Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-103666/12/Br

Linz, 17.05.1996

VwSen-103666/12/Br Linz, am 17. Mai 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch das Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn F O, Z vertreten durch RA Dr. R W, D, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau vom 12.

März 1996, Zl: VerkR96-9725-1-1995-Li, wegen Übertretungen der StVO 1960 nach der am 17. Mai 1996 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und Verkündung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird F o l g e gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr.

471/1995 - AVG iVm § 24, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 und § 51i Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 620/1995 - VStG; II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs.1 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Erstbehörde hat mit dem angefochtenen Straferkenntnis wider den Berufungswerber wegen der Übertretung der StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von 400 S und für den Fall der Nichteinbringlichkeit 12 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, weil er am 22. März 1995 um 18.20 Uhr, als Fußgänger die Fahrbahn der S Gemeindestraße, vor dem Haus S Nr. 39, Gemeinde O, ohne sich vorher überzeugt zu haben, daß er hiebei andere Straßenbenützer nicht gefährde, betreten habe.

2. Begründend führte die Erstbehörde aus:

"Die Verwaltungsübertretung ist aufgrund der Anzeige des Gendarmeriepostens vom 2.5.1995, GZP-387/95-Müll festgestellt und als erwiesen anzusehen.

Demnach haben Sie am 22.3.1995, um 18.20 Uhr, als Fußgeher die Fahrbahn der S Gemeindestraße, vor dem Haus S Nr. 39, Gemeinde O, betreten, ohne sich vorher überzeugt zu haben, daß Sie hiebei andere Straßenbenützer nicht gefährden.

Mit ha. Strafverfügung vom 15.5.1995 wurden Sie wegen Verwaltungsübertretungen gemäß 1.) § 76 Abs. 1 StVO 1960 und 2.) S 76 Abs. 4 lit. b StVO 1960 zu Geldstrafen von 1.) S 200,-- und 2.) S 400,-- bestraft.

Dagegen erhoben Sie mit Ihrem Schreiben vom 9.6.1995 rechtzeitig Einspruch.

In Ihrer Stellungnahme vom 19.6.1995 führten Sie aus, die Verwaltungsübertretung gemäß § 75 Abs. 1 StVO 1960 nicht begangen zu haben, da sich die Unfallstelle im Ortsgebiet bzw. vorbauten Wohngebiet von O befinde. In Ihrer Stellungnahme vom 19.9.1995 führten Sie hiezu weiters aus, daß sich die Unfallstelle nach der Definition des § 2 Abs. 1 Ziffer 15 und 16 StVO 1960 innerhalb des Ortsgebietes befindet.

Punkt 1. der Strafverfügung vom 15.5.1995 wurde sohin eingestellt, da die Verwaltungsübertretung nicht einwandfrei erwiesen werden kann.

Zu Punkt 2 der Strafverfügung vom 15.5.1995 gaben Sie keine Begründung Ihres Einspruches an.

Gemäß § 76 Abs. 4 lit.b StVO 1960 dürfen Fußgänger an Stellen, wo der Verkehr weder durch Arm- noch durch Lichtzeichen geregelt wird und wenn ein Schutzweg nicht vorhanden ist, erst dann auf die Fahrbahn treten, wenn sie sich vergewissert haben, daß Sie hiebei andere Straßenbenützer nicht gefährden.

Sie selbst gaben vor dem Gendarmerieposten O am 10.5.1995 an, vor dem Überqueren der Straße auf den übrigen Straßenverkehr geachtet zu haben, der Radfahrer, auf den Sie Ihre Frau aufmerksam machte, hatten Sie jedoch nicht gesehen. Diese Angaben wurde von Ihnen zu keiner Zeit bestritten.

Beim Überqueren einer Straße hat ein Fußgänger jedoch vorher sorgfältig zu prüfen, ob er die Fahrbahn ohne sich und andere Straßenbenützer zu gefährden überqueren kann.

Hätten Sie den Straßenverkehr mit gebührender Sorgfalt geprüft, so hätten Sie den Radfahrer erkennen müssen.

Demnach haben Sie die Verwaltungsübertretung zu verantworten.

Zur Strafbemessung ist auszuführen, daß Grundlage hiefür gemäß § 19 VStG 1991 stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen ist, deren Schutz die Strafdrohung dient und der Umstand inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Weiters sind die Erschwerungs- und Milderungsgründe, das Ausmaß des Verschuldens und die Einkommens-, Vermögensund Familienverhältnisse des Beschuldigten zu berücksichtigen.

