Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-104164/8/Br

Linz, 30.12.1996

VwSen-104164/8/Br Linz, am 30. Dezember 1996 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr.Bleier über die Berufung des Herrn E, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems vom 7. November 1996, AZ. VerkR96-2894-1996, wegen Übertretungen der StVO 1960, nach der am 30. Dezember 1996 im Rahmen eines Ortsaugenscheines durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung und Verkündung zu Recht erkannt:

I. Der Berufung wird Folge gegeben; das angefochtene Straferkenntnis wird aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr.

471/1995 - AVG, iVm § 19 Abs.1 u.2, § 24, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 und § 51i Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr.

52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 620/1995 - VStG; II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage:

§ 65 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems hat mit dem Straferkenntnis vom 7. November 1996, AZ. VerkR96-2894-1996, über den Berufungswerber wegen der Übertretung nach § 29a Abs.1 StVO 1960 eine Geldstrafe von 1.000 S und für den Nichteinbringungsfall 24 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt und folgenden Tatvorwurf erhoben: "Sie haben am 29.4.1996 um 07.15 Uhr den PKW mit dem Kennzeichen auf der W aus Richtung Ortsmitte W kommend in Richtung gelenkt und als Lenker eines Fahrzeuges einem Kind das ungehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn nicht ermöglicht, obwohl Sie erkennen konnten, daß dieses die Fahrbahn überqueren wollte.

1.1. Hiezu führte die Erstbehörde begründend folgendes aus:

"Die Ihnen im Spruch zur Last gelegte Verwaltungsübertretung wurde von einem Gendarmeriebeamten festgestellt und ist dadurch als erwiesen anzusehen.

Gemäß § 29a Abs. 1 StV0.1960 hat der Lenker eines Kraftfahrzeuges, wenn er zu erkennen vermag, daß Kinder die Fahrbahn einzeln oder in Gruppen, sei es beaufsichtigt oder unbeaufsichtigt, überqueren oder überqueren wollen, ihnen das unbehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen und hat zu diesem Zweck, falls erforderlich, anzuhalten.

Zu Ihren Rechtfertigungsangaben, wonach Sie der Meinung sind, niemanden gefährdet zu haben, ist zu sagen, daß es sich als unzureichend erwiesen hat, daß die bes. Sorgfaltspflichten gegenüber Kindern erst dann bestehen sollen, wenn sich diese bereits auf der Fahrbahn befinden. Analog zur Neuformulierung des § 9 Abs. 2 (Schutzweg) wurde daher die Best. des § 29a Abs. 1 dahingehend angepaßt, daß der Schutzumfang dieser Bestimmung auch auf Kinder, die eine Fahrbahn erkennbar überqueren wollen, ausgeweitet wurde.

Im übrigen erscheint die verhängte Geldstrafe dem Unrechtsgehalt der Tat, sowie Ihren Einkommens,- Familien-und Vermögensverhältnissen (da Sie der ha. Auffforderung vom 8.10.1996 zur Bekanntgabe Ihrer Einkommens-, Familien-und Vermögensverhältnisse nicht nachkamen, mußte von der ha.

Schätzung ausgegangen werden: Nettoeinkommen: S 25.000,--, kein Vermögen, Sorgepflichten für Gattin und 2 Kinder) angemessen. Der Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens ist gesetzlich begründet." 2. In der dagegen fristgerecht erhobenen Berufung führt der Berufungswerber dagegen inhaltlich folgendes aus:

"Ich erhebe hiermit gegen obige Straferkenntnis Berufung.

Mit Strafverfügung vom 3.6.1996 wurde ich wegen eines angeblichen Verstoßes gegen § 9 Abs.2 StVO zu einer Geldstrafe verurteilt. Gegen diese habe ich fristgerecht Einspruch erhoben. Mit Straferkenntnis vom 7.11.1996 (erhalten 13.11.1996) wurde ich nunmehr wegen eines angeblichen Verstoßes gegen § 29a StVO verurteilt.

Gegen diesen Verwaltungsstraftatbestand melde ich ausdrücklich Verfolgungsverjährung (§ 31 VStG, angebliche Tatzeit 29.4.1996 ) an.

Hinsichtlich des nunmehr mir angelasteten Straftatbestandes wurde mir außerdem kein rechtliches Gehör gewährt und daher beruht mein Einwand auch auf Mangelhaftigkeit des Verfahrens.

Diesen Verwaltungsstraftatbestand habe ich nicht begangen.

Beweise:

Zeugen:

* Frau H * meine Einvemahme * Herr K * Ortsaugenschein Aus obigen Gründen beantrage ich daher das Verwaltungsstrafverfahren gegen mich einszutellen.

Mit freundlichen Grüßen E" (e.h. Unterschrift).

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf/Krems vom 19. November 1996, AZ. VerkR96-2894-1996-Sö und Erörterung des Akteninhaltes im Rahmen der unter Abhaltung eines Ortsaugenscheines durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung. Ferner durch die Vernehmung der Zeugen RevInsp. H. D, H. S und des Dipl.Ing.

K. P, sowie des Berufungswerbers als Beschuldigten anläßlich der Berufungsverhandlung.

4. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

4.1. Der Berufungswerber lenkte zur fraglichen Zeit an der oa. Örtlichkeit sein Fahrzeug in Richtung stadtauswärts.

Seine Fahrgeschwindigkeit ist mit 50 km/h anzunehmen. Im Fahrzeug des Berufungswerbers befanden sich die Zeugen S und Dipl.Ing. P. Der Meldungsleger befand sich 25 Meter von der linksseitigen Einmündung des "Querweges" in die entfernt, nämlich am rechten Straßenrand in Richtung ortsauswärts in einem Dienstkraftwagen und versah von dieser Position aus Verkehrsüberwachungsdienst. Dabei hatte er anordnungsgemäß die Behinderung von Schulkindern durch Fahrzeuglenker beim Überqueren der zur Anzeige zu bringen.

