Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-550162/5/Kl/Pe

Linz, 30.09.2004

 

 

 VwSen-550162/5/Kl/Pe Linz, am 30. September 2004

DVR.0690392
 

 

 

E R K E N N T N I S
 
 

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Klempt über den Nachprüfungsantrag der H GmbH, betreffend Abwasserreinigungsanlage R, BA06, Bl.03, elektrotechnische Ausrüstung, Installation, Mess-, Steuer-, Regel- und Prozessleittechnik, zu Recht erkannt:

Dem Nachprüfungsantrag vom 24.9.2004 wird Folge gegeben und die angefochtene Zuschlagsentscheidung vom 10.9.2004, per Post zugestellt am 13.9.2004, den Zuschlag der Firma G GmbH, als Bestbieterin zu erteilen, für nichtig erklärt.

 

Rechtsgrundlagen:

§§ 1, 2 und 13 Oö. Vergabenachprüfungsgesetz, LGBl. Nr. 153/2002 iVm § 100 Abs.1 Bundesvergabegesetz 2002 - BVergG, BGBl. I Nr. 99/2002.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

1. Mit Eingabe vom 24.9.2004 wurde von der H GmbH der Antrag auf Durchführung eines Nachprüfungsverfahrens und Nichtigerklärung der Zuschlagsentscheidung vom 10.9.2004 sowie auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung, dem Auftraggeber die Zuschlagserteilung für die Dauer von einem Monat zu untersagen, gestellt.

 

Begründend wurde vorgebracht, dass im Zuge des Vergabeverfahrens fristgerecht ein ausschreibungsgemäßes Angebot gelegt worden sei. Die geforderten Nachreichungen seien fristgerecht und ausführlich erfolgt. Nach Ansicht der Antragstellerin sei sie Bestbieterin und trotzdem habe sie am 13.9.2004 von der Auftraggeberin ein Schreiben erhalten, in dem ihr die Zuschlagsentscheidung zugunsten der Firma G GmbH, mitgeteilt worden sei. Obwohl das Angebot der Antragstellerin gleichwertig sei, sei es zu Unrecht ausgeschieden worden. Als Nachweis der Gleichwertigkeit seien dem Angebot Unterlagen der SPS und der Leittechniksoftware beigelegt worden. Die Auftraggeberin habe diese offensichtlich nicht berücksichtigt, sondern das Ausscheiden mit einer vermeintlichen Nichtgleichwertigkeit in einem anderen Vergabeverfahren, wo diese Unterlagen nicht beigelegt worden sind, begründet. Die dem Angebot beigelegten Produktunterlagen der SPS und der Leittechniksoftware seien nicht bemängelt worden.

Aufgrund der derzeitigen Auftragslage habe die Antragstellerin ein großes Interesse am betreffenden Auftrag. Für Angebotslegung und Nachreichungen seien 40 Stunden aufgewendet worden. Der Vertragsabschluss mit der Fa. G GmbH habe für die Antragstellerin folgende negative Auswirkungen:

- geringe Ausnutzung der betrieblichen Ressourcen

- Verringerung des Beschäftigungsstandes im wirtschaftlich schlechter situierten nördlichen (Mühlviertel)

- keine Schaffung von weiteren Arbeitsplätzen für lokal Arbeitssuchende

- Förderung von zusätzlichen Lehrstellen nicht möglich (bereits 1 Elektroinstallationstechniker-Lehrling ab 1.9.2004)

- Festigung des Betriebsstandortes in N stark eingeschränkt

- Imageverlust für unseren Betrieb und der Wirtschaft im Bezirk Freistadt

Zum Schaden wurden der entgangene Auftrag, ca. 29.000 Euro (netto exkl) für den entgangenen Gewinn sowie Kosten der Angebotslegung im Ausmaß von 2.450 Euro und Ausgaben hinsichtlich der Vergebührung der Anträge, geltend gemacht.

