Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-550019/29/Gf/Km

Linz, 15.12.2000

VwSen-550019/29/Gf/Km Linz, am 15. Dezember 2000

DVR.0690392

B E S C H L U S S

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch seine 7. Kammer unter dem Vorsitz von Mag. Gallnbrunner, den Berichter Dr. Grof und den Beisitzer Dr. Konrath aus Anlass der Berufung der P Stahl- und Fahrzeugbau GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. K F, gegen den Bescheid der Oberösterreichischen Landesregierung vom 20. April 1999, Zl. Fin-090681/3-1998-Für/May, wegen einer Auftragsvergabe durch das Land Oberösterreich, beschlossen:

1. Das Verfahren wird unterbrochen.

2. Der Europäische Gerichtshof wird ersucht, folgende Rechtsfragen zu entscheiden:

a) Stellt die Regelung eines Mitgliedstaates, wonach auch das Gericht (die unabhängige Instanz) im Nachprüfungsverfahren von Amts wegen vorzugehen und den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen hat, eine Verletzung des Art. 2 Abs. 8 letzter Satz erster Halbsatz der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der öffentlichen Liefer- und Bauaufträge dar?

b) Falls diese Frage verneint wird: Gebietet Art. 2 Abs. 8 letzter Satz erster Halbsatz der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der öffentlichen Liefer- und Bauaufträge eine Auslegung der innerstaatlichen Rechtsvorschriften dahin, dass das Gericht (die unabhängige Instanz) ohne spezifische Behauptungen (und erst recht ohne entsprechende Beweismittelanträge) einer Verfahrenspartei von Amts wegen die Frage klärt, ob es sich bei der gegenständlichen Ausschreibung nicht um ein Einzel-, sondern bloß um ein Teilvorhaben handelt und - falls letzteres zu bejahen ist - ob das Gesamtvorhaben einen geschätzten Auftragswert von über 5 Mio Euro aufweist, oder verbietet sich eine derartige Sichtweise gerade deshalb, weil eine die Partei treffende Behauptungslast und Beweisanbotspflicht den wesentlichen Unterschied eines kontradiktorischen Verfahrens im Vergleich zum Inquisitionsprozess ausmacht?

3. Das Verfahren wird nach Vorliegen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes fortgesetzt werden.

Rechtsgrundlage:

Art. 234 EGV; § 38a AVG.

Begründung:

1. Sachverhalt:

1.1. Mit Ausschreibung vom 23.11.1998 (veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 1. Dezember 1998, Zl. 98/S 232-159476/DE, sowie in der Amtlichen Linzer Zeitung 1998, Folge 25, S. 26) hat die "Arbeitsgemeinschaft Projektmanagement Ausbau der L-N, L" (im Folgenden: Auftraggeberin) im Wege eines Offenen Verfahrens den "N Ha - K Stahlbau (Teil 1)" der Oö. L mit einem geschätzten Auftragswert von 16,0 Mio ATS (= 1,162.765,35 Euro) ausgelobt.

1.2. Mit dem auf § 58 Abs. 1 und 2 erster Satz des Oö. Vergabegesetzes, LGBl.Nr. 59/1994 i.d.F. LGBl.Nr. 34/1997 (im Folgenden: OöVergG idF 1997), gestützten Bescheid der Oö. Landesregierung als Nachprüfungsbehörde vom 20.4.1999, Zl. Fin-090681/3-1999-Für/May, wurden die Anträge der P Stahl- und Fahrzeugbau GmbH (im Folgenden: Beschwerdeführerin) auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des Ausschlusses ihres Angebotes vom weiteren Vergabeverfahren wegen Nichtvorliegens der in den Ausschreibungsbedingungen geforderten Vollmacht sowie auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung als unbegründet abgewiesen.

Begründend führte die Oö. Landesregierung darin im Wesentlichen aus, dass nach den Ausschreibungsbedingungen gefordert gewesen sei, dass in dem Fall, dass ein Angebot eines Bieters von dessen bevollmächtigten Vertretern unterfertigt wird, die entsprechende schriftliche Vollmacht dem Angebot bereits bei der Angebotseröffnung beiliegen muss. Da im gegenständlichen Fall aber die das Angebot für die beschwerdeführende Gesellschaft unterzeichnet habende Person für jene nicht außenvertretungsbefugt war und auch eine entsprechende Vollmacht bei der Angebotseröffnung nicht vorgelegen sei, habe sich die Ausscheidung des Angebotes der Rechtmittelwerberin vom weiteren Vergabeverfahren sohin als rechtmäßig erwiesen, weshalb auch deren Nachprüfungsantrag und deren Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung als unbegründet abzuweisen gewesen sei.

