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des Landes Oberösterreich
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VwSen-105759/14/BR

Linz, 28.04.1999

VwSen-105759/14/BR Linz, am 28. April 1999

DVR.0690392

ERKENNTNIS

Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich erkennt durch sein Mitglied Dr. Bleier über die Berufung des Herrn I, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach, AZ. VerkR96-716-1998 Do/HG, vom 12. August 1998, wegen Übertretungen der StVO 1960, nach der am 28. April 1999 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung zu Recht:

I. Der Berufung wird keine Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis wird im Schuldspruch mit der Maßgabe bestätigt, daß dieser in Abänderung zu lauten hat:

"Sie haben am 20. März 1998 um 06.41 Uhr als Lenker des Kombi mit dem Kennzeichen, auf der B 127 - Rohrbacher Bundesstraße - bei der Abzweigung zur Firma W, im Ortsgebiet F in Fahrtrichtung Rohrbach, einen LKW überholt, wobei nicht erkennbar gewesen ist ob Sie nach dem Überholvorgang Ihr Fahrzeug wieder in den Verkehr einordnen können würden, ohne dabei andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern, wobei wegen eines entgegenkommenden LKW´s beim Wiedereinordnen auf den rechten Fahrstreifen der Sicherheitsabstand des zuletzt überholten Lastkraftwagens verkürzt wurde, indem Sie unmittelbar vor ihm in seine Fahrlinie wechseln mußten um einen Zusammenstoß mit dem Gegenverkehr zu verhindern."

Als verletzte Rechtsnorm ist § 16 Abs.1 lit.c StVO 1960 zu zitieren.

Rechtsgrundlage:

§ 66 Abs. 4 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. 51/1991, zuletzt geändert durch BGBl. Nr. 158/1998 - AVG, iVm § 19, § 24, § 51 Abs.1, § 51e Abs.1 Verwaltungsstrafgesetz, BGBl. Nr. 52/1991, zuletzt geändert durch BGBl.Nr. 158/1998 - VStG;

II. Zuzüglich zu den erstinstanzlichen Verfahrenskosten werden dem Berufungswerber als Kosten für das Berufungsverfahren 140 S (20% der verhängten Geldstrafe) auferlegt.

Rechtsgrundlage:

§ 64 Abs.1, 2 VStG.

Entscheidungsgründe:

1. Die Bezirkshauptmannschaft Rohrbach hat im Anschluß an die Durchführung einer Strafverhandlung mit dem Berufungswerber, über diesen mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis eine Geldstrafe von 700 S und für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe von 21 Stunden verhängt und in dessen Spruch folgenden Tatvorwurf erhoben:

"Der Beschuldigte hat am 20. 03. 1998 um 06.41 Uhr mit dem Kombi auf der Rohrbacher Bundesstraße Nr. 127 in Fraunschlag bei Straßenkilometer 37,400 in Richtung Rohrbach vorbotenerweise überholt, weil andere Straßenbenützer gefährdet oder behindert werden konnten".

1.1. Begründend stützte die Erstbehörde ihre Entscheidung auf die zur Anzeige gebrachte Wahrnehmung eines außer Dienst befindlichen Gendarmeriebeamten.

Zur Strafzumessung führte die Erstbehörde aus, der Tat sei eine fahrlässige Handlungsweise zu unterstellen, wodurch das Verschulden nicht als geringfügig bezeichnet werden könne. Erschwerend wurde eine einschlägige Vorstrafe gewertet.

2. In der dagegen fristgerecht erhobenen Berufung führt der Berufungswerber lediglich aus, daß ihm nicht bekannt sei an dieser Stelle je überholt zu haben. Er ersuche um Gegenüberstellung jener Person die dies behaupte.

3. Der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich hat Beweis aufgenommen durch die Einsichtnahme in den Verwaltungsakt der Bezirkshauptmannschaft Rohrbach, AZ. VerkR96-716-1998 Do/HG. Ferner wurde Beweis erhoben durch die Erörterung des Akteninhaltes im Rahmen der vor Ort durchgeführten öffentlichen mündlichen Berufungsverhandlung. Dabei wurde der Anzeigeleger, RevInsp. H, zeugenschaftlich und der Berufungswerber als Beschuldigter einvernommen. Vermessen wurde die Gefahrensichtweite vom anzunehmenden Punkt des Überholbeginns mittels Laser und die Straßenbreite in diesem Bereich mittels Meßrades.

4. Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

4.1. Der Berufungswerber lenkte zur o.a. Zeit den bezeichneten Kleinbus auf der B 127 in Richtung Rohrbach. Die B 127 ist in diesem Bereich gut ausgebaut und im Bereich der Einfahrt zur Firma W (bei StrKm 37,650) 8,20 m breit. Sie weist zwei durch Leitlinien gekennzeichnete Fahrstreifen und beidseitig eine Randlinie mit anschließenden schmalem Bankett auf.

Der Meldungsleger fuhr mit seinem Fahrzeug in Zivil hinter dem Berufungswerber her und beobachtete dabei wie dieser auf Höhe der genannten Zufahrtsstraße einen mit ca. 70 km/h fahrenden Lkw überholte. Auch das Kennzeichen dieses Lkw´s vermochte er sich in der Folge zu notieren.

Anläßlich des Ortsaugenscheines konnte von der Position des rechten Randes der Zufahrtsstraße die Gefahrensichtweite in Richtung Rohrbach mit 287,9 m festgestellt werden. Dabei wurde als Sichtpunkt der im Kurvenscheitel sichtbare Brückenpfeiler herangezogen. Daraus ergibt sich die Sichtweite jedenfalls zu Gunsten des Berufungswerbers, weil der Pfeiler weiter links als ein sich in Gegenrichtung annäherndes Fahrzeug liegt und somit früher sichtbar ist. Die B 127 verläuft in diesem Bereich im flach ansteigenden Terrain. Bei dem vom Berufungswerber gelenkten Bus handelt es sich laut Angabe des Berufungswerbers um ein 90 PS starkes Fahrzeug, so daß im Geschwindigkeitsbereich von 70 bis 120 km/h von einer maximalen Beschleunigungskomponente von nur mehr 1 m/sek/2 ausgegangen werden kann.

Geht man nun theoretisch von der Annahme aus, daß der Überholvorgang des Berufungswerbers von einer Ausgangsgeschwindigkeit von 100 km/h und unter Einhaltung eines gerade noch annehmbaren Sicherheitsabstandes zum Vorderfahrzeug (LKW) von 20 m, sowie unter Zugrundelegung einer im ansteigenden Straßenverlauf noch erreichbaren Beschleunigungskomponente von 1 m/sek/2 erfolgte und bei einer max. Querbeschleunigung im Aus- und Einscheren von 2,5 m/sek/2, so ergibt sich bereits hier eine Überholstrecke von knapp über 100 m. Ein mit 100 km/h sich annähernder Gegenverkehr legt während dieser Phase ebenfalls knappe 29 m zurück. Als erwiesen kann daher gelten, daß der Überholvorgang gleichsam aus dem "Schwung heraus" und nicht von der gleichen Geschwindigkeit des Lkw´s erfolgte.

Unter der Annahme jedoch, daß der Berufungswerber hinter dem Lkw vorerst nachfuhr und aus 70 km/h heraus beschleunigen mußte, ergäbe sich unter gleichen Parameter bereits ein Überholweg von 195 m. Ein entgegenkommendes Fahrzeug legt dabei knappe 230 m zurück.

Aus dieser Plausibilitätsrechnung unter Anwendung des Cumputerprogrammes "Annalyzer Pro, Version 3,98" erweist sich die Anzeige des Meldungslegers in jeder Richtung hin durchaus schlüssig. Insbesondere ist glaubhaft, daß der Berufungswerber wegen eines entgegenkommenden Lkw´s, den er zum Zeitpunkt des Überholentschlusses noch nicht sehen konnte, "in Bedrängnis" kam bzw. bei der anläßlich der Berufungsverhandlung festgestellten Gefahrensichtweite - im Falle des Gegenverkehrs - geradezu kommen mußte. Dadurch kam es zum knappen Einscheren vor dem Vorderfahrzeug und der Verkürzung dessen Sicherheitsabstandes, was vom Meldungsleger in der Anzeige "mit dem hart nach rechts lenken" ausgedrückt wurde.