 

2. Der Oö. Verwaltungssenat hat die Gemeinde R als Auftraggeberin am Nachprüfungsverfahren beteiligt. Vom Technischen Büro für Elektrotechnik TB B wurde eine Stellungnahme dahingehend abgegeben, als im Anhang zum Angebot von der Antragstellerin keine prüfbaren Unterlagen hinsichtlich der Erläuterungen der Positionen 20.76.010 "Grundsoftware Prozessleitsystem"; 20.76.030 "Protokollerstellung"; 20.76.040 "Wartungsprogramm"; 20.76.090 "Alamierungssoftware" übergeben worden seien. Dem Angebot sei als Erläuterung nur ein Prospektfolder der angebotenen Prozessleitsystem-Software beigelegt worden.

Für das Projekt "EMSR-Anlage Abwasserbeseitigungsanlage S BA 04" seien im Rahmen der vertieften Angebotsüberprüfung technische Unterlagen zum angebotenen Prozessleitsystem Fabr. SAIA angefordert worden. Diese Unterlagen zum Beweis der Gleichwertigkeit seien von der Antragstellerin nicht erbracht worden.

Da die Antragstellerin beim Projekt ABA S BA 04 ebenfalls ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet gehabt habe und es sich beim gegenständlichen Projekt ABA R um eine Anlage ähnlicher Größe handle, sei seitens der Auftraggeberin keine vertiefte Angebotsprüfung zur Position 20.76.010 "Prozessleitsystem" durchgeführt worden.

Die Positionsnummern der Angebote ABA S BA04 und ABA Reichenau BA06 20.76.010 "Grundsoftware Prozessleitsystem"; 20.76.030 "Protokollerstellung"; 20.76.040 "Wartungsprogramm"; 20.76.090 "Alamierungssoftware" seien dem Text und dem Inhalt nach absolut gleich.

Im Erkenntnis des Oö. Verwaltungssenates zu Zl. VwSen-550159/12/Kl/Pe vom 15.9.2004 sei in der Sache ABA S BA 04 bereits entschieden worden.

 

Weiters hat die Auftraggeberin die mit Schreiben vom 24.9.2004 angeforderten Unterlagen (Bekanntmachung, geschätzte Kosten, Protokoll über die Angebotseröffnung, Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung an die Antragstellerin und sämtliche Bieter, Ausschreibungsunterlagen, Angebotsunterlagen der Antragstellerin und der präsumtiven Bestbieterin, Prüfprotokoll, Verständigung von der Einbringung eines Nachprüfungsantrages, sonstiger Schriftverkehr mit der Antragstellerin) am 29.9.2004 vorgelegt.

 

3. Der Oö. Verwaltungssenat hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die vorgelegten Schriftstücke und Unterlagen. Weil bereits auf Grund der Aktenlage feststeht, dass die bekämpfte Entscheidung für nichtig zu erklären ist, kann die öffentliche mündliche Verhandlung gemäß § 12 Abs.2 Z2 Oö. Vergabenachprüfungsgesetz entfallen.

 

Laut Bekanntmachung in der ALZ Folge 10, Seite 29, am 10.5.2004 hat die Marktgemeinde R für die ARA R BA06, Bl.03, die elektrische Ausrüstung für den Ausbau/Anpassung im offenen Verfahren als Bauauftrag ausgeschrieben. Die Angebotseröffnung erfolgte am 22.6.2004 die Zuschlagsfrist wurde bis 22.11.2004 festgesetzt. Zehn Bieter haben Angebote gelegt.

 

Mit Schreiben vom 10.9.2004, postalisch eingeschrieben aufgegeben, wurde allen Bietern die Entscheidung mitgeteilt, dass der Gemeinderat in der Sitzung am 9.9.2004 beschlossen hat, den Auftrag der Firma G GmbH, zu erteilen.

 

4. Der Oö. Verwaltungssenat hat erwogen:

 

4.1. Die Marktgemeinde R ist öffentliche Auftraggeberin im Sinn des § 7 Abs.1 Z1 BVergG bzw. des § 1 Abs.2 Z1 Oö. Vergabenachprüfungsgesetzes (kurz: Oö. VNPG). Als vergebende Stelle im Sinn des § 20 Z36 BVergG tritt das Ziviltechnikerbüro L, T und M auf. Der Auftragswert der gegenständlichen Ausschreibung überschreitet nicht den Schwellenwert von mindestens 5 Mio. Euro bei Bauaufträgen im Sinn des § 9 Abs.1 Z3 Bundesvergabegesetz 2002 - BVergG. Die gegenständliche Vergabe unterliegt daher dem Oö. VNPG; es sind daher die gesetzlichen Bestimmungen für den Unterschwellenbereich anzuwenden (§ 17 Abs.1 BVergG).