1.3. Gegen diesen ihr am 22.4.1999 zugestellten Bescheid hat die Beschwerdeführerin rechtzeitig Berufung erhoben.

Darin ließ sie zwar unbestritten, dass bei der Angebotseröffnung keine förmliche Vollmacht vorlag; sie wendet jedoch ein, dass die unterzeichnende Person damals mit Handlungsvollmacht i.S.d. §§ 54 ff des Handelsgesetzbuches, dRGBl S. 219/1897, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 61/2000, ausgestattet gewesen sei und im Auftrag sowie mit Billigung der beiden - zu diesem Zeitpunkt jeweils ortsabwesenden - Außenvertretungsbefugten der GmbH gehandelt habe. Damit wäre aber ein zivilrechtlich verbindliches Angebot vorgelegen, womit den Anforderungen des OöVergG idF 1997 materiell entsprochen gewesen sei; die Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung habe bei einer erst nachträglichen Beibringung der schriftlichen Vollmacht - welche Vorgangsweise im Übrigen mit Blick auf die einschlägigen Rechtsvorschriften nicht ausgeschlossen erscheine - jedenfalls nicht bestanden. Aus diesen Gründen wurde die Aufhebung des angefochtenen Bescheides und die Feststellung, dass die Auftragsvergabe rechtswidrig war, beantragt.

1.4. Mit Erkenntnis des Oö. Verwaltungssenates vom 21.5.1999, Zl. VwSen-550019/4/Gf/Km, wurde der angefochtene Bescheid wegen Unzuständigkeit der Oö. Landesregierung aufgehoben und demzufolge die Berufung als unzulässig zurückgewiesen. Dies deshalb, weil der verfahrensgegenständliche Auftrag zwar in den persönlichen, gemäß § 3 Abs. 1 Z. 1 OöVergG idF 1997 jedoch infolge Nichtüberschreitung des erforderlichen Schwellenwertes von 5 Mio Euro nicht in den sachlichen Geltungsbereich des OöVergG idF 1997 falle.

1.5. Auf Grund der gegen diese Entscheidung erhobenen Beschwerde hat der Verwaltungsgerichtshof zunächst in seinem Erkenntnis vom 22.3.2000, Zl. 2000/04/0026, festgestellt, dass nach § 66 des Allgemeinen Verwaltungsverfahrensgesetzes, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 29/2000 (im Folgenden: AVG), die Zurückweisung einer Berufung unter gleichzeitiger Aufhebung des Bescheides nicht in Betracht kommt.

1.6. Unter Bindung an diese Rechtsansicht gemäß § 63 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes, BGBl.Nr. 10/1985, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 31/2000 (im Folgenden: VwGG), hat der Oö. Verwaltungssenat daher mit Erkenntnis vom 20.4.2000, Zl. 550019/16/Gf/Km, - mit im Wesentlichen gleichlautender Begründung - der Berufung stattgegeben und den bekämpften Bescheid aufgehoben.

1.7. Auf Grund einer neuerlichen Beschwerde gegen diese Entscheidung hat der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 27.9.2000, Zl. 2000/04/0108, festgestellt, dass § 66 Abs. 4 AVG - von hier nicht maßgeblichen Ausnahmen abgesehen - im Rechtsmittelverfahren eine bloße (ersatzlose) Aufhebung der angefochtenen Entscheidung ausschließt, sondern vielmehr die Erlassung einer (positiven oder negativen) Sachentscheidung bedingt. Davon ausgehend hätte es - so der Verwaltungsgerichtshof - "zur Beurteilung, ob im vorliegenden Fall die Wertgrenze des § 3 Abs. 1 Z. 1 ..... überschritten ist, entsprechender Feststellungen darüber bedurft ....., ob es sich bei dem Gegenstand der Ausschreibung tatsächlich nur um einen Teil eines größeren Gesamtvorhabens oder doch um ein selbständiges Gesamtvorhaben gehandelt hat, und gegebenenfalls wie hoch der geschätzte Auftragswert des größeren Gesamtvorhabens ist".

1.8. Zufolge der nach § 63 Abs. 1 VwGG festgelegten Bindungswirkung wird daher der Oö. Verwaltungssenat im fortgesetzten Verfahren diese Feststellungen zu treffen haben.

