Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420060/5/Schi/Ka

Linz, 29.12.1994

VwSen-420060/5/Schi/Ka Linz, am 29. Dezember 1994 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Christian Schieferer über die Beschwerde der A S, vertreten durch Dr. E, Rechtsanwälte in M, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch vorläufige Abnahme des Führerscheines in Zurechnung der Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird stattgegeben und die vorläufige Abnahme des Führerscheines am 11. August 1994 um 17.55 Uhr in A, als rechtswidrig festgestellt.

II. Die Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land als belangte und hinsichtlich der festgestellten Rechtswidrigkeit für den Bund tätig gewordene Behörde ist gemäß § 79a AVG verpflichtet, die mit 8.333 S zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendig bestimmten Kosten der Beschwerdeführerin zu Handen ihres Vertreters binnen 14 Tagen ab der Zustellung dieses Erkenntnisses bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Rechtsgrundlage:

zu I.: Art.129a Abs.1 Z2 B-VG iVm §§ 67a Abs.1 Z2 und 67c Abs.3 AVG iVm § 76 Abs.1 KFG 1967.

zu II.: § 79a AVG.

Entscheidungsgründe:

1.1. Die Beschwerdeführerin (im folgenden: Bf) hat mit Schriftsatz vom 21.9.1994 eine Beschwerde gemäß § 67a Abs.1 Z2 AVG beim unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (eingelangt am 23.9.1994) eingebracht.

1.2. Mit dieser Beschwerde wird die vorläufige Abnahme des Führerscheins am 11.8.1994 um 17.55 Uhr im Hause H A, als Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt bekämpft und beantragt, diese Maßnahme als rechtswidrig zu erklären sowie die belangte Behörde gemäß § 79a AVG zum Ersatz der Kosten für den Beschwerdeschriftsatz in Höhe von 8.333 S zu verpflichten.

1.3. Die belangte Behörde hat den bezughabenden Verwaltungsakt vorgelegt und eine Gegenschrift erstattet, in der die Abweisung der gegenständlichen Beschwerde beantragt wird.

2. Aus dem Beschwerdevorbringen in Verbindung mit dem vorgelegten Verwaltungsakt ergibt sich folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

2.1. Eine anonyme Anruferin hat am 11.8.1994 um 17.30 Uhr beim GP Sierning angezeigt, daß die Bf am 11.8.1994 um ca.

17.30 Uhr den Kombi, Ford Escort, Kennzeichen: SE-21 ER in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand auf der Saaßer-Bez.Straße und Tampelleiten - Bez.Straße im Gemeindegebiet A von der Ortschaft S in Richtung ihres Wohnhauses in A, H, gelenkt habe; während der Fahrt sei sie gegen einen Gartenzaun gestoßen.

Aufgrund dieses anonymen Anrufes haben sich zwei Gendarmeriebeamte (Gr.Insp. B und Rev.Insp.

S) vom GP Sierning zum Wohnhaus der Bf in A, H, begeben. Die Bf wurde im Eßzimmer auf der Bank liegend angetroffen. Sie wies offensichtliche Merkmale einer Alkoholisierung auf (Alkoholgeruch in der Atemluft, Bindehautrötung, schwankender Gang und lallende Sprache). Die Bf verweigerte den Alkotest mit der Bemerkung, sie sei von ca. 14.00 Uhr bis 17.00 Uhr im Gasthaus K in A, S, gewesen und habe dort insgesamt vier Gespritzte getrunken. Bei der Besichtigung des Fahrzeuges wurde im Bereich des linken vorderen Blinkers und der Stoßstange eine Beschädigung festgestellt. An der Stoßstange waren Sandkörner von einer Betonsäule vorhanden. Die Bf konnte sich nicht daran erinnern, gegen einen Gartenzaun gestoßen zu sein. Schließlich wurde ihr zur vorbeugenden Verhütung von Unfällen um 17.55 Uhr der Führerschein abgenommen, weil infolge des übermäßigen Alkoholgenusses die Bf nicht mehr die volle Herrschaft über ihren Geist und Körper besaß.

Dabei gab die Bf an, sie benötige den PKW unbedingt bei ihrer Arbeit als Postzustellerin (für tägliche Arbeitsfahrten von ca. 9.30 Uhr bis 14.00 Uhr). Die Bf gab nichts darüber an, ob sie das Fahrzeug noch am gleichen Tag oder erst am nächsten Morgen wieder in Betrieb nehmen werde.

Es wurde daher angenommen, sie werde den PKW noch am gleichen Tag in Betrieb nehmen; der Führerschein wurde gegen Bestätigung abgenommen.