 

4.2. Gemäß § 2 Abs.2 und § 13 Oö. Vergabenachprüfungsgesetz ist der unabhängige Verwaltungssenat bis zur Zuschlagserteilung zum Zweck der Beseitigung von Verstößen gegen das BVergG und die dazu ergangenen Verordnungen zuständig

  1. zur Erlassung einstweiliger Verfügungen sowie
  2. zur Nichtigerklärung rechtswidriger Entscheidungen des Auftraggebers bzw. der Auftraggeberin im Rahmen der vom Antragsteller bzw. der Antragstellerin geltend gemachten Beschwerdepunkte.

Der Oö. Verwaltungssenat hat eine im Zuge eines Vergabeverfahrens ergangene Entscheidung eines Auftraggebers bzw. einer Auftraggeberin für nichtig zu erklären, wenn sie

  1. im Widerspruch zu Bestimmungen des BVergG oder den hierzu erlassenen Verordnungen steht und
  2. für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss ist.

Die Zuschlagsentscheidung ist gemäß § 20 Z13 lit.a sublit.aa BVergG eine gesondert anfechtbare Entscheidung (vgl. § 3 Abs.1 Oö. Vergabenachprüfungsgesetz), welche gemäß § 9 und Teil II Z1 der Anlage zu § 9 des Oö. Vergabenachprüfungsgesetzes in der Frist gemäß § 100 Abs.2 BVergG angefochten werden kann.

 

Der Nachprüfungsantrag vom 24.9.2004 richtet sich gegen die Zuschlagsentscheidung vom 10.9.2004 und erfüllt die Zulassungsvoraussetzungen.

Durch den Verweis auf die Frist gemäß § 100 Abs.2 BVergG in Teil II Z1 der Anlage zu § 9 Oö. Vergabenachprüfungsgesetz handelt es sich funktional um eine Rechtsmittelfrist. Eine solche beginnt ganz allgemein erst dann, wenn der Rechtsmittelberechtigte die Möglichkeit hat, Kenntnis vom Inhalt der anzufechtenden Entscheidung zu erlangen (vgl. Hahnl, BVergG, nwV, S.503). Der Antrag ist daher auch rechtzeitig eingebracht.

 

Mit Entscheidung des Oö. Verwaltungssenates vom 28.9.2004, VwSen-550163/5/Kl/Rd/Pe, wurde dem Antrag auf Erlassung einer einstweiligen Verfügung stattgegeben und die Zuschlagserteilung bis zur Entscheidung im Nachprüfungsverfahren, längstens aber bis 24.10.2004 untersagt.

 

4.3. Gemäß § 2 Abs.2 Z2 und § 13 Abs.1 Oö. Vergabenachprüfungsgesetz hat der unabhängige Verwaltungssenat im Rahmen der von der Antragstellerin geltend gemachten Beschwerdepunkte die Nichtigerklärung der angefochtenen Zuschlagsentscheidung auszusprechen, wenn sie im Widerspruch zu den Bestimmungen des BVergG oder der hiezu erlassenen Verordnungen steht und für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss ist.

 

Als Beschwerdepunkte führt die Antragstellerin die Unzulässigkeit der Ausscheidung ihres Angebotes, die fristgerechte Beibringung der geforderten Unterlagen, die fehlende Aufforderung zur Verbesserung unter Hinweis auf ein vorausgegangenes Vergabeverfahren und das Recht auf Zuschlagserteilung als Angebot mit dem niedrigsten Preis an.

 

4.4. Nach den Behauptungen der Antragstellerin und den Nachweisen der vorgelegten Unterlagen wurde die Zuschlagsentscheidung vom 10.9.2004 von der Auftraggeberin den am Vergabeverfahren beteiligten Bietern per Post zugestellt, sodass die Antragstellerin am 13.9.2004 durch Zustellung von der Zuschlagsentscheidung betreffend die Firma G GmbH Kenntnis erlangte.

