Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-420048/5/Wei/Shn

Linz, 31.12.1993

VwSen-420048/5/Wei/Shn Linz, am 31. Dezember 1993

DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß über die Beschwerde des H H, vom 23. November 1993 wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt durch Organe der Bundespolizeidirektion Wels und über den gleichzeitig eingebrachten Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zu Punkt I beschlossen und im übrigen zu Recht erkannt:

I. Der Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe wird als unzulässig zurückgewiesen.

II. Der Beschwerde wird Folge gegeben und die Verweigerung der Herausgabe von 2 Packungen (40 Stück) AN 1 Tabletten und 1 Packung Senior 20 (50 Stück) Tabletten bzw des restlichen Untersuchungsmaterials nach Vorliegen des negativen Suchtgiftbefundes der kriminaltechnischen Untersuchungsstelle im Bundesministerium für Inneres sowie eines Privatrezeptes des Dr. U, praktischer Arzt in S für insgesamt 200 Stück Tabletten des Medikamentes AN 1 an den Beschwerdeführer (Bf) wird für rechtswidrig erklärt.

Der Bf wurde durch die Aufrechterhaltung der vorläufigen Beschlagnahme der angeführten Gegenstände nach Vorliegen des kriminaltechnischen Untersuchungsergebnisses auch in seinem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Unversehrtheit des Eigentums verletzt.

III. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen.

Rechtsgrundlage:

Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG iVm § 67a Abs 1 Z 2 AVG 1991, § 67 c Abs 3 AVG 1991; § 79a AVG 1991.

Entscheidungsgründe:

1. Der unabhängige Verwaltungssenat geht aufgrund der Aktenlage in Verbindung mit der eingebrachten Beschwerde vom folgenden Sachverhalt aus:

1.1. Am 13. Oktober 1993 hat Herr RI G, Zollwachebeamter des Zollamtes Passau Bahnhof, um ca 13.30 Uhr im Bereich Schärding (vgl Sachverhaltsschilderung des Zollamtes Passau zur Zahl SB 200/597/1993) in dem von Passau kommenden Schnellzug, EC 23 Johann Strauß, anläßlich der Einreisekontrolle bei Herrn G M, 40 Stück AN 1 und 50 Stück Senior 20 Tabletten entdeckt und wegen des Verdachts des versuchten Schmuggels gemäß §§ 13, 35 Abs 1 FinStrG in Tateinheit mit dem Vergehen nach § 16 Abs 1 SGG die Beschlagnahme ausgesprochen und die Beschlagnahmequittung Block-Blatt-Nr. 6290/2 ausgestellt. Der Zollwachebeamte vermutete, daß Herr G suchtgifthältige Medikamente aus der Bundesrepublik Deutschland eingeführt hatte. Er benachrichtigte seine Dienststelle, die der kriminalpolizeilichen Abteilung der belangten Behörde fernmündlich Mitteilung machte und die Ankunft des Eurocity-Zuges um ca 14.00 Uhr avisierte. Insp. G und GI H von der belangten Behörde begaben sich daraufhin zum Bahnhof Wels, wo ihnen der Zollwachebeamte den G M, dessen Personalausweis Nr., die Medikamente AN 1 und Senior 20 sowie 2 Privatrezepte der Ärzte Dr. W und Dr. U aus S gegen Übergabebescheinigung überließ.

1.2. Der Kriminalbeamte GI H hat Herrn G daraufhin niederschriftlich zur Sache einvernommen. Dieser gab an, daß er 2 Packungen AN 1 und 1 Packung Senior 20 in einer Apotheke in Passau für seinen Bekannten H H gekauft hatte, der diese Tabletten, die als Aufputschmittel verwendet werden, regelmäßig einnimmt. Diese Tabletten, die in Österreich nicht erhältlich sind, habe er seit Februar oder März 1993 etwa zwanzigmal für den Bf H besorgt, der ihm jeweils die Unkosten ersetzte. Für die Fahrt habe er diesmal S 700,-- und für die Tabletten S 500,-- aufgewendet.