Da Sie Ihre Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse trotz Aufforderung vom 1.9.1995 nicht bekanntgegeben haben, wurde bei der Bemessung der Strafe von der Ihnen mitgeteilen Schätzung (ca. S 12.000,- mtl. Pension, kein Vermögen und Sorgepflichten) ausgegangen.

Beim vorgegebenen Strafrahmen - bei § 99 Abs. 3 lit. a StVO 1960 bis zu S 10.000,-- - ist die verhängte Geldstrafe auch dem Unrechtsgehalt der Tat angepaßt.

Eine niedrigere Straffestsetzung war sowohl aus spezial- als auch generalpräventiven Gründen nicht möglich.

Die Vorschreibung des Verfahrenskostenbeitrages gründet in der bezogenen Gesetzesstelle. Es war somit spruchgemäß zu entscheiden." 2.1. Dagegen richtet sich die mit dem Antrag auf Aufhebung und Verfahrenseinstellung eingebrachte Berufung. Es wird darin ausgeführt wie folgt:

"In umseits bezeichneter Verwaltungsstrafsache erhebt der Berufungswerber durch seinen ausgewiesenen Vertreter gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 12.03.1996, zugestellt am 18.03.1996, sohin innerhalb offener Frist Berufung, beantragt die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens und begründet dies im einzelnen wie folgt:

Mittels gegenständlichen Straferkenntnisses vom 12.03.1996 wurde der Berufungswerber schuldig befunden, die Rechtsvorschrift § 76 Abs.4 lit.b StVO 1960 dadurch übertreten zu haben, daß er am 22.03.1995 um 18.20 Uhr als Fußgeher die Fahrbahn der S Gemeindestraße, vor dem Haus S Nr. 39 betreten hätte, ohne sich vorher überzeugt zu haben, daß er hiebei andere Straßenbenützer nicht gefährdet. Er wurde zu einer Geldstrafe in der Höhe von S 400,--, im Falle der Uneinbringlichkeit zu einer Ersatzfreiheitsstrafe von 12 Stunden sowie zur Bezahlung eines Beitrages zu den Kosten des Strafverfahrens in Höhe von S 40,-- verurteilt.

Die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn begründet ihre Entscheidung damit, daß der Berufungswerber vor dem Gendarmerieposten O am 10.05.1995 selbst angegeben habe, vor dem Überqueren der Straße auf den übrigen Straßenverkehr geachtet zu haben, den Radfahrer jedoch nicht gesehen zu haben.

Ohne daß über die konkreten Unfallörtlichkeiten Erhebungen gepflogen oder darüber Feststellungen getroffen wurden, befand die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn, daß der Berufungswerber den Radfahrer hätte erkennen müssen, wenn er den Straßenverkehr mit gebührender Sorgfalt geprüft hätte.

Dieses, dem Berufungswerber unterstellte Verhalten erachtete die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn als ausreichend, um eine Verletzung des § 76 Abs.4 lit.b StVO 1960 festzustellen.

Gemäß dieser Norm dürfen Fußgänger, wenn ein Schutzweg nicht vorhanden ist, erst dann auf die Fahrbahn treten, wenn sie sich vergewissert haben, daß sie hiebei andere Straßenbenützer nicht gefährden.

Um dem Berufungswerber ein unter diese Bestimmung fallendes, strafrechtlich relevantes Verhalten zu unterstellen, fehlen jegliche Feststellungen. Daß der Berufungswerber selbst von einem "Überqueren" gesprochen hat, befreit die Behörde nicht davon, selbst den genauen Sachverhalt zu ermitteln, da sich erfahrungsgemäß ein, in rechtlichen Angelegenheiten Unerfahrener nicht der Formulierungen bedient, die gesetzlich definiert sind. Selbst wenn, was jedoch ausdrücklich bestritten und dem bisherigen Beweisergebnissen gar nicht zu entnehmen ist, ein Überqueren der Fahrbahn stattgefunden haben soll, ging diesem Verhalten nicht ein "Betreten der Fahrbahn" voraus, jedenfalls nicht zu einem Zeitpunkt, zu dem der Radfahrer erkennbar gewesen wäre.

Der Berufungswerber hat in seiner Stellungnahme vom 19.06.1995 ausgeführt, daß sich die Unfallstelle auf einem engen Straßenbereich der S Gemeindestraße befindet, auf dem Gehsteige ebensowenig vorhanden sind wie ein Straßenbankett.

