Unabhängiger Verwaltungssenat
des Landes Oberösterreich
FAQs| Sitemap| Weblinks

VwSen-105111/7/BR

Linz, 22.01.1998

VwSen-105111/7/BR Linz, am 22. Jänner 1998 DVR.0690392

E r k e n n t n i s

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn Dr. R gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung vom 24. November 1997, Zl. VerkR96-1704-1997-SR/KB, nach der am 22. Jänner 1998 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung, wegen der Übertretung der StVO 1960, zu Recht: I. Der Berufung wird mit der Maßgabe Folge gegeben als unter Anwendung des § 21 VStG von der Verhängung einer Strafe abgesehen wird.

Rechtsgrundlage: § 66 Abs.4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 471/1995 - AVG iVm § 24, § 51 Abs.1 und § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl.Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr.620/1995 - VStG.

II. Es entfallen sämtliche Verfahrenskostenbeiträge.

Rechtsgrundlage: § 65 VStG Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Urfahr-Umgebung hat mit dem o.a. Straferkenntnis wider den Berufungswerber eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000 S und für den Nichteinbringungsfall 24 Stunden Ersatzfreiheitsstrafe verhängt, weil er am 27.2.1997 um 10.22 Uhr den PKW, Kennzeichen , in G, auf der Bezirksstraße 1463 bei km 14,930 in Richtung Engerwitzdorf mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h gelenkt und dadurch die im Ortsgebiet zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 20 km/h überschritten habe.

1.1. Begründend führte die Erstbehörde im wesentlichen aus, daß die Fahrgeschwindigkeit durch Radarmessung festgestellt worden sei und der Berufungswerber sich nicht gerechtfertigt habe, so daß ohne seine weitere Anhörung das Straferkenntnis zu erlassen gewesen sei. Es sei von einem geschätzten Einkommen in der Höhe von 20.000 S auszugehen gewesen. Erschwerend sei die bereits einschlägige Vormerkung zu werten gewesen.

2. Dagegen wendet sich der Berufungswerber mit seiner fristgerecht erhobenen Berufung und verweist auf seine im Einspruch vorgetragene Rechtfertigung, worin er auf den dringlich erschienenen ärztlichen Einsatz hinwies. 3. Da keine 10.000 S übersteigende Geldstrafe verhängt ist, hat der unabhängige Verwaltungssenat durch das nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelmitglied zu erkennen. Beweis wurde erhoben durch Vernehmung des Berufungswerbers anläßlich der öffentlichen mündlichen Verhandlung und die Einsichtnahme der bei dieser Gelegenheit vorgelegten Krankengeschichten (§ 51e Abs.1 VStG).

4. Demnach kann davon ausgegangen werden, daß der Berufungswerber auf einen im vorhinein als dringend zu bezeichnenden - zumindest im Hinblick auf die Umstände (postoperative Beschwerden) weitgehend unklaren Diagnose - hausärztlichen Einsatz mit dem Pkw unterwegs war und er dabei die erlaubte Höchstgeschwindigkeit um 20 km/h überschritt. Der ärztliche Einsatz wurde durch die vorgelegten Krankengeschichten glaubhaft gemacht. Über die abstrakte Schädlichkeit dieses Verhaltens hinausgehende nachteilige Folgen sind aus dem Akt nicht zu entnehmen. Der Berufungswerber verfügt über keine Berechtigung ein Blaulicht zu führen. Er legte glaubhaft dar, daß er gedanklich bereits bei den Patienten war und auf die Fahrgeschwindigkeit nicht geachtet habe. Daher ist hier von einer bloß fahrlässigen Begehungsweise auszugehen.

