Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-530107/2/Re/Sta

Linz, 25.03.2004

VwSen-530107/2/Re/Sta Linz, am 25. März 2004

DVR.0690392

E R K E N N T N I S

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Werner Reichenberger über die Berufung von 70 Berufungswerbern, alle vertreten durch Rechtsanwalt Mag. M P, S, P, gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 16.1.2004, GZ. 501/G037017d, betreffend die Vorschreibung nachträglicher Auflagen gemäß § 79 Abs.1 der Gewerbeordnung 1994, BGBl. Nr. 194/1994 idgF (GewO 1994), zu Recht erkannt:

Der Berufung wird keine Folge gegeben.

Der Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 16. Jänner 2004, GZ. 501/G037017d, wird mit der Maßgabe bestätigt, als der zu Grunde liegende Antrag vom 17.7.2003 zurückgewiesen wird.



Rechtsgrundlagen:

§§ 66 Abs.4 und 67a Abs.1 AVG.
§§ 79 Abs.1 und 79a Abs.1, 3 und 4 GewO 1994.

Entscheidungsgründe:

Dem gegenständlichen bekämpften Bescheid der belangten Behörde liegt ein von sämtlichen Berufungswerbern, alle vertreten durch Rechtsanwalt Mag. M P, eingereichter Schriftsatz vom 17. Juli 2003, eingebracht als "Antrag auf Erteilung nachträglicher Auflagen gemäß § 79 GewO 1994" zu Grunde.

Beantragt wurde unter Bezugnahme auf § 79a Abs.1 und Abs.3 GewO 1994, solche nachträglichen Auflagen vorzuschreiben, welche

  1. im Sinne von § 79 Abs.1 GewO 1994 den hinreichenden Schutz des Lebens, der Gesundheit und des Eigentums bewirken, oder
  2. die gemäß § 79 Abs.1 GewO 1994 iVm Artikel 12 Abs.1 Seveso II-Richtlinie bewirken, dass kraft Reduktion des von der Betriebsanlage ausgehenden Gefahrenpotentiales fortan ein "angemessener Abstand" zwischen der Betriebsanlage und ihren Grundstücken bzw. Wohnungen bzw. Betrieben bestehen.

Im Antrag wird zunächst die Nachbareigenschaft der Antragsteller auf Grund der räumlichen Nähe zur Betriebsanlage der F GmbH im Standort L, N, auf den Gst. Nr. und der KG. K, nämlich einer Gaslager- und Gasabfüllanlage, dargelegt.

Der Antrag wird darüber hinaus in Bezug auf die in § 79a GewO geforderte Glaubhaftmachung des nicht hinreichenden Schutzes der Nachbarn vor Auswirkungen der Betriebsanlage im Wesentlichen mit einem dem Magistrat der Stadt Linz zur Verfügung stehenden Sachverständigengutachten begründet, wonach im Umkreis von 830 m, gerechnet von den dem Industrieunfallrecht unterliegenden Betriebsanlagen der F GmbH und der N GmbH in den Standorten L, N bzw. T, R, erhebliche Gefahren bestünden, die von diesen Betriebsanlagen ausgingen. Dies ergebe sich aus einer Anfragebeantwortung des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz. Die gutachtlich belegten Gefahren seien augenscheinlich so gravierend, dass sich die Baubehörde der Landeshauptstadt Linz außer Stande sehe, in der bezeichneten Gefahrenzone weiterhin Baubewilligungen für Gebäude, die Aufenthaltszwecken dienen, zu erteilen.

In der Sache wurde im Wesentlichen vorgebracht, derartige Betriebsanlagen seien zum heutigen Zeitpunkt nicht mehr genehmigungsfähig, es würden Leben, Gesundheit und Eigentum der Anrainer gefährdet. Die mangelnde Genehmigungsfähigkeit ergebe sich auf der Grundlage der österreichischen Rechtslage (§ 74 Abs.2 iVm § 77 Abs.1 GewO 1994) sowie auch unter Einbeziehung des Gemeinschaftsrechts, insbesondere der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9.12.1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen.