Er fahre deshalb für den Bf, weil ihm die Bahnfahrkarte billiger komme und er gerne mit dem Zug fahre. Die Medikamente bekomme er auch in Passau nur gegen Rezept, weshalb er die Privatrezepte der genannten Ärzte mitführte.

Herrn G wurde niederschriftlich zur Kenntnis gebracht, daß seine Angaben heute bei den genannten Ärzten nicht mehr überprüft werden könnten, weil sich telefonisch niemand meldete. Die Medikamente und Privatrezepte würden vorläufig sichergestellt und bis zur Klärung des Sachverhalts bei der Polizei in Wels verbleiben. Die Vernehmung wurde um 15.00 Uhr beendet.

1.3. Mit Schreiben vom 14. Oktober 1993, abgesendet am 19.

Oktober 1993, zur Zahl II-2273/93-Ho hat die belangte Behörde je eine Packung AN 1 und Senior 20 Tabletten an das Bundesministerium für Inneres mit dem Ersuchen übermittelt zu überprüfen, ob diese Medikamente den Suchtgiftbestimmungen unterliegen. Dazu wurde mitgeteilt, daß die Medikamente aus der Bundesrepublik Deutschland eingeführt worden sind und daß bekannt sei, daß sie von suchtgiftabhängigen Personen als Suchtgiftersatz konsumiert werden.

Mit Nachricht vom 2. November 1993, eingelangt per Telefax am 3. November 1993 um 08.32 Uhr, hat das Bundesministerium für Inneres zur Anfrage der belangten Behörde mitgeteilt, daß es sich bei den übermittelten Medikamenten um Psychostimulantien handelt, welche nicht dem Suchtgiftgesetz unterliegen. Beide Produkte sind in Österreich nicht zugelassen, jedoch in Deutschland gegen ärztliche Verschreibung erhältlich. In entsprechender Dosierung können diese Medikamente - wie andere Psychostimulantien auch - von suchtgiftabhängigen Personen als Ersatzdroge verwendet werden.

Das Bundesministerium teilte ferner mit, daß ein weiterer schriftlicher Befund nicht mehr ergeht und daß das verbleibende Untersuchungsmaterial mit getrennter Sendung retourniert wird. Der genaue Zeitpunkt des Einlangens bei der belangten Behörde kann nach der Aktenlage nicht festgestellt werden.

1.4. Mit einem weiteren Schreiben vom 14. Oktober 1993, abgesendet am 19. Oktober 1993, zur Zahl II-2273/93-Ho hat die belangte Behörde der Bundespolizeidirektion St. Pölten den wesentlichen Sachverhalt geschildert und ua mitgeteilt, daß hinsichtlich des Rezepts von Dr. W für die Senior 20 Tabletten bereits Kontakt aufgenommen wurde und diese Ärztin die Ausstellung bestätigt hat. Das 2. Rezept des Dr.

U für die AN 1 sei vermutlich schon mehrmals verwendet worden und bestehe auch der Verdacht einer Rezeptfälschung.

Konkrete Gründe für diesen Verdacht wurden keine genannt.

Dem Akteninhalt sind auch keine möglichen Verdachtsgründe zu entnehmen. Vor allem befindet sich auch keine Kopie des Rezeptes von Dr. U im Akt.

Das Rezept Dris. U wurde der Bundespolizeidirektion St. Pölten mit dem Ersuchen übermittelt, diesem das Rezept zu zeigen und ihn zu befragen, ob die Eintragungen richtig sind und ob dieses Rezept mehrmals verwendet werden kann.

Außerdem wurde ersucht, auch den Bf zur Sache niederschriftlich einzuvernehmen.

Mit Schreiben vom 19. November 1993, eingelangt am 25.

November 1993, hat die Bundespolizeidirektion St. Pölten der belangten Behörde einen Bericht gleichen Datums über die Kontaktaufnahme mit Dr. Umgeher sowie die Niederschrift vom 2. November 1993 über die Einvernahme des Bf als Verdächtigen übermittelt. Nach dem Bericht hat Dr. U bestätigt, das Rezept ausgestellt zu haben. Er meinte allerdings, daß es nicht erlaubt sei, Teilbehebungen durchzuführen. Die Apotheke dürfe nur ein Packung AN 1 OPII - damit ist offenbar eine Großpackung gemeint - ausfolgen.