5. Rechtlich ist hierzu auszuführen:

5.1. Gemäß § 20 Abs.2 StVO darf in Ortsgebieten grundsätzlich nicht schneller als 50 km/h gefahren werden.

Der Rechtfertigung des Berufungswerbers kommt in diesem Verfahren trotzdem weitgehend inhaltlich rechtsrelevante Bedeutung zu. Der Berufungswerber war hier nicht im privatem, sondern im Interesse eines öffentlich anerkannten hochrangigen Schutzgutes, nämlich der ärztlichen Behandlung einer [ex-ante besehen] plötzlich unbestimmten Grades erkrankten Person unterwegs. Die Neigung möglichst schnell am Einsatzort zu sein, erfährt in diesem Zusammenhang eine andere rechtliche Qualifikation, wenngleich das Vorliegen einer lebensbedrohenden Situation nicht anzunehmen war. Grundsätzlich bestand aber auch anläßlich dieser Fahrt die Pflicht zur Beachtung der straßenpolizeilichen Vorschriften für den im ärztlichen Dienst befindlichen Pkw-Lenker; andererseits - ex ante besehen - galt es die Berufspflicht zu erfüllen um die Gesundheit von Menschen möglichst rasch und effektiv zu schützen. Es lagen daher hier Ansätze einer Werte- bzw. Pflichtenkollision vor, wobei sich die hier vorliegende Situation weder objektiv noch subjektiv aus der Sicht des Berufungswerbers als echte Not(stand)situation darstellte. Dies vermochte daher die Verletzung der Vorschriften des Straßenverkehrs nicht zu rechtfertigen. Sehr wohl konnte sich jedoch in der (Be-)Wertung beim Berufungswerber eine Situation signalisiert haben, die ein möglichst rasches Einschreiten indiziert erscheinen ließ. Dem Berufungswerber stellte sich hier - gleichgültig welchen Bewußtseinsgrades - zumindest potentiell das Problem einer Pflichtenkollision, wobei er der möglichst raschen Verwirklichung der ärztlichen Pflichten den Vorzug zu geben geneigt gewesen sein konnte und dabei eine Geschwindigkeitsüberschreitung zumindest, wenn schon nicht bewußt in Kauf genommen, ihm diese in der Anspannung des bevorstehenden Einsatzes unterlaufen ist. 5.2. Zur Notstandsproblematik an sich ist zu bemerken, daß die Rechtfertigung einer gesetzwidrigen Verhaltensweise voraussetzt, daß der Eingriff in das fremde Rechtsgut (wie auch die Verletzung von Verkehrsvorschriften) das einzige Mittel zur Abwehr eines drohenden Nachteils ist; dieser mithin nicht anders abgewendet werden kann. Aus der "ex-ante-Perspektive" zu beurteilenden Sicht des Berufungswerbers ist die Neigung zum möglichst schnellen Einschreiten, auch bei dem nicht unmittelbar eine lebensbedrohende Situation signalisierenden Einsatz, durchaus nachvollziehbar und naheliegend. Eine die Rechtsverletzung rechtfertigende Notstandssituation bildete die gegenständliche Situation hier trotzdem nicht. Hiefür wäre eben - neben der die Annahme eines Notfalles rechtfertigenden Situation - zusätzlich erforderlich, daß kein anderer (schonenderer) Weg zur Rettung des bedrohten Rechtsgutes offensteht (ÖJZ-LSK 1975/198). Rechtfertigung setzt aber weiters (und vor allem) voraus, daß das gerettete Rechtsgut gegenüber dem beeinträchtigten auch noch höherwertig ist; ist es dem beeinträchtigten gleichwertig oder gar geringerwertig, scheidet rechtfertigender Notstand aus. Die Höherwertigkeit muß eindeutig und zweifellos sein. Diese Höherwertigkeit kann hier im Verhältnis der Einhaltung von Verkehrssicherheitsvorschriften zum möglichst raschen Einschreiten einer unbestimmten Grades erkrankten Person erblickt werden. Nur unter solchen Voraussetzungen könnte (rechtlich besehen) davon gesprochen werden, daß die Rechtsordnung den eigenmächtigen Eingriff in fremde Rechtsgüter billigt, mithin für rechtmäßig hält; andernfalls kann