2. Darstellung der maßgeblichen österreichischen Rechtslage und daraus resultierende Fragestellungen

2.1 Innerstaatlich betrachtet zählt die staatliche Auftragsvergabe, also die Vergabe von Aufträgen durch juristische Personen des öffentlichen Rechts (bzw. der für diese handelnden Organe), nach österreichischem Recht zur sog. "Privatwirtschaftsverwaltung". Darunter ist aus rechtssystematischer Sicht - als Gegenstück zur Hoheitsverwaltung - die staatliche Verwaltungsführung in den Rechtssatzformen des Privatrechts zu verstehen (vgl. grundlegend Adamovich - Funk - Holzinger, Österreichisches Staatsrecht, Bd. 1, Wien 1997, 302 ff).

Die Privatwirtschaftsverwaltung ist aus dem Blickwinkel des verfassungsmäßigen Legalitätsprinzips (Art. 18 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes, BGBl.Nr. 1/1930, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. I 68/2000, im Folgenden: B-VG) und der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung dadurch gekennzeichnet, dass einerseits das Gesetz grundsätzlich nicht als Voraussetzung, sondern bloß als Schranke des Organverhaltens fungiert und sich andererseits gesetzliche Regelungen - soweit diese entweder rechtspolitisch gewollt oder ausnahmsweise verfassungsmäßig gefordert sind - in diesem Bereich nach Art. 17 B-VG als "kompetenzneutral" erweisen (vgl. Adamovich - Funk - Holzinger, aaO, RN 19.054 und 19.061): Sowohl der Bund als auch die Länder sind sohin kraft der mit ihrer Eigenstaatlichkeit verbundenen, nunmehr für diesen Tätigkeitsbereich wiederum auflebenden originären Gesetzgebungsgewalt schon von Verfassungs wegen jeweils zuständig, sich die zur Regelung ihrer privatwirtschaftlichen Agenden im Einzelfall nötigen gesetzlichen Bestimmungen selbst (bzw. hinsichtlich der Gemeinden nach Art. 115 Abs. 2 B-VG die Länder) zu erlassen.

Eine Bindung an das strikte Determinierungsgebot des Art. 18 Abs. 1 B-VG, wonach jedes staatliche Handeln in dreifacher Weise (materiellrechtlich, organisationsrechtlich und verfahrensrechtlich) gesetzlich geregelt sein muss (vgl. Adamovich - Funk, Allgemeines Verwaltungsrecht, 3. Aufl., Wien 1987, 108), besteht bezüglich derartiger gesetzlicher Regelungen nicht, wenngleich eine sonach "freiwillige" Selbstunterwerfung der jeweiligen Gebietskörperschaft bis hin zur vollständigen Erfüllung der Determinanten des Art. 18 Abs. 1 B-VG naturgemäß nicht unzulässig (allerdings in extenso - bedenkt man, dass es inhaltlich eben um Privatwirtschaftsverwaltung, also Wirtschaftsführung geht - wohl nicht mehr sachdienlich) wäre.

Solche nicht auf der allgemeinen Zivilrechtskompetenz des Art. 10 Abs. 1 Z. 6 bzw. Art. 15 Abs. 9 B-VG basierenden gesetzlichen Regelungen fallen damit auch nicht in den (primär an die vorangeführten Bestimmungen anknüpfenden) ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit gemäß Art. 92 Abs. 1 B-VG: Wie der österreichische Verfassungsgerichtshof vielmehr bereits klargestellt hat (vgl. VfSlg 14891/1997, S. 1003 f), liegt es insoweit in der rechtspolitischen Dispositionsbefugnis des einfachen Gesetzgebers - und verfassungssystematisch betrachtet auch viel näher -, etwa damit auch bzw. nur Organe der (im Sechsten Hauptstück des B-VG geregelten) Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts - nämlich die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts und diesen vorgeschaltet die Unabhängigen Verwaltungssenate - zu betrauen (so allgemein auch schon Walter, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, Wien 1972, 532).

Als Zwischenergebnis bleibt an diesem Punkt somit festzuhalten, dass der Umfang einer allfälligen gesetzlichen Regelung der Auftragsvergabe aus innerstaatlich-verfassungsrechtlicher Sicht sowohl in inhaltlicher als auch in organisations- und verfahrensrechtlicher Hinsicht im Ermessen (bzw. anders ausgedrückt: in der rechtspolitischen Dispositionsbefugnis) des einfachen Gesetzgebers steht.