Ein Grund für diese Ansicht wird im Bericht nicht genannt.

Bei seiner Einvernahme gab der Bf an, daß er seit 4 Jahren Aufputschmittel benötige und ihm das Medikament AN 1 seit ca 2 Jahren von verschiedenen Ärzten in St. Pölten verschrieben werde. Da es das Medikament in Österreich nicht gibt, werden Privatrezepte für die Besorgung in Deutschland ausgestellt.

Das letzte Rezept hat Dr. U für 200 Stück Tabletten ausgestellt. Sein Freund G habe Teilmengen von je 20 bis 40 Stück aus Deutschland für ihn gebracht. Er brauche das Medikament, da er an permanenter Antriebsarmut und reaktiven Depressionen leide. Abschließend betonte er, daß weder das Rezept gefälscht sei noch ein Medikamentenmißbrauch vorliege, da ihm das Medikament ärztlich verschrieben wurde.

Mit Schreiben der belangten Behörde vom 1. Dezember 1993, abgesendet am 3. Dezember 1993, wurde die Bundespolizeidirektion St. Pölten ersucht, die beigeschlossenen Medikamente, 2 Packungen AN 1 und 1 Packung Senior, samt Rezept an den Bf auszufolgen, da diese Medikamente nach Untersuchung durch die KTZ nicht dem Suchtgiftgesetz unterliegen.

1.5. Mit Schreiben vom 23. November 1993, eingelangt am 24.

November 1993, hat der Bf eine "Beschwerde gegen die Kripo Wels" wegen der Verletzung seines Eigentumsrechtes an Medikamenten und Privatrezepten beim unabhängigen Verwaltungssenat eingebracht und ein grobe Schilderung des Sachverhaltes gegeben. Dabei billigt er die Abnahme der Medikamente "formalrechtlich" zu, verlangt aber "jetzt endlich" die Herausgabe der 40 Stück AN 1 Tabletten und der 50 Stück Senior 20 Tabletten sowie des Privatrezeptes, das ihm Dr. U ausgestellt hatte. Die Beschwerde bringt dazu begründend vor, daß sich Herr H "beharrlich und mittels fadenscheiniger Argumente" geweigert habe, die Sachen auszufolgen, obwohl nach Überprüfung durch das kriminaltechnische Labor in Wien und Rückfrage bei den Ärzten alles in Ordnung war.

Nach diesem Vorbringen ist offensichtlich davon auszugehen, daß zeitlich im November 1993 nach Vorliegen des negativen Suchgiftbefundes, aber noch vor dem Einlangen der von der belangten Behörde im Rechtshilfeweg veranlaßten Ermittlungen am 25. November 1993, telefonische Kontakte zwischen dem Bf und dem zuständigen Sachbearbeiter der belangten Behörde stattfanden, bei denen die verlangte Ausfolgung der Sachen verweigert wurde. Aktenvermerke über geführte Telefonate befinden sich nicht in den vorgelegten Akten. Dennoch folgt der erkennende Verwaltungssenat sinngemäß der Darstellung in der Beschwerde, weil sie der allgemeinen Lebenserfahrung entspricht, von der belangten Behörde nicht bestritten wurde und dem Akteninhalt keine gegenteiligen Indizien zu entnehmen sind. Im Gegenteil fällt auf, daß sich die belangte Behörde bei der Überprüfung der Angaben des Zeugen G außerordentlich viel Zeit gelassen hat, weshalb es naheliegend erscheint, daß der Bf ungeduldig wurde und telefonisch urgierte.