 

Gemäß § 100 Abs.1 BVergG hat der Auftraggeber den Bietern gleichzeitig, unverzüglich und nachweislich elektronisch oder mittels Telefax mitzuteilen, welchem Bieter der Zuschlag erteilt werden soll. Ein unter Verstoß gegen die gemäß den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes bestehende Verpflichtung zur Mitteilung der Zuschlagsentscheidung erfolgter Zuschlag ist nichtig.

 

Gemäß § 100 Abs.2 BVergG darf der Zuschlag bei sonstiger Nichtigkeit nicht innerhalb einer Stillhaltefrist von 14 Tagen ab Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung gemäß Abs.1 erteilt werden.

 

Gemäß § 20 Z42 BVergG ist eine Zuschlagsentscheidung die an Bieter abgegebene nicht verbindliche Absichtserklärung, welchem Bieter der Zuschlag erteilt werden soll.

 

Im konkreten Fall ist davon auszugehen, dass die gegenständlich angefochtene Handlung der Auftraggeberin mit Ausnahme der Voraussetzungen des § 100 Abs.1 BVergG jedenfalls die übrigen Voraussetzungen für das Vorliegen einer Zuschlagsentscheidung erfüllt. So hat der interne Willensbildungsprozess bei der Auftraggeberin ordnungsgemäß stattgefunden, der Bekanntgabe an die Bieter kommt ein Erklärungswert nach außen zu und die Handlung ist der Auftraggeberin zuzurechnen. Darüber hinaus ist die Bekanntgabe ausnahmslos an sämtliche Bieter ergangen. Darin wurde mitgeteilt, wem der Zuschlag erteilt werden soll. Sowohl nach der Rechtsprechung des BVA und des VfGH sowie des europäischen Rechts, wurde daher eine Zuschlagsentscheidung als Willenserklärung, der Erklärungswert nach außen zukommt und die dem Auftraggeber zuzurechnen ist, erlassen.

 

Fraglich ist hingegen, ob die nach außen in Erscheinung getretene Zuschlagsentscheidung (nach der Definition des § 20 Z42 BVergG) mangels der Einhaltung der Bekanntmachungsvorschrift gemäß § 100 Abs.1 Satz 1 BVergG einen tauglichen Anfechtungsgegenstand iSd § 20 Z13 lit.a sublit.aa BVergG bildet oder ob sie per se nichtig und somit als nicht existent anzusehen ist.

 

Das Bundesvergabeamt hat in seiner Entscheidung vom 19.9.2003, 10N-81/03-12, ausgeführt: "Wesentlich ist dabei, ob es in der dogmatischen Begrifflichkeit einen Unterschied geben kann zwischen der einen zulässigen Anfechtungsgegenstand bildenden und somit für die Nachprüfung verfahrensrelevanten Zuschlagsentscheidung einerseits und andererseits der die Rechtsfolgen des § 100 BVergG auslösenden und somit vollwirksamen Zuschlagsentscheidung, wobei der letzte Begriff neben den Voraussetzungen für die "verfahrensrelevante Zuschlagsentscheidung" zusätzlich auch die Voraussetzungen des § 100 Abs.1 erster Satz BVergG erfüllt. Zur Beantwortung dieser Frage ist zunächst festzuhalten, dass § 100 BVergG nicht dem Rechtsschutz (Verfahrensrecht), sondern dem materiellen Recht des BVergG (iSd Art.14b B-VG) zuzurechnen ist. Dieser Bestimmung kommt daher prima vista für die Auslegung des Begriffs (und des Vorhandenseins) der Entscheidung bzw. Zuschlagsentscheidung im Verfahrensrecht keine Bedeutung zu. Diese Unterscheidung wird gerade im Hinblick auf die Kompetenzbestimmung des Art.14b B-VG und der damit zusammenhängenden Regelungskompetenz der Landesgesetzgeber offenbar. Somit kennen auch die gesetzlichen Vergabevorschriften eine Unterscheidung zwischen dem materiellen Recht und dem Verfahrensrecht. Es ist daher grundsätzlich davon auszugehen, dass diese beiden Rechtsteilbereiche unterschiedliche Begrifflichkeiten beinhalten können. Die Möglichkeit des Vorliegens von unterschiedlichen Begrifflichkeiten wird auch durch den Gesetzestext des BVergG 2002 selbst indiziert. So lautet die Überschrift zu § 100 BVergG: ‚Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung'. Auf den ersten Blick ist diese Überschrift zwar insofern irreführend, als dem nachprüfungsrechtlichen Entscheidungsbegriff notwendigerweise jedenfalls eine gewisse Publizität zu eigen ist ....... Geht man allerdings davon aus, dass § 100 BVergG eine, im materiellen Recht weitere Rechtsfolgen auslösende Bekanntmachungsvorschrift einer verfahrensrelevanten Zuschlagsentscheidung ist, erhält die bei § 100 BVergG gewählte Überschrift ‚Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung' Sinnhaftigkeit. ..... Damit lässt sich aus § 100 BVergG samt dessen Überschrift ableiten, dass der Gesetzgeber zwischen der verfahrensrelevanten Zuschlagsentscheidung und der die Rechtsfolgen des § 100 BVergG auslösenden, vollwirksamen Zuschlagsentscheidung unterscheidet."