sie den Straftäter zwar uU (nur) für entschuldigt ansehen, sein Verhalten aber nicht für rechtmäßig erklären (Leukauf-Steininger, Das österreichische Strafgesetzbuch, 3. Aufl., Seite 138 ff). Schließlich wird gefordert, daß die Rettungshandlung - hier durch Inkaufnahme einer Geschwindigkeitsüberschreitung - das angemessene Mittel zur Rettung des bedrohten Rechtsguts ist (vgl Burgstaller 154; Kienapfel 165 und ÖJZ 1975, 429 und AT 212 Rz 24; Triffterer AT 233). Durch dieses Angemessenheitskorrektiv sollen bei bestimmten Fallgruppen notwendige Korrekturen anhand oberster Wertmaßstäbe ermöglicht werden; rechtfertigender Notstand kommt danach nicht in Betracht, wenn die Tat, bezogen auf die obersten Prinzipien und Wertbegriffe der Rechtsordnung, nicht als das angemessene Mittel erscheint (Kienapfel ÖJZ 1975, 431, 429), bzw setzt ein rechtfertigender Notstand voraus, daß es sachgemäß, billigenswert und im Interesse der Gerechtigkeit erlaubt ist, die Notstandslage durch "Beeinträchtigung des kollidierenden Interesses zu überwinden". Derselbe Grundgedanke liegt schließlich aber auch der sozialen Adäquanz zugrunde, dem sog. sozialadäquaten Verhalten. Auch dabei wird davon ausgegangen, daß ein gesetzliches Gebot zu einem bestimmten Handeln, welches jedoch aus widrigen Umständen nicht in der vorgeschriebenen Form bewirkt werden kann, trotzdem zu tätigen ist. Zur rechtfertigenden Pflichtenkollision ist es weiter herrschende Lehrauffassung, daß eine Kollision von zwei oder mehreren rechtlich bedeutsamen Pflichten dann vorliegt, wenn die betreffende Person nach den konkreten Umständen nur eine dieser Pflichten erfüllen kann, bzw. hier zu erfüllen können glaubte. Häufig sind derartige Konfliktsituationen über den rechtfertigenden Notstand zu lösen. Soweit dies nicht möglich ist, muß es aber über eine andere dogmatische Konstruktion erlaubt (dh rechtmäßig) sein, eine dieser Pflichten zu verletzen, weil die betreffende Person sich sonst überhaupt nicht rechtmäßig verhalten könnte (Otto Triffterer, Österreichisches Strafrecht, Seite 237 ff und die dort zit. Literaturhinweise). 5.2.1. Eine in der oben skizzierten Dogmatik rechtlich vergleichbare Situation lag gegenständlichem Fall zu Grunde. Aufgrund der spezifischen Sachzwänge ist daher einerseits das Verschulden des Berufungswerbers als bloß gering zu erachten. Solchen Situationen könnte auch durch den möglichen Einsatz eines Blaulichtes, welches dem Berufungswerber zu beantragen offenstünde, entgegengewirkt werden. Im Lichte der obigen Ausführungen schienen daher hier in geradezu klassischer Weise die Voraussetzungen zur Anwendung des § 21 VStG gegeben und es war somit von der Verhängung einer Strafe abzusehen. Nach dieser Bestimmung kann die Behörde ohne weiteres Verfahren von der Verhängung einer Strafe absehen, wenn das Verschulden des Beschuldigten geringfügig ist und die Folgen der Übertretung unbedeutend sind. Von letzterem kann hier mangels eines gegenteilige Anhaltspunktes ausgegangen werden.

Es bedarf daher nicht einmal einer Ermahnung um damit den Berufungswerber auf sein wohl rechtswidriges aber aus achtenswerten Gründen begangenes Fehlverhalten hinzuweisen, weil dieses in Erfüllung ärztlicher Pflichten und damit ebenfalls im Sinne eines privilegierten Schutzgutes begangen wurde.

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s: Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2500 S zu entrichten. Dr. B l e i e r Beschlagwortung: ärztlicher Einsatz, Schuldmilderung, notstandsähnlich

DruckersymbolSeite drucken
Seitenanfang Symbol Seitenanfang
www.uvs-ooe.gv.at| Impressum