2. Der unabhängige Verwaltungssenat hat der belangten Behörde eine Kopie der Beschwerdeschrift übermittelt und durch Einräumung einer Frist von 4 Wochen ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme geboten. Die Behörde hat die bezughabenden Akten in Kopie vorgelegt, jedoch keine Gegenschrift erstattet.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat hat nach Einsichtnahme in die vorgelegten Akten festgestellt, daß schon nach der Aktenlage in Verbindung mit dem glaubhaften und unbestrittenen Tatsachenvorbringen der Beschwerde der entscheidungswesentliche Sachverhalt hinreichend geklärt erscheint. Da schon aus der Aktenlage ersichtlich war, daß der angefochtene Verwaltungsakt für rechtswidrig zu erklären ist, konnte gemäß § 67d Abs 1 AVG 1991 die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung unterbleiben.

4. Der unabhängige Verwaltungssenat hat erwogen:

4.1. Zum Verfahrenshilfeantrag:

Der durch Ausfüllen des Formblattes ZPForm 1 (Vermögensbekenntnis, § 66 ZPO) gestellte Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe war als unzulässig zurückzuweisen, weil im gegenständlichen Verfahren nach dem AVG 1991 die Verfahrenshilfe nicht vorgesehen ist. Ein solcher Verfahrenshilfeantrag auf Beigebung eines Verteidigers ist nur nach dem § 51a Abs 1 VStG 1991 im Verwaltungsstrafverfahren vorgesehen. Der Antrag war daher von vornherein unstatthaft.

4.2. Zu den formellen Voraussetzungen der Beschwerde:

Gemäß Art 129a Abs 1 Z 2 B-VG erkennen die unabhängigen Verwaltungssenate über Beschwerden von Personen, die behaupten, durch Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt zu sein, ausgenommen in Finanzstrafsachen des Bundes (ebenso § 67a Abs 1 Z 2 AVG 1991). Die behauptete Rechtsverletzung muß zumindest möglich sein. Sie kann sich im Hinblick auf die Vermeidung von Rechtsschutzlücken nicht nur auf die Verletzung einfachgesetzlicher Rechte, sondern auch auf die Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte beziehen (vgl näher Mayer, in Walter [Hrsg], Verfassungsänderungen 1988 [1989], 99; Walter/Mayer, Grundriß des österreichischen Verwaltungsverfahrensrechts, 5. A [1991], Rz 548/21; dieselben, Grundriß des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 7. A [1992], Rz 927/12). Der unabhängige Verwaltungssenat hat eine umfassende Kompetenz zur Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsakts. Er ist nicht an die vom Beschwerdeführer angegebenen Gründe gebunden (vgl Walter/Mayer, Verwaltungverfahrensrecht, 5. A, Rz 548/22 und 548/24).

Die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehlsund Zwangsgewalt setzt nach der Judikatur der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts die Anwendung physischen Zwanges oder die Erteilung eines Befehles mit unverzüglichem Befolgungsanspruch voraus. Die bloße Untätigkeit einer Behörde erfüllt diesen Begriff nicht (vgl VfSlg 9813/1983; VfSlg 9931/1984; VfSlg 10319/1985; VfSlg 11935/1988). Für die Ausübung von Zwangsgewalt ist ein positives Tun begriffsnotwendig (vgl VwGH 25.4.1991, 91/06/0052; VwSlg 9461 A/1977; VfSlg 6993/1973; VfSlg 4696/1964). Dieses kann auch in einem schlüssigen Tun iSd § 863 ABGB bestehen (vgl Oberndorfer, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit [1983], 74).

Nach VfSlg 11935/1988 liegt keine bloße Untätigkeit vor, wenn die Behörde gegen den Willen des Betroffenen und damit zwangsweise Gegenstände zurückbehält, indem sie beispielsweise die Rückgabe eines KFZ-Zulassungsscheines (VfSlg 6101/1969), einer Waffe (VfSlg 8131/1977) oder von Privaturkunden (VfSlg 8879/1980) verweigert. In VfSlg 11650/1988 hat der Verfassungsgerichtshof die unanfechtbare schlichte Säumnis der Behörde vom zwangsweisen unmittelbaren Eigentumseingriff durch eine andauernde vorläufige Beschlagnahme bis zum Erlaß eines Bescheides darüber oder bis zur Rückstellung der beschlagnahmten Gegenstände unterschieden.

