Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
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VwSen-230853/2/WEI/Pe

Linz, 23.03.2004

 

 

 VwSen-230853/2/WEI/Pe Linz, am 23. März 2004

DVR.0690392
 
 
 

B E S C H L U S S
 
 

Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat durch sein Mitglied Dr. Wolfgang Weiß aus Anlass der Berufung des C S, geb. 29.12.1969, vertreten durch den bestellten Sachwalter Mag. A H, p.A. Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft, gegen das mündlich verkündete Straferkenntnis der Bundespolizeidirektion Linz vom 15. August 2003, Zl. S-28878/03 VS1, wegen einer Verwaltungsübertretung nach dem § 81 Abs 1 Sicherheitspolizeigesetz - SPG (BGBl Nr. 566/1991, zuletzt geändert mit BGBl I Nr. 104/2002) den Beschluss gefaßt:

 

Die Berufung wird mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückgewiesen.
 
Rechtsgrundlagen:

§ 66 Abs 4 AVG 1991 iVm § 24 VStG 1991;
 
 

B e g r ü n d u n g :

 

1.1. In der mündlichen Verhandlung gemäß § 43 Abs 1 VStG (vgl Niederschrift der BPD Linz vom 15.08.2003) hat die belangte Behörde nach Feststellung der persönlichen Verhältnisse und des Umstandes, dass der Beschuldigte ein volles Geständnis abgelegt habe, dem Berufungswerber (Bw) folgendes Straferkenntnis verkündet:

 

"Sie haben am 14.8.2003, von 19:10 bis 19:20 Uhr, in Linz, Landstraße, gegenüber Haus Nr. 79 durch besonders rücksichtsloses Verhalten die öffentliche Ordnung ungerechtfertigt gestört, indem Sie sich auf die Fahrbahn gestellt, die Straßenbahn angehalten und sich dann auf die Fahrbahn gelegt haben, sodass diese nicht weiterfahren hat können.

 

Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt:

§ 81 Abs. 1 SPG"

 

Wegen dieser Verwaltungsübertretung verhängte die belangte Behörde gemäß § 81 Abs 1 SPG eine Geldstrafe von 100 Euro und für den Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 50 Stunden. Die erlittene Vorhaft von 14. August 2003 19.20 Uhr bis 15. August 2003 08.50 Uhr wurde gemäß § 19a VStG mit einem Betrag von 27 Euro angerechnet. Als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens wurden 10 Euro vorgeschrieben.

 

Nach der Verkündung des Straferkenntnisses gab der Bw keine Erklärung ab. Die Niederschrift wurde dem Bw zur Durchsicht vorgelegt und von ihm dann eigenhändig unterschrieben.

 

1.2. Gegen dieses mündliche Straferkenntnis der belangten Behörde richtet sich die vom Sachwalter des Bw am 29. September 2003 bei der belangten Behörde eingebrachte Berufung vom 26. September 2003. Diese Berufung lautet:

 

"In meiner Eigenschaft als Sachwalter für Herrn C S erhebe ich gegen das mündliche Straferkenntnis der BPD Linz (S-28878/03 VS1) vom 15.8.2003, zugestellt am 17.9.2003,

 

Berufung.

 

Die Berufung wird wie folgt begründet:

 

Der Beschuldigte hat sich nicht schuldhaft verhalten. Zur Zeit der Tat war er unzurechnungsfähig. Aufgrund seiner Behinderung (Krankheit) fehlte es ihm an der erforderlichen Dispositionsfähigkeit und Diskretionsfähigkeit.

 

Weiters wird auf § 54 Abs 1 VStG hingewiesen.

 

Aus den angeführten Gründen wird die ersatzlose Aufhebung des mündlichen Straferkenntnisses beantragt.

 

Aufgrund der mangelnden Prozeßfähigkeit des Beschuldigten sind alle seine verfahrensrechtlichen Akte unwirksam.

 

Für den Fall einer eingeschränkten Zurechnungsfähigkeit wird eine Herabsetzung der Strafe beantragt.

 

Mit freundlichen Grüßen

 

Mag. Alois Hellmayr eh."