Diese Rechtansicht wird auch in einem verstärkten Senat vom BVA am 9.2.2004, 10N-137/03-20, bekräftigt.

 

Dieser Rechtsauffassung schließt sich auch der Oö. Verwaltungssenat an. Es ist daher die gegenständlich angefochtene Zuschlagsentscheidung aus Sicht des Nachprüfungsverfahrens als verfahrensrelevante (existente) Entscheidung des Auftraggebers und daher tauglicher Anfechtungsgegenstand gemäß § 20 Z13 lit.a sublit.aa BVergG anzusehen.

 

 

Dabei geht der Oö. Verwaltungssenat von folgenden weiteren Überlegungen aus:

Gemäß Art.II Abs.2 A Z2 EGVG haben die unabhängigen Verwaltungssenate das AVG voll anzuwenden. Dem AVG liegt der Bescheid als anfechtbare Entscheidung zugrunde. Gemäß der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes sowie des Verfassungsgerichtshofes zum Bescheidbegriff bzw. zur Qualität einer Entscheidung als Bescheid gemäß § 58 AVG muss an eine behördliche Erledigung hinsichtlich der Wertung als Bescheid nach ihrem Inhalt ein strenger Maßstab angelegt werden und ist dann die ausdrückliche Bezeichnung als Bescheid nur dann nicht wesentlich, wenn der Inhalt einer behördlichen Erledigung, also ihr Wortlaut und ihre sprachliche Gestaltung, keinen Zweifel darüber aufkommen lässt, dass die Behörde die Rechtsform des Bescheides gewählt hat. Dabei ist der Bescheid als Ganzes zu beurteilen. Schließlich wurde ausgesprochen, dass die Frage nach dem Bescheidcharakter einer Erledigung nicht zu Lasten der Partei beantwortet werden darf (vgl. Hauer/Leukauf, Handbuch des österr. Verwaltungsverfahrens, 5. Auflage, Seite 434f mit Nachweisen). Die Judikatur stellt daher Form und Inhalt einer Erledigung in gewisse Wechselbeziehung. Weil die Zuschlagsentscheidung des Auftraggebers ebenfalls als anfechtbare Entscheidung im Nachprüfungsverfahren vor der Nachprüfungsbehörde einer Rechtsbeurteilung unterzogen wird, kann die Bestimmung des § 58 AVG und die dazu ergangene Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts analog herangezogen werden. Demnach ist auch bei der gegenständlich ergangenen Zuschlagsentscheidung aus dem Inhalt klar der Wille des Auftraggebers und der Wille zur Erlassung einer Entscheidung ersichtlich und kommt daher der in § 100 Abs.1 Satz 1 BVergG angeordneten Übermittlungsart keine existenzbedrohende Bedeutung zu. Dies insbesondere auch deshalb, weil - wie auch schon das Bundesvergabeamt in der obzit. Entscheidung ausgeführt hat - § 100 Abs.1 BVergG eine Bestimmung des materiellen Rechts darstellt und daher die Formalvoraussetzung dieser Bestimmung nur wesentlich ist für die Rechtswirkungen gemäß § 100 Abs.2 BVergG, nämlich die Auslösung der Stillhaltefrist von 14 Tagen "ab Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung gemäß Abs.1". Die Bekanntgabe iSd Formalvorschriften des § 100 Abs.1 Satz 1 BVergG stellt daher nur eine wesentliche und existenzbegründende Vorschrift für die Auslösung der Stillhaltefrist und die Nichtigkeit eines trotzdem erfolgten Zuschlages bzw. die Nichtigkeit eines Zuschlages entgegen der gesetzlichen Mitteilungsverpflichtung dar. Eine Bedeutung im Nachprüfungsverfahren im Hinblick auf die Existenz der Entscheidung kommt der Bestimmung des § 100 Abs.1 Satz 1 BVergG nicht zu.