Im gegenständlichen Fall hat zunächst der Zollwachebeamte am 13. Oktober 1993 die Tabletten und Rezepte im Zug abgenommen und in weiterer Folge den Kriminalbeamten der belangten Behörde am Bahnhof in Wels übergeben. Diese Maßnahme ist nach dem Inhalt der Beschwerde nicht Gegenstand des Verfahrens. Bekämpft wird vielmehr das Verhalten der Kriminalbeamten der belangten Behörde. Anläßlich der kriminalpolizeilichen Einvernahme des G M wurde die vorläufige Sicherstellung der Gegenstände "bis zur Klärung des Sachverhaltes" ausgesprochen. Diese Sicherstellung wurde dann länger als eineinhalb Monate aufrechterhalten, ohne daß ein Bescheid oder Gerichtsbeschluß über die Beschlagnahme ergangen wäre. Auch der vom Bf im November 1993 nach Vorliegen des kriminaltechnischen Befundes geforderten Herausgabe seines Eigentums ist die Behörde nicht nachgekommen. Wann genau die Ausfolgung der sichergestellten Gegenstände verweigert worden ist, konnte nach der Aktenlage nicht festgestellt werden. Dies spielt aber keine entscheidungswesentliche Rolle, zumal ohnehin feststeht, daß der zwangsweise aufrechterhaltene Zustand der vorläufigen Sicherstellung auch den ganzen November 1993 und noch Anfang Dezember 1993 andauerte. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß damit im Sinne der oben dargestellten Judikatur ein der belangten Behörde zuzurechnender Verwaltungsakt vorliegt, der als fortdauernde Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Zwangsgewalt anzusehen ist. Auch die Rechtzeitigkeit der am 24. November 1993 eingebrachten Beschwerde liegt auf der Hand, sodaß die formellen Prozeßvoraussetzungen jedenfalls vorliegen.

4.3. Zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme:

4.3.1. § 143 StPO regelt im Anschluß an die Haus- und Personendurchsuchung die Beschlagnahme von Gegenständen. Er bestimmt im Absatz 1, daß Gegenstände, die für die Untersuchung von Bedeutung sein können oder dem Verfall oder der Einziehung unterliegen, in ein Verzeichnis zu bringen und in gerichtliche Verwahrung oder doch unter gerichtliche Obhut oder in Beschlag zu nehmen (§ 98) sind.

§ 98 Abs 2 StPO bestimmt ergänzend im Rahmen des Geschäftsganges der richterlichen Voruntersuchung, daß Gegenstände, an oder mit denen die strafbare Tat verübt worden ist oder die der Täter am Orte der Tat zurückgelassen haben dürfte, und überhaupt Gegenstände, die vom Beschuldigten oder von Zeugen anzuerkennen sind oder in anderer Weise zur Herstellung des Beweises dienen können, und Sachen, die dem Verfall oder der Einziehung unterliegen, soweit es möglich ist, in gerichtliche Verwahrung zu nehmen sind.

Eine ausdrückliche Ermächtigung von Sicherheitsorganen zur vorläufigen Beschlagnahme analog § 39 Abs 2 VStG enthält die StPO nicht. Dennoch wird es allgemein für zulässig angesehen, daß auch ohne richterlichen Befehl bei Gefahr im Verzug Sicherheitsorgane auf Anordnung einer Sicherheitsbehörde oder aus eigener Macht eine Beschlagnahme durchführen (vgl VfSlg 9268/1981; Bertel, Grundriß des österreichischen Strafprozeßrechts, 3. A [1990], Rz 423; Platzgummer, Grundzüge des österreichischen Strafverfahrens, 5. A [1993], 107; Foregger/Serini, Kommentar zur StPO, 5. A [1992], Anm I zu § 143). Dies wird einerseits der Größenschluß aus § 141 Abs 1 und 2 StPO ergeben und andererseits aus § 24 StPO abzuleiten sein, der den Sicherheitsbehörden bei Offizialdelikten ganz allgemein die Kompetenz zu Nachforschungen und, wenn das unverzügliche Einschreiten des Untersuchungsrichters nicht erwirkt werden kann, zu den keinen Aufschub gestattenden vorbereitenden Anordnungen einräumt, die zur Aufklärung der Sache dienen oder die Beseitigung der Spuren der strafbaren Handlung oder die Flucht des Täters verhüten können. Die schwerwiegenderen Grundrechtseingriffe der Hausdurchsuchung und der vorläufigen Verwahrung von Personen zum Zwecke der Strafgerichtspflege dürfen die Sicherheitsbehörden und deren Organe nach der ausdrücklichen Anordnung im § 24 StPO nur in den in der Strafprozeßordnung vorgesehenen Fällen unaufgefordert vornehmen.