Von einem Betreten der Fahrbahn vor einem herannahenden Verkehrsteilnehmer kann daher keine Rede sein, da sich der Berufungswerber seit längerem bereits vor dem herannahenden Radfahrer auf der Straße selbst befunden hat. Dies zeigt selbst die Verkehrsunfallsanzeige des Gendarmeriepostenkommandos O vom 02.05.1995, die eingangs schilderte, daß der Berufungswerber und seine Gattin, Berta O, auf der S Gemeindestraße in Höhe des Hauses Nr. 39 in Richtung Ortsgebiet von O gingen. Selbst hier ist von einem Betreten der Fahrbahn vor dem herannahenden M G keine Rede.

Markus G hatte vielmehr beabsichtigt, an den beiden auf der Fahrbahn befindeten Fußgängern vorbeizufahren.

Markus G gab anläßlich seiner Einvernahme am 24.03.1995 zu Protokoll, daß sich der Beschuldigte bei Ansichtigwerden aus ca. 50 m Entfernung bereits auf der Fahrbahn (nicht ganz am rechten Fahrbahnrand) befand.

Auch die Gattin des Beschuldigten, B O, gab am 26.03.1995 zu Protokoll, daß sich der Beschuldigte längst auf der Fahrbahn befand und nach dem Warnruf seiner Gattin noch den linken Fahrbahnrand ansteuerte, dies aber nicht mehr rechtzeitig schaffte.

Es fehlen daher jegliche Anhaltspunkte dafür, daß der Beschuldigte die Fahrbahn betreten hätte, ohne sich vorher überzeugt zu haben, daß hiebei andere Straßenbenützer nicht gefährdet werden.

Bereits aufgrund der konkreten Unfallörtlichkeit (zum damaligen Zeitpunkt befand sich bergab gesehen rechtseitig eine Baustelle, die die Straße weiter einengte) ist auszuschließen, daß dem Beschuldigten ein unvorsichtiges Betreten der Fahrbahn vorgeworfen werden kann. Da sich die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn ganz offensichtlich mit der Unfallörtlichkeit nicht auseinandergesetzt hat, ist das Ermittlungsverfahren jedenfalls mangelhaft geblieben.

Soferne der Berufungswerber oder seine Gattin von einem "Überqueren" sprechen, hätte die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn diese Formulierung hinterfragen müssen bzw.

wäre es ausreichend gewesen, die Aussagen in ihrer Gesamtheit richtig zu würdigen, in welchem Falle festgestellt worden wäre, daß tatsächlich von einem "Überqueren" im Sinne der Straßenverkehrsordnung keine Rede gewesen sein konnte.

Selbst die durch die Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn in ihrem Straferkenntnis getroffenen Feststellungen sind nicht geeignet, dem Berufungswerber ein strafrechtlich relevantes Verhalten im Sinne des § 76 Abs.4 lit.b StVO 1960 zu unterstellen, da Feststellungen darüber, wann der Berufungswerber die Fahrbahn (erstmalig) "betreten" haben soll, gar nicht getroffen wurden.

Aus den oben angeführten Gründen wird daher gestellte der A N T R A G, das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Braunau am Inn vom 12.03.1996 aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gegen den Berufswerber einzustellen.

S, am 28.03.1996 F O Dr. K./RS" 3. Zumal keine 10.000,- S übersteigende Geldstrafe verhängt wurde, hat der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen. Da die Übertretung bei entsprechender Begründung bestritten wurde, war eine öffentliche mündliche Verhandlung in Verbindung mit einem Ortsaugenschein durchzuführen gewesen.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch die Einsichtnahme in den erstbehördlichen Verfahrensakt. Ferner durch Vernehmung der Zeugen M. G und G. P u. B. O, der Vernehmung des Berufungswerbers als Beschuldigten und die Vornahme eines Ortsaugenscheines unter Vermessung der Straßenbreite und verfahrensspezifischer Distanzen anläßlich der vor Ort durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung.

Ebenfalls wurde im Wege der Flugwetterberatungsstelle H Auskunft über den Sonnenstand und damit der Lichtverhältnisse zum Vorfallszeitpunkt eingeholt.

4.1. Der Berufungswerber war am 22. März 1995 um 18.20 Uhr in Begleitung seiner Gattin, B. O als Fußgänger auf der S auf Höhe des Hauses Nr. 39 unterwegs. Zu diesem Zeitpunkt herrschte noch Tageslicht. Der Sonnenuntergang war an diesem Tag auf der geographischen Höhe S um 18.20 Uhr Lokalzeit. Am Haus S 39 wurden zu diesem Zeitpunkt Bauarbeiten durchgeführt. Der unmittelbar an die in diesem Bereich 3,2 Meter breite, staubfreie Straße, anschließende Vorplatz, war geschottert. Der Berufungswerber blieb mit seiner Gattin im Bereich der östlichen Gartensäule stehen und betrachtete die Baustelle. Während er folglich die S in Richtung zum linken Straßenrand überquerend in Richtung Ort weiterging, war seine Gattin noch kurz stehengeblieben und bemerkte folglich den sich mit doch augenscheinlich höherer Geschwindigkeit in gleicher Richtung nähernden Radfahrer.

