1 Z2 B-VG iVm § 67a Abs.1 Z2 AVG 1991 erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes.

Die behauptete Rechtsverletzung muß zumindest möglich sein.

Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine umfassende Kompetenz zur Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes. Er ist nicht an die vom Bf angegebenen Gründe gebunden (vgl zum Ganzen Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 5. A [1991], Rz 548/21 ff).

Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsund Zwangsgewalt durch Organe der belangten Behörde ist bei gegebenem Sachverhalt jedenfalls anzunehmen, da der Bf die Republik Österreich nicht freiwillig verlassen hat, sondern von Organen der belangten Behörde aufgrund eines Überstellungsauftrages zwangsweise nach Wien/Schwechat überstellt und dort letztlich in die Linienmaschine der AUA nach Damaskus/Syrien verbracht worden ist. Der Vorgang geschah unter ständiger Überwachung durch Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes. Es kann demnach kein Zweifel bestehen, daß die Zurückschiebung nach Syrien iSd § 40 FrG mit unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durchgesetzt worden ist. Da es im FrG keinen besonderen Rechtschutz gegen die Durchsetzung der Zurückschiebung gibt, greift im gegenständlichen Fall die Rechtsschutzeinrichtung der Maßnahmenbeschwerde an den unabhängigen Verwaltungssenat. Nur was im Verwaltungsverfahren ausgetragen werden kann, kommt nicht als Gegenstand einer Maßnahmenbeschwerde in Betracht (vgl etwa VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9.461 A/1977 und VwSlg 9.439 A/1977). Die formellen Beschwerdevoraussetzungen liegen demnach vor.

4.2. Gemäß § 35 Abs.1 FrG können Fremde von der Behörde zur Rückkehr ins Ausland verhalten werden (Zurückschiebung), wenn sie 1. unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und binnen sieben Tagen betreten werden; 2. innerhalb von sieben Tagen nach Einreise in das Bundesgebiet von der Republik Österreich aufgrund eines Schubabkommens (§ 4 Abs.4) oder internationaler Gepflogenheiten zurückgenommen werden mußten.

Nach § 15 Abs.1 Z1 FrG halten sich Fremde rechtmäßig im Bundesgebiet auf, wenn sie unter Einhaltung der Bestimmungen des 2. Teiles (vgl §§ 2 ff FrG über die Paß- und Sichtvermerkspflicht) und ohne die Grenzkontrolle zu umgehen eingereist sind.

Nach § 17 Abs.2 Z6 FrG können Fremde im Interesse der öffentlichen Ordnung mit Bescheid ausgewiesen werden, wenn sie unter Mißachtung der Bestimmungen des 2. Teiles oder unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist sind und binnen einem Monat betreten werden.

In den Erläuterungen zur Regierungsvorlage (vgl 692 BlgNR 18. GP, 36) wird für den rechtmäßigen Aufenthalt nach § 15 FrG ausgeführt, daß die Einreise materiell und formell rechtmäßig erfolgen müsse. Diese Voraussetzungen liegen nur dann vor, wenn der Fremde sowohl der Paß- und Sichtvermerkspflicht in dem für ihn bestehenden Umfang tatsächlich genügt als auch den Grenzübertritt bei einem Grenzübergang vornimmt und sich einer innerhalb des Grenzkontrollbereiches tatsächlich stattfindenden Grenzkontrolle stellt. Danach heißt es wörtlich:

"Kein rechtmäßiger Aufenthalt liegt somit vor, wenn der Fremde etwa - über die 'grüne Grenze' einreist (= Umgehung der Grenzkontrolle, - ohne im Besitz eines Sichtvermerkes zu sein, sich bei der Grenzkontrolle 'durchwinken läßt' (= Verletzung einer Bestimmung des 2. Teiles: § 5 Abs.1) oder - im Laderaum eines Kraftfahrzeuges versteckt die Grenzkontrolle 'passiert' (= Umgehung der Grenzkontrolle).

Zum Ausweisungstatbestand des § 17 Abs.2 Z6 FrG führt die Regierungsvorlage (vgl E zur RV FrG 692 BlgNR 18. GP, 37) ua aus:

"Während in allen anderen Fällen des § 17 Abs.2 dem nicht rechtmäßigen Aufenthalt zunächst ein rechtmäßiger Aufenthalt in irgendeiner Form vorausgeht, ist dies beim illegalen Grenzübertritt - sei es über die grüne Grenze oder durch Täuschungshandlungen - nicht der Fall." Der Aufenthaltsverbotsgrund gemäß § 18 Abs.2 Z6 FrG liegt vor, wenn ein Fremder gegenüber einer österreichischen Behörde oder ihren Organen unrichtige Angaben über seine Person, seine persönlichen Verhältnisse, den Zweck oder die beabsichtigte Dauer seines Aufenthaltes gemacht hat, um sich die Einreise oder die Aufenthaltsberechtigung gemäß § 15 Abs.1 und 3 FrG zu verschaffen.