Schließlich seien auch nachträgliche Auflagen im Grunde des § 79 Abs.1 GewO vorzuschreiben, wenn sich "nach Genehmigung der Anlage" ergäbe, dass die gemäß § 74 Abs.2 leg.cit. wahrzunehmenden Interessen nicht ausreichend geschützt seien, und zwar obwohl alle Auflagen eingehalten werden. Auch in Bezug auf diesen Antrag auf Vorschreibung nachträglicher Auflagen wird auf die österreichische Rechtsordnung sowie auf die gemeinschaftsrechtskonforme Interpretation und Handhabung des § 79 GewO 1994 verwiesen.

Im nunmehr bekämpften Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz vom 16.1.2004 wurde der Antrag der Nachbarn der F GmbH nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens abgewiesen.

Die gegen diesen abweisenden Bescheid eingebrachte Berufung sämtlicher 70 Antragsteller, alle vertreten durch Rechtsanwalt Dr. M P, S, P, hat der Magistrat der Landeshauptstadt Linz unter Anschluss des Verfahrensaktes dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich zur Berufungsentscheidung vorgelegt. Zu den Berufungsausführungen wurde mit der Vorlage von der belangten Behörde keine Äußerung abgegeben, Widerspruch im Grunde des § 67h Abs.1 AVG wurde nicht erhoben.

Der Unabhängige Verwaltungssenat begründet seine Zuständigkeit zur Berufungsentscheidung in § 359a GewO 1994 in der Fassung des Verwaltungsreformgesetzes 2001.

Der Bescheid des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz wird von den Berufungswerbern mit gemeinsamen Schriftsatz vom 26.1.2004 im Wesentlichen mit dem Vorbringen bekämpft, die belangte Behörde habe den begründeten Antrag mit Bescheid vom 16.1.2004 rechtswidrig abgewiesen. Dies, obwohl die gutachtlich belegten Gefahren augenscheinlich so gravierend seien, dass die Baubehörde der Stadt Linz zur Auffassung gelangt sei, dass aus Sicherheitsgründen die Erteilung von Baubewilligungen künftig weder für Wohngebäude noch für Betriebsanlagen der Gefahrenzone der beiden Seveso II-Betriebe verantwortet werden könne. Trotz Vorliegens eines unabhängigen Sachverständigengutachtens, welches zum Beweis des Vorliegens der Voraussetzungen für die Vorschreibung nachträglicher Auflagen unzweifelhaft geeignet sei, vermeinte die belangte Behörde, dass sie durch die bereits vorgeschriebenen Auflagen hinreichend geschützt seien. Die Berufungsbehörde möge daher den angefochtenen Bescheid dahingehend abändern, dass nachstehenden Anträgen stattgegeben werde: Der Betriebsanlage der F GmbH im Standort Linz, N, seien nachträgliche Auflagen vorzuschreiben, die

  1. im Sinne von § 79 Abs.1 GewO 1994 den hinreichenden Schutz ihres Lebens, ihrer Gesundheit und ihres Eigentums (§§ 74 f GewO 1994) bewirken, oder
  2. die gemäß § 79 Abs.1 GewO 1994 iVm Artikel 12 Abs.1 Seveso II-Richtlinie bewirken, dass kraft Reduktion des von der Betriebsanlage ausgehenden Gefahrenpotentiales fortan ein "angemessener Abstand" zwischen der Betriebsanlage und ihren Grundstücken bzw. Wohnungen bzw. Betrieben bestehe;
    in eventu, die Berufungsbehörde möge den Bescheid beheben und die Sache zur neuerlichen Behandlung an die Gewerbebehörde I. Instanz verweisen.