Sie rief ihrem Mann zu, daß er auf den Radfahrer aufpassen solle. Dieser befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits mitten auf der Straße, im Bereich des 11, 2 Meter westlich der Gartensäule befindlichen Kanaldeckels. Der Radfahrer hatte die (aus seiner Sicht) im Bereich des rechten Straßenrandes verweilenden Fußgänger bereits aus einer Entfernung von 63 Metern wahrgenommen gehabt. Unmittelbar vor dem Kanaldeckel kollidierte folglich der Radfahrer, der Zeuge M. G, mit dem Berufungswerber. Der Radfahrer wurde etwa vier Meter schräg links in die Wiese geschleudert. Der Berufungswerber gelangte unmittelbar neben dem Kanaldeckel, etwa einen Meter vom linken Straßenrand, zu liegen. Dort wurde ihm von der aus dem Haus Nr. 39 eilenden Zeugin P Hilfe angeboten. Der Berufungswerber erlitt einen Oberschenkelbruch.

4.1.1. Gegen den Unfallsbeteiligten, M. G wurde vom Bezirksgericht W das in diesem Zusammenhang eingeleitete Strafverfahren wegen § 88 Abs.1 u.4 1. Fall StGB unter Anwendung des § 9 Abs.1 Z1 JGG unter Bestimmung einer Probezeit von einem Jahr vorläufig eingestellt. Das Gericht ging von der Tatsache aus, daß G den Berufungswerber mit dem Fahrrad von hinten niedergestoßen habe. Dadurch habe der Berufungswerber eine schwere Verletzung (Schenkelhalsfraktur) erlitten.

4.2. Das Beweisergebnis stützt sich auf das Ergebnis des durchgeführten Ortsaugenscheines und die dort vorgenommenen zeugenschaftlichen Vernehmungen bzw. die Aussage des Berufungswerbers. Sämtliche Angaben lassen sich mit der Realität in Einklang bringen. So war es insbesondere eindeutig belegbar, daß sich der Berufungswerber nie außerhalb der Straße befunden haben konnte. Gut nachvollziehbar war auch der geschilderte Bewegungsverlauf des Berufungswerbers während der Annäherung des Radfahrers bis etwa zehn Sekunden vor der Kollision. Wenn einerseits der Radfahrer die Fußgänger ursprünglich noch auf der rechten Straßenseite erblickte, so ist die spätere Kollisionsstelle damit in Einklang zu bringen, daß der Berufungswerber auf eine Entfernung von etwa 10 Metern die Straße schräg nach links überquerte. Dem Radfahrer dürfte dieser Umstand jedoch entgangen sein. Wenn der Zeuge G meinte, daß er mehrere Meter vor der Kollisionsstelle noch ein Bremsung eingeleitet hätte, würde dies im Gegensatz zu seiner angeblichen Fahrgeschwindigkeit von 20 bis 25 km/h wohl den Schluß auf eine doch beträchtlich höhere Fahrgeschwindigkeit zulassen. Auch die Endlage des Radfahrers nach dem Sturz und die Verletzungsfolgen lassen darauf schließen. Nicht ohne Bedeutung ist für die Wahrscheinlichkeit einer höheren Fahrgeschwindigkeit des Zeugen G, daß dieser wegen seines Fußballtrainings in Eile war. Bei einer Fahrgeschwindigkeit von 20 km/h hätte nämlich der Bremsweg unter Zugrundelegung einer Bremswirkung von 2,5 m/sek/2, welche auch mit einem Fahrrad spielend erreicht wird, nur 5,63 Meter betragen. Der Berufungswerber benötigte bei einer Gehgeschwindigkeit von 4 km/h für die Wegstrecke von der Gartensäule bis zur Kollisionsstelle etwa sieben Sekunden. Wenn nun davon ausgegangen wird, daß im Sinne der Angaben des Radfahrers zum Zeitpunkt seiner Wahrnehmung der Fußgänger diese noch am rechten Fahrbahnrand verweilten, dann muß jedenfalls seine Fahrgeschwindigkeit höher gewesen sein. Darauf läßt jedenfalls auch die Aussage von B. O schließen, welcher auch in diesem Punkt nachvollziehbar ist.