Die kriminalpolizeiliche Beschlagnahme kann aber nur eine vorläufige Sicherstellung sein, die entweder durch einen Beschlagnahmebeschluß des zuständigen Gerichts ohne unnötigen Aufschub bestätigt oder durch Rückstellung der Gegenstände alsbald aufgehoben werden muß (vgl tendenziell idS Bertel, Strafprozeßrecht, 3. A, Rz 423; Platzgummer, Strafverfahren, 5. A, 107). Für den analogen Fall einer vorläufigen Beschlagnahme gemäß § 39 Abs 2 VStG hat der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 12. März 1988, B 942/87 (VfSlg 11650/1988) ausgeführt, daß der durch die vorläufige Beschlagnahme bewirkte unmittelbare behördliche Zugriff rechtswidrig wird und das Eigentumsrecht verletzt, wenn nicht unverzüglich von der zuständigen Behörde ein Bescheid gemäß § 39 Abs 1 VStG erlassen oder der beschlagnahmte Gegenstand zurückgestellt wird.

4.3.2. Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so kann es nicht zweifelhaft sein, daß das Zurückbehalten der sichergestellten Gegenstände ohne richterliche Anordnung spätestens nach Vorliegen des negativen Suchtgiftbefundes der kriminaltechnischen Untersuchungsstelle im BMI rechtswidrig war. Bis spätestens Anfang November 1993 hätten nach Ansicht des unabhängigen Verwaltungssenates auch der Staatsanwalt und das zuständige Gericht mit der Sache befaßt werden müssen, um einerseits die vorläufige kriminalpolizeiliche Sicherstellung durch einen Gerichtsbeschluß zu rechtfertigen und andererseits zur Einholung von Ermittlungsaufträgen. Außerdem entfiel mit dem negativen Untersuchungsergebnis der konkrete Verdacht einer strafbaren Handlung nach dem Suchtgiftgesetz , von dem die Kriminalbeamten der belangten Behörde zunächst aufgrund der ursprünglichen Informationen über die sichergestellten Medikamente (Suchtgiftersatzmittel, die in Österreich nicht erhältlich sind) mit Recht ausgingen. Handelte es sich aber um kein Suchtgift und lag der Verkaufswert der Medikamente, die nur für den eigenen Bedarf des Bf erworben wurden, lediglich bei S 500,-- , war auch nicht mehr an Schmuggel gemäß § 35 Abs 1 FinStrG zu denken. In Finanzstrafsachen wären außerdem im Hinblick auf die §§ 197 und 198 FinStrG in erster Linie die Finanzbehörden zur Ermittlungstätigkeit im Dienste der Strafjustiz berufen.

Die Annahme von Gefahr im Verzug am Nachmittag des 13.

Oktober 1993 war aufgrund der Umstände vertretbar. Die Angaben des G M konnten nach der Aktenlage auf telefonischem Wege nicht mehr bei den Ärzten, die die Rezepte ausgestellt hatten, kurzfristig überprüft werden. Da gegen Herrn G nach dem Inhalt seiner Aussage kein dringender Tatverdacht vorlag, durfte er nicht gegen seinen Willen festgehalten werden, weshalb auch nicht ausreichend Zeit für die Einholung eines richterlichen Beschlagnahmebefehls vorlag bzw dessen Beschaffung untunlich erschien. Allerdings geht es nicht an, daß die belangte Behörde in weiterer Folge ihre nach der StPO nur auf den ersten Zugriff beschränkten Befugnisse durch umständliche eigenmächtige Erhebungen bei der gleichzeitig andauernden Beschlagnahme von Gegenständen überschritten hat.