Etwa zwei Meter hinter dem Schnittpunkt der Fahrbahnränder ( und Querweg) ist eine in Form eines mindestens einen Meter Durchmesser umfassenden Faßdeckels gestaltete "Begrüßungstafel" 'Willkommen in W' aufgestellt. Die Unterkante des Faßdeckels liegt ca. einen halben Meter über dem Wiesenboden. Es ist daher davon auszugehen, daß auf Grund der zum Tatzeitpunkt herrschenden Vegetation die Sicht in Fahrtrichtung des Berufungswerbers auf den linksseitigen Kreuzungsbereich mit dem "Querweg" durch diese Tafel zum Teil verdeckt gewesen ist, sodaß das sich dem Kreuzungsschnittpunkt annähernde Kind in der Annäherungsphase des Berufungswerbers erst in der Endphase der Annäherung vor dem Kreuzungsschnittpunkt wahrgenommmen werden hat können. Der Meldungsleger konnte von seinem (steileren) Blickwinkel das Kind aber bereits früher erkennen. Es konnte auf Grund der zum Zeitpunkt des Ortsaugenscheines herrschenden Schneelage auch nicht exakt festgestellt werden wo das Kind genau vor dem Straßenrand der stehengeblieben ist.

Bei realistischer Beurteilung der Abläufe im Straßenverkehr kann daher davon ausgegangen werden, daß der Berufungswerber das sich dem Fahrbahnrand nähernde Kind erst in der Phase als es zwei Meter vor dem Kreuzungsbereich anlangte wahrnehmen hat können, sodaß ihm ab dem Sichtbarwerden des Kindes ein Anhalten vor der Überquerungslinie des Fußgängers objektiv nicht mehr möglich gewesen wäre.

Unter der Grundlegung einer Reaktionszeit von einer Sekunde und einer Bremsschwellzeit von 0,2 Sekunden, ergibt sich aus 50 km/h bei einer Betriebsbremsung (4 m/sek/2) ein Anhalteweg von 39 Meter, bei einer Zeitdauer von 4,57 Sekunden. Selbst unter Zugrundelegung einer Vollbremsung (7 m/sek/2 Verzögerung) liegt der Anhalteweg noch immer bei 29 Meter und die Zeit bis zum Stillstand mit drei Sekunden.

5. Das entscheidungsrelevante Beweisergebnis stützt sich auf die im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung vor Ort durchgeführte Beweisaufnahme. Aus den zeugenschaftlichen Angaben wurde glaubhaft dargelegt, daß das Kind am Fahrbahnrand auch von den Insassen im Fahrzeug nicht wahrgenommen wurde. In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Aussage der Zeugin S von Bedeutung, welche nämlich etwa 100 Meter vorher ihr eigenes Kind aus dem Fahrzeug hat aussteigen lassen. Es kann daher von dieser Zeugin eine auf ein Kind bezogene "selektive" Wahrnehmungsfähigkeit angenommen werden. Unter Einbeziehung der oben geschilderten örtlichen Verhältnisse ist daher wahrscheinlich, daß der Berufungswerber sich in jener Phase dem Querweg näherte als das Kind noch durch die oben beschriebene Tafel verdeckt war und für den Fahrzeuglenker erst innerhalb des Anhalteweges objektiv wahrnehmbar geworden sein könnte und es folglich vom Fahrzeuglenker wie auch von seinen Mitfahrern tatsächlich dann nicht mehr wahrgenommen wurde. Der Meldungsleger konnt sich im Gegensatz dazu ausschließlich auf den Kreuzungsbereich konzentrieren. Er hatte ferner auch einen günstigeren Blickwinkel auf die Kreuzung.

Nicht zuletzt sei im Rahmen der Beweiswürdigung auch auf den Umstand hingewiesen, daß ein Fahrzeuglenker seine visuelle Aufmerksamkeitskonzentration in diesem Bereich intuitiv wegen der auf dem rechten Fahrbahnrand befindlichen Parkplätze eher dorthin richten wird, was zusätzlich ein Faktor für eine spätere Gefahrenrealisierung auf der linken Seite sein könnte.

6. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat erwogen:

6.1. Der § 29a Abs.1 StVO 1960 lautet:

Vermag der Lenker eines Fahrzeuges zu erkennen, daß Kinder die Fahrbahn einzeln oder in Gruppen, sei es beaufsichtigt oder unbeaufsichtigt, überqueren oder überqueren wollen, so hat er ihnen das unbehinderte und ungefährdete Überqueren der Fahrbahn zu ermöglichen und hat zu diesem Zweck, falls erforderlich, anzuhalten.

Die Bestimmungen des § 76 werden dadurch nicht berührt.

6.2. Nachdem hier - dies zumindest im Zweifel - nicht davon ausgegangen werden kann, daß der Berufungswerber die Überquerungsabsicht des Kindes erkannte bzw rechtzeitig erkennen konnte, kann ihm diese Übertretung nicht angelastet werden. Hier ist vielmehr von einem höheren Grad an Wahrscheinlichkeit einer nicht rechtzeitigen Erkennbarkeit auszugehen gewesen.

Schon bei bloßem Zweifel an der Tatbegehung ist von der Fortführung eines Verwaltungsstrafverfahrens abzusehen und ist die Einstellung zu verfügen (vgl. VwGH 12.3.1986, Zl.

86/83/0251; ZfVB 1991/3/1122).

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein.

Dr. B l e i e r

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