4.3. Den angeführten Bestimmungen des FrG sowie den zitierten Erläuterungen zur Regierungsvorlage ist eindeutig zu entnehmen, daß der Gesetzgeber in bezug auf die Einreise und den Aufenthalt des Fremden in Österreich in mehrfacher Hinsicht differenziert und teilweise auch verschiedene Rechtsfolgen vorgesehen hat. Für den rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich müssen gemäß § 15 Abs.1 Z1 FrG die Voraussetzungen einer materiell und formell rechtmäßigen Einreise vorliegen. Deshalb liegt der Ausweisungstatbestand gemäß § 17 Abs.2 Z6 FrG bereits vor, wenn irgendwelche Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit des Aufenthaltes fehlen. Demgegenüber stellt die Zurückschiebung gemäß § 35 Abs.1 Z1 FrG ausdrücklich nur auf die Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle und auf die Betretung binnen sieben Tagen ab. Dies bedeutet, daß auch zurückgeschoben werden kann, wer die materiellen Einreisebestimmungen (Paßund Sichtvermerkspflicht) erfüllt, wenn er unter Umgehung der Grenzkontrolle eingereist ist.

Den Grenzübertritt regelt das Grenzkontrollgesetz 1969 (BGBl Nr.423/1969, zuletzt geändert durch BGBl Nr.190/1990). Nach § 2 Abs.1 Grenzkontrollgesetz 1969 darf der Grenzübertritt nur über einen Grenzübergang erfolgen. § 10 Abs.1 leg.cit.

bestimmt unter anderem, daß Personen, die den Grenzübertritt vorgenommen haben oder vornehmen wollen, sich innerhalb des Grenzkontrollbereiches (vgl § 7) der Grenzkontrolle nach den jeweils geltenden Rechtsvorschriften ohne unnötigen Aufschub zu unterziehen haben, soweit eine solche Kontrolle stattfindet. Wer entgegen der Vorschrift des § 2 Abs.1 leg.cit. den Grenzübertritt außerhalb eines Grenzüberganges vornimmt oder wer sich entgegen der Vorschrift des § 10 Abs.1 leg.cit. der Grenzkontrolle vorsätzlich entzieht, begeht eine Verwaltungsübertretung gemäß § 15 Abs.1 lit.a und lit.b Grenzkontrollgesetz 1969.

Von der Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle ist die durch unrichtige Angaben erschlichene Einreise iSd § 18 Abs.2 Z6 FrG streng zu unterscheiden. Diese stellt bereits für sich allein einen Grund für ein Aufenthaltsverbot dar.

Hingegen ist die Zurückschiebung gemäß § 35 Abs.1 Z1 FrG nicht im Fall der erschlichenen Einreise, sondern nur im Fall der Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle zulässig.

4.4. Im gegenständlichen Fall wurde das graue Taxi, mit dem der ungarische Schlepper den Bf nach Österreich beförderte, bei der österreichischen Grenzkontrollstelle durchgewunken.

Demnach fand überhaupt keine Grenzkontrolle statt. Insofern ist der im Bescheid der Sicherheitsdirektion für vom 9. Juli 1993, St-136/93, geäußerten Rechtsansicht zu folgen, daß im Durchwinken keine Umgehung der Grenzkontrolle gesehen werden kann. Vielmehr hat der Bf die ihn treffende Paß- und Sichtvermerkspflicht nicht eingehalten, weil er weder ein gültiges Reisedokument noch einen österreichischen Sichtvermerk besaß.

Auch wenn man mit der belangten Behörde den in ihrer Gegenschrift angenommenen - nach der Aktenlage aber nicht objektivierbaren - Sachverhalt zugrundelegt, wonach der Bf den ungarischen Reisepaß des Zigeuners an das Autofenster gehalten und dadurch dem Grenzkontrollorgan eine legale Einreise vorgetäuscht hatte, liegt nach richtiger Rechtsansicht dennoch keine Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle vor. Soweit man in einem solchen Fall überhaupt von Grenzkontrolle sprechen kann, liegt eine erschlichene Einreise unter schlüssiger Vortäuschung der materiellen Einreisevoraussetzungen, nicht jedoch eine Einreise unter Umgehung der Grenzkontrolle statt. Wurde das Grenzkontrollorgan in diesem Sinne getäuscht, so liegen die Voraussetzungen für den Aufenthaltsverbotsgrund nach § 18 Abs.2 Z6 FrG, nicht aber jene für die Zurückschiebung des Fremden nach § 35 Abs.1 Z1 FrG vor. Die von der belangten Behörde zitierte Rechtsansicht im h Erkenntnis, VwSen-420034/6/Gf/La, vom 8. Juni 1993, wonach das bloße Herzeigen eines fremden Reisepasses und das nachfolgende Unbeanstandetbleiben durch das Grenzkontrollorgan eine Umgehung der Grenzkontrolle darstelle, wird hier nicht geteilt. Diese Ansicht widerspricht der dargelegten Rechtslage und wurde im zitierten Erkenntnis auch nicht näher begründet. Der bloße Hinweis auf § 10 Abs.1 Grenzkontrollgesetz 1969 in diesem Erkenntnis kann an der Richtigkeit der Differenzierung zwischen der unter falschen Angaben erschlichenen Einreise und jener unter Umgehung der Grenzkontrolle nichts ändern. Außerdem ergibt sich auch aus den Materialien eindeutig, daß der Gesetzgeber lediglich die Einreise über die grüne Grenze oder im Laderaum eines Kraftfahrzeuges versteckt als Umgehung der Grenzkontrolle ansieht (vgl E zur RV FrG 692 BlgNR 18. GP, 36).