Im Einzelnen wurde ausgeführt, in Österreich sei im Jahr 2000 mit der GewO-Novelle BGBl. 2000/88 der Abschnitt 8a "betreffend die Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen" in Umsetzung der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9.12.1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen, die sogenannte Seveso II-Richtlinie, eingefügt worden. Auf Grund der besonderen kompetenzrechtlichen Situation zwischen Bund und Ländern in Österreich seien keine Umsetzungen betreffend Artikel 11 und 12 erfolgt und sei für die Bestimmungen des Artikel 12 zur Flächennutzung und der damit verbundenen Verpflichtung zur Information der Öffentlichkeit nach Artikel 13 Abs.5 eine Umsetzung in den einzelnen Landesgesetzen nötig. Eine solche sei in Oberösterreich bisher nicht erfolgt. Als Konsequenz der in Teilbereichen fehlenden Umsetzungen in nationales Recht sei die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie gegeben. Diese Verpflichtung beträfe Gerichte und Verwaltungsbehörden. Zweck und Ziel der Richtlinie sei die Vermeidung von schweren Unfällen in Betrieben mit gefährlichen Stoffen sowie die Beschränkung ihrer Auswirkung auf Menschen und Umwelt in der Umgebung dieser Betriebe. Es ergebe sich somit, dass die einschlägigen Bestimmungen der GewO 1994 im Lichte der Seveso II-Richtlinie gemeinschaftsrechtskonform zu interpretieren seien und soweit eine Umsetzung in nationales Recht nicht erfolgt sei, die Richtlinie unmittelbar anzuwenden sei. Die Genehmigung einer Betriebsanlage nach der GewO setze voraus, dass "voraussehbare Gefährdungen" ausgeschlossen werden. "Voraussehbar" im Sinne des § 77 sei eine Gefährdung, deren Eintritt mit einer relativen Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei; je folgenschwerer die Auswirkungen, desto geringer die Anforderungen an die Gewissheit des Eintritts der Gefährdung. Die gewerberechtliche Genehmigung müsse daher auch den Störfall umfassen. Es ergebe sich daher bei richtlinienkonformer Interpretation, dass die Vorgaben des Artikel 12 der Seveso II-Richtlinie und damit ein angemessener Abschnitt zwischen den einschlägigen Betriebsanlagen in Wohngebieten einzuhalten seien. Bei bestehenden Betrieben könne der Abstand durch zusätzliche technische Maßnahmen unter Anwendung des
§ 79 teilweise ersetzt werden, jedoch nicht zur Gänze. Bereits § 79 Abs.1 GewO 1994 ohne Bedachtnahme auf gemeinschaftsrechtliche Aspekte verpflichte die Gewerbebehörde zur Vorschreibung nachträglicher Auflagen. Die Schutzgüter des Lebens, der Gesundheit und des Eigentums der Nachbarn seien nicht hinreichend geschützt, da unter Zugrundelegung des heutigen Wissenstandes eine Betriebsanlagengenehmigung nicht erteilt werden könnte. Daraus folge zwingend, dass ein Anwendungsfall des § 79 Abs.1 GewO 1994 vorliege. Dies umso mehr bei gemeinschaftsrechtskonformer Interpretation unter Heranziehung des Artikels 12 der Seveso II-Richtlinie, wonach dafür zu sorgen sei, dass zwischen einschlägigen Betriebsanlagen und Wohngebieten "ein angemessener Abstand" bestehe. Die Gewerbebehörde müsse daher bei gemeinschaftsrechtskonformer Interpretation und Handhabung des § 79 GewO 1994 solche zusätzlichen Auflagen vorschreiben. Für die unmittelbare Anwendbarkeit der Richtlinie spräche auch, dass gemäß Artikel 5 der Richtlinie das Unternehmen selbst bzw. der Anlagenbetreiber in der Anleitungs- und Überwachungspflicht der Behörde dafür sorgen müsse, dass bei schweren Unfällen die Auswirkungen auf die in der Nachbarschaft wohnenden Menschen möglichst gering sind. Er habe alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um schwere Unfälle zu verhüten. Die Behörde habe die Weiterführung eines Betriebes zu untersagen, wenn die vom Betreiber getroffenen Maßnahmen zur Verhütung schwerer Unfälle und der Begrenzung der Unfallfolgen unzureichend seien. Unter Heranziehung des bereits zitierten Sachverständigengutachtens habe die belangte Behörde daher für die Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Normen zu sorgen, nicht nur begründete nachträgliche Auflagen vorzuschreiben, sondern für den Fall, dass solche Auflagen nicht möglich seien, eine Untersagungsverfügung zu erlassen. In Anbetracht der unmittelbaren Anwendbarkeit der gemeinschaftsrechtlichen Vorgaben und der Verpflichtung zur gemeinschaftsrechtskonformen Interpretation nationalen Rechtes käme es einer Verhöhnung gleich, wenn die belangte Behörde von einer unzulässigen Vermengung oder einer unzulässigen Verknüpfung der gewerberechtlichen Bestimmungen mit raumordnungsrechtlichen Aspekten der Seveso II-Richtline spräche. Die belangte Behörde habe den berechtigten Antrag in rechtswidriger Weise als unbegründet abgewiesen und darüber hinaus entgegen ihrer Verpflichtung zum amtswegigen Handeln keine weiteren Erhebungen gepflogen, insbesondere verabsäumt, ergänzende Sachverständigengutachten einzuholen. Das erstinstanzliche Ermittlungsverfahren sei daher nicht geeignet gewesen, die durch das zitierte Sachverständigengutachten untermauerten Befürchtungen zu zerstreuen.