 

2.1. Mit Schreiben vom 9. September 2003 des Mag. A H vom Verein für Sachwalterschaft und Patientenanwaltschaft wurde der belangten Behörde bekannt, dass Herr Mag. Hellmayr mit Beschluss des Bezirksgerichts Linz für den Bw zum Sachwalter gemäß § 273 ABGB bestellt worden ist. Gleichzeitig übermittelte der Sachwalter eine Ablichtung des entsprechenden Beschlusses des Bezirksgerichts Linz vom 24. März 1998, Zl. 5 P 62/97z, zur näheren Information. Aus diesem Änderungsbeschluss - die ursprüngliche Sachwalterbestellung erfolgte bereits mit Beschluss vom 8. Oktober 1997, Zl. 5 P 62/97z-71, - geht hervor, dass Herr Mag. A H zum Sachwalter gemäß § 273 ABGB bestellt bleibt und nunmehr folgenden Kreis von Angelegenheiten (vgl § 273 Abs 3 Z 2 ABGB) zu besorgen hat:

 

 

Im zitierten Schreiben beantragte der Sachwalter die Zustellung des angeführten Straferkenntnisses. Die belangte Behörde übermittelte ihm in der Folge eine Kopie der Niederschrift über das mündlich verkündete Straferkenntnis vom 15. August 2003.

 

2.2. Die belangte Behörde hat ihren Verwaltungsstrafakt mit Schreiben vom 1. Oktober 2003, eingelangt am 9. Oktober 2003, zur Berufungsentscheidung vorgelegt und mitgeteilt, dass eine Berufungsvorentscheidung nach Plausibilitätsprüfung nicht in Erwägung gezogen werde.

 

3. Der Oö. Verwaltungssenat hat nach Einsicht in die vorgelegten Verwaltungsakten festgestellt, dass sich die Berufung gegen ein nicht wirksam erlassenes Straferkenntnis richtet und deshalb zurückzuweisen war.

 

4. Der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat erwogen:

 

4.1. Gemäß § 9 AVG ist die persönliche Rechts- und Handlungsfähigkeit nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts zu beurteilen, wenn in den Verwaltungsvorschriften nichts anderes bestimmt ist.

 

Dabei gilt der Grundsatz, dass die Rechtsfähigkeit die Parteifähigkeit und die Handlungsfähigkeit die Prozessfähigkeit begründet (vgl Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 [2003], Rz 131). Das Fehlen der Prozessfähigkeit ist in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen wahrzunehmen (vgl mwN Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6 [2003], 214 Anm 3, 224 f E 27a und E 27c zu § 9 AVG).

 

 

Für die Prozessfähigkeit im Verwaltungsstrafverfahren kommt es nicht darauf an, ob der Beschuldigte iSd § 3 Abs 1 VStG zurechnungsfähig ist oder nicht. Vielmehr ist im Hinblick auf § 24 VStG iVm § 9 AVG entscheidend, ob der Beschuldigte im Zeitpunkt der Verkündung des Straferkenntnisses in der Lage ist, Bedeutung und Tragweite des Verfahrens und der sich ereignenden prozessualen Vorgänge zu erkennen und zu verstehen und sich den Anforderungen eines derartigen Verfahrens entsprechend zu verhalten (vgl VwGH 29.3.1989, Zl. 89/02/0014).

 

Für die Beurteilung der Handlungsfähigkeit (Prozessfähigkeit) einer behinderten Person ist der Gerichtsbeschluss iSd § 273 Abs 3 ABGB über die Bestellung des Sachwalters bedeutsam (vgl Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, 254 Anm 2 zu § 11 AVG). Gemäß § 273a Abs 1 Satz 1 ABGB kann die behinderte Person innerhalb des Wirkungskreises des Sachwalters ohne dessen ausdrückliche oder stillschweigende Einwilligung rechtsgeschäftlich weder verfügen noch sich verpflichten.