 

Diese Auslegung entspricht im Übrigen auch der Judikatur des EuGH, der grundsätzlich von einem weiten Begriff der in einem Nachprüfungsverfahren anfechtbaren Entscheidung ausgeht (vgl. z.B. EuGH 28.10.1999, C-81/98, Alcatel Austria). Wenngleich auch das europäische Recht im hier vorliegenden Unterschwellenbereich - mit Ausnahme der Gemeinschaftsgrundsätze - keine unmittelbare Wirkung entfaltet, so ist doch das gesamte Rechtsschutzsystem des BVergG in starker Anlehnung an die europäischen Regelungen konstruiert und hält der Gesetzgeber in den Materialien grundlegend fest, dass die Begriffe "Nachprüfung" bzw. "Nachprüfungsverfahren" dem Gemeinschaftsrecht entlehnt sind und das gesamte BVergG "die Regelungen des EG-Vergaberechts unter Wahrung eigenständiger Wesenszüge des österreichischen Rechtssystems in das innerstaatliche Recht umsetzen" (1.118 Blg.NR. 21. GP). Auch der Verfassungsgerichtshof geht von einer doppelten Bindungswirkung des Gesetzgebers an Gemeinschaftsrecht und österreichisches Verfassungsrecht aus und stellte sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierungen zwischen der Rechtsposition von Bietern und Bewerbern im Unter- und Oberschwellenbereich als verfassungswidrig fest (VfGH 9.11.2001, G10/01 u.a.).

 

Aus der Sicht des Nachprüfungsverfahrens als Verwaltungsverfahren nach dem AVG darf daher nach der bereits zitierten Judikatur der Höchstgerichte als auch der Judikatur des EuGH ein Fehler in der Entstehung einer Handlung des Auftraggebers und das Risiko der Qualifikation dieser Handlung des Auftraggebers nicht dem Rechtsschutzsuchenden aufgebürdet werden. Bei anderer Auslegung hätte es nämlich sonst der Auftraggeber durch Fehler der Bekanntmachung der Zuschlagsentscheidung in der Hand, den Erfolg bzw. Misserfolg des von der Antragstellerin eingeleiteten Nachprüfungsverfahrens zu steuern. Dies wäre aber mit einem effektiven Rechtsschutz nicht vereinbar. Die Annahme der Nichtexistenz der Zuschlagsentscheidung bzw. des Nichtingangsetzens der Stillhaltefrist würde den Bieter jeglichen Rechtsschutzes berauben (vgl. auch die Judikatur des Oö. Verwaltungssenates, VwSen-550132/6/Kl/Pe vom 5.3.2004).

 

4.5. Wie bereits oben dargestellt wurde, ist die Bekanntgabe der Zuschlagsentscheidung - durch die postalische Zustellung - nicht entsprechend § 100 Abs.1 erster Satz BVergG erfolgt. Die Zuschlagsentscheidung ist daher rechtswidrig und bereits aus diesem Grund für nichtig zu erklären.

 

Gemäß § 13 Abs.1 Oö. Vergabenachprüfungsgesetz ist nämlich die Zuschlagsentscheidung für nichtig zu erklären, wenn sie im Widerspruch zu Bestimmungen des BVergG (konkret zu § 100 Abs.1 erster Satz BVergG) steht und für den Ausgang des Vergabeverfahrens von wesentlichem Einfluss ist.