2.2. Überlagert wird diese staatsinterne Sichtweise nun allerdings durch völkerrechtliche, insbesondere europarechtliche Vorgaben.

2.2.1. Zum einen fordert der - in Österreich auch innerstaatlich im Verfassungsrang stehende - Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, BGBl.Nr. 210/1958, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. III 30/1998 (im Folgenden: MRK), dass über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen ein unabhängiges und unparteiisches, auf Gesetz beruhendes sowie näher bestimmten Verfahrensansprüchen genügendes (vgl. dazu jüngst auch EGMR v. 3.10.2000, 29477/95 - Fall "Eisenstecken") Gericht zu entscheiden hat.

2.2.2. Und andererseits legen die - aufgrund ihrer unmittelbaren Maßgeblichkeit (vgl. Adamovich - Funk - Holzinger, a.a.O., RN 17.048) jeweils eine Auslegungsdeterminante für die österreichischen Vergabevorschriften bildende - Richtlinie 93/37/EWG vom 14.6.1993 zur Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, ABl.Nr. L 199/1993 (im Folgenden: BaukoordinierungsRL), das bei der Vergabe von Bauaufträgen durch öffentliche Auftraggeber zu beachtende Verfahren einerseits und die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge, ABl.Nr. L 395 v. 30.12.1989 (im Folgenden: RechtsmittelRL), auf der anderen Seite fest, dass durch innerstaatliche Rechtsvorschriften sicherzustellen ist, dass dann, wenn die im Nachprüfungsverfahren zuständige Erstinstanz nicht schon selbst ein Gericht ist, deren Entscheidungen bei einem unabhängigen, auf Gesetz beruhenden Gericht i.S.d. Art. 177 (nunmehr Art. 234) des EG-Vertrages (BGBl.Nr. III 86/1999, im Folgenden: EGV; zum Gerichtsbegriff i.S.d. vorangeführten Bestimmung vgl. Öhler, Rechtsschutz bei der Vergabe öffentlicher Aufträge in der Europäischen Union, Wien 1997, 168 ff) angefochten werden können (vgl. Art. 2 Abs. 8 RechtsmittelRL).

Sohin ist im Ergebnis jedenfalls speziell für die öffentliche (i.S.d. Art. 1 lit. b der BaukoordinierungsRL [die anders als der innerstaatlich entwickelte Begriff der Privatwirtschaftsverwaltung nicht auf das formelle Kriterium des Vorliegens einer juristischen Person des öffentlichen Rechts, sondern vorwiegend auf inhaltliche Determinanten abstellt]) Auftragsvergabe als Teilbereich der Privatwirtschaftsverwaltung die Einrichtung eines gerichtsförmigen Kontrollverfahrens entsprechend den Vorgaben der (von der spezifischen Richtlinie 92/13/EWG vom 25.2.1992 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Gemeinschaftsvorschriften über die Auftragsvergabe durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie im Telekommunikationssektor, ABl.Nr. L 76 vom 23.3.1992 [sog. "Sektorenrechtsmittelrichtlinie"], zu differenzierenden und in diesem Sinne "allgemeinen") RechtsmittelRL, die in gewissen Teilbereichen auch die Garantien des Art. 6 Abs. 1 MRK zurückdrängt (so findet z.B. der Anspruch auf Öffentlichkeit der Verhandlung iSd Art. 6 Abs. 1 MRK im Geschäftsgeheimnis der beteiligten Unternehmen seine Grenze; vgl. in diesem Sinne wohl EuGH v. 15.3.2000, T-25/95 - SA Cimenteries u.a.), gefordert.

2.3. Dieser Notwendigkeit hat der Oö. Landesgesetzgeber für die seinem Ingerenzbereich unterliegenden Auftragsvergaben (Art. 17 und 115 Abs. 2 B-VG) durch die Erlassung des - wie nochmals zu betonen ist: als ein sog. "Selbstbindungsgesetz" im Übrigen weder in materiell-, noch in verfahrens- und organisationsrechtlicher Hinsicht an Art. 18 Abs. 1 B-VG zu messenden - Oö. Vergabegesetz, LGBl.Nr. 59/1994 idF LGBl.Nr. 34/1997, jüngst wiederum novelliert durch LGBl.Nr. 45/2000 (im Folgenden daher: OöVergG), entsprochen.