4.2. Dem Berufungswerber vermag es nicht zum Erfolg verhelfen, wenn er wohl durchaus glaubhaft dartut, sich an einen derartigen Vorfall nicht erinnern zu können. Es ist wohl typisch über so lange Zeit sich nicht mehr an einen einzelnen Überholvorgang zu erinnern, anläßlich welchen es im Anschluß auch zu keiner polizeilichen Interaktion (Anhaltung) gekommen ist.

Mit seiner im Ergebnis bestreitenden Verantwortung vermag er den in sich schlüssigen Angaben des Meldungslegers nicht mit Erfolg entgegentreten. Dabei kann auch kein substanzieller Mangel darin erblickt werden, wenn in der Anzeige fälschlich von StrKm 37,4 die Rede ist, gleichzeitig aber vermerkt wurde es handelte sich um die Örtlichkeit der Zufahrt zur Firma W, welche jedoch ca. auf Höhe Strkm 37,650 liegt. Es kann hier kein Zweifel an der Tatörtlichkeit erblickt werden, was wiederum das Überholen bei einer Gefahrensichtweite von ca. (nur) 288 m erwiesen sein läßt. An der Wahrnehmung des Gegenverkehrs und der Beurteilung dieses Überholmanövers als "anzeigewürdig" hegt der Oö. Verwaltungssenat daher keine Zweifel was hier eine zweifelsfreie Grundlage für einen Schuldspruch darstellt.

5.1. Rechtlich hat der unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oö. erwogen:

5.1.1. § 16 Abs.1 lit.a und c StVO 1960 lauten:

Der Lenker eines Fahrzeuges darf nicht überholen:

a) wenn andere Straßenbenützer, insbesondere entgegenkommende, gefährdet oder behindert werden könnten oder wenn nicht genügend Platz für ein gefahrloses Überholen vorhanden ist,

c) wenn er nicht einwandfrei erkennen kann, daß er sein Fahrzeug nach dem Überholvorgang in den Verkehr einordnen kann, ohne andere Straßenbenützer zu gefährden oder zu behindern;

5.1.2. Zweck der allgemeinen Überholverbotsnormen ist der Ausschluß der Gefährdung von Straßenbenützern. Unzweifelhaft ist hier, daß es sich um einen als gefährlich zu bezeichnenden Überholvorgang gehandelt hat. Dabei wurde potentiell sowohl der Gegenverkehr aber auch das überholte Fahrzeug Objekt dieser Gefährdung.

Daher war hier die Unwertspezifität im engsten Sinne des Schutzziels gemäß § 16 Abs.1 lit.c StVO betroffen, indem hier insbesondere der zuletzt überholte Fahrzeuglenker nachteilig betroffen wurde (was real durch die Verkürzung des Sicherheitsabstandes beim knappen Einscheren des überholten Fahrzeuges geschehen ist). Dies schließt wohl auch den abstrakten Gefährdungsaspekt des Gegenverkehrs - als einen "anderen" Straßenbenützer - noch mit ein (vgl. h. Erk. vom 20. Jänner 1998, VwSen-105075/11/GU/Mm).

5.1.3. Eine konkrete Behinderung oder Gefährdung wäre nach dem Tatbild des § 16 Abs.1 lit.c StVO nicht einmal erforderlich. Die Zulässigkeit des Überholens ist nicht vom Endpunkt des Überholmanövers, sondern von dessen Beginn aus zu beurteilen (VwGH 20.11.1967, ZVR 1969/11 u.v.a.). Dabei setzt für eine diesbezügliche Entscheidung grundsätzlich die Feststellung jener Umstände voraus, die für die Länge der für den Überholvorgang benötigten Strecke von Bedeutung ist, das sind in erster Linie die Geschwindigkeiten des Überholenden und des (der) zu überholenden Fahrzeuge(s). Ebenso sind vor dem Überholmanöver Umstände zu beurteilen, welche einem Wiedereinordnen in den Verkehr entgegenstehen könnten (VwGH 12.3.1986, 85/03/0152).