Was die behauptete Fälschung des Rezeptes Dris. U für die AN 1 Tabletten betrifft, findet sich im Akt kein einziges konkretes Indiz für einen solchen Verdacht. Dies gilt umso mehr als ein offenbar am 14. Oktober 1993 geführtes Telefonat mit Frau Dr. W (vgl Rechtshilfeersuchen vom 14.10.1993 an die BPD St. Pölten) ergab, daß diese die Ausstellung ihres Rezeptes bestätigt hat. Warum sollte das andere Rezept dann gefälscht gewesen sein? Der mißverständliche Hinweis der belangten Behörde auf eine mehrmalige Verwendung des Rezeptes für die 200 Stück AN 1 kann insofern nicht weiterführen, weil damit - wie sich bereits aus der Aussage des Zeugen G M eindeutig ergeben hat - lediglich die Behebung in Teilmengen gemeint sein konnte. Diese von der Passauer Apotheke - ob zulässig oder nicht kann dahingestellt bleiben - tolerierte Behebung in Teilmengen ist aber kein taugliches Indiz für eine Fälschung. Auch das äußere Erscheinungsbild des Privatrezeptes war offenbar nicht so bedenklich, daß eine Kopie der Urkunde für den Polizeiakt angefertigt worden ist.

Unverständlich ist auch die umständliche und zeitintensive Vorgangsweise der belangten Behörde, die Angaben des G M bezüglich der AN 1 Tabletten im Rechtshilfeweg überprüfen zu lassen, anstatt zunächst ebenso wie im Falle des Privatrezeptes Dris. W zu versuchen, mit Dr. U auf kurzem Wege telefonischen Kontakt aufzunehmen.

Der Verdacht der Urkundenfälschung erscheint dem erkennenden Verwaltungssenat von vornherein nicht nachvollziehbar. Er wurde von der belangten Behörde ohne hinreichende Gründe ausgesprochen. Außerdem war das Rechtshilfeersuchen durch den negativen Suchtgiftbefund überholt. Es sind keine berechtigten Gründe ersichtlich, die eine weitere Sicherstellung der Tabletten hätten erforderlich erscheinen lassen. Das Gleiche gilt für die Rezepte, da ein berechtigter Verdacht der Urkundenfälschung nicht angenommen werden kann, diese Frage überdies bereits viel früher auf kurzem Wege telefonisch zu klären gewesen wäre und nach dem Wegfall des Verdachts im Sinne des § 16 Abs 1 SGG diese Urkunden, die man zu Beweiszwecken hätte kopieren können, auch nicht mehr als Beweismittel in Betracht kamen.

Spätestens nach dem Anfang November 1993 vorliegenden kriminaltechnischen Untersuchungsergebnis hätte die belangte Behörde die sichergestellten Tabletten samt den Privatrezepten aus eigenem zurückstellen müssen. Die eigenmächtige Aufrechterhaltung der vorläufigen Beschlagnahme bis Anfang Dezember 1993 ohne Einholung eines richterlichen Beschlusses bzw die Verweigerung der Herausgabe gegenüber dem Bf waren rechtswidrig und griffen auch im Sinne der Judikatur des Verfassungsgerichtshofes infolge denkunmöglicher Anwendung der Vorschriften der StPO in dessen verfassungsgesetzlich gewährleistetes Recht auf Unverletzlichkeit des Eigentums nach Art 5 StGG iVm Art 149 Abs 1 B-VG ein. Dies war vom unabhängigen Verwaltungssenat in Wahrnehmung seiner umfassenden Kompetenz zur Überprüfung des angefochtenen Verwaltungsaktes festzustellen.

5. Dem Bf war als obsiegender Partei mangels Antragstellung kein Ersatz der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Kosten gemäß § 79a AVG 1991 zuzusprechen.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für den Oö. Verwaltungssenat:

Dr. W e i ß

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