Selbst bei einer Fahrgeschwindigkeit von 40 km/h hätte der Radfahrer die angebliche "Gefahrensichtstrecke" bis zum Kanaldeckel (= 63 Meter) in 5,67 sek. durchfahren. Selbst bei dieser Geschwindigkeit hätte unter der Annahme der Wahrnehmung des Fußgängers im Bereich der Gartensäule aus einer Entfernung von 63 Metern (die angebliche Gefahrenerkennungsstelle) der Fußgänger noch nicht die spätere Kollisionsstelle erreicht haben können.

Diesbezüglich müssen jedoch Ungenauigkeiten in den Positionsangaben einkalkuliert werden, wobei der Radfahrer die Fußgänger durchaus schon früher wahrgenommen haben könnte. Zumal jedoch der Bewegungsablauf des Berufungswerbers auch von seiner Frau bestätigt wird und die Anstoßstelle zusätzlich übereinstimmend auch noch von der Zeugin P dargelegt wird und letztlich auch der Zeuge G die Position des Fußgängers am Punkt seiner Wahrnehmung so darlegte, sind die Positionierungen der Fußgänger im wesentlichen durchaus als realistisch anzunehmen. Daraus folgt jedoch zwingend ein nicht auf den Bereich von 20 bis 25 km/h zu stützendes Weg-Zeit-Diagramm. Zweifelsfrei war daher zu folgern, daß der Berufungswerber zumindest sieben Sekunden - bei angenommenen 4 km/h Gehgeschwindigkeit - für die Wegstrecke vom Bereich Gartensäule bis zur Kollisionsstelle (vor dem Kanaldeckel) benötigte.

Darüber wäre an sich im Rahmen dieses Verfahrens nicht zu befinden. Diese Berechnungen waren hier jedoch im Hinblick auf die Nachvollziehbarkeit der jeweiligen Angaben trotzdem zu treffen. Ebenfalls ist auf die rechtliche Problematik des Vertrauensgrundsatzes, der Gefahrenerkennung und Setzung einer darauf bezogenen Handlung hier nicht einzugehen.

4.2.1. Offenbar irrtümlich wurde im Straferkenntnis zum Ausdruck gebracht, daß die Erstbehörde diese Übertretung aufgrund "der Anzeige des GP O festgestellt hätte" und damit als erwiesen erachtet hätte. Der Vorfall wurde von Organen der Gendarmerie nicht unmittelbar wahrgenommen. Daher könnte damit wohl nur gemeint sein, daß die Behörde aus dem Inhalt dieser Anzeige diese Feststellung abzuleiten können glaubte.

Mit dieser wohl irrtümlichen Formulierung ist zum Ausdruck gelangt und dies rügt der Berufungswerber im Ergebnis auch zu Recht, daß hier die Qualifizierung sowohl der Sach- als auch der Rechtsfrage die Gendarmerie getroffen hätte. Damit wäre jedoch nicht dem § 37 AVG (Zweck und Gang des Ermittlungsverfahrens) und auch nicht § 39 Abs.2 AVG Rechnung getragen. In diesem Zusammenhang kommt dem Inhalt der Stellungnahme des Berufungswerbers vom 19. September 1995 im nachhinein besehen besondere Bedeutung zu, weil die dort aufgeworfenen Fragen letztlich auch im Ergebnis des im Berufungsverfahren durchgeführten Ortsaugenscheins ihre Bestätigung erfahren haben.

Nicht zuletzt wäre wohl auch der gerichtliche Schuldspruch gegenüber dem Radfahrer nicht ergangen, hätte der Berufungswerber tatsächlich die Fahrbahn im Sinne des hier angefochtenen Tatvorwurfes tatsächlich betreten gehabt.

5. Rechtlich war folgendes zu erwägen:

5.1.1. Nach § 76 Abs.4 lit.b dürfen Fußgänger an Stellen, wo der Verkehr weder durch Arm- noch durch Lichtzeichen geregelt wird, wenn ein Schutzweg nicht vorhanden ist, erst dann auf die Fahrbahn treten, wenn sie sich vergewissert haben, daß sie dabei andere Straßenbenützer nicht gefährden.

Hier befand sich der Berufungswerber bereits während der ganzen Annäherungsphase des Radfahrers auf der Straße, sodaß schon aus diesem Grund dieser Tatvorwurf nicht erhoben werden kann (§ 44a Z1 VStG).

5.1.2. Mit dieser Bescheidaufhebung und Verfahrenseinstellung ist jedoch nicht ausgesagt, ob das bezughabende Verhalten des Berufungswerbers in jeder Richtung hin vorschriftsmäßig gewesen ist (Hinweis auf § 76 Abs.5 leg.cit.).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Für den O.ö. Verwaltungssenat:

Dr. B l e i e r

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