2.3.1. Wenn nun das OöVergG im Hinblick auf Art. 2 Abs. 8 der RechtsmittelRL und Art. 6 Abs. 1 MRK in seinem § 58 Abs. 2 zweiter Satz (anstelle der ordentlichen Gerichte) nur den (im Sechsten Hauptstück des B-VG geregelten und daher der Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts zuzuordnenden) Oö. Verwaltungssenat als Gericht im Sinne dieser vorgenannten Bestimmungen zur Kontrolle der erstinstanzlichen Entscheidungen der - nach den hier maßgeblichen Kriterien fraglos keine Gerichtsqualität aufweisenden - Oö. Landesregierung (als Nachprüfungsbehörde) beruft, so geschieht dies, gestützt auf Art. 129a Abs. 1 Z. 3 B-VG, offenkundig unter Inanspruchnahme der ihm insoweit zukommenden rechtspolitischen Dispositionsbefugnis, also in Entsprechung zum vorzitierten Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 26.6.1997, VfSlg 14891, und erscheint damit auch innerstaatlich ebenso als verfassungsrechtlich unbedenklich wie der Umstand, dass die Abwicklung der aus einem rechtswidrigen Vergabeverfahren resultierenden Schadenersatzansprüche wiederum der ordentlichen Gerichtsbarkeit übertragen ist (vgl. die §§ 63 ff OöVergG).

2.3.2. Bis zur Erteilung des Zuschlages an einen Bieter ist - in Entsprechung zur RechtsmittelRL - Ziel des im 4. Teil des OöVergG geregelten Nachprüfungsverfahrens die Nichtigerklärung einer im Zuge des Vergabeverfahrens ergangenen Entscheidung des Auftraggebers, wenn diese im Widerspruch zu den Bestimmungen des OöVergG oder den aufgrund dieses Gesetzes ergangenen Verordnungen steht und für den Ausgang des Verfahrens von wesentlichem Einfluss ist (§ 61 Abs. 1 OöVergG); nach der Erteilung des Zuschlages ist von den Nachprüfungsorganen - als Voraussetzung für eine zivilgerichtliche Schadenersatzklage vor den ordentlichen Gerichten - lediglich festzustellen, ob eine derartige Rechtsverletzung vorliegt und deswegen der Zuschlag nicht dem Bestbieter erteilt wurde bzw. ist umgekehrt auf Antrag des Auftraggebers auch festzustellen, dass der Rechtsmittelwerber selbst ohne die vorgefallene Rechtsverletzung keine echte Chance auf die Zuschlagserteilung gehabt hätte (§ 61 Abs. 4 OöVergG).

2.3.3. Im Lichte dieser Zielsetzung ist wohl auch die Frage des Umfanges der Anwendbarkeit des - prinzipiell systemwidrigen - AVG für das Nachprüfungsverfahren zu lösen:

Die gesetzlich angeordnete, grundsätzlich bloß subsidiäre Maßgeblichkeit des AVG (arg. "soweit im Folgenden nichts anderes bestimmt ist" in § 58 Abs. 3 OöVergG) ergibt sich nach dem Vorausgeführten somit weder aus Art. 11 Abs. 2 B-VG noch aus Art. II Abs. 2 lit. A Z. 2 EGVG noch aus § 67a Abs. 1 Z. 1 AVG, sondern - es handelt sich hier, wie gezeigt, ja nicht um ein behördliches Verfahren, sondern um Privatwirtschaftsverwaltung - nur aus dem expliziten Verweis in § 58 Abs. 3 erster Satz OöVergG (wobei hier dahingestellt bleiben kann, ob nicht die Vorschreibung der subsidiären Anwendbarkeit zivilprozessualer Vorschriften sachgerechter gewesen wäre; hinsichtlich der Kompetenz der ordentlichen Gerichte für Schadenersatzansprüche hat der Gesetzgeber - entgegen der Verheißung der Überschrift zu § 67 OöVergG - sogar überhaupt keine expliziten verfahrensrechtlichen Vorkehrungen getroffen).

2.3.4. Die Bestimmung des solcherart unter anderen Normen verwiesenen § 39 Abs. 2 erster Satz AVG legt nun fest, dass "soweit die Verwaltungsvorschriften hierüber keine Anordnungen enthalten, ..... die Behörde von Amts wegen vorzugehen und ..... den Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen" hat.

