Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-520413/9/Zo/Pe

Linz, 17.11.2003

 

 

 VwSen-520413/9/Zo/Pe Linz, am 17. November 2003

DVR.0690392
 

 

E R K E N N T N I S
 

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Mag. Zöbl über die Berufung des Herrn RH, vom 11.10.2003, gegen den Bescheid des Polizeidirektors von Linz vom 22.9.2003, Zl. FE-1038/2003, wegen Entziehung der Lenkberechtigung nach öffentlicher mündlicher Berufungsverhandlung am 12.11.2003 und sofortiger mündlicher Verkündung, zu Recht erkannt:

 

Der Berufung wird Folge gegeben und der angefochtene Bescheid aufgehoben.

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 66 Abs.4, 67a und 67d AVG, §§ 7 Abs.1 und Abs.3 Z3 sowie Abs.4 FSG.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Der Polizeidirektor von Linz hat mit dem angefochtenen Bescheid dem Berufungswerber die Lenkberechtigung für die Klasse B für die Dauer von drei Monaten ab Rechtskraft des Bescheides entzogen, einer allfälligen Berufung wurde die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt. Dieser Bescheid wurde damit begründet, dass der Berufungswerber am 16.4.2003 um 9.44 Uhr auf der A7 bei km 3,4 als Lenker des Pkw beim Hintereinanderfahren zum nächsten vorderen Fahrzeug bei einer Geschwindigkeit von 97 km/h nur einen Abstand von 7 m eingehalten habe. Dieses Verhalten sei an sich geeignet, besonders gefährliche Verhältnisse herbeizuführen, weshalb der Berufungswerber nicht als verkehrszuverlässig anzusehen sei.

 

2. Dagegen richtet sich die Berufung vom 11.10.2003, in welcher der Berufungswerber ausführt, dass er die gegenständliche Übertretung lediglich aus Versehen begangen habe. Keinesfalls habe er den vor ihm fahrenden Fahrzeuglenker bedrängen wollen. Er sei ein konzentrierter, extrem passiver und rücksichtsvoller Verkehrsteilnehmer und habe seit über 20 Jahren keinerlei Verfehlungen als Kraftfahrzeuglenker begangen. Außerdem benötige er den Führerschein unbedingt für seinen Beruf.

 

3. Der Polizeidirektor von Linz hat den Verwaltungsakt ohne Erlassung einer Berufungsvorentscheidung vorgelegt. Es ergibt sich daher die Zuständigkeit des unabhängigen Verwaltungssenates gemäß § 67a Abs.1 AVG, wobei dieser durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu entscheiden hat.

 

4. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsicht in den Verwaltungsakt sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung am 12.11.2003, bei welcher der erstinstanzliche Verfahrensakt in seinem wesentlichen Inhalt verlesen und dem Berufungswerber die Möglichkeit zur Stellungnahme gegeben wurde. Weiters wurde das Videoband, auf welchem die gegenständliche Verwaltungsübertretung dokumentiert ist, eingesehen und eine zusätzliche Auswertung des Sicherheitsabstandes durch einen Sachverständigen für Kraftfahrzeugtechnik vorgenommen. Die Erstinstanz hat an der Verhandlung entschuldigt nicht teilgenommen.

 

5. Daraus ergibt sich folgender entscheidungswesentliche Sachverhalt:

 

5.1. Der Berufungswerber lenkte am 16.4.2003 um 9.44 Uhr den Pkw auf der A7 in Fahrtrichtung Süden bei km 3,4, wobei er von dem vor ihm fahrenden Fahrzeug bei einer Fahrgeschwindigkeit von 97 km/h lediglich einen Abstand von 7 m eingehalten hat. Diese Verwaltungsübertretung wurde mit dem Verkehrskontrollsystem VKS 3.0 auf Video aufgezeichnet, das Kontrollsystem ist vom Bundesamt für Eich- und Vermessungswesen mit der Zl. OE02 V010 zugelassen, die Gerätenummer lautet A07. Das Gerät ist gültig geeicht, die Nacheichfrist endet am 31.12.2005.

 

Die konkrete Fahrt kann ca. 5 Sekunden lang und zwar von 9.44 Uhr und 51 Sekunden bis 9.44 Uhr und 56 Sekunden auf dem Video nachverfolgt werden. Weiter zurück ist eine Beobachtung nicht möglich, weil das Fahrzeug des Berufungswerbers von einem anderen vor ihm fahrenden Fahrzeug zur Gänze verdeckt wird. Während dieses 5 sekündigen Beobachtungszeitraumes hat sich der Abstand des Berufungswerbers zu dem vor ihm fahrenden Fahrzeug nicht wesentlich verändert. Die der Anzeige zugrunde liegende Auswertung wurde um 9.44 Uhr und 53 Sekunden sowie um 9.44 Uhr und 56 Sekunden durchgeführt und ergab einen Abstand von 7 m bzw. 0,27 Sekunden. Anlässlich der mündlichen Verhandlung wurde eine neuerliche Auswertung durch einen Amtssachverständigen für Kraftfahrzeugtechnik durchgeführt, welche einen Abstand von 0,23 Sekunden ergab.