Erwägungen des Unabhängigen Verwaltungssenates:

Gemäß § 79 GewO 1994 hat die Behörde, wenn sich nach Genehmigung der Anlage ergibt, dass die gemäß § 74 Abs. 2 wahrzunehmenden Interessen trotz Einhaltung der im Genehmigungsbescheid vorgeschriebenen Auflagen nicht hinreichend geschützt sind, die nach dem Stand der Technik und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zur Erreichung dieses Schutzes erforderlichen anderen oder zusätzlichen Auflagen (§ 77 Abs. 1) vorzuschreiben....... Die Behörde hat solche Auflagen nicht vorzuschreiben, wenn sie unverhältnismäßig sind, vor allem, wenn der mit der Erfüllung der Auflagen verbundene Aufwand außer Verhältnis zu dem mit den Auflagen angestrebten Erfolg steht. Dabei sind insbesondere Art, Menge und Gefährlichkeit der von der Anlage ausgehenden Emissionen und der von ihr verursachten Immissionen sowie die Nutzungsdauer und die technischen Besonderheiten der Anlage zu berücksichtigen.

Gemäß Abs.2 leg.cit. sind zu Gunsten von Personen, die erst nach Genehmigung der Betriebsanlage Nachbarn im Sinne des § 75 Abs.2 und 3 geworden sind, Auflagen im Sinne des Abs.1 nur soweit vorzuschreiben, als diese zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit dieser Personen notwendig sind. Auflagen im Sinne des Abs.1 zur Vermeidung einer über die unmittelbare Nachbarschaft hinausreichenden beträchtlichen Belastung durch Luftschadstoffe, Lärm oder gefährliche Abfälle sind, sofern sie nicht unter den 1. Satz fallen, zu Gunsten solcher Personen nur dann vorzuschreiben, wenn diese Auflagen im Sinne des Abs.1 verhältnismäßig sind.

Gemäß § 79a Abs.1 GewO 1994 hat die Behörde ein Verfahren gemäß § 79 Abs.1 von Amts wegen oder nach Maßgabe des Abs.2 auf Antrag des Bundesministers für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft oder nach Maßgabe des Abs.3 auf Antrag eines Nachbarn einzuleiten.

Gemäß Abs.3 leg.cit. muss der Nachbar in seinem Antrag gemäß Abs.1 glaubhaft machen, dass er als Nachbar von den Auswirkungen der Betriebsanlage nicht hinreichend geschützt ist und nachweisen, dass er bereits im Zeitpunkt der Genehmigung der Betriebsanlage oder der betreffenden Betriebsanlagenänderung Nachbar im Sinne des § 75 Abs.2 und 3 war.

Gemäß Abs.4 leg.cit. erlangt der Nachbar durch die Einbringung des dem Abs.3 entsprechenden Antrages Parteistellung. Der Nachbar ist nicht gemäß § 76 Abs.1 zur Kostentragung verpflichtet, wenn auf Grund seines Antrages andere oder zusätzliche Auflagen vorgeschrieben wurden.

Gemäß § 75 Abs.2 GewO 1994 sind Nachbarn im Sinne dieses Bundesgesetzes alle Personen, die durch die Errichtung, den Bestand oder den Betrieb einer Betriebsanlage gefährdet oder belästigt oder deren Eigentum oder sonstige dingliche Rechte gefährdet werden könnten. Als Nachbarn gelten nicht Personen, die sich vorübergehend in der Nähe der Betriebsanlage aufhalten und nicht im Sinne des vorherigen Satzes dinglich berechtigt sind. Als Nachbarn gelten jedoch die Inhaber von Einrichtungen, in denen sich, wie etwa in Beherbergungsbetrieben, Krankenanstalten und Heimen, regelmäßig Personen vorübergehend aufhalten, hinsichtlich des Schutzes dieser Personen, und die Erhalter von Schulen hinsichtlich des Schutzes der Schüler, der Lehrer und der sonst ständig beschäftigten Personen.