2.2. Mit Bescheid der BH Steyr-Land vom 18.8.1994, VerkR21-293-1994 wurde der Bf gemäß den §§ 66, 73 Abs.2 und Abs.4, 74 Abs.1 KFG 1967 iVm §§ 3 und 57 Abs.1 AVG die Lenkerberechtigung vorübergehend auf die Dauer von drei Monaten, gerechnet ab dem Tag der Abnahme des Führerscheines (11.8.1994), entzogen. Aufgrund einer dagegen eingebrachten Vorstellung wurde von der BH Steyr-Land mit Bescheid vom 29.9.1994, VerkR21-293-1994, aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens der Vorstellung insofern Folge gegeben und die Entziehungsdauer der Lenkerberechtigung auf vier Wochen herabgesetzt.

3.1. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der BH Steyr-Land zu Zl. VerkR21-293-1994 sowie in die von den Parteien vorgelegten Schriftsätze.

3.2. Da bereits aus der Aktenlage ersichtlich war, daß der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären ist, war eine öffentliche mündliche Verhandlung nicht anzuberaumen (§ 67d Abs.1 AVG).

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

4.1. Zu den Prozeßvoraussetzungen:

Gemäß § 67a Abs.1 Z2 AVG entscheiden die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein.

Gemäß § 67c Abs.1 AVG sind Beschwerden nach § 67a Abs.1 Z2 innerhalb von 6 Wochen ab dem Zeitpunkt, in dem der Beschwerdeführer von der Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt Kenntnis erlangt hat, sofern er aber durch sie behindert war, von seinem Beschwerderecht Gebrauch zu machen, ab dem Wegfall dieser Behinderung, bei dem unabhängigen Verwaltungssenat einzubringen, in dessen Sprengel dieser Verwaltungsakt gesetzt wurde.

Dabei hat die Beschwerde die im § 67c Abs.2 angeführten Elemente zu enthalten. Nach § 67c Abs.3 AVG ist der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären, wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder als unbegründet abzuweisen ist. Dauert der für rechtswidrig erklärte Verwaltungsakt noch an, so hat die belangte Behörde unverzüglich den der Entscheidung entsprechenden Rechtszustand herzustellen. Gemäß Abs.4 des § 67c AVG ist auch die belangte Behörde Partei des Verfahrens.

Gemäß § 67d AVG ist eine öffentliche mündliche Verhandlung nur dann anzuberaumen, wenn die Beschwerde nicht zurückzuweisen ist oder nicht bereits aus der Aktenlage ersichtlich ist, daß der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären ist (Abs.1). Eine Verhandlung kann unterbleiben, wenn alle Parteien ausdrücklich darauf verzichten. Ein solcher Verzicht kann bis zum Beginn der Verhandlung erfolgen. Trotz des Verzichtes der Parteien kann eine Verhandlung durchgeführt werden, wenn der unabhängige Verwaltungssenat es für erforderlich erachtet (Abs.2).

Die in Beschwerde gezogene Maßnahme unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wurde am 11.8.1994 um 17.55 Uhr in A, Bezirk Steyr-Land/, gesetzt; da die Beschwerde gemäß § 67a Abs.1 Z2 AVG vom 21.9.1994 am gleichen Tag zur Post gegeben und am 23.9.1994 beim unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich eingelangt ist, sowie alle im § 67c Abs.2 angeführten Elemente enthalten hat, sind sämtliche Prozeßvoraussetzungen gegeben.

4.2. Erwägungen in der Sache:

Gemäß § 76 Abs.1 KFG 1967 haben Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einem Kraftfahrzeuglenker, aus dessen Verhalten deutlich zu erkennen ist, daß er insbesondere infolge eines übermäßigen Alkoholgenusses nicht mehr die völlige Herrschaft über seinen Geist und seinen Körper besitzt, den Führerschein vorläufig abzunehmen, wenn er ein Kraftfahrzeug lenkt, in Betrieb nimmt oder versucht, es in Betrieb zu nehmen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die vorläufige Abnahme des Führerscheines eine Sicherungsmaßnahme, die im Interesse der Verkehrssicherheit gesetzt wird. Sie soll verhindern, daß eine Person ein Kraftfahrzeug lenkt und am Straßenverkehr teilnimmt, obwohl sie sich in einem Zustand befindet, in dem sie das Kraftfahrzeug nicht zu beherrschen imstande ist. Es muß daher für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Annahme berechtigt sein, die betreffende Person werde in ihrem die Fähigkeit hiezu ausschließenden Zustand ein Kraftfahrzeug lenken. Diese Annahme wird ua dann nicht gerechtfertigt sein, wenn die gegebenen Umstände darauf schließen lassen, die betreffende Person habe eine allfällige vorangegangene Lenktätigkeit beendet, und nichts dafür spricht, sie werde ungeachtet ihres Zustandes ein Kraftfahrzeug lenken, in Betrieb nehmen oder versuchen, es in Betrieb zu nehmen (vgl.hiezu VwGH vom 23.2.1993, Zl.92/11/0064).