2.3.4.1. Damit scheint diese Regelung aber schon von vornherein in einem Widerspruch zu Art. 2 Abs. 8 letzter Satz erster Halbsatz der RechtsmittelRL (i.V.m. Art. 1 Abs. 1 der RechtsmittelRL und Art. 36 der BaukoordinierungsRL) zu stehen, wonach " die unabhängige Instanz ..... in einem kontradiktorischen Verfahren" erkennt.

Dies deshalb, weil das kontradiktorische Prinzip nach der Rechtsprechung des EuGH nicht nur - aus der Sicht der Verfahrensparteien - diesen einen Anspruch auf rechtliches Gehör (vgl. z.B. EuGH v. 24.10.1997, T-243/94 - British Steel; v. 4.7.2000, C-352/98 P - Bergaderm/Kommission); auf die Einreichung von Schriftsätzen, auf das Vorlegen von Beweisen, auf die Beantragung einer mündlichen Verhandlung sowie auf die Unterrichtung von der Entscheidung über Fragen, die von den Betroffenen nicht gestellt wurden, verbunden mit dem Recht auf Stellungnahme hierzu (vgl. EuGH v. 21.3.2000, C 110-147/98 - Gabalfrisa); auf Beantragung der Verschiebung einer Verhandlung (vgl. z.B. EuGH v. 19.5.1999, C 64/98 - Petrides/Kommission); auf Akteneinsicht und Waffengleichheit (vgl. z.B. 15.3.2000, T 25/95 - SA Cimenteries u.a.), insbesondere auf gleiche Kenntnis der im Verfahren herangezogenen Unterlagen (vgl. z.B. EuGH v. 19.5.1999, T 175/95 - BASF/Kommission); sowie ganz generell auf alle für die Darstellung ihrer jeweiligen Standpunkte erforderlichen Garantien gewährt (vgl. z.B. EuGH v. 29.1.1998, C-61/95 - Griechenland/Kommission), sondern auch deshalb, weil das kontradiktorische Prinzip - aus der Sicht des Gerichtes - dieses mit Rücksicht darauf, dass sich stets Interessenskonflikte zwischen den Streitbeteiligten in der Form ergeben, dass die Bevorzugung der einen Verfahrenspartei in aller Regel gleichzeitig eine Benachteiligung der anderen nach sich zieht und umgekehrt, grundsätzlich auf die Rolle des Streitschlichters beschränkt. So findet daher z.B. das Recht auf Akteneinsicht seine Grenze in den Geschäftsgeheimnissen anderer Unternehmer (vgl. z.B. EuGH v. 20.4.1999, T 305/94 - LVM/Kommission; und v. 15.3.2000, T 25/95 - SA Cimenteries u.a.) und außerdem bedarf es eines eindeutig festgelegten Streitgegenstandes sowie eines ordnungsgemäßen vorprozessualen Verfahrens (vgl. z.B. EuGH v. 9.11.1999, C 365/97 - Kommission/Italien); insbesondere ist das Gericht nicht verpflichtet, Zeugen von Amts wegen zu laden (vgl. z.B. EuGH v. 17.12.1998, C 185/95 P - Baustahlgewebe/Kommission).

2.3.4.2. Schon an diesem Punkt erhebt sich daher die Frage, ob die Regelung eines Mitgliedstaates, wonach "die Behörde von sich aus für die Durchführung aller zur Klarstellung des Sachverhalts erforderlichen Beweise zu sorgen hat" (Untersuchungsgrundsatz [Inquisitionsprinzip]; vgl. z.B. VwGH v. 8. Juni 1993, Zl 92/08/0212, sowie weitere zahlreiche Nachweise über die dementsprechende ständige Judikatur zu § 39 Abs. 2 AVG bei Walter - Thienel, Die österreichischen Verwaltungsverfahrensgesetze, Bd. I, 2. Aufl., Wien 1998, 539 ff), eine Verletzung des Art. 2 Abs. 8 letzter Satz erster Halbsatz der RechtsmittelRL darstellt.

2.3.4.3. Müsste diese Frage jedoch etwa im Hinblick auf die in § 58 Abs. 3 erster Satz OöVergG oder in § 39 Abs. 2 erster Satz AVG jeweils enthaltene Subsidiaritätsklausel deshalb verneint werden, weil die genannten Bestimmungen prinzipiell dahin auszulegen sind, dass das Amtswegigkeitsprinzip jeweils insoweit, als sich daraus ein Widerspruch zu Art. 2 Abs. 8 RechtsmittelRL ergäbe, ohnedies schon von vornherein nicht zum Tragen käme, so erhebt sich allerdings die Frage, wo dann nach der letztgenannten Bestimmung jeweils in concreto die Grenze zwischen den beiden Antipoden "Amtswegigkeit" und "Kontradiktion" verläuft.