 

Auch diese kumulativ geforderte Voraussetzung für eine Nichtigerklärung liegt vor, weil ein in Folge einer nicht rechtmäßig bekannt gegebenen Zuschlagsentscheidung erteilter Zuschlag nichtig ist (§ 100 Abs.1 letzter Satz BVergG, wobei gemäß den obigen Ausführungen für das Zustandekommen einer Zuschlagsentscheidung im materiellrechtlichen Sinn die Einhaltung der Formvorschriften für die Mitteilung erforderlich ist). Zu diesem Ergebnis kommt auch das BVA in seiner Entscheidung vom 19.9.2003, 10N-81/03-12, RN 25.

 

4.6. Aus verfahrensökonomischen Gründen wurde darüber hinaus die Zuschlagsentscheidung der Auftraggeberin durch den Oö. Verwaltungssenat einer materiellen Beurteilung nach den übrigen Beschwerdepunkten unterzogen. Diese Überprüfung hat gezeigt, dass die angefochtene Zuschlagsentscheidung auch aus anderen Gründen rechtswidrig ist.

 

4.6.1. Die Ausschreibung (§ 20 Z6 BVergG) ist gemäß § 20 Z13 lit.a sublit.aa BVergG eine gesondert anfechtbare Entscheidung und wurde in der gemäß § 9 und Teil II Z1 der Anlage zu § 9 des Oö. Vergabenachprüfungsgesetzes festgelegten Frist nicht angefochten. Sie ist daher rechtskräftig und rechtswirksam. Es ist daher das Vergabeverfahren zwischen der Ausschreibung und der nächsten gesondert anfechtbaren Entscheidung, nämlich der Zuschlagsentscheidung einer Überprüfung zu unterziehen. Darunter fällt insbesondere auch die Ausscheidensentscheidung, die gemäß § 20 Z13 lit.b BVergG eine nicht gesondert anfechtbare Entscheidung darstellt, welche nur gemeinsam mit der ihr nächstfolgenden gesondert anfechtbaren Entscheidung - der Zuschlagsentscheidung - angefochten werden kann.

 

4.6.2. Gemäß § 52 Abs.1 und 2 BVergG kann der Auftraggeber von Unternehmern, die er zu einem Vergabeverfahren zulässt, Nachweise über die berufliche, finanzielle und wirtschaftliche und technische Leistungsfähigkeit verlangen und hat in der Bekanntmachung anzugeben, welche Nachweise vorzulegen sind.

 

Gemäß § 57 Abs.2 Z1 bis 5 BVergG können als Nachweis für die technische Leistungsfähigkeit bei Bauaufträgen u.a. auch eine Liste der in den letzten fünf Jahren erbrachten Bauleistungen, Bescheinigungen über die ordnungsgemäße Ausführung verlangt werden.

Es wurden daher laut Ausschreibungsunterlagen Punkt 20.9 und Punkt 26.1 des Leistungsverzeichnisses (Seite 7 und Seite 19) Referenzen von mindestens drei Referenzanlagen, die mit dem angebotenen System ausgestattet sind, der ausgeschriebenen Art und von mindestens gleicher Größe oder zumindest ähnlicher Anlagen verlangt. Im Gesamtzusammenhang der Ausschreibung war davon auszugehen, dass damit nur Abwasserbeseitigungs- bzw. -reinigungsanlagen gemeint waren, die mit dem ausgeschriebenen System ausgestattet wurden und eine mindestens gleiche Größe wie die ausgeschriebene Anlage besaßen. Unter "ähnliche Anlagen" waren jedenfalls auch Abwasserreinigungsanlagen zu verstehen, allerdings mit nicht dem ausgeschriebenen Prozessleitsystem sondern mit einem ähnlichen System, aber auch für Reinigungsanlagen. Dies konnte insofern als verständliche Auslegung zu Grunde gelegt werden, - wie aus einem gleichgelagerten Fall, der ebenfalls die Antragstellerin betraf, die Ermittlungen zeigten - als die dazu von der vergebenden Stelle gegebenen Erläuterungen ausführen, dass für Abwasserreinigungsanlagen ein spezielles elektronisches System erforderlich ist, welches sich wesentlich vom elektronischen System im Hochbau unterscheidet.