 

Vom Sachverständigen wurde das Messsystem wie folgt erläutert: Es wird einerseits die Geschwindigkeit der betroffenen Fahrzeuge gemessen, wobei bis 100 km/h eine Messtoleranz von 3 km/h abgezogen wird, andererseits wird der Abstand des nachfahrenden Fahrzeuges gemessen. Diese Messung erfolgt ein zweites Mal, wobei der Abstand der beiden Messung mindestens 80 m betragen muss. Es werden bei der Abstandsmessung immer die vorderen Punkte der beiden betroffenen Fahrzeuge gemessen und am Ende der Radstand des vorderen Fahrzeuges abgezogen. Die ermittelten Werte werden zu Gunsten des Beschuldigten auf eine volle Zahl gerundet, zusätzlich wird angeführt, dass der Überhang vorne des nachfolgenden Fahrzeuges sowie der Überhang hinten des vorausfahrenden Fahrzeuges nicht berücksichtigt wird. Unter "Überhang" ist in diesem Zusammenhang jener Teil der Fahrzeuge zu verstehen, der sich zwischen Radaufstandspunkt und Fahrzeugende befindet, weil die Messung jeweils beim Radaufstandspunkt der Fahrzeuge erfolgt. Der auf diese Weise ermittelte Abstand von 0,27 Sekunden liegt deutlich unter der Reaktionszeit des Fahrzeuglenkers. Als durchschnittlicher Reaktionswert wurde aufgrund einer Untersuchung des Kuratoriums für Verkehrssicherheit ein solcher von 0,7 Sekunden ermittelt.

 

Anzuführen ist noch, dass der Berufungswerber aktenkundig mit Ausnahme dieses Vorfalles unbescholten ist und auch seither keine Verkehrsübertretungen bekannt sind.

 

6. Hierüber hat der unabhängige Verwaltungssenat in rechtlicher Hinsicht erwogen:

 

6.1. Vorerst ist festzuhalten, dass der angefochtene Bescheid dem Berufungswerber mittels Hinterlegung am 26.9.2003 zugestellt wurde. Die Berufung wurde jedoch erst am 11.10.2003, also einen Tag nach Ablauf der Berufungsfrist eingebracht. Zu dieser scheinbaren Verspätung seines Rechtsmittels hat der Berufungswerber angegeben, dass er bereits am 25.9.2003 mit seiner Gattin zu einem Kurzurlaub weggefahren und erst am 29.9.2003 wieder an seine Wohnadresse zurückgekommen ist. Dies könne sowohl von seiner Gattin als auch von der Zimmerwirtin bestätigt werden. Diese Angaben sind glaubwürdig, es war der Berufungswerber daher zum Zeitpunkt der Hinterlegung von der Abgabestelle abwesend. Die Zustellung wurde daher gemäß § 17 Abs.3 Zustellgesetz an dem der Rückkehr an die Abgabestelle folgenden Tag innerhalb der Abholfrist wirksam, an welchem die hinterlegte Sendung behoben werden konnte. Dies war im gegenständlichen Fall der 30.9.2003, sodass die Berufung als rechtzeitig anzusehen ist.

 

6.2. Gemäß § 7 Abs.1 FSG gilt eine Person als verkehrszuverlässig, wenn nicht aufgrund erwiesener bestimmter Tatsachen (Abs.3) und ihrer Wertung (Abs.4) angenommen werden muss, dass sie wegen ihrer Sinnesart beim Lenken von Kraftfahrzeugen die Verkehrssicherheit insbesondere durch rücksichtsloses Verhalten im Straßenverkehr oder durch Trunkenheit oder einen durch Suchtmittel oder durch Medikamente beeinträchtigten Zustand gefährden wird.

Gemäß § 7 Abs.3 Z3 FSG hat als bestimmte Tatsache iSd Abs.1 insbesondere zu gelten, wenn jemand als Lenker eines Kraftfahrzeuges durch Übertretung von Verkehrsvorschriften ein Verhalten setzt, das an sich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbei zu führen oder mit besonderer Rücksichtslosigkeit gegen die für das Lenken eines Kraftfahrzeuges maßgebenden Verkehrsvorschriften verstoßen hat.

 

Gemäß § 7 Abs.4 FSG sind für die Wertung der in Abs.3 beispielsweise angeführten Tatsachen deren Verwerflichkeit, die Gefährlichkeit der Verhältnisse, unter denen sie begangen wurden, die seither verstrichene Zeit und das Verhalten während dieser Zeit maßgebend.