Im gegenständlichen Fall lautete die Ausschreibung auf die "Ausführung von Bauleistungen - Erstellung eines Bauwerkes" (vgl. Pkt. 2 lit. b des Amtsblattes der Europäischen Gemeinschaften v. 1.12.1998, 98/S 232-159476/DE, im Folgenden: Amtsblatt); in Pkt. 3 lit. b der Ausschreibung finden sich unter der Überschrift "Art und Umfang der Arbeiten, Optionsrechte" die Schlagworte "Krankenhäuser. Baustahlmontagearbeiten. Neubau Hauptgebäude gesamt. Konstruktiver Stahlbau (Teil 1). Geschätzte Gesamtauftragssumme ohne USt.: 16 000 000 ATS" und Pkt. 3 lit. c lautete: "Unterteilung in Lose: Nein."

Die Beschwerdeführerin hat in ihrem an den Oö. Verwaltungssenat gerichteten Schriftsatz vom 4.5.1999 (ONr. 1 des h. Verwaltungsaktes) nicht einmal andeutungsweise behauptet - geschweige denn, dies auch durch entsprechende Beweismittel belegt -, dass durch diese Ausschreibung der Schwellenwert des § 3 Abs. 1 Z. 1 OöVergG überschritten wird, z.B. etwa deshalb, weil es sich hiebei nicht um ein eigenständiges Bauwerk, sondern um einen Teil eines größeren Gesamtvorhabens, dessen Umfang in toto den Schwellenwert überschreitet, handelt. Ein derartiger Hinweis ging bzw. geht aber auch aus den vom Auftraggeber (ONr. 2 des h. Verwaltungsaktes) bzw. von der Nachprüfungsbehörde vorgelegten Unterlagen (ONr. 22 des h. Verwaltungsaktes) nicht hervor. Vielmehr wurde eine dementsprechende - bloße - Behauptung erstmals von der Beschwerdeführerin in ihrem Schriftsatz vom 19.7.1999 an den Verwaltungsgerichtshof - und damit erst ex post, nämlich im außerordentlichen Rechtsmittelverfahren - aufgestellt und diese These - wiederum ohne entsprechenden Beleg - im Schriftsatz vom 13.6.2000 an jenes Gericht wiederholt.

Es erhebt sich somit die Frage, ob Art. 2 Abs. 8 letzter Satz erster Halbsatz RechtsmittelRL im gegenständlichen Fall eine Auslegung des § 58 Abs. 3 erster Satz OöVergG i.V.m. § 39 Abs. 1 AVG dahin gebietet, dass das Gericht (die unabhängige Instanz) ohne spezifische Behauptungen (und erst recht ohne entsprechende Beweismittelanträge) einer Verfahrenspartei von Amts wegen die Frage klärt, ob es sich bei der gegenständlichen Ausschreibung nicht um ein Einzel-, sondern bloß um ein Teilvorhaben handelt und - falls letzteres zu bejahen ist - ob das Gesamtvorhaben einen geschätzten Auftragswert von über 5 Mio Euro aufweist, oder ob sich eine derartige Sichtweise gerade deshalb verbietet, weil eine die Partei treffende Behauptungslast und Beweisanbotspflicht eben den wesentlichen Unterschied eines kontradiktorischen Verfahrens im Vergleich zum Inquisitionsprozess ausmacht.

2.4. Da es sich hiebei um eine bislang nicht geklärte Auslegungsfrage handelt, wird der Europäische Gerichtshof gemäß Art. 234 EGV ersucht, die oben im Spruch gestellten Fragen zu entscheiden.

3. Die Fortsetzung des Verfahrens wird gemäß § 38a Abs. 1 AVG nach Vorliegen der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes erfolgen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Beschluss ist kein Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2.500,00 Schilling (entspricht 181,68 Euro) zu entrichten

Mag. G a l l n b r u n n e r

Beachte:

Beschwerde gegen vorstehende Entscheidung wurde abgewiesen;

VwGH vom 22.02.2001, Zl.: 2001/04/0034-3

 

 

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