Gemäß Artikel 12 Abs. 1 der Richtlinie 96/82/EG des Rates vom 9.12.1996 zur Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen mit gefährlichen Stoffen, in Kraft getreten am 3.2.1997 (Seveso II-RL), werden die Mitgliedsstaaten unter der Überschrift "Überwachung der Ansiedlung" verpflichtet, dafür zu sorgen, dass in ihren Politiken der Flächenausweisung oder Flächennutzung und/oder anderen einschlägigen Politiken das Ziel, schwere Unfälle zu verhüten und ihre Folgen zu begrenzen, Berücksichtigung findet. Dazu überwachen sie

  1. die Ansiedlung neuer Betriebe
  2. Änderungen bestehender Betriebe im Sinne des Artikels 10 und
  3. neue Entwicklungen in der Nachbarschaft bestehender Betriebe, wie beispielsweise Verkehrswege, Örtlichkeiten mit Publikumsverkehr, Wohngebiete, wenn diese Ansiedlungen oder Maßnahmen das Risiko eines schweren Unfalles vergrößern oder die Folgen eines solchen Unfalles verschlimmern können.

Nach dieser Richtliniennorm des Art. 12 Abs.1 haben die Mitgliedsstaaten darüber hinaus dafür zu sorgen, dass in ihrer Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung und/oder anderen einschlägige Politiken sowie den Verfahren für die Durchführung dieser Politiken langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebieten und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvollen bzw. besonders empfindlichen Gebieten andererseits, ein angemessener Abstand gewahrt bleibt und dass bei bestehenden Betrieben zusätzliche technische Maßnahmen nach Artikel 5 ergriffen werden, damit es zu keiner Zunahme der Gefährdung der Bevölkerung kommt.

Gemäß Artikel 5 Abs.1 dieser Seveso II-RL haben die Mitgliedsstaaten dafür zu sorgen, dass der Betreiber verpflichtet ist, alle notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um schwere Unfälle zu verhüten und deren Folgen für Menschen und Umwelt zu begrenzen. Gemäß Abs.2 ist der Betreiber zu verpflichten, der zuständigen Behörde jederzeit insbesondere im Hinblick auf die Inspektionen und Kontrollen gemäß Artikel 18 nachzuweisen, dass er alle erforderlichen Maßnahme im Sinne dieser Richtlinie getroffen hat.

Die verfahrenseinleitenden Anträge sämtlicher Antragsteller und nunmehriger Berufungswerber - der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass die Antragsteller je im Wesentlichen gleichlautende Anträge in Bezug auf die beiden benachbarten Betriebsanlagen der F GmbH und der N GmbH, welche beide dem Industrieunfallrecht und somit der Seveso II-RL unterliegen, eingebracht haben - gründen offenbar in Aussagen des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz bei der 57. Sitzung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Linz am Donnerstag, 24. April 2003, im Rahmen einer Beantwortung einer Anfrage einer Gemeinderätin betreffend die unmittelbare Nähe der Betriebe F (L) und N (T) zum Siedlungsgebiet. Ein in dieser Anfrage angesprochener Schutzzonenbereich im Umkreis von 800 m um die Firmen wird vom Bürgermeister der Landeshauptstadt Linz dahingehend erläutert, als in Bezug auf Artikel 12 der Seveso II-RL im Auftrag des Bauamtes des Magistrates der Landeshauptstadt Linz durch Sachverständige des Amtes für Technik und der Feuerwehr ein Gefährdungsbereich, ausgehend von der Firma F gerechnet worden und darin ein angemessener Abstand von 830 m festgelegt worden sei. In diesem Gefährdungsbereich seien laut geäußerter Ansicht des Leiters der Baurechtsabteilung des Landes Oberösterreich, also des Amtes der Oö. Landesregierung, sämtliche Bauten und Bauführungen, die dem Aufenthalt von Menschen dienen, seitens der Behörde zu untersagen. Das sei die jetzige Auslegung der Seveso II-RL.

Die Einsichtnahme in den bezughabenden Verfahrensakt hat ergeben, dass sich dieses von den antragstellenden Berufungswerbern wiederholt zitierte Gutachten der Sachverständigen des Amtes für Technik und der Feuerwehr selbst als Aktenvermerk des Amtes für Technik bzw. als gemeinsame Stellungnahme der Vertreter des Amtes für Technik und der Feuerwehr zur Festlegung von Gefährdungsbereichen um die Flüssiggasanlage der Firma F im Standort N, bezeichnet.