 

Die mit im Angebot vom 22.6.2004 von der Antragstellerin bekannt gegebenen Referenzen betreffen nur eine Kläranlage, nämlich die ABA Neumarkt i.M. Für die weitere angeführte Abwasserbeseitigungsanlage wurden Pumpwerke installiert. Allerdings betrifft die Einrichtung von Pumpwerken und Erweiterung der Anlage nicht die Neuerstattung und Errichtung einer gesamten Kläranlage und ist daher diese Referenz nicht ausreichend. Darüber hinaus betreffen aber die weiteren Referenzanlagen keine Abwasserbeseitigungsanlagen, sondern das Heiz- und Lüftungssystem von Hochbauten. Wie im vorausgegangenen Vergabeverfahren die öffentliche mündliche Verhandlung ergeben hat, kann zwar das basierende Prozessleitsystem jeweils angepasst werden, sind aber die Anforderungen an Abwasserbeseitigungsanlagen wesentlich anders als jene für den Hochbau, insbesondere weil es bei Kläranlagen mehr um das Erfassen der Daten, die Protokollierung der Messwerte usw. geht und die Reaktion bei Kläranlagen sehr träge ist. Hingegen erfordert das Prozessleitsystem bei Hochbauten eine rasche Reaktion und Datenerfassung. Jedenfalls ist aber auch eine Vergleichbarkeit mit der ausgeschriebenen Größe nicht gegeben. Es war daher schon dem Erfordernis der Beibringung von Referenzen mindestens dreier Referenzanlagen nicht entsprochen.

Waren Referenzanlagen zum Nachweis der technischen Leistungsfähigkeit gemäß § 52 Abs.1 Z4 BVergG gefordert und werden die entsprechenden Nachweise nicht erbracht, so ist das Angebot mangels technischer Leistungsfähigkeit gemäß § 98 Z1 BVergG auszuscheiden.

 

4.6.3. Ergeben sich bei der Prüfung der Angebote Unklarheiten über das Angebot selbst oder über die geplante Art der Durchführung, so ist, sofern die Unklarheiten für die Beurteilung der Angebote von Bedeutung sind, vom Bieter eine verbindliche schriftliche Aufklärung zu verlangen (§ 94 Abs.1 BVergG).

 

Gemäß § 98 Z3 und Z5 BVergG sind auszuscheiden Angebote, die eine nicht plausible Zusammensetzung des Gesamtpreises aufweisen sowie Angebote von Bietern, die es unterlassen haben, innerhalb der ihnen gestellten Frist die verlangten Aufklärungen zu geben oder deren Aufklärung einer nachvollziehbaren Begründung entbehrt.

 

Wie der aus den Unterlagen ersichtliche Schriftverkehr mit der Antragstellerin ausweist, wurde eine schriftliche Aufklärung zum gegenständlichen Projekt von der vergebenden Stelle nicht gefordert, sondern wurde auf ein vorausgehendes gleichartiges Projekt, bei welchem ebenfalls die Antragstellerin ein Angebot gelegt hat und zur schriftlichen Aufklärung eingeladen wurde, verwiesen. Diese Vorgangsweise entspricht nicht den Grundsätzen des Vergabewesens und daher den Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes. Vielmehr löst jede Ausschreibung ein gesondertes Vergabeverfahren aus und sind daher die Vergabeschritte in jedem Vergabeverfahren vorzunehmen. Jedenfalls wäre daher die Antragstellerin im Sinne des Grundsatzes der Gleichbehandlung sämtlicher Bieter auch in diesem Vergabeverfahren aufzufordern gewesen, entsprechende noch fehlende Unterlagen im Hinblick auf den Nachweis der Gleichwertigkeit zu erbringen.

 

Indem der Antragstellerin die Chance zur Verbesserung genommen wurde bzw. die Chance zur Aufklärung genommen wurde, wurde eine Rechtswidrigkeit gesetzt. Diese Rechtswidrigkeit hat aber auf das Ergebnis des Vergabeverfahrens keine Auswirkungen. Es wird auf die Begründung unter obigem Punkt 4.6.2. hingewiesen, nämlich dass die fehlenden Referenzen schon einen Ausscheidungsgrund bilden.

 

5. In der gegenständlichen Angelegenheit sind Stempelgebühren in der Höhe von 13 Euro angefallen. Ein entsprechender Zahlschein liegt bei.

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungs-gerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.

 
 

Dr. Klempt
 
Beschlagwortung:
Zuschlagsentscheidung per Post, Nichtigkeit; mangelnde Referenzen, Ausscheidung

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