4.3. Im gegenständlichen Fall war die Lenktätigkeit durch die Bf bereits beendet; das Fahrzeug war bei ihrem Wohnhaus abgestellt. Auch ein sicherer Nachweis für die von der anonymen Anzeigerin aufgestellte Behauptung betreffend einer Schadensverursachung konnte nicht erwiesen werden. Übrig blieben die Alkoholisierungssymptome bei der Bf sowie ihre Verweigerung des Alkotestes. Beim Eintreffen der Gendarmeriebeamten wurde die Bf im Eßzimmer auf der Bank liegend angetroffen. Sie äußerte lediglich, sie benötige das Fahrzeug unbedingt bei ihrer Arbeit als Postzustellerin.

Daraus folgt, daß sie den PKW - beruflich - jedenfalls am nächsten Tag zur Postzustellung in der Zeit von 9.30 Uhr bis 14.00 Uhr benötigte. Es gab absolut keine Hinweise, daß die Bf das Fahrzeug am gleichen Tag nochmals in Betrieb nehmen würde, zumal sie sich bereits zu Hause befand und sich offenbar niedergelegt hatte. Trotzdem wurde - ohne weitere Hinweise - angenommen, sie werde den PKW am gleichen Tag in Betrieb nehmen. Aus diesem Grund wurde der Bf der Führerschein vorläufig abgenommen, weil somit "befürchtet wurde, daß sie infolge des übermäßigen Alkoholgenusses nicht mehr die volle Herrschaft über Geist und Körper besitzt und daher eine vorbeugende Verhütung von Unfällen notwendig wäre." Dies ist jedoch nach den Bestimmungen des § 76 Abs.1 KFG sowie der dazu ergangenen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes im vorliegenden Fall unzulässig bzw rechtswidrig.

4.4. Die belangte Behörde führt in ihrer Gegenschrift ua aus, daß der Umstand, daß es in der Folge mangels eines eindeutigen Nachweises einer Schadensverursachung weder zu einer Bestrafung noch zu einer Nichtberücksichtigung im Entziehungsverfahren kommen würde (weil nach dem Grundsatz "in dubio pro reo" vorzugehen war), für die Gendarmeriebeamten zum Abnahmezeitpunkt nicht vorhersehbar gewesen wäre; sie hätten sich daher nur von dem Bestreben leiten lassen, einen allenfalls (weiteren) Verkehrsunfall möglicherweise mit gravierenderen Folgen zu verhüten.

Würde man diesen Ausführungen der belangten Behörde in der Gegenschrift folgen, so wäre die Einschränkung im § 76 Abs.1 KFG ("wenn er ein Kraftfahrzeug lenkt, in Betrieb nimmt oder versucht, es in Betrieb zu nehmen") unter der ein Führerschein vorläufig abgenommen werden darf, vollkommen überflüssig.

Auch das von der belangten Behörde zitierte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes ist im gegenständlichen Fall nicht einschlägig: denn dort befand sich der Bf um 9.50 Uhr in seiner Wohnung in Weiz und äußerte, daß er "zu Mittag in Graz" sein müsse und dazu seinen Führerschein benötige, obwohl er alkoholisiert war. Eine vergleichbare Äußerung fiel im vorliegenden Fall überhaupt nicht; vielmehr erfolgte die Abnahme des Führerscheines am 11.8.1994 um 17.55 Uhr wobei sich aus den Äußerungen der Bf ergab, daß sie ihr Fahrzeug (beruflich) erst am nächsten Morgen wieder benötigte. Für ein weiteres Indiz, daß die Bf ihr KFZ noch am selben Tag wiederum lenken bzw in Betrieb nehmen würde, fehlt jeglicher Anhaltspunkt.

4.5. Aufgrund dieses Ergebnisses war daher für die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes die Annahme nicht berechtigt, daß die Bf in einem Zustand, in dem sie ein KFZ nicht zu beherrschen imstande sei, weil sie infolge eines übermäßigen Alkoholgenusses nicht mehr die völlige Herrschaft über ihren Geist und ihren Körper besitzt, wiederum ein KFZ lenken werde; die vorläufige Abnahme des Führerscheines widerspricht daher dem § 76 Abs.1 KFG. Es war daher die Beschwerde begründet und die Bf durch die angefochtene Maßnahme in ihren Rechten verletzt. Die angefochtene Maßnahme war daher für rechtswidrig zu erklären.

5. Bei diesem Verfahrensergebnis waren der Bf nach § 79a AVG antragsgemäß die Kosten zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung in Höhe von 8.333 S für den Schriftsatzaufwand zuzusprechen (VwGH 23.9.1991, 91/19/0162).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. Schieferer

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