 

6.3. Das Einhalten eines Abstandes von lediglich 0,27 Sekunden bei einer Geschwindigkeit von 97 km/h durch den Lenker eines Kraftfahrzeuges ist ein Verhalten, das grundsätzlich geeignet ist, besonders gefährliche Verhältnisse herbei zu führen. Die durchschnittliche Reaktionszeit von Kraftfahrzeugslenkern ist wesentlich höher. Es ist auch einem besonders konzentrierten und körperlich "hellwachen" Kraftfahrzeuglenker unmöglich, innerhalb von 0,27 Sekunden bei einer plötzlich auftretenden gefährlichen Situation angepasst und richtig zu reagieren. Wäre im konkreten Fall das vordere Fahrzeug plötzlich stark abgebremst worden, so wäre ein Auffahrunfall praktisch unvermeidbar gewesen, wobei aufgrund der hohen Geschwindigkeit von 97 km/h auch mit erheblichen Folgen zu rechnen gewesen wäre. Der Berufungswerber hat daher eine bestimmte Tatsache iSd § 7 Abs.3 Z3 FSG begangen.

Dieser ist gemäß § 7 Abs.4 FSG einer Wertung zu unterziehen, wobei u.a. die seit der Begehung verstrichene Zeit und das Verhalten in dieser Zeit zu berücksichtigen sind. Der Berufungswerber hat die Verkehrsübertretung am 16.4.2003 begangen, das Führerscheinentzugsverfahren wurde am 1.9.2003 eingeleitet und der angefochtene Bescheid schließlich am 22.9.2003 erlassen. Der Berufung wurde die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt, weshalb der Berufungswerber bis zur mündlichen Verhandlung am 12.11.2003 im Besitz der Lenkberechtigung war. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist die Entziehung der Lenkberechtigung nur dann rechtmäßig, wenn der Berufungswerber auch zum Zeitpunkt der Erlassung dieses Bescheides noch als verkehrsunzuverlässig anzusehen ist. Im konkreten Fall wäre ein Führerscheinentzug daher nur dann möglich, wenn der Berufungswerber durch das Verhalten vom 16.4.2003 auch noch in der Zeit vom 12.11.2003 bis zum 12.2.2004 (Mindestdauer der Entziehung gemäß § 25 Abs.3 FSG) - also ca. zehn Monate - verkehrsunzuverlässig wäre. Ein derart rücksichtsloses Fahrverhalten hat der Berufungswerber aber nicht begangen. Er hat zwar ein objektiv gefährliches Verhalten gesetzt, dies hat sich aber durch ein - wenn auch grob - sorgloses Verhalten eher zufällig ergeben. Der Berufungswerber hat diese Situation nach den Videoaufzeichnungen nicht bewusst herbeigeführt, um das vor ihm fahrende Fahrzeug zum Verlassen der Überholspur zu nötigen. Aus diesem Grund ist er zum jetzigen Zeitpunkt - fast sieben Monate - nach dem Vorfall nicht mehr als verkehrsunzuverlässig anzusehen. Dabei ist zu Gunsten des Berufungswerbers auch zu berücksichtigen, dass dieser bisher unbescholten war und auch seit der Tat keine aktenkundigen Verkehrsübertretungen begangen hat.

 

Der Vollständigkeit halber ist noch anzuführen, dass eine analoge Anwendung des § 26 Abs.7 FSG nach Ansicht des unabhängigen Verwaltungssenates nicht in Betracht kommt, weil der Gesetzgeber bei den bestimmten Tatsachen gemäß § 7 Abs.3 Z3 FSG (besonders gefährliche Verhältnisse) nicht angeordnet hat, dass vor Erlassung des Entzugsbescheides das erstinstanzliche Strafverfahren abgeschlossen werden muss. Lediglich bei den in § 26 Abs.3 und Abs.4 ausdrücklich angeführten Fällen der Entziehung der Lenkberechtigung hat der Gesetzgeber angeordnet, dass das Verwaltungsstrafverfahren in erster Instanz abgewartet werden muss. Nur in diesen Fällen hat er also in Kauf genommen, dass zwischen der Verwirklichung der bestimmten Tatsache iSd § 7 Abs.3 FSG und der Entziehung der Lenkberechtigung auch ein relativ langer Zeitraum verstreichen darf. In allen anderen Fällen ist dieser Zeitraum bei der Wertung des § 7 Abs.4 FSG zu berücksichtigen.

 

Zusammenfassend war der Berufung daher stattzugeben, weil der Berufungswerber zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund der gemäß § 7 Abs.4 FSG durchgeführten Wertung seines Verhaltens bereits wieder als verkehrszuverlässig anzusehen ist.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

 

Hinweise:

1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in Höhe von 13 Euro angefallen.

 

 

Mag. Z ö b l

 

 

Beschlagwortung:

§ 7 Abs.3 Z3 FSG; geringer Sicherheitsabstand; Berücksichtigung des Zeitraumes zwischen Tat und Entziehung der Lenkberechtigung

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