Zusammenfassend ist festzustellen, daß bei der gegebenen Sachlage die Voraussetzungen für eine Zurückschiebung iSd § 35 Abs.1 Z1 FrG nicht vorlagen. Die von der belangten Behörde angeordnete und durch Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durchgesetzte Zurückschiebung des Bf am 9. Juni 1993 über Wien-Schwechat nach Damaskus/Syrien war demnach rechtswidrig.

4.5. Bei diesem Ergebnis braucht auf das Beschwerdevorbringen zur Rechtswidrigkeit der Zurückschiebung, insbesondere auf den behaupteten Verstoß gegen das Refoulementverbot des § 37 Abs.1 und 2 FrG, nicht mehr eingegangen werden. Am Rande sei erwähnt, daß der Beschluß des Verfassungsgerichtshofes vom 9. Juni 1993, B 958-2, mit dem einer Beschwerde gegen die Zurückweisung des Antrages auf Abschiebungsaufschub, auschiebende Wirkung zuerkannt wurde, nach Ansicht des O.ö. Verwaltungssenates keine Rechtswidrigkeit der Zurückschiebung begründen kann, auch wenn er der Behörde noch vor Abflug des Linienfluges der AUA nach Damaskus/Syrien zugegangen ist. Denn die aufschiebende Wirkung ist nur sinnvoll, wenn der Eingriff in eine bereits vor Erlassung des Bescheides bestehende Rechtsposition aufgeschoben werden soll (vgl näher mN Oberndorfer, Die Österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit [1983], 119 ff und Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 7. A [1992], Rz 988 f). Mit dem Bescheid der belangten Behörde vom 12. Mai 1993 wurde der Antrag auf Abschiebungsaufschub lediglich im Grunde des § 54 Abs.2 FrG als unzulässig zurückgewiesen.

Aber selbst wenn er abgewiesen worden wäre, könnte sich der Bf nicht auf eine Rechtsposition berufen, die ihm bereits vor dem Bescheid zukam. An dieser Situation konnte auch die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung durch den Verfassungsgerichtshof nichts ändern (vgl dazu auch VwGH 27.5.1993, 93/18/0099 in einem vergleichbaren Fall).

Zur Rechtsansicht der Beschwerde, daß im vorliegenden Fall keinesfalls eine "Zurückschiebung" iSd § 35 FrG, sondern vielmehr eine Abschiebung vorliege, wird auf die dem Bf bekannten Ausführungen im h Schubhafterkenntnis vom 21. Juni 1993, VwSen-400199/4/Wei/Fb, sowie auf das anhängige Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof zu B 1.419/93 verwiesen. Im Schubhaftprüfungsverfahren hat der erkennende Verwaltungssenat die fremdenrechtlichen Voraussetzungen der Zurückschiebung im Hinblick auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach fremdenrechtliche Vorfragen im Schubhaftbeschwerdeverfahren grundsätzlich keine Rolle spielen, nicht näher erörtert.

5. Gemäß § 79a AVG 1991 war dem Bf als obsiegender Partei der Ersatz der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten iSd Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes in Höhe von zwei Drittel des Ansatzes der Pauschalierungsverordung für das verwaltungsgerichtliche Verfahren (BGBl Nr.134/1991) für den Schriftsatzaufwand zuzusprechen. Der Kostenersatz gemäß § 79a AVG hat sich nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes an der Kostenregelung der §§ 47 bis 60 VwGG zu orientieren (vgl ua VwGH 23.9.1991, 91/19/0162; VwGH 22.10.1991, 91/11/0071).

Dem Bf war daher für den Schriftsatzaufwand der verzeichnete Betrag in Höhe von S 7.413,33 zuzusprechen. In analoger Anwendung des § 59 Abs.3 3. Satz VwGG war im Hinblick auf den allgemein gestellten Kostenersatzantrag auch die tatsächlich entrichtete Eingabengebühr von S 120,-zuzusprechen, obwohl diesbezüglich keine Barauslagen verzeichnet wurden. Insgesamt hat die belangte Behörde bzw der Bund als zuständiger Rechtsträger, dem Bf an notwendigen Kosten den Betrag von S 7.533,33 zu ersetzen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof oder an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - abgesehen von gesetzlichen Ausnahmen - von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. W e i ß

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