Als Ausgangssituation und Beurteilungsumfang wurden dabei, ausgehend von einem Szenario eines schweren Unfalles, die Wirkung von Wärmestrahlen und Explosionsdruck in Abhängigkeit der Entfernung dargestellt. Als Annahme wurde den Berechnungen das Szenario eines schweren Unfalles zu Grunde gelegt, wobei auf die vergleichbare Vorgangsweise des bundesweit tagenden "Arbeitskreises Seveso" verwiesen wird, welcher unter dem Titel "Empfehlung zur Ermittlung von angemessenen Abständen für die Zwecke der Raumordnung, des Katastrophenschutzes und der Dominoeffekte" auf der Grundlage der Seveso II-RL tätig ist. Dem Szenario zu Grunde gelegt wurde der sogenannten "BLEVE" (Boiling Liquid Expanding Vapour Explosion), als Folge einer Behälterexplosion eines oberirdischen Gaslagerbehälters. Zusammenfassend wird von den Bearbeitern in diesem Aktenvermerk festgestellt, dass dieses Szenario "BLEVE" vom Arbeitskreis Seveso für die Zwecke der Raumordnung und des Katastrophenschutzes vorgeschlagen werde.

Unter einem "schweren Unfall" im Grunde des § 84b GewO 1994 ist ein Ereignis zu verstehen, dass sich aus unkontrollierten Vorgängen in einem unter diesen Abschnitt fallenden Betrieb ergibt (etwa eine Emission, ein Brand oder eine Explosion größeren Ausmaßes), das unmittelbar oder später innerhalb oder außerhalb des Betriebes zu einer ernsten Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Umwelt führt und bei dem ein oder mehrere gefährliche Stoffe beteiligt sind.

Zur Vorschreibung von Auflagen nach des § 79 GewO 1994:

Der Unabhängige Verwaltungssenat gelangt in Übereinstimmung mit der belangten Behörde zur Auffassung, dass die Rechtsgrundlage des § 79 GewO 1994 kein geeignetes Instrumentarium darstellt, Auflagen zur Verminderung einer im Rahmen eines Referenzszenarios errechneten Gefährdungsabstandes vorzuschreiben. § 79 geht von einer genehmigten Anlage aus und ermöglicht bei Erfüllung der rechtlichen Vorgaben die Vorschreibung anderer oder zusätzlicher Auflagen, und zwar unter Hinweis auf § 77 Abs.1 der Gewerbeordnung. Gemäß § 77 Abs.1 ist eine Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z. 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

Die nach dem ersten Satz vorgeschriebenen Auflagen haben erforderlichenfalls auch Maßnahmen für den Fall der Unterbrechung des Betriebes und der Auflassung der Anlage zu umfassen.

Im Grunde dieser Gesetzesbestimmung sind daher Auflagen vorzuschreiben, um die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen zu vermeiden. Nicht gefordert ist dagegen der Ausschluss jeder überhaupt denkbaren möglichen Gefährdung. Gefährdungen müssen daher nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes beim normalen Betrieb der Betriebsanlage konkret voraussehbar sein.

Bei der Heranziehung von "worst-case-Szenarien zur Berechnung von Gefährdungsbereichen im Zusammenhang mit dem raumordnungsrechtlichen Vollzug des Artikels 12 der Seveso-RL handelt es sich jedoch nicht um solche, beim genehmigten Betrieb der Anlage konkret voraussehbare Gefährdungen.

Es entspricht darüber hinaus nicht mehr der jetzigen Rechtslage, dass - wie in der Gewerbeordnung vor der Gewerberechtsnovelle 2000 verankert - nach dem § 77 Abs.1 zweiter Satz 1. Teilsatz die im Betriebsanlagengenehmigungsbescheid erforderlichenfalls vorzuschreibenden Auflagen auch Maßnahmen betreffend Störfälle zu enthalten haben. Hier irren somit die Berufungswerber, wenn sie davon ausgehen, dass die gewerberechtliche Genehmigung auch den Störfall umfassen müsse. Durch den Entfall dieser oben zitierten Bestimmung wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass die Seveso II-RL kein "Genehmigungsregime" begründet, das heißt, keine Regelungen betreffend die Genehmigung einer den Bestimmungen betreffend die Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen unterliegenden Betriebsanlage vorsieht (siehe hiezu auch den Bericht des Handelsschusses zur Gewerberechtsnovelle 2000 - 212 BlgNr. 21.GP). Auflagen im Grunde des § 79 GewO 1994, welche sich nach dem Wortlaut des Gesetzestextes an das Genehmigungsregime des § 77 leg.cit. orientieren, sind daher im gegenständlichen Falle im Rahmen des gestellten Antrages nach österreichischem Recht nicht vorschreibbar und zwar unabhängig davon, ob es sich um Auflagen zur Vermeidung einer Gefährdung des Lebens oder einer Gefährdung des Eigentums handelt.