 

Die Sachwalterbestellung wirkt für die Zeit ab ihrer Erlassung insofern konstitutiv, als die Prozessfähigkeit und Handlungsfähigkeit in dem umschriebenen Ausmaß nicht mehr gegeben ist. Hinsichtlich des vorangegangenen Zeitraums ist zu prüfen, ob der Betroffene nicht mehr prozessfähig gewesen ist und damit nicht mehr in der Lage war, Bedeutung und Tragweite der prozessualen Vorgänge zu erkennen und sich den diesbezüglichen Anforderungen entsprechend zu verhalten (vgl Nachw aus der Judikatur bei Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, 223 f, E 25b, E 25g und E25h zu § 9 AVG).

 

Mangelnde Prozessfähigkeit führt zur Unwirksamkeit verfahrensrechtlicher Akte (vgl mwN Walter/Mayer, Verwaltungsverfahrensrecht8 Rz 135). War eine nicht voll handlungsfähige Person in einem Verwaltungsverfahren durch ihren gesetzlichen Vertreter nicht vertreten, so kann der ergangene Bescheid dieser Person gegenüber nicht rechtswirksam werden (vgl Hauer/Leukauf, Handbuch des österreichischen Verwaltungsverfahrens6, 225 E 28 zu § 9 AVG).

 

4.2. Die belangte Behörde hat mit dem Bw am 15. August 2003 eine mündliche Verhandlung durchgeführt und ein mündliches Straferkenntnis wegen der Verwaltungsübertretung des § 81 Abs 1 SPG verkündet, obwohl schon aus der Anzeige des Wachzimmers Hauptbahnhof vom 14. August 2003 Indizien erkennbar waren, die gegen eine Handlungsfähigkeit des Bw sprachen. Das in der Anzeige geschilderte Verhalten des Bw erscheint zum Einen ziemlich abnormal und zum Anderen gab er zu seiner Rechtfertigung laut Anzeige immerhin an: "Ich will mich nicht umbringen, aber ich will ins WJKH, weil ich von meinem Sachwalter kein Geld bekommen habe und mir deshalb nichts zum Essen kaufen kann." Demnach war schon auf Grund der Einlassung des Bw ersichtlich, dass dem Bw ein Sachwalter bestellt worden ist.

 

Die belangte Behörde ging diesen Indizien in Bezug auf mangelnde Handlungs- und Prozessfähigkeit des Bw in keiner Weise nach. Nunmehr hat sich herausgestellt, dass dem Bw schon seit längerer Zeit ein Sachwalter auch für die Vertretung vor Ämtern, Behörden und Gerichten bestellt worden war und er deshalb ohne dessen Mitwirkung überhaupt nicht handlungs- und prozessfähig ist. Die belangte Behörde hätte daher ohne Ladung des Sachwalters schon keine Verhandlung nach § 43 Abs 1 VStG durchführen, geschweige denn ein Straferkenntnis verkünden dürfen. Da sämtliche Prozesshandlungen des handlungsunfähigen Bw unwirksam sind, konnte ihm auch kein Straferkenntnis wirksam verkündet werden. Dieses ist rechtlich gar nicht existent geworden. Daran vermochte auch die nachträgliche Zustellung der Niederschrift vom 15. August 2003 über das unwirksam verkündete Straferkenntnis an den bestellten Sachwalter nichts mehr zu ändern.

 

In der Berufung wird an sich zutreffend angeführt, dass alle verfahrensrechtlichen Akte auf Grund der mangelnden Prozessfähigkeit des Beschuldigten unwirksam sind. Der daraus für das gegenständliche Verfahren folgende Schluss der Unwirksamkeit des mündlichen Straferkenntnisses wurde aber nicht gezogen.

 

5. Da sich die Berufung gegen ein nicht dem Rechtsbestand angehörendes Straferkenntnis wendet, war sie mangels eines tauglichen Anfechtungsgegenstandes als unzulässig zurückzuweisen. Die belangte Behörde wird im fortgesetzten Strafverfahren erster Instanz den bestellten Sachwalter als gesetzlichen Vertreter des behinderten Bw zu beteiligen und die Frage der Unzurechnungsfähigkeit gegebenenfalls durch medizinische Sachverständige zu klären haben.

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung:
Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.
 
 

Hinweis:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab seiner Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof und/oder an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muss - von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 180 Euro zu entrichten.
 
 

 
 

Dr. W e i ß

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