Laut bisheriger Spruchpraxis des VwGH konnte eine Kumulation dann erfolgen, wenn zwei verschiedene Tatbilder vorliegen welche einander nicht ausschließen, indem jedes für sich alleine und beide auch gleichzeitig begangen werden können (VwGH 28.10.1983, 83/02/0233).

Wenngleich die Schutzfunktion hinsichtlich des § 16 Abs.1 lit.a StVO nicht nur darin besteht, einen gefahrlosen Gegenverkehr zu ermöglichen, sondern auch, alle Schäden zu verhindern, die beim Überholen und Wiedereinordnen entstehen können (vgl. OGH 23.11.1977, 8 Ob 160/77, ZVR 1979/120), konnte hier auf Grund des Beweisergebnisses im Berufungsverfahren das Tatverhalten zutreffender unter die Bestimmung des § 16 Abs.1 lit.c StVO subsumiert werden.

5.2. Der Spruch war hier dem Ergebnis des ergänzend vorgenommenen Beweisverfahrens anzupassen.

Die Tathandlung, die Tatzeit und der Tatort ergibt sich in unzweifelhafter Form jedoch bereits aus dem Akt, dessen Inhalt dem Berufungswerber innerhalb der Verfolgungsverjährungsfrist im Rahmen einer Verfolgungshandlung (Akteneinsicht anläßlich der Strafverhandlung) zur Kenntnis gelangt ist. Der Berufungswerber wurde durch die hier vorgenommene Präzisierung der Tatumschreibung weder in seinen Verteidigungsrechten verletzt, noch läuft er Gefahr wegen dieses Tatverhaltens ein weiteres Mal verfolgt bzw. bestraft werden zu können. Die im Berufungsverfahren vorgenommene Spruchänderung und dessen Ergänzung stellt somit weder eine Tatausdehnung noch sonst eine unzulässige Neuerung in Form einer Auswechslung (ein aliud) dar.

 

6. Bei der Strafzumessung ist gemäß § 19 VStG Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der § 32 bis § 35 StGB (Strafgesetzbuch) sinngemäß anzuwenden.

6.1. Konkret ist zur Strafzumessung auszuführen, daß eine empfindliche Bestrafung insbesondere aus Gründen der Spezial- aber auch der Generalprävention erforderlich gewesen wäre um einerseits das offenkundig fehlende Unrechtsbewußtsein beim Berufungswerber an sich zu stärken, andererseits den straßenverkehrsspezifischen Unwert solcher Verhaltensweisen gegenüber der Allgemeinheit hervorzuheben und auf deren Schädlichkeit dadurch besonders hinzuweisen.

Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Milde mit der hier die Erstbehörde vorgegangen ist. Wenn die Erstbehörde nach ihrer eigenen ausdrücklichen Feststellung der Vielzahl an Vormerkungen darunter auch einer einschlägigen dieses Delikt dennoch nur im Ausmaß eines Parkdeliktes geahndet hat, kann darin der Berufungswerber nicht beschwert sein. Überholmanöver werden typischerweise ganz bewußt durchgeführt und die daraus entstehenden Gefährdungen dabei wohl billigend in Kauf genommen werden. Das Schuldelement ist im Bereich der Fahrlässigkeit geringer als im Vorsatzbereich. Es trifft jedoch zu, daß hier von einem durchaus schwerwiegenden Verschulden ausgegangen werden kann, der Grundsatz des Verschlechterungsverbotes eine Korrektur der Strafe nach oben aber verbietet.

 

 

Rechtsmittelbelehrung:

Gegen diesen Bescheid ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

H i n w e i s:

Gegen diesen Bescheid kann innerhalb von sechs Wochen ab der Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden; diese muß - von den gesetzlichen Ausnahmen abgesehen - jeweils von einem Rechtsanwalt unterschrieben sein. Für jede dieser Beschwerden ist eine Gebühr von 2500 S zu entrichten.

Dr. B l e i e r

Beschlagwortung:

Überholsichtweite, Gefahrensicht, Gefahrensichtweite

 

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