Zur Vorschreibung von Auflagen nach § 79 Abs.1 GewO 1994 iVm Artikel 12 Abs.1 Seveso II-RL dahingehend, das kraft Reduktion des von der Betriebsanlage ausgehenden Gefahrenpotentiales fortan ein angemessener Abstand zwischen der Betriebsanlage und den Grundstücken bzw. Wohnungen bzw. Betrieben der Anrainer besteht:

Artikel 12 Abs.1 verpflichtet die Mitgliedsstaaten zunächst lediglich zur Überwachung. Gefordert ist in Bezug auf ihre Politiken der Flächenausweisung oder Flächennutzung die Überwachung der Ansiedlung neuer Betriebe, von Änderungen bestehender Betriebe im Sinne des Artikel 10 (geregelt sind hier Pflichten des Betreibers zur Überprüfung und Änderung von Unfallverhütungskonzepten, Managementsystemen und Sicherheitsberichten) sowie von neuen Entwicklungen in der Nachbarschaft bestehender Betriebe, welche das Risiko eines schweren Unfalles vergrößern oder die Folgen eines solchen Unfalles verschlimmern können. Diese Anforderungen wurden in der Gewerbeordnung durch Einfügen des Abschnittes 8a betreffend die Beherrschung der Gefahren bei schweren Unfällen umgesetzt und kommen somit für eine Direktanwendung nicht in Betracht.

Wenn darüber hinausgehend die Mitgliedsstaaten dafür Sorge zu tragen haben, dass in ihrer Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung und/oder anderer einschlägiger Politiken sowie den Verfahren für die Durchführung dieser Politiken langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen wird, dass zwischen den unter diese Richtlinie fallenden Betrieben einerseits und Wohngebieten, öffentlich genutzten Gebieten und unter dem Gesichtspunkt des Naturschutzes besonders wertvollen bzw. besonders empfindlichen Gebieten andererseits ein angemessener Abstand gewahrt bleibt, so richtet sich diese Verpflichtung nicht an den Bundesgesetzgeber zur Umsetzung zB in der Gewerbeordnung sondern an den Landesgeber zur Umsetzung in den raumordnungsrechtlichen Normen. Dies ist auch den Ausführungen der Berufungswerber zu entnehmen. Eine allfällige Direktanwendung kommt aber dann somit, wenn überhaupt, nur in solchen Verfahren in Frage, in denen das Raumordnungsrecht der Landeskompetenzen direkt zu berücksichtigen ist. Nicht der Fall ist dies jedenfalls im gewerblichen Betriebsanlagenverfahren.

Wenn in diesem Zusammenhang auf die im Protokoll über die 57. Sitzung des Gemeinderates der Landeshauptstadt Linz protokollierte Aussage, wonach im Gefährdungsbereich sämtliche Bauten und Bauführungen, die dem Aufenthalt von Menschen dienen, seitens der Behörden zu untersagen seien, verwiesen wird, so kann sich diese Aussage nach Auffassung des Unabhängigen Verwaltungssenates somit nur auf die baurechtliche Zulässigkeit beziehen. Dies zeigt auch der ebenfalls protokollierte Verweis auf die Baurechtsabteilung des Amtes der Oö. Landesregierung. Im Übrigen ist in den vorliegenden Verfahrensakten und in den Eingaben der Berufungswerber nicht davon die Rede, dass ein konkretes Verfahren zur Erteilung einer Baubewilligung auch bereits rechtskräftig abgewiesen worden sei.

Wenn darüber hinaus im letzten Absatz des Artikel 12 Abs.1 der Richtlinie die Mitgliedsstaaten dafür zu sorgen haben, dass in ihrer Politik der Flächenausweisung oder Flächennutzung und/oder anderen einschlägigen Politiken sowie dem Verfahren für die Durchführung dieser Politiken langfristig dem Erfordernis Rechnung getragen werden muss, dass bei bestehenden Betrieben zusätzliche technische Maßnahmen nach Artikel 5 ergriffen werden, damit es zu keiner Zunahme der Gefährdung der Bevölkerung kommt, so scheidet die Verbindung dieses Richtlinieninhaltes mit § 79 der Gewerbeordnung nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates ebenso aus. Dies einerseits aus dem Grund, als es sich um eine langfristig zu verwirklichende Forderung handelt. Eine allenfalls erforderliche Vorschreibung zusätzlicher Auflagen ist, wenn notwendig, unverzüglich zur Hintanhaltung konkreter Gefährdungen vorzunehmen. Darüber hinaus zielen die zusätzlichen technischen Maßnahmen nach Artikel 5 darauf ab, keine Zunahme der Gefährdung der Bevölkerung zuzulassen. Das könnte daher in der gegenständlichen Situation der bestehenden Unternehmen F bzw. N und der bestehenden Anrainersituation dann eintreten, wenn zB konkrete Änderungen der Betriebsanlage geplant sind, welche neue oder größere Gefahren besorgen lassen und wäre dann, wenn es sich um konkret vorhersehbare Gefahren handelt, dem Genehmigungsregime für neue Anlagen im betroffenen Gebiet bzw. für Änderungen bestehender Anlagen ebendort zuzuordnen, nicht jedoch dem § 79 der Gewerbeordnung, welcher es ermöglicht, grundsätzlich bekannten, konkreten Belästigungen oder Gefährdungen, welchen im Genehmigungsverfahren zB nicht ausreichend Rechnung getragen wurde, nachträglich zu begegnen.

Der Unabhängige Verwaltungssenat schließt sich somit der belangten Behörde auch insofern an, als § 79 GewO 1994 iVm Artikel 12 der Seveso II-RL keine Rechtsgrundlage für die Vorschreibung von weiteren Auflagen, wie im zu Grunde liegenden Antrag gefordert, bietet.

Die belangte Behörde konnte somit den Anträgen der nunmehrigen Berufungswerber zu Recht keine Folge geben. Da sich jedoch der Antrag auf Erteilung nachträglicher Auflagen gemäß § 79 GewO 1994 vom 17. Juli 2003 ausschließlich auf solche Gefahren bezieht, welche in den von den Berufungswerbern als Sachverständigengutachten bezeichneten Ausführungen von Sachverständigen des Magistrates der Stadt Linz beschriebenen möglichen Gefahren im Zusammenhang mit einem sogenannten "Dennoch Störfall" beschrieben werden, diese Gefahren - wie oben dargestellt - nicht solche sind, welche der Vorschreibung nachträglicher Auflagen nach § 79 GewO 1994 zulassen, wurde im zu Grunde liegenden Antrag nach § 79a Abs.1 GewO 1994 somit nicht ausreichend glaubhaft gemacht, dass die Nachbarn vor den - tatsächlichen und konkret voraussehbaren - Auswirkungen der Betriebsanlage nicht hinreichend geschützt sind, weshalb der Spruch des bekämpften Bescheides des Bürgermeisters der Landeshauptstadt Linz entsprechend abzuändern war.

Auf Grund dieser dargestellten Sach- und Rechtslage war somit auch der Berufung der Erfolg zu versagen und wie im Spruch zu entscheiden, ohne die weitere Voraussetzung zur Erlangung der Parteistellung im Verfahren nach § 79a GewO 1994, nämlich der Nachweis, dass die Antragsteller bereits im Zeitpunkt der Genehmigung der Betriebsanlage oder einer betreffenden Betriebsanlagenänderung Nachbarn im Sinne des § 75 Abs.2 und 3 leg.cit. waren, weiter zu überprüfen.

Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

  1. Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.
  2. Im gegenständlichen Verfahren sind Stempelgebühren in der Höhe von 13 Euro angefallen.

Dr. Reichenberger

Beschlagwortung:

Seveso II, Industrieunfallrecht

Auflagen nach § 79 GewO

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgelehnt;

VfGH vom 27.09.2004, Zl.: B 637/04-3, B 659/04-3

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